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Khala Kolumna – Folge 7

18. März 2019 | Benedikt Habermann

Die stille Zeit

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala regelmäßig.

Und irgendwann war es dann doch Winter. Ein eisiger Wind blies mir Schnee ins Gesicht, während ich, mit unzähligen schuhkartongroßen, braunen Schachteln beladen, den Weg zur Post bewältigte. In den Schachteln befanden sich Wendejacken, die in verhältnismäßig großer Zahl über den Khala Onlineshop vorbestellt worden waren.

Aber beginnen wir zwei Monate vorher, im Herbst. Ich saß auf einer Bank unter einem blauen Oktoberhimmel und telefonierte mit Mel, die seit einigen Wochen wieder in Malawi war. Sie war ein weiteres Mal nach Lilongwe geflogen und wollte das bevorstehende halbe Jahr, das sie dort verbringen würde, nutzen, um in unserer Schneiderei einiges geradezubiegen und weiterzuentwickeln. Es gab viel zu tun. Materialien und Gelder waren verschwunden, eine kleine Kriminalgeschichte hatte sich zugetragen. Aber dazu später. So hingen wir also am Telefon, saßen auf verschiedenen Kontinenten, teilten uns denselben blauen Himmel und planten für Weihnachten. Die Zeit, in der die halbe Welt verrückt spielt, stand vor der Tür. Und wir wollten dieses Jahr mitspielen. Ein Jahr zuvor hatten wir die Schneiderei gerade erst eingerichtet. Wir waren damals damit beschäftigt gewesen, unsere Crowdfunding-Unterstützer*innen mit ihren verdienten Rewards zu versorgen und hatten daher noch keine Ware verkaufen können. Doch mittlerweile war Khala weiter. Und nochmal wollten wir uns das Weihnachtsgeschäft nicht entgehen lassen. Einzig: Wir hatten uns bisher noch nicht um Absatzmöglichkeiten kümmern können. Im Sommer waren wir auf ein paar Festivals gewesen, sonst verkauften wir unsere Ware ausschließlich online. Für Weihnachten würden wir an ein paar Christkindlmärkten teilnehmen. Die Vorstellung, in einer Bude zu sitzen und zwischen Christbaumkugeln und Kripperlfiguren Jacken zu verkaufen, gefiel mir nicht.

Malawi im Dezember

Nach unserem Telefonat begannen wir, Khala für die Weihnachtszeit vorzubereiten. Ich sah mich ein wenig um und hatte Glück. Der funkigste Weihnachtsmarkt Münchens hatte noch einen freien Platz für unseren Stand. Der würde auf einem Bazar in einem großen, gemütlichen Zirkuszelt Obdach finden. Noch dazu dauerte dieser Weihnachtsmarkt vier Wochen. Ich würde also nicht verschiedene kleine Märkte abfahren müssen, sondern den Stand nur einmal aufbauen und dann 30 Tage lang betreiben. Apropos Stand. Es gab noch keinen.

Unseren Verkaufsstand, den wir für den Sommer gebaut hatten, hatten wir so entworfen, dass er auf lediglich zwei Quadratmetern Platz fand. Das sparte Standmiete. Auf der Suche nach günstigem Baumaterial hatten wir damals in einer Scheune von Hubis Vater einige alte Latten und ein hölzernes Bettgestell gefunden. Daraus hatten wir ein niedliches Khala-Ständchen getischlert. Dieses hatte uns treue Dienste erwiesen. Aber nun waren wir ihm entwachsen. Ich brauchte  schnell einen neuen, größeren, soliden, schönen, praktischen Stand – der natürlich wieder mal nicht viel kosten durfte. Im Mai waren wir bei einem Bayern 2-Wettbewerb nominiert gewesen. Am Gala-Abend hatten wir die Jungs von der Lernwerkstatt kennengelernt. Ein soziales Projekt, um Geflüchteten Handwerkskurse zu ermöglichen. Kurzerhand rief ich dort an. Roberto, der Leiter der Handwerkskurse, war sofort begeistert und verstand es aufs Vorzüglichste, den Stand in meinem Kopf innerhalb einer Woche in der Realität nachzubauen. Next problem solved.

Wir hatten nun also den Platz auf dem Weihnachtsmarkt und der Stand war fertig. Nun musste er nur noch gefüllt werden. Noch hatten wir kaum aber kaum Ware. Während ich in Deutschland die Vorbereitungen für den Weihnachtsmarkt traf, kämpfte Mel mit der Produktion.

Es hatten sich einige Komplikationen ergeben, seitdem sie in Malawi gelandet war. Den größten Verdruss bereitete ihr unser malawischer Projektmanager. Der hatte wohl schon seit längerer Zeit seine Arbeit bei Khala anders genutzt, als es in seinem Vertrag stand. Mel kam dahinter, dass er unsere Steuergelder veruntreut und große Mengen Stoff gestohlen hatte. Außerdem vermuteten wir, dass er ein eigenes kleines Business mit unserer Ware am Laufen hatte. Ihn zu feuern und den Fall den Behörden zu übergeben, fiel Mel alles andere als leicht. Zumal er bei Khala von Anfang an dabei gewesen war und durch die Strapazen, die wir – und vor allem Mel – mit ihm durchlebt hatten, auch ein persönliches, freundschaftliches Verhältnis entstanden war. Mel musste den Laden nun also alleine managen. Da der nun seines Postens enthobene Manager unter anderem die Aufgabe der Qualitätssicherung scheinbar länger nicht mehr pflichtbewusst verfolgt hatte, hatten sich unzählige Jacken angehäuft, die ausgebessert und umgenäht werden mussten. Zudem hatten wir schon seit Langem geplant, unser Sortiment um Wendejacken zu erweitern. Jacken also, die auf einer Seite den farbenfrohen Chitenje-Stoff zeigen, die man aber auch auf links drehen kann, sodass ein einfarbiger Hanfstoff nach außen schaut und man etwas dezenter daherkommt. Mittlerweile hatten wir genug Kapital, um die Materialien dafür einzukaufen. Aus Südafrika wurden Wende-Reißverschlüsse und Hanfstoffe in unsere Werkstatt geliefert. Am Markt in Lilongwe besorgte Mel neue Chitenje-Stoffe, die uns über den Verlust der alten Stoffe hinweghalfen und darüber hinaus noch eine höhere Qualität aufwiesen. Die Zeit rannte, der Weihnachtsmarkt rückte näher. Und eigentlich hätte die Produktion nun wieder rundlaufen können. Doch plötzlich verschwand unser Chef-Schneider. Er kam einfach nicht mehr zur Arbeit. Niemand wusste, wo er war; übers Handy war er nicht zu erreichen. Sein Verschwinden bedeutete auch, dass die Hälfte der Produktion lahmlag. Der Mann leistete gute Arbeit und wir wollten ihn nicht aufgeben. Nach zwei Wochen ohne ein Lebenszeichen machte sich Mel zusammen mit unserer Zuschneiderin in einem Vorort Lilongwes auf die Suche nach ihm. Sie fanden ihn bei sich zu Hause. Am nächsten Tag kam er wieder regulär zur Arbeit. Es gehört zu den Absurditäten, denen man in Malawi begegnet, dass diese Nebengeschichte keine Pointe hat. Es gab keinen Grund für das klanglose Verschwinden des Schneiders. Er war mit seinem Arbeitsplatz zufrieden und seine Familie auf das Geld angewiesen, das er bei uns verdient. Für ein paar Tage hatte er einfach gemeint, etwas Besseres zu tun zu haben.

Das Team in Malawi arbeitet an den neuen Wendejacken.

Die ersten Wendejacken wurden ausgetüftelt und entwickelt. Sie sahen sehr gut aus. Ein paar Wochen später konnten wir sie zum Verkauf anbieten. Ein Freund, der eine Expertise für Werbung in Sozialen Netzwerken entwickelt hatte, schaltete für uns eine Anzeigenkampagne auf Facebook. Es war, als hätten die Leute nur auf die neuen Jacken gewartet. Über den Onlineshop nahmen wir fleißig Vorbestellungen entgegen, die dann direkt im Anschluss in Malawi genäht wurden. Gleichzeitig begann nun der Weihnachtsmarkt. Wir hatten einige Freiwillige akquirieren können, die mich mit den Schichten am Stand unterstützten. Ich hatte ja noch Jobs nebenher. Der Dezember sah nun so aus:

Über unseren eigenen Onlineshop sowie über zwei weitere Plattformen, auf denen wir unsere Stücke anbieten, kamen täglich neue Bestellungen rein. Gleichzeitig betreute ich den Stand auf dem Weihnachtsmarkt, wo der Absatz ebenfalls zu unserer Zufriedenheit lief. Der schöne, sich durch die reizüberflutende Farbenpracht der verschieden gemusterten Jacken nahezu vollständig selbst dekorierende Stand täuschte viele Besucher darüber hinweg, wie klein Khala immer noch war. Tatsächlich hatte ich sämtliche verfügbaren Lagerbestände an unserem Stand untergebracht. Wenn uns also eine Bestellung übers Internet erreichte, nahm ich die bestellte Ware von der Stange unserer Bude und brachte sie am nächsten Morgen zur Post. Um außerdem nicht vorrätige Größen und Muster anbieten zu können, nahm ich auch am Weihnachtsmarkt Vorbestellungen entgegen, funkte diese gleich weiter an Mel, die sie im Anschluss in Malawi fertigen ließ. Dieses Angebot gefiel den Gästen und es wurde oft in Anspruch genommen.

Bene am gut gefüllten Khala-Stand auf dem Märchenbazar im Dezember 2018.

Die am Stand und online vorbestellten und gefertigten Bomber- und Wendejacken trudelten dann Woche für Woche in Deutschland ein. Ich holte sie beim Zoll ab, verpackte sie und brachte sie zur Post, oder informierte Vorbesteller*innen, dass ihre Bestellung nun abholbar war; die übrigen Jacken brachte ich zum Weihnachtsmarkt und füllte die leer gewordenen Plätze an den Kleiderstangen auf. Parallel dazu trafen nun auch immer wieder die dem Versandgeschäft immanenten Retouren ein. Da ich selbst kaum mehr daheim war, gaben die emsigen DHL-Bienchen all die retournierten Päckchen bei verschiedenen meiner Nachbarn ab. Nur ungern öffnete ich noch den Briefkasten, befürchtete ich doch, dass mir wieder ein gelbes Kärtchen mit dem Vermerk „Ihre Sendung wurde an Ihren Nachbarn übergeben“ entgegen flatterte. Auf den Kärtchen stand noch, bemüht um Konkretisierung, der Nachname des Nachbarn. Wenn es ganz blöd lief, lautete dieser Name Müller. Bei mir im Haus wohnen drei Müllers. Auf der Suche nach meinen Päckchen lernte ich sie nun alle kennen. Die Vorbestellungen, Verkäufe, Retouren und neuen Lieferungen bedurften einer Dokumentation. Ein konkretes System dafür gab es noch nicht. Anfangs vermerkte ich alles auf verschiedenen Zetteln. Es häuften sich aber die Fälle, in denen ich etwas auf einen Zettel schreiben wollte und den Stift verdutzt wieder beiseitelegte, da ich die im Entstehen begriffene Notiz scheinbar zu einem früheren Zeitpunkt bereits verfasst hatte. Die Zettelwirtschaft wich einem System aus Listen und Verzeichnissen, welches ich stets mit mir führte, um Daten nachschlagen und updaten zu können. Aktentaschen hatte ich immer als prätentiöses Accessoire von Young Professionals betrachtet. Nun verstand ich. Sollte ich mir vielleicht eine zu Weihnachten wünschen?

Es kamen nicht nur viele Päckchen bei Bene an – er musste sie auch fleißig verschicken.  (c) Nicole Ficociello

Während sich mein Leben in einem Strudel aus vollen und leeren Versandkartons, Kärtchen, Listen und Zettelchen, Zolldokumenten, Weihnachtsmarkt und Paketklebeband zu verheddern drohte, forderte das Weihnachtsgeschäft Mel und das Team in Malawi nicht weniger heraus.

Dort war von Weihnachten indes nicht viel zu spüren. Die Regenzeit hüllte das Land in ein grünes Kleid und die gleichzeitig hohen Temperaturen führten zu einer Schwüle, die einem den Schweiß aus den Poren presste. Im Radio kam niemand auf die Idee, „Last Christmas“ zu spielen, und abgesehen von einer etwas verloren wirkenden Plastik-Tanne in einer Mall, erinnerte auch optisch wenig an Festlichkeit.

In unserem Atelier gab es zwar auch keine Deko, aber die vermerkten Jackenbestellungen an einem neu angeschafften Whiteboard ließen erkennen, dass es in Deutschland sehr weihnachtete. Die schlagartige Nachfrage nach den neuen Modellen und die Sonderanfertigungen für Besteller und Bestellerinnen am Weihnachtsmarkt in München erforderten eine wohlüberlegte Koordination der eingeschränkten Produktionskapazitäten und der teilweise überforderten Mitarbeiter*innen – und auch dortzulande eine akribische Dokumentation. Zudem hatte Mel erst kürzlich einen neuen Schneider eingestellt, der nun in der Anlernphase war. In Malawi ist Schneider, wer Zugang zu einer Nähmaschine hat. Die Stellenausschreibung nach einem fähigen, neuen Kollegen war daher eine Angelegenheit für sich. Ok, ganz kurz: Mel hatte bereits ein paar erfolglose Probearbeitstage mit verschiedenen Anwärtern für den Job hinter sich, da erreichte sie eines Tages eine Anfrage eines malawischen Rappers. Der MC wollte mit unseren Bomberjacken ein Musikvideo drehen und bewarb sich im gleichen Atemzug als Mels Assistent. Das Video wurde gedreht, wegen der schlechten Bildqualität wurde der Gastauftritt der Khala-Stücke jedoch wieder herausgeschnitten. Zu mehreren vereinbarten Terminen, bei denen seine Karrierechancen als Assistenz von Mel und eventuell neuer Projektkoordinator ausgelotet hätten werden sollen, erschien der arbeitssuchende Tausendsassa nicht. Somit war sein Nebenauftritt in dieser Geschichte auch schon wieder zu Ende. Zuvor hatte er aber noch einen seiner Nachbarn als neuen Schneider empfohlen. Und dieser saß nun an einer Nähmaschine bei Mel im Atelier und wurde mit den Spezifitäten von Schnittmustern, Nadeln, Stichlängen und Materialien vertraut gemacht.

Teammeeting im Khala-Atelier in Malawi.

Aus Chaos wurde Routine, aus Fehlern wertvolle Lektionen und aus Stoffen wurden Jacken, die nach Deutschland wanderten. Bei wem die wohl überall unterm Christbaum landen würden, fragte ich mich, während mir ein eisiger Wind Schnee ins Gesicht blies und ich die in unzähligen schuhkartongroßen, braunen Schachteln verpackten Jacken durch die Kälte zur Post trug.

Khala’s erste Weihnachten waren nervenaufreibend und stressig gewesen. Aber durchaus erfolgreich. Mit dem Gewinn, den wir machten, hatten wir nun erstmals genug Geld auf der hohen Kante, um mehrere Monate in die Zukunft zu kalkulieren. Dadurch würden sich im neuen Jahr vollkommen neue Möglichkeiten ergeben.


(c) alle Bilder Benedikt Habermann/ Khala

Khala ist ein Münchner Start-Up, das Mode mit traditionellen Stoffen aus Malawi kreiert. Die Designs sind auch Ausdruck des kulturellen Austausches, der durch die faire und gleichberechtigte Zusammenarbeit des Teams stattfindet. Die Produktion findet in Malawi statt, der Vertrieb in Deutschland.


Khala
Melanie Rödel
2017
Adresse 
Baierbrunner Straße 26, 81379 München
support@khaladesign.com
Webseite www.khaladesign.com

 

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Slow Fashion – Langlebig und zeitlos

4. Februar 2019 | Caroline Deidenbach

Die Slow Fashion-Bewegung will, dass auch im Bereich Mode ein Umdenken stattfindet: Weg vom Konsumieren, hin zur nachhaltigen Wertschätzung.

Jährlich kaufen die Deutschen im Durchschnitt 60 neue Bekleidungsteile – 20 Prozent der Kleidung, die wir besitzen, tragen wir überhaupt nicht und den Rest nur etwa vier Mal, bevor wir sie entsorgen. In wenigen Bereichen des Lebens kann sich der Mensch so offensichtlich individuell darstellen, wie mit dem, was er am Leibe trägt. Hinzu kommt, dass sich Trends immer wieder verändern, genauso wie der eigene Geschmack im Laufe der Zeit. Bis zu zwölf Kollektionen bringen Modelables jährlich raus. Damit wollen sie beim Kunden das Bedürfnis nach „mehr“ wecken: Oft mit Erfolg. Doch woher diese Kleidung eigentlich kommt, die wir so oft viel zu günstig und deshalb vor allem auf Kosten anderer konsumieren, das wurde sich lange nicht gefragt. Doch spätestens seit dem Fabrikunglück 2013 in Bangladesch in einer Textilfabrik, bei dem 1.135 Menschen starben und 2.438 verletzt wurden, interessieren sich mehr Menschen für die Herkunft und die Herstellungsbedingungen ihrer Kleidung. Ein Thema, das auch Andrew Morgan in seinem Dokumentarfilm „The True Cost“ behandelt“.

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Nach diesem Vorfall in Bangladesch, schlossen sich verschiedene internationale Gewerkschaftsdachverbände, wie UNI Global Union IndustriALL, und Nichtregierungsorganisationen, wie die Kampagne für Saubere Kleidung, zusammen und verfassten ein Abkommen, das bessere Arbeitsbedingungen, unabhängige Kontrollen und bessere Bezahlung für die Arbeiter in Bangladesch veranschlagte. Diese Richtlinien mussten innerhalb 45 Tage nach der Unterschrift umgesetzte werden. Zu den Unterzeichnern gehören auch H&M, Benetton, Aldi Süd, Tchibo und Mango. Doch auch wenn das erste Schritte waren, so änderte dies jedoch nichts an der Verkaufsstrategie der Firmen, die weiterhin ihre „Fast Fashion“ vorantreiben, anstatt auf einen nachhaltigeren Konsum mit mehr Qualität zu setzen. Dies soll jetzt jedoch mit einer neuen Art der Mode, der Slow Fashion, auch in der breiten Masse ankommen.

Bewusstsein schaffen

Geprägt hat den Begriff die Forscherin und Autorin des Buches „Sustainable Fashion and Textiles: Design Journeys“ Kate Fletcher. 2010 gründete die Professorin am Centre for Sustainable Fashion des London College of Fashion das Unternehmen Slow Fashion Consultancy, welches durch unterschiedliche Kampagnen auf nachhaltigen Konsum aufmerksam machen will. Grundgedanken ihres Slow-Fashion-Begriffs sind die Wiederverwendbarkeit, die Reduzierung und das Recycling von Textilien. Doch was unter Slow Fashion verstanden wird, ist sehr unterschiedlich. Für die einen ist es wichtig, dass vor allem im eigenen Land, also regional, hergestellt wird. Andere wiederum legen viel Wert auf die Langlebigkeit des Produkts und dessen Qualität, auch wenn es sich beispielsweise nicht immer um Bio-Baumwolle handelt. Das Ideal wäre wohl alle folgenden Kriterien unter einen Hut zu bringen:

  1. Langlebigkeit: Slow Fashion hat eine kurze Produktionskette, ist keine Saisonware und ist hochwertig verarbeitet. Die Langlebigkeit führt automatisch dazu, dass Ressourcen geschont werden und die Umwelt somit weniger belastet wird.
  2. Gesamtbild: Slow Fashion, das ist nicht nur das T-Shirt oder der Rock, sondern auch das ganze Drumherum. Die Arbeitsbedingungen, das soziale Gefüge der Arbeiter, das Material, die Lieferwege und die Geschichte, die dahinter steckt und sozusagen durch die Mode erzählt wird.
  3. Diversität: Slow Fashion ist nicht nur das nachhaltige Modelabel mit dem Öko-Zertifikat, Slow Fashion ist auch der Flohmarkt, der Tausch von Klamotten mit der besten Freundin, das Leihen von einem Kleid für einen besonderen Anlass oder das Upcycling von Klamotten, die man dadurch wieder aufwerten kann.
  4. Bewusstsein: Slow Fashion ist vor allem das Bewusstsein, was hinter der Produktion von Mode steckt und sich wirklich zu fragen, was man braucht und was nicht. Also nicht nur zu kaufen, sondern sich bewusst Fragen zu stellen und Verantwortung für seinen eigenen Konsum und seine Auswirkungen zu übernehmen.

Noch verbinden viele Leute faire, ökologische Mode mit einem eher unmodernen Still und mit höheren Preisen. Mittlerweile gibt es jedoch viele stylische Klamotten und Accessoires, die gut aussehen und zudem noch länger halten, als die Saisonware der Modeketten. Preislich sind sie natürlich noch gehoben, doch geht es bei der Slow Fashion schließlich auch darum, dass man nur ein T-Shirt und nicht drei kauft. Labels und Geschäfte, die Slow Fashion verkaufen sind unter anderem  Armedangels, Hess Natur, ThokkThokk und  Nudie Jeans. Viele Ideen in diesem Bereich sind aber auch erst im Entstehen und werden durch Crowdfunding- Kampagnen voran gebracht. Wie auch das Modelabel Khala.

Die Mode von Khala ist bunt, modern und nachhaltig. (c) Caroline Deidenbach

Entstanden ist die Idee zu Khala relativ spontan, als Gründerin Melanie Rödel mit Viva con Agua für ein Brunnenprojekt in Malawi war. Erst ist der Entstehungsphase stellte sie fest, wie kompliziert die Produktion von Mode ist, vor allem wenn sie nachhaltig und ökologisch sein soll. Das Start-Up verbindet europäische Schnitte mit malawischen Stoffen – zu bezahlbaren Preisen. Für sie ist der erste Schritt die soziale Nachhaltigkeit vor Ort in Malawi zu fördern. Das bedeutet am Ende faire Bezahlung, Urlaubstage und eine Krankenversicherung für die Schneider vor Ort. Zukünftige Schritte wären dann auch die Produktion von Bio-Baumwolle und eine nachhaltige Lieferkette. Über die Weiterentwicklung ihrer Geschäfte berichten die Macher von Khala übrigens auch auf relaio in ihrer Kolumne.

Die Kleidung ist für viele nachhaltige Modelables ein Weg die Informationen über Produktionsbedingungen und Nachhaltigkeit unter die Menschen in Europa zu bringen, in der Hoffnung, dass sich ihre Kunden mit dem Thema auseinandersetzen. Kritisch kann man dabei natürlich sehen, dass wieder etwas konsumiert wird – also Ressourcen verbraucht werden und damit eigentlich wieder nur der klassische Markt bedient wird. Doch genauso muss bedacht werden, dass sich, vielleicht auch nur im Kleinen, vor Ort etwas ändert, wenn beispielsweise ein malawischer Schneider mit dem Geld seine Kinder auf die Schule schicken kann. Nicht zu vergessen, wenn wenigsten ein Teil der Kunden anfängt sich Gedanken über den eigenen Konsum zu machen und diesen zu reduzieren, dann hat schon Wirkung gezeigt.

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3. Dezember 2018 | Benedikt Habermann

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Über Sonne, Mut und mehr

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala hier bei uns.

“Ganz schön mutig, was ihr macht,” sagte das Mädchen mit dem netten Lächeln und dem halbvollen Plastikbecher, den sie in der Hand hielt. Mit der anderen Hand skippte sie sich gerade durch die verschiedenen Modelle unserer Bomberjacken, die an einer Kleiderstange baumelten. Von der nahe gelegenen Bühne wummerten Bässe zu uns herüber und die Sonne beschien wohlwollend das Festivaltreiben der Münchner Afrika Tage, auf denen wir uns befanden.

Der Sommer war seit Langem hier und zeigte, was er konnte. Die lähmende Hitze hatte auch den Betrieb bei Khala gedrosselt. Urlaube wollten gemacht werden, Reisen unternommen, Open Airs besucht, Seen bebadet und die sonderbar zahlreichen warmen Tage in diesem Jahr genutzt werden. In Anbetracht all dieser Optionen und der harten Arbeit der vorangegangenen Monate, rückte unser Business bisweilen ein wenig in den Hintergrund. Die Verkaufserlöse unseres Online Shops genügten, um den laufenden Betrieb in Malawi zu finanzieren. Vom Hustle am Anfang des Jahres hatten wir uns weitgehend verabschiedet. Wir mussten nicht mehr um Spenden werben oder eigene Gelder zuschießen. Khala trug sich selbst. Um unseren Lebensunterhalt zu finanzieren, hatten wir allerdings noch Jobs nebenher. Die machten zwar Spaß, gleichzeitig kosteten sie wertvolle Stunden und trugen dazu bei, dass unsere Zeiteinteilung manchen Tages zu Lasten des eigenen Unternehmens ausfiel.

Bei Khala selbst nahmen Verwaltungsarbeiten sehr viel Raum ein, allem voran die Koordinierung und Planung der Produktion in Malawi. Hinzu kamen Inventuren, Einkäufe, Besuche beim Zollamt, Vorträge, Fotoshootings, die leidige Buchhaltung und dergleichen mehr. Vertrieb und Marketing hatten wir hingegen etwas schleifen lassen.

So dauerte es nicht lange und die trügerische Sicherheit konstanter Absatzzahlen, in der wir uns selbstzufrieden gewähnt hatten, war plötzlich wieder passé. Geschluckt vom Sommerloch. Immer weniger Bestellungen kamen über unseren Online Shop rein. In der Postannahmestelle des kleinen Kiosks, wo ich alle paar Tage ein paar Päckchen über die Theke geschoben hatte, musste mich die Angestellte, die so angenehm unkonventionell das Porto berechnet, wohl schon vermissen.

Es galt also, über neue Vertriebswege die Verkäufe anzukurbeln. Soweit es sich zeitlich einrichten ließ, brachten Mel und ich daher auf Festivals unsere Ware unters Volk.

Während also von der unweit entfernten Bühne die Bässe zu unserem Stand wummerten und die Sonne wohlwollend das Festivaltreiben beschien, hatten wir dem Mädchen mit dem halbvollen Plastikbecher jede Menge Fragen zu Khala beantwortet. Etwa über die Bedeutungen des Wortes Khala in Chichewa, der Nationalsprache Malawis. Dass es so viel heiße wie sein, sich hinsetzen, bleiben, relaxen. Dass das zumindest ein gängiges Deutsch-Chichewa-Wörterbuch behaupte. Und dass wir mittlerweile herausgefunden hatten, dass khala auch Holzkohle heißt. Das Mädel hatte sanftmütig gelächelt und weiter Fragen gestellt. Und dann sagte sie, dass es so mutig sei, was wir machen. Irgendwann leerte sie ihr Getränk, probierte ein paar Sachen an und kaufte schließlich eine Jacke.

 

Der Khala-Alltag

Ich war indessen nachdenklich geworden. Ist es mutig, was wir machen? Ich erinnerte mich daran, wie ich den Khala-Stand einige Tage zuvor montiert hatte. Es war einer der vergessenen Regentage in diesem Jahr gewesen. Unter dem Dach eines halbaufgebauten Bierzeltes hatte ich die einzelnen Module des Standes frühmorgens zusammen geschraubt und, übertönt vom auf mich prasselnden Regen, laut fluchend nach draußen auf den uns zugeteilten Stellplatz getragen, wo ich sie, von einer Plane bedeckt, abgestellt hatte. Vollkommen durchnässt radelte ich danach in die andere Arbeit, meine Erwerbstätigkeit. Mutig kam ich mir dabei nicht vor. Höchstens fragte ich mich, warum ich mir das Ganze antue.

Das Mädchen auf dem Festival war nicht die erste, die unser Tun als mutig bezeichnet hatte. Aber was wirkt auf die Leute so mutig?

Ist es mutig, dass wir uns die Zeit nehmen für Khala? Dass wir so viele unwiederbringbare Stunden investieren? Oder, dass wir nicht in die Rentenkasse einzahlen? Dass wir Geld investiert haben? Dass wir Verantwortung für eine Hand voll Menschen in Malawi tragen, die auf ihre Löhne angewiesen sind? Dass wir ohne wirkliche Erfahrung ein internationales Unternehmen aufbauen? Ich hatte nie wirklich darüber nachgedacht. Und dass Mel bald wieder für ein halbes Jahr nach Malawi geht, ist das auch mutig?

Uns selbst kommt das alles gar nicht so mutig vor. Und würden wir es nicht spüren, wenn es Mut wäre? Was ist Mut überhaupt? Weil ich mir schwer tat, zu einer Definition zu kommen, begab ich mich auf Recherchereise ins Internet. Dort  erfuhr ich, Mut sei die “Fähigkeit, in einer riskanten Situation seine Angst zu überwinden”. Hmmm. Ängste müssen wir höchstens überwinden, wenn wir irgendwo einen Vortrag halten müssen. Die nächste Definition nannte Mut die “Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält”. Da lag der Hund schon eher begraben. Allerdings erwarten wir keine Nachteile. Auch wenn wir scheitern sollten, was soll denn schon passieren?

Schwierig also, das mit dem Mut. Dass wir uns mit Khala keiner leichten Aufgabe stellen und dass wir aus der Reihe tanzen, ist uns klar. Einen kleinen Dachschaden braucht man wohl. Aber Mut? Sind denn alle anderen feige, weil sie kein Modelabel in Afrika gründen?

Eine akzeptable Antwort darauf, warum viele uns für mutig halten, fand ich schließlich in einem alten Lied der Beginner. Der US-amerikanische Psychologe und Philosoph Rollo May wird darin zitiert: “Das Gegenteil von Mut in unserer Gesellschaft ist nicht Feigheit, sondern Anpassung.”

Aha!

Was in dem Beginner-Song keinen Platz gefunden hatte, war der Anfang des Zitats: “Viele Leute fühlen sich machtlos, etwas wirksames mit ihrem Leben anzustellen. Es erfordert Mut, neue Wege zu gehen, aber für viele ist Konformität bequemer.”

Wenn dieser Rollo recht hatte, dann ist es wohl doch mutig, was wir mit Khala machen. Wir müssen ständig unsere Komfortzone verlassen; oft stoßen wir an unsere eigenen Grenzen, wenn wir etwa Dinge tun müssen, die wir nicht können oder in Situationen geworfen werden, die uns überfordern. In der Rolle derer, die etwas anders machen als der Rest, sind wir in der Position, unser unstetes Leben zu rechtfertigen. Und sollten wir eines Tages doch scheitern, haben es alle bereits besser gewusst.

Insofern ist es auch vollkommen nachvollziehbar, warum viele Menschen ihre Träume verblassen lassen, nicht ausbrechen, ungeliebten Jobs nachgehen und letztlich womöglich in der gesellschaftlichen Konformität landen: den Mut aufzubringen, dagegen zu rebellieren, ist harte Arbeit.

Das soll nicht selbstgefällig klingen. Wir kommen uns trotzdem nicht mutig vor. Für uns ist es schlicht nicht denkbar, in irgendeinem Angestelltenverhältnis zu einer Wirtschaft ohne Ideale beizutragen. Unser Ausweg ist, mit Khala selbst etwas zu schaffen, wohinter wir stehen können.

Wir sind nicht die einzigen, die sich diesen Stress geben. Über viele Umwege hatte mich meine Recherche zu Mut auf eine Website geführt, die mich stutzig machte. Was ich dort las, klang ein wenig nach Bizarro-World: Es gibt ein faires Modelabel, das mit seinem kleinen Team in Malawi aus Chitenje-Stoffen Kleidung herstellt, unter anderem Bomberjacken. Der Name des Labels: Khama. Die Marke wurde vor einigen Jahren von einer Engländerin gegründet, hat einen sozialen Hintergrund und fußt auf der Idee, dass Handel eine nachhaltigere Veränderung erzielen kann, als Spendengelder.

Gerne hätte ich den Leuten von Khama ein paar Fragen gestellt, leider antwortete mir niemand auf meine Mails. Ich kann mir denken warum: vermutlich sind sie beschäftigt mit Verwaltungsarbeiten, der Koordinierung und Planung der Produktion in Malawi, Inventuren, Einkäufen, Besuchen beim Zollamt, Fotoshootings, der leidigen Buchhaltung und so weiter.

Was ‘Khama’ bedeutet, bekam ich aber auch so heraus. Es ist Chichewa und heißt soviel wie harte Arbeit. Würde uns irgendwie auch besser stehen als Kohle und Relaxen.

Khala ist ein Münchner Start-Up, das Mode mit traditionellen Stoffen aus Malawi kreiert. Die Designs sind auch Ausdruck des kulturellen Austausches, der durch die faire und gleichberechtigte Zusammenarbeit des Teams stattfindet. Die Produktion findet in Malawi statt, der Vertrieb in Deutschland.


Khala
Melanie Rödel
2017
Adresse 
Baierbrunner Straße 26, 81379 München
support@khaladesign.com
Webseite www.khaladesign.com

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3. Dezember 2018 | Benedikt Habermann

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Unter Strom

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Ein Vöglein, das irgendwo vor meinem offenen Fenster in der Sonne saß, zwitscherte mich sanft aus den Träumen.

Am Vorabend war es wieder spät geworden in dem Restaurant, in dem ich ein paar Mal pro Woche arbeite und ich war heute mal etwas länger liegen geblieben. Weil wir mit Khala selbst kein Geld verdienen, hatten Mel und ich Teilzeitjobs angenommen, um unsere Rechnungen bezahlen zu können. Nach diesen regulären Arbeitstagen trafen wir uns oft noch, um für Khala Zeugs zu erledigen, Pakete zu packen, Pläne zu schmieden und Strategien zu entwickeln. Zeit ist ein kostbares Gut geworden. Heute, an diesem warmen Frühlingstag aber, würde ich endlich wieder einmal genug davon haben, um all das zu erledigen, was sich in den letzten Wochen angesammelt hatte. Erst für heute Abend um fünf Uhr stand ein wichtiger Khala-Termin im Kalender.

Vor drei Wochen war ich umgezogen, hatte aber noch keine Zeit gefunden, mich in meinem neuen Zimmer anständig einzurichten. Auch das stand heute auf der Liste. Ich stieg aus dem Bett und bahnte mir einen Weg durch nicht ausgepackte Umzugskartons, kletterte über die Matratze meines Vormieters, die schon seit einiger Zeit den Flur meiner neuen WG blockierte, und ging ins Bad.

Benes Zimmer steht noch voller Umzugskisten.

Mel hatte gestern Hals über Kopf beschlossen, morgen früh nach Malawi zu fliegen. In den vorangegangenen Wochen hatten wir oft tagelang die Verbindung zu Patrick, unserem malawischen Projektkoordinator, verloren. Und Klaar, eine belgische Hobby-Designerin, die mit ihrer Familie in Malawis Hauptstadt Lilongwe wohnt und unser Team dort einmal in der Woche im Atelier besucht, hatte in ihren letzten Nachrichten ein recht desolates Bild von der aktuellen Situation und der Stimmung im Team gezeichnet. Wir fürchteten, dass unsere Leute überfordert waren mit der Verantwortung, die wir ihnen übertragen hatten. Ein neuer Motivationsschub war nötig. Also hatte Mel nach einer schlaflosen Nacht einen Entschluss gefasst. Ihr Chef hatte Verständnis gezeigt und ihr zwei Wochen freigegeben.

In den nächsten Tagen stand einiges bevor. Hubi würde ab kommender Woche eine mehrmonatige Auszeit nehmen und sich nach Südamerika absetzen. Dadurch, dass Mel in Malawi sein würde, würde ich die Organisation in Deutschland alleine übernehmen: Flyer entwerfen, einen Banner drucken lassen, Modenschauen organisieren, E-Mail-Anfragen beantworten, den Versand abwickeln, an unserer Verkaufsbude arbeiten, Freundinnen und Freunde gewinnen und koordinieren, die uns glücklicherweise immer wieder gerne unterstützen, Lieferanten in Afrika anschreiben und vieles mehr. Dazwischen drängten sich die Schichten meiner beiden Nebenjobs.

Um nach Malawi einzureisen, benötigte Mel noch US-Dollar. Da sie heute arbeiten musste, würde ich später zum Hauptbahnhof radeln und in einer Wechselstube die fürs Visum benötigten Dollars holen. Das markierte ich mir noch auf meiner imaginären To-Do-Liste, während ich einen Haufen Wäsche, der in einer Ecke meines Zimmers herangewachsen war, in die Waschmaschine stopfte. Mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand stieg ich über die Matratze im Flur und wanderte zurück in mein Zimmer, wo ich mich an das bunte Chaos meines Schreibtisches setzte. Lange war ich nun schon nicht mehr dazu gekommen, an einer neuen Khala Kolumna zu schreiben. Auch dem wollte ich mich heute widmen. Ich wusste noch nicht genau, worüber ich schreiben sollte. Jeden Tag passiert so wahnsinnig viel. Diese Flut aus Anekdoten und Erkenntnissen in geregelte Bahnen zu leiten, und möglichst unterhaltsam und informativ über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung zu schreiben, fällt nicht immer leicht. Zumal es dafür Muse braucht. Eigentlich wollte ich irgendwas über Geld schreiben – ein urfades Thema. Man müsste es in eine Geschichte verpacken, irgendwas mit menschlichem Scheitern, das würde das Ganze auflockern.

Das Khala-Atelier in Malawi.

Meine Überlegungen wurden vom Vibrieren meines Handys unterbrochen. Ein Whatsapp-Anruf aus Malawi. Es war Patrick. „Hello Mr B.“ begrüßte er mich.

Ich finde es witzig, dass er mich so nennt. Natürlich dürfte er mich ruhig Bene nennen. Aber das wäre gegen die malawischen Höflichkeitskonventionen.

Ich erinnere mich nicht mehr genau, worüber wir in den folgenden zwanzig Minuten sprachen. Vermutlich ging es um die Anmeldung bei der malawischen Steuerbehörde, die sich mit Händen und Füßen dagegen sträubte, unsere Zahlungen anzunehmen. Der zuständige Beamte wollte immer neue Dokumente vorgelegt bekommen. Einmal glaubte man uns nicht, dass da zwei Deutsche nach Malawi kommen und ein Unternehmen mit so wenig Kapital gründen. Dann mussten wir eine Briefkasten-Adresse vorweisen, die wir nicht hatten und für deren Einrichtung die malawische Post wiederum einige Monate Vorlaufzeit benötigte. Es war ein ewiges Hin und Her. Während ich mit Patrick telefonierte, schaufelte ich die nasse Wäsche aus der Waschmaschine. Das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt und den Wäschekorb in den Händen, überwand ich die Matratze im Gang. Mit dem rechten Ellenbogen öffnete ich die Wohnungstür, um auf den Dachboden zu steigen und die Wäsche aufzuhängen. Ich gab der Tür hinter mir mit dem Fuß einen Stups. Sie fiel ins Schloss.

„Oh Shit,“ entfuhr es mir. „What’s up, Mr B?“ Ich hatte keinen Wohnungsschlüssel eingesteckt. Jetzt stand ich ausgesperrt im Treppenhaus, barfuß, in Jogginghose und dem Shirt, in dem ich geschlafen hatte. Ich beendete das Gespräch mit Patrick, hängte meine Wäsche auf und überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, wieder in die Wohnung zu gelangen. Mit einem gebogenen Kleiderbügel fummelte ich ungeduldig durch den Briefschlitz in der Türe, um die Klinke von Innen  herunterzudrücken. Nach ein paar ungeduldigen Versuchen rutschte der Kleiderbügel durch den Schlitz und schepperte drinnen zu Boden. Zumindest hatte ich ein Handy dabei. Es dauerte eine halbe Stunde bis ich heraus bekam, wo mein Mitbewohner arbeitete. Dort würde ich seinen Wohnungsschlüssel ausleihen können. Sein Arbeitsplatz befand sich am anderen Ende der Stadt. Ich ging wieder auf den Dachboden und schlüpfte in ein nasses, aber zumindest frisches, T-Shirt von der Leine. In einer Ecke fand ich ein Paar zerlöcherte Schuhe, die mir eine Nummer zu klein waren. Nachdem ich meine nackten Füße hineingezwängt hatte, konnte es losgehen.

Der Schlüssel für das Schloss meines Fahrrads war dort, wo auch mein Wohnungsschlüssel war. Beim Schwarzfahren wollte ich ohne Geld und Ausweis lieber nicht erwischt werden. Also sprang ich hinaus in den Frühling und begann zu joggen.

Der wichtige Khala-Termin am Abend rückte nun doch bedenklich nahe. Es gab ja noch einiges zu erledigen.

Es war ein sehr heißer Tag für die Jahreszeit. An der Isar lagen zufriedene Menschen in der Sonne. Ich hastete vorüber. An die grüne Wand eines Transformatorenhäuschens hatten nachdenkliche Unbekannte in schmucklosen weißen Lettern gepinselt: KANN DiE WELT NICHT RETTEN ABER FiND DiE iDEE GUT. Ich hatte gerade andere Sorgen. Die Schilder verschiedener Stadtviertel zogen vorbei. Es ging bergauf und bergab, stadteinwärts und wieder hinaus. Meine To-Do-Liste für den heutigen Tag schrumpfte auf wenige Punkte zusammen. Mein Outfit erntete befremdete Blicke. Wie hatte Karl Lagerfeld, der andere Modezar, einst gesagt: „Wer in Jogginghose das Haus verlässt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

Irgendwann stand ich wieder vor meiner Wohnungstür. Diesmal mit dem Schlüssel meines Mitbewohners in der Hand. Drei Stunden waren vergangen, seit mir der Kleiderbügel durch den Briefschlitz gefallen war. Ich kletterte über die Matratze, duschte geschwind, zog mir eine Khala-Jacke an, sprang aufs Fahrrad und radelte zum Bahnhof, wo ich das Geld für Mel wechselte. Immerhin das konnte ich von der Liste streichen. Dann weiter zu dem wichtigen Termin – glücklicherweise ganz in der Nähe. Es war schon zwanzig nach fünf. Gehetzt betrat ich das große Gebäude. Ein Portier wies mir den Weg. Ich wand mich durch Trauben von Leuten in Abendgarderobe und Tracht. Ein kulanter Türsteher ließ mich noch hinein ins Studio des Bayerischen Rundfunks. „…Und wenn ihr euren Namen hört, dann kommt gleich auf die Bühne, wartet nicht darauf, was die anderen machen, das ist sonst tote Zeit. Da sagt keiner was und ich weiß auch nicht, was ich sagen soll und die Zuhörer denken sich ‚was ist da denn los?‘,“ instruierte ein Moderator Mel und ein paar andere Leute.

Khala bei der Preisverleihung zum „Guten Beispiel 2018“. (c) BR/Markus Konvalin

Die Preisverleihung zum „Guten Beispiel 2018“ würde in wenigen Minuten beginnen. Wir waren mit Khala im Finale. Es gab viel Geld zu gewinnen. Geld, das wir dringend benötigten, um neue Materialien für die Produktion zu kaufen, Mels Flug morgen zu bezahlen und überhaupt weitermachen zu können.

Wir gewannen den zweiten Platz. Und im Foyer gab es Schnittchen. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen.


(c) Bilder von Benedikt Habermann

Khala ist ein Münchner Start-Up, das Mode mit traditionellen Stoffen aus Malawi kreiert. Die Designs sind auch Ausdruck des kulturellen Austausches, der durch die faire und gleichberechtigte Zusammenarbeit des Teams stattfindet. Die Produktion findet in Malawi statt, der Vertrieb in Deutschland.


Khala
Melanie Rödel
2017
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Baierbrunner Straße 26, 81379 München
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Khala Kolumna Folge 1
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Khala Kolumna – Folge 4

3. Dezember 2018 | Benedikt Habermann

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Das Haus, das verrückt macht

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

So ein Unternehmen gründet man nicht alle Tage. Khala ist nach diversen anderen Projekten unser erstes ernst zu nehmendes Start-Up. Vieles ist für uns neu. Die meisten Prozesse, die sich aus der Kontinente übergreifenden Zusammenarbeit mit unseren Schneidern ergeben, sind uns zunächst völlig unbekannt. Oft kommen unterschiedliche Herangehensweisen an eine neue Herausforderung in Frage und erst durch Trial and Error stellt sich die für uns richtige heraus. So bildet sich Stück für Stück die Basis für den späteren Erfolg. Das ist einerseits strapaziös, andererseits wird es auch nie langweilig; Khala ist ein einziges großes Abenteuer. Wir lernen täglich dazu, erleben tausend erste Male.

Zu den ersten Malen, die wir in den vergangenen Wochen erlebten, gehört die erste Überführung frisch gefertigter Kleidungsstücke von Malawi nach Deutschland. Da unsere kleine Manufaktur noch nicht genug produziert, um einen Schiffscontainer zu füllen, hatten wir beschlossen, den Transport der Ware mit einem malawischen Luftfrachtunternehmen abzuwickeln.

Im  Dezember,  als  ich  mich  in  Malawi  aufhielt,  war  ich  mit  Patrick,  unserem  malawischen Projektkoordinator, zum Flughafen eine halbe Stunde außerhalb Lilongwes gefahren. Der Anlass unseres Ausflugs war, den künftigen Ablauf des Versendens zu simulieren und Näheres über die gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen herauszufinden. Wir wurden damals sehr nett empfangen. Die gesamte Führungsriege des Frachtunternehmens legte ihre Arbeit nieder, um sich unser Projekt vorstellen zu lassen. Auch für sie war es ein erstes Mal, mit Deutschen Geschäfte zu machen. Patrick und ich bekamen die Informationen, die wir haben wollten, ein Mittagessen oben drauf, und fuhren nach einigen Stunden zufrieden zurück. Nach dieser Generalprobe lag es zwei Monate später an Patrick, denselben Prozess noch einmal zu durchlaufen. Diesmal mit tatsächlicher Ware im Gepäck.

Nachdem uns der einzige verfügbare Kartonhersteller Malawis unter einer Abnahmemenge von 1000  Stück  nicht  hatte  beliefern  wollen,  musste  sich  Patrick  zunächst  anderweitig  nach Verpackungsmaterial umsehen. Pappkartons sind in Lilongwe gar nicht so einfach zu bekommen.

Endlich ist die Bomberjacke von Khala verpackt.

Also klapperte Patrick verschiedene Geschäfte in der Stadt ab und kaufte zusammen, was er kriegen konnte. Die so zusammen gesammelten Kartons packte er bis zum Rand mit Jacken, Röcken und den anderen Khala-Teilen, die unser Team in den vorangegangenen Wochen geschneidert hatte. Endlich fuhr er damit zum Flughafen, von wo aus die Pakete die Reise nach Europa antreten sollten.

So  unkompliziert,  wie  uns  der  Versandprozess  im  Dezember  am  Konferenztisch  des Frachtunternehmens geschildert wurde, gestaltete er sich dann freilich nicht. Patrick wurde von den Frachtarbeitern zu den Zöllnern verwiesen und wieder zurück. Plötzlich fehlten Dokumente, von denen nie zuvor die Rede gewesen war und die unseren Recherchen zufolge auch gar nicht nötig waren für die Einfuhr nach Deutschland. Die Leute am Flughafen redeten Patrick aber ein, dass unsere Pakete vom deutschen Zoll verbrannt werden würden, würde man die geforderten Formulare nicht mitschicken. Und der malawische Zoll verlangte Geld für seine Arbeit, welches Patrick nicht dabei hatte. Nach langem Hin und Her, zähen Verhandlungen und tausend Sprachnachrichten, die zwischen Malawi und Deutschland durch den Äther wanderten, durften sich unsere Pakete zwei Tage später in die Lüfte erheben. Patrick war fix und fertig. Wir auch.

Das Bangen war damit aber nicht vorbei. Wenn bei dieser ersten Lieferung etwas nicht klappen sollte, eines der Pakete verloren gehen würde, dann könnten wir den Laden dicht machen. Wir würden  nicht  genug  Geld  haben,  die  Kleidungsstücke  noch  einmal  zu  produzieren.  Und  der deutsche Zoll, der verbrennt doch nicht wirklich einfach so Sachen, wenn Dokumente fehlen, oder?

Falschinformationen  von Angestellten,  undurchsichtige  Prozesse,  Hilfe  verweigernde  Beamte, unvorhergesehene  Mehrkosten  –  das  Bewerkstelligen  verwaltungstechnischer  Formalitäten  in diesem Staat kostet einen ungemein viel Zeit und Nerven. Warum macht man es uns nur so schwer? Wir sind doch die Guten.

Drei Tage später bekamen wir einen Anruf. Vier Pakete lägen für uns am Flughafen München und warteten darauf, abgeholt zu werden. Yeah.

Die Pakete sind da — aber nicht so einfach zu bekommen.

Mel  hatte  im  Vorhinein  mehrmals  mit  dem  deutschen  Zoll  telefoniert  und  die  Konditionen abgeklärt. Eine Einfuhranmeldung für die Kleidungsstücke sei nicht nötig, da unsere Ware unter dem dafür relevanten Mindestwert liege. Voll Vorfreude fuhren wir zum Flughafen und hielten dort gut gelaunt ein Pläuschchen mit den Frachtarbeitern, während sie unsere Pakete ausfindig machten. Nach wenigen Minuten war alles abgehandelt. „Ihr könnt die Pakete gleich mitnehmen,“ unterwies man uns, „sobald der Zoll eure Einfuhranmeldung bestätigt hat.

Na toll.

Wer schon einmal Asterix erobert Rom gesehen hat und sich an die Szene mit dem    Passierschein A38 im „Haus das Verrückte macht“ erinnert, kann den nächsten Absatz getrost überspringen. Das Pendant zum Passierschein A38 ist in unserer Geschichte das sogenannte Einheitspapier 0737.

Aber von vorne: Gespannt, was nun wieder auf uns zukommen würde, verließen wir das Büro des Luftfrachtunternehmens und begaben uns ins Haus, das Verrückte macht. Der erste Zöllner, dem wir unser Anliegen vortrugen, pampte uns in feinster Beamtenmanier an, dass man zur gewerblichen Einfuhr von Waren selbstverständlich eine Zollanmeldung brauche. Das, was man Mel am Telefon erzählt hatte, sei Unsinn. Wir hätten die Anmeldung im Voraus im Internet machen müssen. Es gebe noch  die  Möglichkeit,  die  Einfuhr  vor  Ort  anzumelden.  Dafür  müssten  wir  das  sogenannte Einheitspapier 0737 ausfüllen. Vergnügt riet uns der Zöllner aber davon ab. Es sei unmöglich das Einheitspapier 0737 zu verstehen. Alternativ, schlug er uns vor, könnten wir eine der im Haus ansässigen Speditionen mit unserer Einfuhranmeldung beauftragen. Wir stapften hinauf ins nächste Stockwerk, wo wir uns von einer Spedition zur nächsten verweisen ließen, bis uns schließlich eine Firma das Angebot machte,  die Einfuhranmeldung für  uns zu  übernehmen. „Das  würde dann zwischen 100 und 150 Euro kosten,“ informierte man uns. „Oh. Da müssen wir uns kurz beraten,“ entgegneten wir und dachten: „Auf keinen Fall. Soviel Kohle haben wir nicht übrig. Die dümmsten Menschen der Welt sind wir nun auch nicht. Füllen wir diesen popeligen Passierschein eben händisch aus.“

Wir stapften wieder zurück zu unserem Zöllner. Der zeigte sich höchst eingeschnappt darüber, dass wir  es,  entgegen  seiner  Empfehlung,  nun  doch  selbst  probieren  wollten,  das  Einheitspapier auszufüllen.

– „Ich sag’s Ihnen, es ist ausgeschlossen, das Formular beim ersten Mal richtig auszufüllen!“

– „Dann geben Sie uns am besten gleich zwei.“

Unser Kampfgeist war geweckt.

Wir  setzten  uns  an  einen  Tisch  und  beugten  uns  über  die Aufgabe,  die  sich  die  deutsche Zollverwaltung da für uns ausgedacht hatte. Das giftig grüne Formular bestand aus lediglich einer DinA4-Seite, zwei Durchschläge hefteten ihm an und… häh? Was? Ok, keine Ahnung, was die da von uns wollen. Aber wir leben im 21. Jahrhundert. Wir tragen das Wissen der Menschheit in unseren Hosentaschen herum. Irgendwer da Draußen wird sein Knowhow zum Einheitspapier 0737 sicherlich irgendwann einmal im Internet kundgetan haben. Wir griffen nach unseren Handys.

Während es draußen dunkler wurde und sich die Batterieanzeigen auf unseren Spiderappdisplays von grün zu rot verfärbten, brüteten wir über den blanken Kästchen der Einfuhranmeldung. Wir fanden heraus, dass es ein Merkblatt zu unserem einseitigen Formular gab. Unser Zöllner konnte uns  dieses  Merkblatt  mit  der  griffigen  Bezeichnung  GZD-Z  3455-2016.00006-DV.A.2 (201700249692)  leider nicht aushändigen: „Das gibt es nur noch online.“ Nach kurzem Suchen fanden wir das passende PDF. Es hatte 192 Seiten.

Nachdem wir innerhalb von zwei Stunden etwa drei Zeilen des Einheitspapiers 0737 vervollständigt hatten, kapitulierten wir vor dieser bürokratischen Ausgeburt des Teufels. Bei einem revitalisierenden Kaffee in der Zollkantine beschlossen wir, in die nächstgelegene Stadt zu  meinem  Bruder  zu  fahren  und  an  seinem  Laptop  die  Einfuhranmeldung  über  das menschenfreundlichere Onlineformular zu erledigen.

Endlich können die Pakete eingeladen werden.

Weitere  zweieinhalb  Stunden  später  betraten  wir  erneut  das  Haus,  das  Verrückte  macht,  die ausgefüllte Einfuhranmeldung ausgedruckt in der Hand. Glücklicherweise hatte in der Zwischenzeit ein Schichtwechsel stattgefunden. Ein frischer Sachbearbeiter besah gutmütig unsere Dokumente, korrigierte mit uns, was wir falsch ausgefüllt hatten, setzte schließlich den Stempel des Zolls darauf und schickte uns zurück zu dem Frachtunternehmen, bei dem unsere Odyssee sieben Stunden zuvor begonnen hatte.

Vier  Pakete  karrte  man  dort  heran.  Sie  hatten  unterschiedliche  Größen.  Leichte  Lädierungen zeugten von ihrem Tausende Kilometer langen Weg durch die Lüfte. Auf einer der Schachteln prangte das Logo einer Cornflakes-Marke – Patrick hatte bei seiner Suche nach Kartons keine Option ausgelassen. Wir luden ein und verließen den Flughafen so schnell wie möglich.

Falschinformationen  von Angestellten,  undurchsichtige  Prozesse,  Hilfe  verweigernde  Beamte, unvorhergesehene  Mehrkosten  –  das  Bewerkstelligen  verwaltungstechnischer  Formalitäten  in diesem Staat kostet einen ungemein viel Zeit und Nerven. Warum macht man es uns nur so schwer? Wir sind doch die Guten.

Wieder zu Hause öffneten wir unsere Cornflakes-Schachteln. Die Kleidungsstücke, die vor fünf Tagen Malawi verlassen hatten, sahen super aus. Unsere Leute hatten gute Arbeit geleistet. Darauf stießen wir erst einmal an. Die Strapazen auf dem Flughafen waren schnell vergessen. Wir hatten wieder eine Lektion gelernt, eine Herausforderung bewältigt und wichtige Grundlagen geschaffen. Und das Beste: von jetzt an würde es nur noch bergauf gehen. Wer einmal das Einheitspapier 0737 vor sich liegen hatte, hat das Schlimmste hinter sich. Oder?


(c) Bilder von Benedikt Habermann

Khala ist ein Münchner Start-Up, das Mode mit traditionellen Stoffen aus Malawi kreiert. Die Designs sind auch Ausdruck des kulturellen Austausches, der durch die faire und gleichberechtigte Zusammenarbeit des Teams stattfindet. Die Produktion findet in Malawi statt, der Vertrieb in Deutschland.


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Khala folge 5
Khala Folge 6

Khala Kolumna – Folge 3

3. Dezember 2018 | Benedikt Habermann

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Back to Normality

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Dünner Regen tröpfelte aus einem grauen Himmel auf die weihnachtlich dekorierte Stadt. Mit Lametta umhangene Schaufenster, Menschen in dicken Winterjacken und festlich beleuchtete Restaurants zogen an mir vorbei. Im Radio trieben sie es auf die Spitze und spielten Phil Collins „Another Day in Paradise“. Ich hatte dieses Lied nie gemocht. Die Stimme meines Bruders, der das Auto lenkte, drang durch das Gewühl meiner Gedanken: „Was machst’n du, schläfst du?“

Am Vorabend war ich aus Malawi zurückgekommen und bewegte mich nun wieder auf europäischem Boden. Ich war zurück in der „Normalität“. Meine Heimatstadt hatte sich in den letzten Monaten nicht großartig verändert, doch nahm ich sie jetzt anders wahr. Zuviel war in der Zwischenzeit passiert.

Der Aufbau eines Unternehmens in Malawi ist ein steiniger Weg.

Wie aus Steinen im Weg Gebirge werden 

Zweieinhalb Monate war ich in Malawi gewesen, hatte dort mit Mel die Schneiderei aufgebaut, zum Laufen gebracht und für die Arbeit der kommenden Monate vorbereitet. Es war zehrend gewesen. Vieles von dem, was wir uns vorgenommen hatten, hatten wir erreicht, vieles andere nicht mehr geschafft. In einem der ärmsten Länder der Welt ein Business aufzubauen, ist kein einfaches Vorhaben.

Arm bedeutet, nach eurozentrischem Verständnis, wirtschaftlich wenig entwickelt zu sein. Darin liegt eine der größten Herausforderungen für Khala: zum Wirtschaften in Malawi fehlt es oftmals bereits an den Grundlagen. Dinge, die in Deutschland im Handumdrehen erledigt sind, wachsen in Malawi zu Mammutaufgaben heran. Für Besorgungen, die man in Deutschland an jeder Straßenecke erledigen kann, muss man in Malawi stundenlang die Stadt durchforsten oder das Gesuchte Wochen vorher aus dem Ausland bestellen. Die sehr lückenhafte Infrastruktur erschwert vieles. Dazu kommt eine oftmals andere Arbeitskultur, die selbst Behördengänge und Termine bei Institutionen bisweilen zu grotesken Schauspielen werden lässt. Nachdem ich mir etwa von zwei verschiedenen Anwälten die Machbarkeit des Vorhabens versichern lassen hatte, nahm ich die Eröffnung eines Bankkontos für Khala in Angriff. Es dauerte über eine Woche und verlangte mir die Odyssee durch die Büros der Filialleiter*innen verschiedener malawischer Banken in Verbindung mit hartnäckigem Hinterher-Telefonieren und dem Ausfüllen unzähliger Formulare ab, bis ich schließlich die relevante Information erhielt:

„Since you don’t have a residency in Malawi, opening an account will be very difficult.“ „Difficult or impossible?“
Zögern.
„Impossible.“

Rückschläge gehören dazu. Mel und ich tauschten uns mit vielen Unternehmerinnen und Unternehmern über die Schwierigkeiten des Geschäftslebens in Malawi aus. Dass es einem manchmal vorkäme, als würde man bei der Unternehmensgründung gezielt Steine in den Weg gelegt bekommen, vertrauten wir uns dem deutschen Manager einer Lodge am Malawisee an. Er riss die Augen auf. „Steine?“, schüttelte er energisch den Kopf, „Gebirge!“

Baut man in Deutschland ein Unternehmen auf, profitiert man vom Reichtum und der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Staates. In Malawi ist die Mission von Khala aber zunächst, bei der Schaffung wirtschaftlicher Entwicklung mitzuwirken. Insofern war es zwar frustrierend, aber kaum überraschend, wenn wir hilflos mitansehen mussten, wie aus dem steinigen Weg, der vor uns lag, immer wieder neue Gebirgsmassive entwuchsen.

In Malawi gibt es kaum wirtschaftliche Entwicklung und damit auch keine Aufstiegschance für die Menschen.

It’s another day for you and me in paradise

Man muss sich das noch einmal bewusst machen: Wir agieren in einem Land, welches das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen der Welt aufweist. Der Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen ist nicht jedem möglich. Die Menschen leben in der Regel von der Hand in den Mund. Dadurch, dass es kaum wirtschaftliche Entwicklung gibt, gibt es keine Aufstiegschancen. Die Misere der Menschen zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es für die meisten keinen Ausweg daraus gibt *.

In Deutschland haben die Menschen Chancen – das ist der Unterschied. Als Kinder der Mittelschicht können wir uns selbst erfinden. Wir können sein, wer wir sein möchten, Yuppies, Hippies, Karrieremenschen, Dauerstudierende, Reisende; wir können uns ausprobieren. Alle Türen stehen uns offen, wir müssen uns nur eine aussuchen.
In Malawi gibt es solche Türen kaum. Man ist gezwungen, die nächstbeste zu nehmen, sonst gibt es abends nichts zu Essen. Ein malawisches Mädchen kann das Zeug zur Gehirnchirurgin, IT-Beraterin oder Elektroingenieurin haben. Weil sie aber nur wenige Jahre zur Schule gehen wird und zur Verwirklichung einer Geschäftsidee nicht an Startkapital gelangt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie letztendlich am Straßenrand Tomaten verkauft. In unserer Welt entscheidet der Ort, an dem man geboren wird, darüber, ob man seine Potentiale als Mensch entfalten darf. Selbst, wenn die Tomatenverkäuferin niemals Gehirnchirurgin geworden wäre: was rechtfertigt es, dass sie nicht zumindest die Chance darauf bekommt?

„Für deutsche Unternehmen ist Malawi ein weißer Fleck auf der Landkarte – und das grundsätzlich mit Recht“, schreibt die Deutsche Industrie- und Handelskammer für das südliche Afrika verbittert. Dabei hat dieses Land Projekte wie das unsere so nötig. Es fehlen Investitionen, damit Malawi eine Konjunktur entwickeln kann, die unabhängig von Spendengeldern ist. Die Menschen brauchen Perspektiven, um Glauben an die Zukunft und ein Verständnis für Nachhaltigkeit zu entwickeln; wer nicht daran glaubt, dass sich je etwas ändert, dem ist auch egal, was morgen passiert. Sie brauchen Chancen, um ihre Talente zu nutzen und selbst etwas aufzubauen. Irgendwer muss damit anfangen, den Weg dorthin zu ebnen.

Viele Menschen in Malawi kennen Europäer nur aus dem Fernsehen, vorausgesetzt sie besitzen einen Fernseher. Im Fernsehen wohnen wir in weihnachtlich dekorierten Städten, tragen schicke Jacken und fahren Autos ohne Sprünge in der Windschutzscheibe. „Was machst’n du, schläfst du?“, drang die Stimme meines Bruders durch das Gewühl meiner Gedanken und vorbei an Phil Collins, der es im Radio auf die Spitze trieb: „Oh, think twice, ‚cause it’s another day for you and me in paradise.“

Khala ist ein Münchner Start-Up, das Mode mit traditionellen Stoffen aus Malawi kreiert. Die Designs sind auch Ausdruck des kulturellen Austausches, der durch die faire und gleichberechtigte Zusammenarbeit des Teams stattfindet. Die Produktion findet in Malawi statt, der Vertrieb in Deutschland.


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Khala
Khala Kolumna Folge 4
Khala Kolumna folge 5

Khala Kolumna – Folge 2

30. November 2018 | Benedikt Habermann

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Die Modenschau

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Wir machen es uns aber auch nicht leicht. Im Oktober kamen wir nach Malawi, um innerhalb von zwei  Monaten einen laufenden Betrieb aufzubauen und dann wieder nach Deutschland zu verschwinden. Die ersten Schritte, wie die Suche nach einer geeigneten Immobilie, der Einzug und das Einrichten des Ateliers, das Einstellen und Einarbeiten der Schneider und unserer Cutterin, schafften wir in drei Wochen. Parallel dazu galt es stets, einen Blick auf den deutschen Teil unseres Business zu halten. Mit Hubi, der Khala in München vertrat, machten wir Marketing, kämpften uns durch Bürokratie, bemühten uns, unsere Crowdfunder nicht zu vergraulen und kümmerten uns um die Bestellung neuer Arbeitsmaterialien.

Die Produktion in Malawi und der Vertrieb in Deutschland, das sind die beiden Teile von Khala, an denen wir seit Monaten arbeiten. In beiden Ländern sehen wir uns unterschiedlichen Herausforderungen gegenübergestellt. Ein Start-Up auf zwei Kontinenten zu gründen ist nicht einfach. Und immer wieder kommt es zu zusätzlicher Arbeit, die wir nicht
vorhergesehen haben.

Zuletzt mit dem Africa Fashion Festival. Um der Welt ihre Kreationen vorzuführen, kamen zu diesem Event Ende November Designer und Designerinnen aus allen möglichen afrikanischen und einigen europäischen Ländern in die Hauptstadt Malawis, Lilongwe. Zufällig fiel das Festival in die Zeit, in der auch Mel und ich in Malawi waren. Diesen Zufall hatten wir nicht nicht ungenutzt lassen wollen und uns noch im September von Deutschland aus für die Show angemeldet.

Es würde unsere erste professionelle Modenschau werden. Wir bekämen Models gestellt, die wir einkleiden würden und jede Menge Publicity im Heimatland von Khala. Unsere bisherigen Designs allein genügten dafür aber nicht. Obwohl wir andere Baustellen offen hatten, mussten wir also ein paar neue Kleidungsstücke aus dem Hut zaubern. Dieser Aufgabe nahm sich vor allem Mel an. Für unsere erste Kollektion hatten wir in München mit einem Designstudio zusammengearbeitet.

Gründerin von Khala Mel beim Second-Hand Shopping.

Back to the roots

Nun waren wir mit unseren Schneidern auf uns selbst gestellt. In einer lang andauernden Trial-and-Error-Phase versuchte sich Mel an neuen Entwürfen, während wir nebenher die Manufaktur zum Laufen brachten. Zunächst hatten wir falsche Vorbilder vor Augen gehabt, hatten an diese Bilder von Modenschauen mit abgedrehten Styles gedacht, die im richtigen Leben niemand trägt. Das Festival rückte immer näher und wir wussten nicht, was von uns erwartet werden würde. Irgendwann besannen wir uns darauf, dass wir kein Unternehmen gegründet hatten, um die Erwartungen der Modewelt zu erfüllen.

Also back to the roots: Khala macht Neo-traditional Streetstyle mit afrikanischen Chitenje-Stoffen. Wir begannen, unsere bestehenden Schnitte abzuwandeln und erweiterten unser Bomberjacken-Sortiment. Auf dem chaotischen Markt Lilongwes besorgte Mel Second-Hand-Jeans in Übergrößen. Es gibt hier auf den Märkten eine riesige Auswahl an gebrauchter Kleidung. Die Flut von Second-Hand-Kleidung, die die europäische Konsumgesellschaft auf die afrikanischen Märkte hereinbrechen lässt, stellt ein enormes Problem für die hiesige Textilwirtschaft dar. Durch den massenhaften Import billiger Kleidung aus westlichen Ländern, haben in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Schneiderinnen und Schneider ihre Arbeitsplätze verloren. Das ist einer der Gründe, warum wir Khala eigentlich machen.

Mel kaufte nun also die Jeans aus Europa und zerschnibbelte sie. Zusammen mit Frederic, unserem Chefschneider, kombinierte sie den freigewordenen Denim-Stoff mit Chitenje. Ein neues Bomberjacken-Design ward geboren. Auf ähnliche Weise upcyclete Mel alte Latzhosen. Die Kollektion wuchs. Ich leistete meinen Beitrag, indem ich meinen Traum einer Leinenjacke realisieren ließ. Von den Kleidungsstücken, die bei dem Prozess entstanden, wählten wir letztendlich 13 für die Modenschau aus.

Die Khala Fashion Show Kollektion.

Man gewöhnt sich an vieles

Seit dem Beginn unseres Aufenthalts war einige Zeit ins Land gezogen. Die häufiger werdenden Regengüsse kündeten von der nahenden Regenzeit. Wir waren in den Wochen in Malawi gewachsen, hatten Hoch- und Tiefphasen erlebt, uns oft in die Haare gekriegt und genauso oft wieder versöhnt. Wir waren mitgenommen. Unser Budget war längst im Minusbereich angekommen. Gleichzeitig hatten wir fünf Angestellte, die auf ihren Lohn angewiesen waren. Dieser Umstand veranlasste uns dazu, unsere Ansprüche so gering wie möglich zu halten und an allen Ecken und Enden zu sparen[1]. Das größte Sparpotential hatten wir bei unserer Unterbringung wahrgenommen. Mit drei jungen Malawiern bewohnten wir ein landestypisches, aus Lehmziegeln gemauertes Haus. Noch besser als uns Menschen, gefiel es dort der Rattenfamilie, die durch ein Loch in der Küchendecke das Zusammenleben bereicherte.

Man gewöhnt sich an Vieles. Der Magen-Darm-Trakt gewöhnt sich an den Genuss malawischen Leitungswassers. Und wir gewöhnten uns etwa daran, dass wir abends kein Licht hatten und manchmal kein Wasser,  dass auch zwei Bananen ein Abendessen sein können und dass, wenn es anfängt an den Beinen zu kribbeln, wohl wieder eine Ameisenkolonie ihre Route verlegt hat.[2]

Wir gingen davon aus, dass das African Fashion Festival ein wenig Abwechslung in diesen Alltag bringen würde. Der Tag kam. Mel und ich waren die ganze Woche im Stress gewesen. Zur Feier des Tages zickten wir uns kontinuierlich an. Der Abend brach herein, in unserem Viertel herrschte wieder Stromausfall. Die Zeit drängte. Mel hatte einen Spiegel von der Wand gehängt und schminkte sich im staubigen Vorhof unter den matten Strahlen der untergehenden Sonne. Ich zwängte mich währenddessen in die zu kleine Hose eines unserer Mitbewohner, da ich selbst keine saubere mehr hatte, die dem Anlass gerecht werden hätte können. Kurz darauf kam unser Chauffeur.

Die Unterkunft von Mel und Bene.

Die Spannung steigt

Als wir im Tuk-Tuk an dem Luxushotel vorfuhren, das den Veranstaltungsort des Fashion Festivals darstellte, verloren wir für einen Moment die Kontrolle über unsere Kinnläden. Wir befanden uns am edelsten Ort, den wir bisher in Malawi gesehen hatten. Ein roter Teppich markierte den Weg zu einem türkisfarbenen Pool, um den sich die schneeweißen Gebäude des Hotelkomplexes sammelten. Über den Pool hatte man eine Rampe gelegt, die den Laufsteg für die Modenschauen darstellte. Rundherum standen die noch lichten Stuhlreihen. Links neben dem Laufsteg wartete eine alte Nähmaschine auf ihren Einsatz bei einer Performance-Kunstdarbietung.

Ein Herr mit Dreadlocks nahm uns in Empfang und geleitete uns in den Backstagebereich, wo es bereits vor Models und DesignerInnen wimmelte. Wir mussten uns noch ein paar Models aussuchen und den Khala-Imagefilm aus dem Internet laden. Es war viertel nach fünf, als uns der Mann mit den Dreadlocks mit der Ankündigung  überraschte, dass wir um sechs Uhr die Ersten seien würden, ihre Kollektion zu präsentieren. Diesen Zeitdruck hätte es gar nicht unbedingt gebraucht, um die Spannung zu steigern.  Denn der nächste Schock ereilte uns beim Öffnen der Box, in der sich die Outfits für die Models befanden. Unsere Managerin hatte ihren Auftrag, die Kleidungsstücke zu reinigen und zu bügeln, offenbar nicht besonders ernst genommen. Glücklicherweise gab es in der Unterkunft der Models ein Bügeleisen, welches wir benutzen durften. Während Mel eine Technik dafür entwickelte, Hemden so zu tragen, dass sie ihre eigenen Flecken verdecken, rannte ich zum Bügeln. Zugegeben, die weitere Handlung ist ein wenig vorhersehbar.

Die Models lassen sich vom Chaos hinter der Bühne nichts anmerken.  Fotocredit: Luke De Borde

Wenn etwas schief läuft, dann aber richtig

Natürlich brannte ich ein Loch in eines der Outfits. Es war ein Jumpsuit mit einem Oberteil aus Chitenje und einer gelben Chiffon-Hose – eines der exklusivsten Stücke unserer Kollektion. Zu diesem Zeitpunkt machte es bereits keinen Sinn mehr, sich über irgendetwas zu ärgern. Ich überlegte kurz, ob ich der Symmetrie wegen auch ein Loch in das andere Hosenbein brennen sollte, entschied mich aber dagegen und schnitt die Hose über dem Brandloch kurzerhand ab. Der Jumpsuit endete im unteren Teil nun eben als Shorts. Weil ich nicht sauber geschnitten hatte, sah das eher so mittel aus. Inzwischen war Patrick eingetroffen, die gute Seele unseres Ateliers.

Jetzt kommt die Performancekunst-Nähmaschine ins Spiel.

Patrick nahm an der Nähmaschine am Pool platz. Vor ihm rutschte das Publikum auf seinen Sitzen herum. Es war bereits nach sechs. Der Dreadhead blieb ruhig: „Dann fängt die Show eben um halb sieben an“. In den Minuten, in denen Patrick das neue Jumpsuitdesign fertigimprovisierte, unterwiesen und koordinierten wir unsere Models, die Moderatoren der Show unterwiesen uns. Gespannt warteten wir auf Patrick, der sein Werk bald vollendet hatte und uns zufrieden das brandneue Design überreichte. Es konnte losgehen. Es war sieben. Malawisches sechs. Der minutenlange Höhepunkt der wochenlangen Vorbereitungen begann. Eines nach dem anderen, schritten die von uns eingekleideten Models über den Pool.

Eine erfolgreiche Modenschau für Khala. Fotocredit: Luke De Borde

Die Kollektion kam gut an. Mel hatte sich als Designerin bewiesen. In unserer kurzen Rede, die wir im Anschluss auf dem Runway hielten, erklärten wir dem Publikum, dass sich Khala als Kollektiv versteht, dass die Designs in Zusammenarbeit vieler verschiedener Menschen entstehen.

Der Jumpsuit war natürlich das erste Outfit, das nach der Darbietung bestellt wurde. Auch unsere Bomberjacken waren der Renner. Der Moderator der Show schlüpfte zu jeder Ankündigung in ein anderes der neuen Modelle, der Manager des Luxushotels kaufte uns am nächsten Tag eines ab, die Moderatorin bestellte Jacken für ihre ganze Familie. Mit den Erlösen würden wir unsere Produktion wieder eine Zeit lang finanzieren können.

„T.I.A.,“ sagen die jungen Leute hier, „This is Africa.“

[1] Keine Angst, nicht an der Produktion der Kleidungsstücke.

[2] Ans Weißbrot und ans Bier gewöhnt man sich allerdings nicht, kulturelle und kulinarische Aufgeschlossenheit hin oder her.


(c) Bilder von Benedikt Habermann

Khala ist ein Münchner Start-Up, das Mode mit traditionellen Stoffen aus Malawi kreiert. Die Designs sind auch Ausdruck des kulturellen Austausches, der durch die faire und gleichberechtigte Zusammenarbeit des Teams stattfindet. Die Produktion findet in Malawi statt, der Vertrieb in Deutschland.


Khala
Melanie Rödel
2017
Adresse 
Baierbrunner Straße 26, 81379 München
support@khaladesign.com
Webseite www.khaladesign.com

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30. November 2018 | Benedikt Habermann

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Das neue Atelier

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Benedikt Habermann ist unser Khala Kolumnist.

Ich muss mich kurz fassen. Seit vier Wochen sind Melanie und ich bereits in Malawis Hauptstadt Lilongwe. Es wäre einfacher, ein Buch über unsere Erlebnisse in dieser Zeit zu schreiben, als das alles in ein paar hundert Sätzen zusammenzufassen. Aber durch das Schreiben von Büchern ist, soweit ich weiß, noch niemand reich und berühmt geworden. Das Beste wird wohl sein, sich auf eine Episode zu beschränken.
„Sieben Uhr vierundfünfzig. Das schaffen wir nie.“ Wir begannen zu rennen. In unserer Unterkunft hatte es vorhin wieder keinen Strom gegeben, darum hatten wir keinen Kaffee machen können und das Haus ungedopt verlassen müssen. Zur Feier des Tages hatte ich mich schick gemacht, also ein Hemd angezogen. Auch Mel hatte sich rausgeputzt. Den Chitenje-Rock aus unserem Sortiment trug sie in Kombination mit einer weißen Bluse. Während wir nun durch die staubige Morgenhitze Lilongwes schnauften, um nicht zu spät zu unserem Termin zu kommen, bildeten sich dunkle Flecken auf unseren Outfits. Für acht hatten wir einen Termin bei George. Als wir ihn eine Woche zuvor in seinem Herrenhaus aufgesucht hatten, hatten wir uns um eine Viertelstunde verspätet.

Im Hinblick auf die Erfahrungen, die wir zuvor mit dem malawischen Verständnis von Pünktlichkeit gemacht hatten, hatte ich gedacht, das wäre voll im Rahmen. Doch George belehrte uns eines besseren. Vor seiner Pensionierung war er Politiker gewesen und hatte während seiner jahrzehntelangen Karriere einige preußische Tugenden verinnerlicht. Er war der erste Malawier, den wir kennenlernten, für den Zeit ein Thema ist. Unsere Verspätung damals hatte ihn erzürnt. Uns hingegen hatte es einigermaßen verwundert, dass wir es nun waren, die sich eine Predigt über Zeitmanagement anhörten. In den vorangegangenen Wochen nämlich, waren wir mit unseren Mitarbeitern immer ungeduldiger geworden und hatten bereits gemutmaßt, dass unser Anspruch, bei einem vereinbarten Termin weniger als eine Dreiviertelstunde warten zu müssen, etwas sehr Deutsches sei.

Das Verständnis von Zeit und Pünktlichkeit ist in Malawi tendenziell ein anderes. Man unterscheidet zwischen der Zeit, die die Uhr anzeigt und der „malawischen Zeit“, die einem sehr subjektiven Empfinden unterliegt. Die meisten Menschen haben hier genug Zeit. Man muss nicht sparsam mit ihr umgehen – anders als in den Industriestaaten, wo Zeit knapp und gleich Geld ist. Weil wir Georges Zeitverständnis nun kannten, rannten wir. Mel verfluchte ihre Schuhe. Erstaunte Blicke der Frauen, die am Straßenrand Bananen und Teigtaschen verkauften, wanderten uns hinterher. Wir waren so um Georges Gunst bemüht, weil er etwas hatte, das wir haben wollten: einen wunderschönen Raum mit großen Fenstern, die viel Licht hinein lassen und den Blick auf ein bisschen Grün im Garten gewähren. Der Raum befindet sich in einem Seitenflügel von Georges großem Haus und wir wollten ihn anmieten, um unsere Manufaktur dort einzurichten. Zu einem guten Preis, versteht sich.

Wir hatten zuvor einige Schwierigkeiten gehabt, einen geeigneten Raum zu finden. Grundsätzlich gibt es in Lilongwe genügend verfügbare Immobilien. Aber die Ansprüche an unseren Produktionsstandort stellten sich als nicht so leicht zu befriedigen heraus. Dazu muss man wissen, dass Lilongwe in verschiedene Bezirke aufgeteilt ist, die Areas. Die Verteilung der Areas stellt die Krönung des für Außenstehende undurchschaubaren Chaos dieser Stadt dar. Ein Bekannter brachte es vor Kurzem auf den Punkt, als er sagte, Lilongwe sei, als hätte man es aus einer Flasche geschüttelt. Area 1 ist neben Area 8, dann kommt Area 2. Neben Area 2 findet man tatsächlich Area 3, aber direkt daneben schon wieder Area 46. Das muss man halt so hinnehmen. Als Standort für unsere Manufaktur kamen allerdings nur bestimmte Areas in Frage. Es gibt die Reichen-Areas, die konnten wir uns nicht leisten. Es gibt Areas, die sind für unser Projekt zu gefährlich. Andere Areas sind für uns oder unser Team zu umständlich zu erreichen. Von den Areas, die grundsätzlich in Frage kamen, mussten wir einige ausschließen, weil die Stromversorgung dort zu oft zusammenbricht. Ein Problem, das in so gut wie allen Areas zum Alltag gehört.

Das neue Khala-Atelier.

Um es kurz zu machen: von den über fünfzig Areas in Lilongwe blieben genau vier übrig, in denen wir nach einem Raum für unsere Werkstatt suchen konnten. Das Internet ist hier bei der Immobiliensuche keine große Hilfe. In Malawi läuft alles über Connections. Wir hatten mehrere Bekannte auf die Suche nach Räumlichkeiten angesetzt. Einige von ihnen tauchten daraufhin unter. Ein anderer Kontakt, mit dem wir eine Woche lang hin- und hergeschrieben hatten, stellte sich als eine vollkommen andere Person, als erwartet, heraus. Schließlich entschieden wir uns für eine andere Strategie und engagierten einen Makler. Wir hatten unseren Makler als den Koch eines Backpacker Hostels kennengelernt. Es ist hier nicht ungewöhnlich, dass man mehrere Jobs hat. Die Leute müssen schauen, wo sie bleiben. Leider konnte auch der makelnde Koch keine befriedigenden Räume für uns ausfindig machen. Bis auf einen: Georges Raum.

Wir wollten diesen Raum unbedingt haben. Wir schleppten uns die letzten Meter in Georges Büro. Nichts anmerken lassen. Zufrieden streckte uns der betagte Mann sein Handy entgegen. 08:03 Uhr stand auf dem Display. „You worked on your time management“, triumphierte er. Die Verhandlungen der folgenden zwei Stunden gaben uns keine Möglichkeit, zu verschnaufen. Zumindest trocknete unsere Kleidung in dieser Zeit. Die Strapazen lohnten sich letztendlich. Wir konnten uns mit George einigen und einige Tage später damit beginnen, unsere Manufaktur einzurichten. Scheinbar hatte Einstein recht: Zeit und Raum stehen in Relation zueinander.

Khala ist ein Münchner Start-Up, das Mode mit traditionellen Stoffen aus Malawi kreiert. Die Designs sind auch Ausdruck des kulturellen Austausches, der durch die faire und gleichberechtigte Zusammenarbeit des Teams stattfindet. Die Produktion findet in Malawi statt, der Vertrieb in Deutschland.


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