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Ökoesel – Gemeinsam mehr Bio

Bei dem Münchener Projekt werden regionale und Bio-Lebensmittel bezahlbar und normale Kunden zu solidarischen Mitgliedern.

Gründe für den Griff ins Bio-Sortiment gibt es genug. Ob Dioxin in Fisch und Ei oder Tierquälerei – viele Konsumenten wollen das nicht mehr hinnehmen und bevorzugen vermehrt Produkte mit einem Bio-Siegel, denn sie versprechen eine nachhaltige Herstellung und Beschaffenheit von Produkten. Das belegen auch konkrete Zahlen: Der Bio-Anteil am Lebensmittelumsatz hat sich so in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt und liegt bei einem Marktanteil von etwa 5,9 Prozent. Trotz allem Anstiegs bleibt der Gesamtanteil gering. Warum eigentlich? Glaubt man den Ergebnissen repräsentativer Studien, liegt ein Hauptgrund in der Tatsache, dass fast die Hälfte aller Lebensmittel-Konsumenten, aufgrund der höheren Preise, nicht „bio“ kaufen, gleichzeitig aber zum Kauf bereit wären, würden die Produkte mit dem Siegel günstiger sein.

Um etwas gegen dieses Problem zu unternehmen und so den nachhaltigen Verbrauch von Lebensmittel zu stärken, betreiben Hannes Schmidt und Katharina Deininger in München den Mitgliederladen „Ökoesel“. Von der Butter bis zur Weinflasche werden dort nur biologische, nachhaltige und im besten Fall regionale Produkte verkauft. Wie der Name bereits verrät, werden Konsumenten in so einem Laden zu Mitgliedern einer Gemeinschaft, indem sie einen monatlichen Beitrag von höchstens 15 Euro zahlen. Im Gegenzug erhält man die gewünschten Waren bis zu 30 Prozent günstiger – fast zum Einkaufpreis. Möglich wird das, da durch die Mitgliederbeiträge anfallende Betriebskosten gedeckt werden und so auf hohe Profitmargen verzichtet werden kann. Bleibt die Frage: Warum das Ganze?      

Das Ökoesel-Team Hannes Schmidt und Katharina Deininger

Ziel ist es damit auch die Menschen zu erreichen, die sich aus finanziellen Gründen keine hochwertigen Lebensmittel leisten können. Konkret sollen die Mitgliederbeiträge hier nach einem solidarischen Prinzip helfen, auch sozial Benachteiligten eine gesunde und nachhaltige Ernährung zu ermöglichen. So kann der monatliche Beitrag für Menschen, in besonders prekären Situationen, symbolisch kleiner ausfallen, in dem er von den Beiträgen der Anderen mitgetragen wird. So soll ein Raum entstehen, der „nicht wie alle anderen Supermärkte so sehr auf Profitgenerierung, sondern auf eine gute Versorgung fokussiert ist“, meint Hannes.

Begonnen hat alles im Herbst 2016 mit dem Angebot eines Lieferservices, bei dem Mitglieder zunächst ihre Bestellung online aufgegeben und per Rad nach Hause geliefert bekommen haben. Damals war auch noch Katharinas Bruder Konstantin mit dabei. Es folgte bald der erste Laden, damals noch im Keller des Elternhauses der beiden Geschwister. „Richtig los ging es, als wir dann zwei Mal pro Woche unseren Laden geöffnet hatten. „Da ging die Nachfragekurve steil nach oben“, erklärt Hannes. Die gute Nachricht war jedoch Herausforderung zugleich. So sind Hannes und Konstantin neben der Arbeit im Laden auch noch mit ihrer akademischen Laufbahn beschäftigt. Konkret bedeutet das für Hannes, seinen Soziologie-Master zu absolvieren und für Konstantin erfolgreich zu promovieren. „Es ist schwierig, hier im Laden und gleichzeitig in der Uni alles so zu schaffen, wie man es sich vorstellt – da muss man ein Kompromiss eingehen“, weiß Hannes. Letztlich war für Konstantin aber dieser Kompromiss zu groß, weswegen er aus dem operativen Geschehen im Laden aussteigen musste.

Auch einkommensschwache Menschen sollen sich nachhaltige Lebensmittel leisten können. Ermöglicht werden soll das mithilfe monatlicher Mitgliedsbeiträge.

Eine neue Unterstützung ist jedoch schon in Sicht. Außerdem gibt es jede Menge Hilfe von den Mitgliedern des Ladens selbst. Die packen schon mal am Morgen mit an. Reine Konsumenten sind sie also wirklich nicht. Und genau das ist ja auch das Ziel des Ökoesels: „Mehr Verantwortung abgeben, mehr Leute ins Boot holen, mehr gemeinschaftlich gestalten“, so Hannes. Damit das auch in die Tat umgesetzt werden kann, musste bald eine neue Ladenfläche her. Der Umzug aus dem ersten Verkaufsraum im Elternhaus von Katharina und Konstantin gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht und brachte allmählich das ganze Projekt ins Straucheln. Ende 2018 war es aber dann soweit. Dem Umsatz hat der Umzug nicht geschadet, ganz im Gegenteil. So erklärt Hannes: „Zum einen haben wir einige neue Mitglieder aus der Nachbarschaft hinzubekommen, für die wir eine Lücke im Einkaufsangebot füllen, zum anderen sind uns unsere alten Kunden treu geblieben.  Am Ende ist es schön zu sehen, was wir in den letzten zwei Jahren geschafft haben“.
Auch in Zukunft wird es sicherlich nicht langweilig. Mittlerweile können die Mitglieder an drei Tagen in der Woche zum Einkaufen kommen.  Auch soll der neue Laden weiter ausgebaut werden, eine Käsetheke wartet noch darauf angeschlossen zu werden, zudem soll ein vergrößertes Angebot seinen Weg in die Regale finden. Schritt für Schritt – also alle beim Alten.

Mittlerweile hat der Ökoesel drei Mal pro Woche geöffnet.


(c) Alle Bilder: Christoph Eipert

treibgut – Ist das Kunst oder kann das weg?

Über Mut, Kunst und Kultur zwischen Raummangel und Gentrifizierung

treibgut – das ist eine Münchner Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ausgediente Materialien aus der Kunstszene vor dem Müllcontainer zu retten, sie aufzuarbeiten und aus ihrem Lager heraus, wieder Kunst- und Kulturschaffenden zukommen zu lassen. Treibgut will somit Raum schaffen für den persönlichen Austausch und der Beratung sowie Vernetzung Kunst- und Kulturschaffender. Das macht treibgut auch zu einem Fördertool, denn: Leute kommen, man unterhält sich darüber, was man vorhat und wie man es lösen kann, wie man welches Material verbauen könnte. Ein Fördertool ist treibgut auch deshalb, da Materialien zu einem weitaus geringeren Preis weitergegeben werden, als es auf dem Markt üblich wäre. Gut für eine kreative Szene also, die – anders als die großen Namen und Bühnen – keine riesen Budgets zur Verfügung hat und sich so trotzdem notwendige Utensilien zur Umsetzung eigener Projekte besorgen kann.

Das geht aber nur, wenn die eigenen Kosten so gering wie möglich gehalten werden. Wären die Kosten für Transport, Arbeitsaufwand und Lagerung der Materialien zu hoch, wäre das am Ende auch der Preis für Endabnehmer und der Vorteil zu neuen Materialien wäre dahin. Konkret wird ein großer Teil der Kosten – wie die Mietkosten für das Lager –  durch einen öffentlichen Träger übernommen. So kann treibgut, mit kommunaler Unterstützung, Räume frei nutzen, die in einem Wirtschaftszentrum wie München sonst kaum zu bezahlen sind. Diese Unterstützung ist überlebenswichtig für eine Initiative, deren Erlöse allein noch nicht das Leben ihrer Gründer finanzieren kann. Gut und wichtig ist sie trotzdem. Denn treibgut ist vor allem ein soziales Projekt, das sich nicht auf einen einzigen Schwerpunkt festlegen will und ökologische sowie gesellschaftlichen Interessen verbindet. Als nicht-kommerzielle Initiative ist es dennoch schwer sich in einem Umfeld zu behaupten in dem Raummangel und Gentrifizierung schon längst keine Schlagwörter, sondern reale Bedrohungen für das Leben und seine Kultur in der Großstadt geworden sind.

Wie kann also eine solche Initiative in einem Umfeld funktioniert, indem Wohnungsnot und Gentrifizierung auf der Tagesordnung stehen? Für Antworten sprachen wir mit den Gründern von treibgut Boris Maximowitz und Jonaid Khodabakhshi in ihrem Lager im Münchner Kreativquartier.

In Wirtschaftszentren wie München ist mietbarer Raum oft kaum bezahlbar. Wie seid ihr zu eurem Lager gekommen?

Jonaid: Wir hatten Glück. Die Räume wurden uns vom Kulturreferat kostenlos überlassen, nachdem wir dort bereits das Konzept unserer Lagerinitiative vorgestellt hatten.

Boris: Wir haben einfach versucht auszuarbeiten was wir hier vorhaben – über persönliche Gespräche und mithilfe einiger Leute, die uns unterstützt haben. Letztlich haben wir leerstehende, städtische Räume bekommen. Ich kannte die Räume bereits von einer Ausstellung, bei der ich mitgewirkt habe.

Würdet ihr das, was ihr macht, als einzigartig in einer Stadt wie München bezeichnen?

Jonaid: Bisher schon, also ich wüsste jetzt nicht, dass jemand das hier schon macht. Ich höre auch immer wieder: „Ah cool, dass ihr das macht, das hat hier noch gefehlt“.

Da kann man schon drauf stolz sein, oder?

Jonaid: Stolz in Details würde ich sagen. Ein Detail ist beispielsweise die Ausstellung die Boris alleine gestemmt hat und mir danach erzählt hat, dass er sie mit nur neun Euro umgesetzt hat.  

Boris: Das war auf jeden Fall ein Erfolgserlebnis. Eine komplette Ausstellung, vom Licht bis zur Ausstellungsarchitektur bei der fast keine Kosten angefallen sind.

Boris (links) und Jonaid (rechts) wollen mit treibgut ein fester Bestandteil der Münchner Kreativszene werden.

Was war die Idee eurer Ausstellung?

Boris: Es gab schon lange Gespräche darüber, eine Ausstellung zu machen, bei der unser Netzwerk an befreundeten Künstlern der hier ansässigen Kunstszene Raum zur Verfügung gestellt bekommt, um ihre Sachen zu präsentieren. Das Kreativquartier – also das Gelände auf dem wir uns befinden – hat sich dann an einem Stadtteilfest angeschlossen und direkt im Anschluss das Panama Plus Festival veranstaltet. Für letzteres wurden wir auch angefragt, etwas zu machen. Die Ausstellung ging über zehn Tage, hieß „White Cube. Not.“ und sollte einen Versuch darstellen mit den Räumlichkeiten eine Kreuzung, beziehungsweise Hybridform zwischen dem Lagerinventar und einer klassischen Kunstaustellung umzusetzen. Das hat erstaunlich gut geklappt. Wir haben versucht das Lagerinventar direkt zu nutzen um die Ausstellungsarchitektur hochzuziehen und ich habe das ganze eigentlich als installatives und skulpturales Gesamtpaket gesehen, in das ich dann die einzelnen Werke von insgesamt elf Künstlern eingebettet habe. Aus meiner Perspektive hat das sehr gut funktioniert. Das wurde auch vom Publikum so empfunden. Zudem sind wahnsinnig viele Leute vorbeigekommen, die sowohl die Ausstellung gesehen haben, als auch das Lager kennen gelernt haben. Das war für uns eine gute Art von direkter Öffentlichkeitsarbeit.

Wollt ihr mit solchen Aktionen euch auch ein zweites Standbein als Kulturplattform aufbauen?

Boris: Bis jetzt war die Ausstellung erstmal ein Versuch überhaupt den Raum anders zu nutzen. Ich glaube, wir müssen uns erst noch darüber klar werden, ob sowas wieder stattfindet oder ob das eine einmalige Geschichte war. Wir hatten jetzt auch wieder eine Anfrage für ein Konzert im kleinen Rahmen, wo wir bereits beschlossen haben, dass wir das eher nicht machen wollen. Auch aus dem Grund, dass der Fokus hier wirklich auf Lager, Lagerbestand und Aufarbeitung liegen soll.

Habt ihr euch schon Gedanken gemacht, wie ihr euch finanziell absichern könnt?

Boris: Da sind wir dann doch eher die pragmatischen Typen, die vor Ort versuchen den Laden am Laufen zu halten. Aber klar, Unterstützung bräuchten wir eigentlich schon. Wir sind am Überlegen noch Leute mit ins Boot zu holen, die Aufgaben, wie zum Beispiel Pressearbeit, übernehmen. Es ist schwer den Laden voranzubringen, wenn wir zu zweit alle Aufgaben übernehmen müssen, ohne dass das finanziell was abwirft. Unsere Jobs, mit denen wir unsere Leben bestreiten, fressen auch sehr viel Zeit. Da wird klar, dass die Dimension von realisierbaren Projekten immer auch an die finanzielle Situation geknüpft ist. Letztlich vergrößern wir aber auch die Möglichkeiten bei Leuten, die durch unsere Initiative in der Lage sind künstlerische Projekte umzusetzen. Wenn man hier für 100 Euro einkauft, kann man viel mehr künstlerisch umsetzen, als wenn man alle Materialien neu kaufen müsste. Das ist für mich schon auch stark Grundimpuls und Motivation zugleich. Das gibt dem Ganzen eine Sinnhaftigkeit.  

Mit eurer Unterstützer-Rolle seid ihr auch Gestalter der Kunstszene? 

Boris: Das versuchen wir. Wir wollen zu einem festen Bestandteil der freien Szene in München werden, indem wir als klarer Anlaufpunkt für Kunstschaffende und Kreative, die Projekte umsetzten wollen, agieren.

Eure Heimstätte – das Kreativquartier – soll in den nächsten Jahren mit viel Geld umgestaltet und ausgebaut werden, einige Gebäude sind der Abrissbirne schon zum Opfer gefallen. Wie sieht eure Zukunft hier aus? Müsst ihr hier irgendwann raus?

Jonaid: Wir haben auf jeden Fall ein Verfallsdatum. Wir haben die Ansage, dass dieser ganze Gebäudezug abgerissen wird, definitiv. Nicht das ganze Areal, aber der Rahmenbebauungsplan sieht vor, dass rundherum im Kreativquartier sehr viel abgerissen wird und neugebaut wird, was eben auch unser Lager betrifft. Das heißt, über kurz oder lang müssen wir uns neue Räume suchen

„Wir haben auf jeden Fall ein Verfallsdatum“ —  auch treibgut muss in absehbarer Zeit der Abrissbirne weichen. 

Und das habt ihr vor?

Jonaid: Das hängt davon ab, wie unser Projekt beim Kulturreferat gesehen wird und ob sie gemerkt haben, dass das, was wir machen, Hand und Fuß hat. Wir sind uns aber auch im Klaren darüber, dass wir mehr auf uns aufmerksam machen müssen, damit auch Außenstehende ein Gefühl dafür bekommen, wie ernst es uns damit ist.

Habt ihr Angst, dass eine freie, urbane Kunstszene der reichen „Hochkultur“ weichen muss?

Boris: Ja, momentan ist hier eines der letzten Gelände, dass ein bisschen Keimstätte sein kann, wo es einfach ein bisschen wilder zugeht und die Kreativszene noch nicht durchinstitutionalisiert ist.

Jonaid: … und nicht durchweg kreativwirtschaftlich ist. Kreativwirtschaft: dieser Begriff sagt schon aus, dass Kunst ökonomisch sinnvoll und funktional sein muss. Wenn es solche Vorgaben gibt, die du von vornherein erfüllen musst, dann kannst du dich gar nicht frei entfalten.

Sind Ökonomisierung und Institutionalisierung die typischen Charakteristika eures Umfelds?

Boris: Ja, Freiräume platt machen. Auch hier, diese Quadratmeter, die wir haben, die sind sehr teuer. Das ist Luxusboden hier – einfach zu zentral. Ich habe mitbekommen, dass Teile der Lokalpolitik versuchen so viel wie möglich zu erhalten. Anderen Teilen der Politik ist es aber völlig egal. Für die ist es wichtiger hier Wohnungen hinzustellen. Das kann man schon ein Stück nachvollziehen, da prallen verschiedene Welten und Interessen aufeinander. Aber ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass das Gelände hier wahrscheinlich in fünf oder zehn Jahren soweit umgemodelt ist, dass für eine freie Kreativszene nicht mehr viel Platz ist. Umso wichtiger ist es, dass gerade die Leute vom Gelände und die Leute aus der freien Szene sich dafür einsetzten und dafür kämpfen, dass Freiräume erhalten bleiben. Im Grunde geht es darum den MUT zu haben sich dafür einzusetzen und auch den Mut zu haben, von Seiten der Stadt diese Freiräume zuzulassen und nicht alles kontrollieren zu müssen.

Mit den Freiräumen wird es also ganz schön knapp. 

Jonaid: Man merkt, dass Kunst und Pragmatismus kaum nebeneinander existieren können. Warum auch immer. Klar, wenn hier Wohnungen entstehen, was auch wichtig ist, weil man bezahlbar wohnen muss, dann muss aber auch ein Supermarkt und dies und das und jenes rein und schon hast du als Nebeneffekt, dass alles andere verschwinden muss, weil es nicht effizient genug ist.

Für treibgut ist es wichtig den Mut zu haben sich für kreative Freiräume einzusetzen.

Woran liegt das?

Boris: Kunst wirft kein direktes Produkt ab. Das was es abwirft, das ist schlecht kalkulierbar. Aber so ist das mit kreativen Freiräumen: da kann was entstehen, muss aber nicht. Ebenso wenig ist Kunst planbar. Es kann sein, dass der kreative Output gering ist, es kann aber auch sein, dass Künstler hier zugange sind, die in zehn Jahren international ausstellen. Aber es kann nur und muss nicht – das ist anscheinend zu wenig. Das wird immer sofort weg argumentiert. Trotzdem, ich finde es sinnvoll hier zu bleiben und dann wird man sehen, wie es weitergeht.

Jonaid: Oder wir bauen selber.

Boris: Aus Pappkarton, haben wir ja alles draußen.


(c) Alle Bilder: Sebastian Preiß

Too Good To Go – Auf den Teller statt in die Tonne

Ein Start-Up zeigt, dass vom nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln alle profitieren.

Keine Hektik! Warum auch, denn egal wie lang der Tag im Büro oder in der Uni auch ist, die Theken und Töpfe von Restaurants, Cafés und Obstläden sind bis spät abends prall gefüllt. Einerseits, weil wir es so wollen und der Handel im Kampf um jeden Kunden mitspielt, andererseits, weil ein solches Überangebot einen Wettbewerbsvorteil bietet, den man als Konsument gerne annimmt. Was nun mehr stimmt, bleibt ungewiss. Sicher ist jedoch, dass durch diesen Überfluss eine ganze Menge Lebensmittel weggeworfen werden. So landet das meiste, das nach Laden- und Küchenschluss übrig bleibt, nicht auf dem Teller, sondern im Müll – allein in Deutschland jährlich knapp elf Millionen Tonnen.

Was also tun? Diese Frage stellten sich 2015 auch die drei Dänen Stian Olesen, Thomas Bjørn Momsen und Klaus Pedersen als sie zusehen mussten, wie am Ende eines Restaurantbesuchs noch gutes Essen einfach entsorgt wurde. Die Antwort war schnell gefunden: „Too Good To Go“. Entstanden ist damit eine App, die Anbieter überproduzierter Speisen und Lebensmittel mit hungrigen Interessenten vernetzen will, die bereit sind, nach Laden- oder Restaurantschließung die Reste für einen günstigeren Preis abzuholen. Wie genau das funktioniert, weiß Teresa Rath. Sie kümmert sich unter anderem um das Marketing des deutschen Ablegers der mobilen Anwendung: „Die App ist super unkompliziert aufgebaut. Auf der Startseite werden direkt alle Angebote in der näheren Umgebung angezeigt. Der Nutzer kann sich aussuchen, auf was er Lust hat und es nach Art des Essens und angebotener Uhrzeit filtern. Ist das Essen ausgesucht, wird direkt über die App bezahlt und das Essen muss zur angegeben Zeit nur noch abgeholt werden“, erklärt Teresa.

Aussuchen, bestellen, bezahlen — geregelt wird alles mithilfe der App. (C) To Good To Go

Ziel dahinter ist es eine Situation zu schaffen, von der letztendlich jeder etwas hat. Lebensmittelhändler und gastronomische Betriebe können ihr gutes Essen noch an Frau und Mann bringen, müssen es also nicht entsorgen und die Kunden profitieren vom reduzierten Preis und tragen gleichzeitig zum nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln bei. Das Start-Up selbst bekommt für jede verkaufte Mahlzeit einen Euro Provision – eine Win-Win-Win-Situation also. Dabei werden vor allem wertvolle Ressourcen geschont. „Darauf sind wir super stolz! Wir haben jetzt schon insgesamt vier Millionen Mahlzeiten vor der Tonne gerettet, womit 7.000 Tonnen C02 eingespart werden konnten“, erklärt Teresa. Um das zu erreichen, soll zudem das gesamte Konzept so nachhaltig wie möglich gestaltet werden. Dafür will das Start-Up auch eine Gemeinschaft entstehen lassen, deren Mitglieder sich nicht nur als effiziente Unternehmen und Schnäppchenjäger verstehen, sondern als Mitglieder einer Community von Lebensmittelrettern. Teresa betont dabei: „Für uns ist es wichtig, dass verschiedenen Akteure gemeinsam an einer Lösung mitwirken können. Man hat das ja oft, dass die Leute gegenseitig mit dem Finger auf sich zeigen: Die Politik schiebt es auf den Handel, der wiederrum schiebt es auf die Verbraucher. Selbst wenn das stimmt, es bewegt sich dabei nichts. Daher war uns wichtig, verschiedene gesellschaftliche Akteure miteinander zu vernetzen.“

Und die Community wächst schnell: Mittlerweile gibt es die App des Start-Ups in neun europäischen Ländern mit rund vier Millionen Nutzern. Allein in Deutschland sind es momentan eine Million. Hierzulande wird die App von einem Team von 20 Mitarbeitern gesteuert. Der fast gleichzeitig zum dänischen Pendant gegründete deutsche Ableger ist dabei in über hunderten Orten vertreten. Neben Städten mit der höchsten Nachfrage wie Berlin und Hamburg, gibt es das Angebot der App auch mehr und mehr in ländlichen Gebieten. Aber auch im großen Rahmen will das Start-up weiterhin wachsen. So soll die App in immer weiteren Ländern verfügbar sein. 

In Deutschland gibt es „Too Good To Go“ mittlerweile in über 300 Gemeinden und Städten. (C) To Good To Go

Auch neue Kundengruppen sollen erschlossen werden. So gibt es schon einige Supermärkte, die ihre übrig gebliebenen Lebensmittel über die App anbieten. Kritische Fragen, ob so ein Angebot anderen, bereits bestehenden Initiativen, wie der Tafel, schaden würden, weist Teresa zurück: „Man kann dort sehr gut in Kombination mit anderen Initiativen zusammenarbeiten. Sie funktionieren organisatorisch auch nochmal ganz anders. Das lässt sich gut kombinieren, da wir ganz andere Mengen vermitteln können. Bei uns kommen die Kunden etwa direkt in den Laden und holen sich ihre Bestellung einfach ab. Dabei lassen sich auch geringere Mengen retten, die sich etwa für die Tafel nicht lohnen würden abzuholen. Mit Too Good To Go können somit auch frisch zubereitete Lebensmittel mitgenommen werden. Da können wir einfach sehr gut Hand in Hand arbeiten und eine Lücke füllen.“


(C) Titelbild: To Good To Go

„Uns ist wichtig, wie man etwas macht und nicht nur was.“

Wie ein Startup die Arbeit von Fahrradkurieren sozialer gestaltet und mit einer Mitfahrzentrale für Dinge aller Art zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit beiträgt

Bequemer könnte es kaum sein. Beinahe alles lässt sich heutzutage mit einem einfachen Klick online bestellen und in Windeseile nach Hause liefern. Der Haken: besonders nachhaltig ist das nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn etwa eine nachhaltige Zahnbürste mit einem alten Dieselfahrzeug transportiert wird und der Fahrer dieses Gefährts mehr schlecht als recht bezahlt wird. Um das zu ändern, wurde TiMMi Tranport ins Leben gerufen. Entstanden ist damit ein Start-Up, das einerseits mit einer eigenen Online-Plattform deutschlandweit die Arbeit von Fahrradkurieren fair gestalten will und anderseits mehr Raum für Soziales und ein Beitrag zum Umweltschutz leisten soll. Dafür wurde außerdem eine Mitfahrzentrale für zu transportierende Dinge ins Leben gerufen. In Form einer Community-Plattform können mit dessen Hilfe Privatpersonen und ehrenamtliche Organisationen Lieferungen von A nach B transportieren lassen, indem sie von Menschen mitgenommen werden, die ohnehin auf der gefragten Strecke unterwegs sind. Das spart CO2 und bringt Menschen wieder näher zusammen. Wie es dazu kam und was hinter den Kulissen das Start-Ups passiert, hat uns die Gründerin des Start-Ups Christina Kleinau im relaio-Interview verraten.   

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Start-Up wie TiMMi Transport zu gründen?

Christina: Ich habe in Wirtschaftsethik promoviert. Dabei wurde immer wieder darüber gesprochen, dass nachhaltige Geschäftsideen dringende gesellschaftliche Probleme lösen sollen und somit die besseren Geschäfte sind. Aus Konsumentensicht hatte ich zudem beobachtet, dass es zwar nachhaltige Produkte gibt, sie meist aber nur online bestellbar sind. Da kommt eine Lieferkette zustande, in der schlecht bezahltes Personal in umweltschädlichen Fahrzeugen diese dann ausliefern – das ist total inkonsistent. Deswegen haben wir uns letztendlich dem Thema der nachhaltigen und fair bezahlten Lieferung angenommen. Gleichzeitig war Ende 2015 die Flüchtlingssituation sehr präsent. Viele Sachspenden waren nötig. Die gab es auch und man wusste, wo sie hinmüssen, jedoch gab es ein Transportproblem. Man wusste nicht, wie man die Spenden von einem zum anderen Ort bringen sollte. In diese Lücke sind wir gesprungen und haben gesagt: „Wir probieren es einfach aus!“ Indem wir mit einer Organisationsplattform online gehen und schauen wer sich da anmeldet, um etwas zu transportieren.

Als Mitgründerin von TiMMi Transport will Christina Kleinau (links) für mehr Nachhaltigkeit in der Mobilität kämpfen. (C) TiMMi 

Also war Flüchtlingsversorgung euer Startschuss?

Christina: Ja, die Idee war schon da, aber das war letztlich der Initialzünder um es auszuprobieren. Das hat auch gut funktioniert. Wir haben tausende Kilogramm an Sachen durch die Stadt bewegt, innerhalb von einem Tag. Dafür musste alles ziemlich zügig im Hintergrund ablaufen. Wir sind dadurch schnell mit unserer Plattform online gegangen – innerhalb von zwei Wochen. Wir versuchen also schon Lean-Methoden umzusetzen, indem wir erstmal etwas entwickeln und den Leuten in die Hand geben, bevor wir versuchen es zu perfektionieren. Klar, zu Beginn war es schon sehr rudimentär, aber es hat ausgereicht – jemand kann einen Auftrag aufgeben und jemand kann darauf antworten: „Ja, das mach ich.“

Mittlerweile nutzen auch andere Menschen eure Plattform?

Christina: Meistens sind es Lieferungen für gemeinnützige Organisationen, generell auch Sachen die irgendwo vergessen wurden. Oder Dinge von kleineren, nachhaltigen Produzenten, die ihre Produkte über unsere Plattform versenden. Es gab auch mal ein Projekt für nachhaltige Särge, die mit Hilfe einer Mitfahrgelegenheit transportiert wurden, dann aber mit einem Auto. Für die Lieferoption „Mitfahrgelegenheit“ gibt es keine Bindung an Fährräder.

Als Lieferoptionen bietet ihr professionelle Kurierdienste und private Mitfahrgelegenheiten an: Warum eigentlich beides?   

Christina: Professionelle Lieferoptionen mit einer Garantie, dass die Lieferung sicher und schnell ankommt, bilden einen großer Bestandteil der Nachfrage am Markt, den wir mit Mitfahrgelegenheiten allein nicht abdecken könnten. Am liebsten würden wir als Zentrale und Plattform für verschiedene Fahrrad-Kurierdienste gesehen werden. Das ganze aus dem Hintergrund, dass ein Unternehmen uns gefragt hatte, ob sie unsere Plattform für Mitfahrgelegenheiten nutzen können, um ihre Lieferungen ausfahren zu lassen – gegen Bezahlung. Das ist natürlich für professionelle Fahrradkuriere interessant. Und so sind wir immer mehr mit Kurieren ins Gespräch gekommen. Wir haben uns dann gedacht: „Ja klar, alles was umweltfreundlich ist, machen wir mit.“ So hat sich es entwickelt, dass wir die Software und ihre Funktionen weiterentwickelt und angepasst haben, damit sie auch für die Kurier-Profis gut funktioniert.   

Das TiMMi-Kernteam (v.l.n.r.): Alex, Christina, Petros & Sandra (C) TiMMi

Wir stemmt ihr das alles finanziell?

Christina: Die Software selbst, die die tagtägliche Arbeit der Kuriere digital abbildet und vereinfacht, wird vergütet. Wenn wir den Kurieren neue Aufträge bringen, bekommen wir auch eine Provision. Wichtig zu wissen ist: diese Softwarelösung, für die Profi-Kuriere, ist nicht dieselbe wie die Community-Plattform für die Mitfahrgelegenheiten. In der öffentlichen Plattform nehmen wir keine Gebühren, verdienen also nichts daran. Ursprünglich hatten wir schon gedacht, auch da eine Provision einzuführen, aber die Option der Mitfahrgelegenheit wird größtenteils für gemeinnützige und ehrenamtliche Lieferungen genutzt, die eh kostenfrei sind. Hinzu kommt, dass die Abwicklung sehr kompliziert ist. Wir arbeiten schon Vollzeit, sind jedoch noch förderungsgestützt. Unsere größte Förderung war bisher ein Technologie-Gründerstipendium der Sächsischen Aufbau Bank. Zudem sind zwei kleinere Seed-Investoren dabei, die uns finanziell helfen. Es soll aber darauf hinauslaufen, mit professionellen Lieferoptionen den Lebensunterhalt zu verdienen und die gemeinnützige Säule der Mitfahrgelegenheiten zu tragen.

Einfach ist das bestimmt nicht immer: Was ist momentan eure größte Herausforderung?

Christina: Momentan gibt es ein großes Wachstum im Same-Day-Delivery-Bereich durch Online-Shops. Andere Kurier-Plattformen, die daran verdienen wollen, werden meist mit viel Wagniskapital unterstützt und drücken die Preise. So gibt es Angebote für fünf Euro pro Lieferung innerhalb von 90 Minuten. Die 25 Euro die es eigentlich kostet, wird den Kurieren mit Hilfe des Wagniskapitals zwar bezahlt, aber die Kunden bekommen davon nichts mit und denken: „Ach toll, nur fünf Euro“. Das Problem der Kuriere ist, dass sie somit diesen Unternehmen helfen in den Markt einzusteigen und gleichzeitig zum Preisdumping der eigenen Arbeit beitragen. Das ist für uns natürlich eine riesen Herausforderung, weil wir für faire Preise und Arbeitsbedingungen kämpfen wollen.

Welches Ziel habt ihr vor Augen, wenn ihr solchen Unternehmen die Stirn bietet wollt?  

Christina: Ziel ist der Aufbau einer Community. Der Gedanke ist, dass die Person die deine Sachen liefert – egal ob über die Community Plattform oder über den Profibereich – weniger anonym ist und menschliche Interaktionen mehr im Vordergrund stehen. 

Gerade bei Online-Shops ist die Lieferung die einzige menschliche Interaktion, die noch stattfindet

Es ist das Gefühl, dass wir damit transportieren wollen, dass alle füreinander wirtschaften. Allgemein war es nie der Wunsch ein Start-Up zu gründen, was nur zum Geldverdienen da ist, sondern auch gesellschaftliche Probleme löst. Der Anspruch ist das System nachhaltiger zu gestalten. Uns ist wichtig, wie man etwas macht und nicht nur was.


(c) Titelbild: Timmi Transport

Eco Toiletten – Nachhaltige Alternativen zum stillen Örtchen

Die mobilen WCs vom Start-Up Eco Toiletten sind eine geruchslose Alternative zum chemischen Klohäuschen. Das Endprodukt wird weiterverwendet – als Dünger.

Wenn es draußen wieder wärmer wird, der Schnee geschmolzen ist und alles grünt, dann sprießen sie nur so aus dem Boden: Festivals, Open-Air-Veranstaltungen, Stadt-und Straßenfeste. Ein ständiger Begleiter dieser Momente, sind leider auch mobile Plastiktoiletten, man bereits schon nach wenigen Stunden nicht mehr betreten möchte – der Geruch von Chemie und Fäkalien ist meist nur mit zugehaltener Nase zu ertragen. Das Start-Up Eco Toiletten bietet da eine umweltfreundliche, geruchsneutrale Alternative. Statt mit Wasser zu spülen und damit unser Grundwasser zu verunreinigen, wirft man hier nach dem Toilettengang einfach eine Handvoll Holzspäne nach. Das bindet den Geruch und überdeckt gleichzeitig die Hinterlassenschaften.

Das Gründerteam (von li nach re): Sven, Kevin, Thomas.

Doch wie kommt man auf so eine Start-Up-Idee? Grundsätzlich kann man sagen, dass unser Problem mit mobilen Toiletten wohl eher ein Wohlstandsproblem darstellt. Denn weltweit gibt es etwa 2,5 Milliarden Menschen, die gar keinen Zugang zu Toiletten haben. Daraus resultieren meist gesundheitliche Probleme durch sich verbreitende Krankheitserreger in umgekippten Gewässern und Böden, die versauern. Die Gründer von Eco Toiletten, Kevin Kuhn, Sven Riesbeck und Thomas Jakel überlegten während ihres Studiums – Geografie und BWL – , welche Möglichkeiten es gibt, so ein Weltproblem anzugehen. Thomas machte daraufhin 2012 eine Fahrradtour von Berlin nach Indien, um auf das Problem Aufmerksam zu machen und sammelte Spenden, um vor Ort Toiletten bauen zu können. Dabei kamen 15.000 Euro von privaten Spendern, Crowdfunding und einem veranstalteten Event zusammen. Mit Hilfe des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und einem Förderprogramm konnten am Ende sogar 35.000 Euro mit einer Partnerorganisation umgesetzt werden. Bis heute arbeitet der daraus gegründete Verein Non-Water-Sanitation an der Verbesserung der Situation.

Doch dann stellten die Drei sich die Frage, wie sich das Ganze wirtschaftlich nachhaltig in Deutschland umsetzen lässt und gleichzeitig Bewusstsein schafft – denn schlussendlich ist es ein Thema, das uns alle betrifft. So entstanden zwei Ideen: mobile Trockentoiletten und feste Trockentoiletten für Kleingärtner und öffentliche Standorte.

Aus Fäkalien wird Kompost

Der größte Vorteil an Trockentoiletten liegt auf der Hand: sie brauchen kein Wasser. Verwendet werden nur ökologisches Toilettenpapier, Holzspäne und Handdesinfektionsmittel. Der zweite große Pluspunkt ist, dass die Nährstoffe aus den Fäkalien recycelt und damit wieder nutzbar gemacht werden. „Seit wir Wassertoiletten benutzen, haben wir den Nährstoffkreislauf durchbrochen. Denn eigentlich gehen die Nährstoffe in den Boden, von dort in die Pflanze und dann wieder zu uns und nicht in die Gewässer“, erklärt Mitgründer Kevin Kuhn. Damit die Hinterlassenschaften recycelt und zu Kompost gemacht werden können, muss das Start-Up zum einen selber für die Verwertung bezahlen und zum anderen viel Aufklärungsarbeit leisten. Denn selbst bei den Ämtern herrscht viel Unwissenheit und Angst vor dem Material. „Das sind Bedenken aus dem Mittelalter, wo man noch keine Verfahren hatte, um Krankheitserreger in den Fäkalien zu erkennen. Heute gibt es die“, sagt Kevin. Diese alten Vorbehalte sorgen auch dafür, dass der Kompost aus menschlichen Fäkalien in Deutschland nicht zum Düngen verwendet werden darf – doch auch daran arbeiten sie und leisten damit in Deutschland Pionierarbeit.

Die mobilen Eco Toiletten.

Mittlerweile ist auch das Start-Up selbst gewachsen. Ganze 300 mobile Eco Toiletten sind in Deutschland unterwegs und acht fest installierte in Berlin und in Sachsen. 2018 sollen weitere in München hinzukommen. Klar ist, dass die Trockentoiletten ein Stück teurer sind als die üblichen Dixi-Klos. Im Vergleich zur chemischen Konkurrenz zahlt ein Betreiber für die alternativen Toiletten etwa das Doppelte – also grob gerechnet für zehn mobile Eco Toiletten etwa 2500 Euro. Das liegt noch an der geringen Größe des Start-Ups, aber auch an der Kompostierung, die teurer ist als das Klärwerk bei den Chemietoiletten. Dafür gibt es aber bei der nachhaltigen Alternative einen Reinigungsservice vor Ort.

Holzspäne gegen den Geruch

Die Holzspäne für die Toiletten kamen zu Beginn von Tischlereiabfällen, doch leider musste das Start-Up von dieser Verwertungsidee wieder abkommen. Die Späne waren zu staubig für die Kabinen und teilweise mit Lacken vermischt, die nicht kompostierbar waren. Die aktuell produzierten Späne kommen von deutschen Kiefern und die Menge hält sich, gerade im Vergleich der Fäkalienmenge, in Grenzen und ist daher für das Start-Up auch ökologisch vertretbar. Es gibt sogar bereits eine Technologie, die ohne die Holzspäne funktioniert und bei den fest installierten Toiletten umgesetzt wird. Dort gibt es eine Art Förderband, welches die flüssigen und festen Stoffe gleich trennt und somit auch kein Geruch entsteht.

Selber finanzieren kann sich das Start-Up leider noch nicht. Doch mit Hilfe von Privatinvestoren und externen Finanzierungen kommen die zehn Mitarbeiter, die teilweise auch in Teilzeit arbeiten, einigermaßen über die Runden. Trotzdem rückt der Blick auch immer wieder ins Ausland. Mit dem Verein Non-Water-Sanitation treiben sie verschiedene Pilotprojekte voran und planen eventuell auch mit Ghana ein weiteres Land aufzunehmen.

Je mehr Aufmerksamkeit sie bekommen und somit ein Bewusstsein in unseren Köpfen schaffen, desto eher wird das Thema unsere Hinterlassenschaften vielleicht doch irgendwann eines, das sich auch am Esstisch diskutieren lässt und so zu einer nachhaltigen Lösung beigetragen wird.


(c) Alle Bilder von Eco Toiletten

Creapaper – Papier aus Gras

Jährlich werden in Indonesien Wälder in der Größe der Schweiz gerodet und zu Papier verarbeitet – eine Firma in Hennef hat dafür eine Alternative: Graspapier.

In vielen Bereichen wird Nachhaltigkeit groß geschrieben: nachhaltige Kleidung, Essen und Carsharing. Was viele nicht im Blick haben: Papier. Der Papierverbrauch steigt kontinuierlich – auch in Deutschland. Hierzulande wird zwar sehr viel Altpapier recycelt, aber trotzdem ist Deutschland der zweitgrößte Zellstoffimporteur der Welt . Pro Kopf werden hier laut WWF 253 Kilogramm Papier verbraucht. Katastrophal für die Wälder dieser Erde. Ein Grund für den steigenden Verbrauch ist auch der Versandhandel. Immer mehr Produkte werden online bestellt und im Karton geliefert. Uwe D’Agnone hat dafür eine umweltschonendere Alternative entwickelt, auf die bisher niemand gekommen ist: Papier aus Gras, beziehungsweise aus Heu.

„Vor etwa sechs Jahren habe ich einen Bericht gesehen über die Rodung indonesischer Urwälder. Dabei wird jedes Jahr eine Fläche so groß wie die Schweiz für die Zellstoffgewinnung abgeholzt. Dieses Material wird überwiegend im asiatischen Raum eingesetzt. Das hat mich einfach schockiert“, sagt Uwe D’Agnone. Der gelernte Industriekaufmann hat schon immer im Bereich Druckerei und Papier gearbeitet und sich mit gerade Mal 28 Jahren mit seiner Firma Creapaper selbstständig gemacht. Trotzdem waren ihm – wie vielen anderen, die in dieser Branche arbeiten – die Ausmaße nicht bewusst. Doch D’Agnone blieb nicht in Schockstarre, sondern wollte etwas an der Situation ändern: dafür brauchte es einen neuen Rohstoff.

Papier aus Holz braucht sehr viel Wasser

Doch wie entsteht überhaupt aus einem so festen und harten Produkt wie Holz etwas leicht Zerstörbares wie Papier, Karton oder Toilettenpapier? Damit der natürliche Kleber, der das Holz zusammenhält, das Lignin, sich lösen kann und die Fasern separiert werden können, muss bei der Papierherstellung einiges an Chemie eingesetzt werden – und Wasser. Alleine um eine Tonne Holzzellstoff zu gewinnen, benötigt man zweieinhalb Tonnen Holz und 6000 Liter Wasser. Uwe D’Agnone hat sich daher auf die Suche gemacht und ist fündig geworden: Gras. Denn damit weniger Chemie und Wasser verbraucht werden, sollte es eine Pflanze sein, die nicht so hoch wächst und daher weniger Lignin enthält. Gras beziehungsweise Heu ist daher ideal und braucht nicht mal Chemie bei der Aufbereitung. „Bei der Grasfaser findet nur ein Trocknungsprozess statt. Daher braucht es nur zwei Materialien: Wasser und Energie. Aber eben nur zwei Liter Wasser pro Tonne für Grasfasern und drei Prozent der Energie im Vergleich zur herkömmlichen Papierherstellung, um den Zellstoff zu separieren“, erklärt er. Insgesamt beinhaltet die Grasfaser-Produktion somit nur ein Viertel der herkömmlichen Co2-Emissionen.

REWE nutz bereits das Graspapier für die Verpackung seiner Bio-Ware.

Der Rohstoff für das Graspapier ist immer eine Mischung aus 40 bis 60 Prozent Grasfasern, Altpapierfasern und/oder neuen Holzfasern. Die Grasfasern werden dann zu Pellets gepresst, um möglichst viel Volumen transportieren zu können, aber auch, damit die Papierfabrik sie direkt und einfach einsetzen kann. Genutzt wird das Graspapier für Kartons und bei Obstverpackungen, als Ersatz für Kunststoffe. Aber auch als ganz normales Schreibpapier und auch ein Toilettenpapier mit Grasfasern ist im Entstehen.

Das ökologischste Papier der Welt

Eine tolle Entdeckung – könnte man meinen. Die Reaktion der Papierbranche war aber verhalten. „Die Papierindustrie ist sehr konservativ und nicht ganz förderlich ist die Tatsache, dass die großen Player auf der Welt integrierte Papierhersteller sind“, sagt D’Agnone. Integrierte Papierhersteller, das bedeutet, dass diese Konzerne die Wälder besitzen, aus denen sie das Holz nehmen und auch die Papierfabrik, in der der fertige Karton hergestellt wird. Ein alternativer Rohstoff spielt in dieser Größenordnung keine große Rolle. Nur wenige wollten daher das Graspapier herstellen. Also änderte D’Agnone seine Taktik. Er ging mit den Testergebnissen nicht mehr zu den Papierfabriken, sondern direkt zu den Endkunden. Mit deren Aufträgen konnte er sich dann Zeitfenster in der Fabrik kaufen, um Produkte aus Graspapier zu produzieren. Der erste Kunde, der eingestiegen ist, war der Ottoversand. Mittlerweile sind aber auch Rewe, Penny, Norma und Aldi dabei. Im Februar 2018 hat D’Agnones Idee den IKU Innovationpreis für Klima und Umwelt 2017 des Bundesumweltministeriums gewonnen. „Das Thema ist jetzt wirklich anerkannt und man kann sagen, dass wir das ökologischste Papier auf der Welt haben“, sagt D’Agnone.

Uwe D’Agnone, der Gründer von Creapaper.

Das Heu für das Graspapier bezieht D’Agnone vor allem von den sogenannten Ausgleichsflächen. Flächen, die als Ausgleich für die Verdichtung von Straßen, Häuser und anderen Böden, oft in ländlichen Regionen, geschaffen werden. Die Landwirte bekommen für diese Flächen Geld – dürfen dort aber auch nichts anbauen und das Gras nur zwei bis drei Mal im Jahr mähen. Perfekte Bedingungen für das Graspapier. Denn das Gras ist meist zu lang, als dass es die Nutztiere noch fressen würden und wird höchstens noch für Biogasanlagen verwendet. Außerdem sind die Fasern geeigneter, je länger das Gras wachsen darf. 95 Prozent dieses Heus bleibt aber ungenutzt. Das Gras von städtischen Grünflächen können sie leider nicht nutzen: „Diese Flächen sind zum einen nicht besonders groß, zum anderen oft kontaminiert. Gerade weil wir viel im Bereich Lebensmittelverpackung machen, geht das nicht, wenn auf dem Gras Hundekot war“, erklärt D’Agnone.

Die Nachfrage steigt

D’Agnone versucht seine Anlagen zur Herstellung der Rohstoffpellets für das Graspapier immer in der Nähe der Papierfabriken anzusiedeln – damit das Heu aus der Region genutzt wird und keine weiten Transportwege nötig sind. Noch sind die Mengen zu klein, als dass sich der günstigere Rohstoffpreis auf den Papierpreis auswirkt, aber das Graspapier ist auch nicht teurer als normales Papier. Wenn die Produktion steigt, soll sich das auch in einem günstigeren Preis bemerkbar machen. Nachfrage gibt es auch aus dem Ausland und Uwe D’Agnone hofft ab 2019 auch auf dem amerikanischen Markt vertreten zu sein. Irgendwann kann er dann vielleicht auch wieder durch die Schweiz fahren ohne daran zu denken, dass genau diese Fläche jedes Jahr gerodet wird, um Zellstoff zu produzieren, sondern immer noch ein Urwald in Indonesien ist.


(c) Alle Bilder: Creapaper

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