Für mehr Partizipation in der Architektur
Früher war alles einfacher. Auch das Bauwesen. Da gab es einen Baumeister, der in Personalunion alles geleistet hat, vom Entwurf über die Statik bis hin zur Beaufsichtigung des Bauvorhabens. Im Laufe der Zeit und durch die Industrialisierung veränderte sich dieser Beruf zunehmend. Die Tätigkeit wurde immer komplexer und Experten mussten zu Rate gezogen werden. Heraus bildete sich dann der Beruf des Architekten, der irgendwann nur noch für die Entwürfe zuständig war – um alles andere kümmern sich nun Statiker und Bauingenieure. Das Verstehen des realen Bauprozesses war damit für den Architekten nicht mehr so wichtig – deswegen wird dieser auch in der Ausbildung nur oberflächlich beleuchtet und das Architekturstudium bleibt damit sehr theoretisch. Aus vielen Ideen aus der Studienzeit werden zwar Entwürfe und Modelle, aber die landen oft in irgendeiner Schublade und bleiben ein Fantasieprodukt. Ob die entworfenen Wolkenschlösser überhaupt umsetzbar wären, spielt dann keine große Rolle mehr. Die Design-Build-Bewegung will das ändern und die Studierenden auch praktisch in die Umsetzung von Bauvorhaben miteinbeziehen.
Jakob Bahret, Architekturstudent aus München, hat zu Beginn seines Studiums bei einem Design-Build-Projekt mitgemacht – bei der Assembly Hall Kibwigwa, eine Schulaula in Tansania. Der Bereich Design-Build ist an der Technischen Universität in München seit einigen Jahren als Wahlfach Teil des Curriculums. Kommt dieses Thema in Deutschland und in anderen Ländern erst seit einigen Jahren auf, so ist es in den USA schon viel früher angewendet worden.
Das Rural Studio der Universität Auburn in Alabama, USA, setzt dieses Konzept beispielsweise schon seit den 90er Jahren um. Studierende entwarfen Projekte und verwirklichten diese gemeinsam mit den Anwohnern vor Ort. Konkret in diesem Fall waren das Projekte von Kirchenbau bis zur Brückenüberdachung im südlichen Ende von Alabama, eine arme Region in der vor allem Farmer leben. Oft werden die Design-Build-Projekte auch in Entwicklungsländern durchgeführt. Es besteht bei Projekten dieser Art immer, wie allgemein in der Entwicklungszusammenarbeit, die Gefahr, dass man westliche Ideen durchsetzen will, ohne sie genügend zu hinterfragen. Doch das sollte eben nicht der Fall sein. Im Austausch mit den Menschen vor Ort wird Wissen transferiert, neue Techniken – auf beiden Seiten – gelernt und gleichzeitig viel diskutiert und ausprobiert. Für die Umsetzung werden Ressourcen vor Ort genutzt, unter anderem auch Upcycling-Materialien. Das Ergebnis hängt natürlich auch von den Fähigkeiten der Studierenden und der Personen vor Ort ab.
So jedenfalls die Theorie. In der Praxis sieht das dann meist doch etwas anders aus. Als 2014 das Projekt der Assembly Hall Kibwigwa der TU München startete, war Jakob Bahret Teil der zweiten Gruppe, die an dem Gebäude arbeitete. Beim ersten Besuch waren die Studierenden nicht fertig geworden, wie es des Öfteren bei Design-Build-Projekten der Fall ist. Ein Grund dafür war in diesem Fall die komplizierte Dachstruktur. „Das wurde nach dem Zollingerdach gebaut. Hier hat man relativ kleine Holzteile, die man dann zu einem Bogen miteinander verschränkt. Damit diese Rundung entsteht, braucht man aber einen bestimmten Winkel. Den nicht nur theoretisch, sondern praktisch hinzubekommen, ist ziemlich schwierig. Vor allem für Leute, die keine Werkstatterfahrung haben“, sagt Jakob, der selber vor dem Studium eine Schreinerlehre absolviert hat und einer der wenigen mit praktischer Erfahrung in der Gruppe war. Gleichzeitig ist die Erfahrung für die Studierenden wichtig, damit sie sehen, dass nicht alles, was auf dem Blatt Papier gut aussieht, auch einfach umzusetzen ist.
Steve Badanes, Jim Anderson und John Ringel – auch bekannt als die „Godfathers of Design-Build“ – legten für ihr Studio „Jersey Devil Design Build“ schon früh gewisse Ziele fest, die ein Design-Build-Projekt verfolgen sollte, beziehungsweise erreichen sollte. Ganz weit vorne steht dabei das Erleben eines kollaborativen und konsensgetriebenen Designexperiments. Durch den Bauprozess sollen die Werte des kollaborativen Denkens erlernt und vor allen verstanden werden – so soll dann auch die Erfahrung des Bauens das Wissen für zukünftige Designs erweitern. Während dieses Prozesses geht es außerdem darum, dass sich die Studierenden miteinander austauschen, diskutieren und gegenseitig ihre Ideen präsentieren. Das Ziel ist es, ein kollektives Design für das Projekt zu entwerfen. Durch die Zusammenarbeit – auch mit der lokalen Bevölkerung – sollen die Kommunikationsfähigkeiten der Studierenden verbessert werden und Toleranz geübt werden. Der Plan ist, dass am Ende eines solchen Projektes, die Studierenden ihre Erfahrungen in ihre zukünftigen Arbeiten in Designstudios mit einfließen lassen und sich vermehrt auf Nachhaltigkeit, Dauerhaftigkeit, Komfort und Kontextualität konzentrieren.
Wie läuft aber eigentlich so ein Design-Build-Projekt ab?
Die Vorbereitung
Ein Design-Build-Projekt steht und fällt mit der Motivation der Studierenden. Denn sie müssen bereit sein viel Zeit und teilweise eigenes Geld (wie Reisekosten) zu investieren – je nach Länge des Projekts kann das sogar dazu führen, dass sich das ganze Studium verzögert. Denn die Zeitplanung ist nicht pauschal festzulegen. Je nach Situation vor Ort kann so ein Vorhaben wenigen Monaten bis hin zu mehreren Jahren dauern. Auch wenn hier oft nachfolgende Studierende weiter an dem Projekt arbeiten.
Bereits vor seinem Studium, hat Jakob ein Freiwilligenjahr in Tansania absolviert und als er bei seiner Bewerbung für das Architekturstudium das Design-Build-Projekt der Assembly Hall Kibwigwa entdeckte, bot er seine Hilfe an. Vor der Abreise der ersten Gruppe gab er an einem Abend eine kleine Einführung in Kultur und Sprache des Landes. „Eines der Probleme ist meiner Meinung nach, dass bei solchen Projekten das Land oft eine zu geringe Rolle spielt – also wie die Situation vor Ort ist und auf welche kulturellen Schwierigkeiten man treffen kann“, sagt er. Eigentlich war auch bei diesem Bau nur eine Reise geplant. Am Ende gab es eine zweite Gruppe – bei der auch Jakob dabei war – und sogar noch eine dritte, die aus Experten bestand, die das Dach schlussendlich fertig gestellt haben. Die Komplexität des Daches und die wenige Erfahrung der Studierenden wurden hier einfach unterschätzt.
Genauso wie sie Zeitplanung sollte die Finanzierung des Projekts bereits vor Beginn geklärt sein. Sonst besteht die Gefahr, dass das Projekt am Ende eventuell gar nicht fertig gestellt werden kann oder es zu unnötigen Verzögerungen kommt. Gerade wenn die Projekte auf anderen Kontinenten, wie Afrika oder Mittel- und Südamerika stattfinden, muss der Bauleiter vorher vor Ort gewesen sein und sich mit den Menschen und der Situation vertraut gemacht haben. Auch der Entwurf sollte idealerweise mit der Bevölkerung diskutiert werden, da sie das Gebäude am Ende nutzen sollen. Hilfe kann man sich hierbei auch bei anderen Organisationen in dem jeweiligen Land holen. Das ist auch bei eventuellen Sprachbarrieren eine Erleichterung.
Der Bau
Am Ende kann man noch so gut planen, aber, dass wirklich alles klappt, ist eher die Ausnahme als die Regel. Vor allem wenn die Projekte in anderen Ländern stattfinden, kann man viele Eventualitäten nicht vorhersehen. Da gibt es teilweise klimatische Veränderungen, Materialengpässe, politische Umbrüche und Umweltkatastrophen. Neben all den äußerlichen Faktoren gilt es zu bedenken, dass auch die fremde Kultur eine große Rolle spielt: das Verständnis von Pünktlichkeit und Absprachen, die Rollenaufteilung und fachliche sowie sprachliche Differenzen. Das alles kann – auch innerhalb der Studierendengruppe – zu langen Diskussionen führen. „Wenn ich über die Baustelle gelaufen bin, habe ich viele Dinge gesehen, die noch zu tun sind und andere haben sich abends beschwert, dass ihnen keiner gesagt hat, was sie hätten machen sollen. Es war für manche schwierig ihre Rolle zu finden“, sagt Jakob. Wenn die Bauphase länger dauert und verschiedene Gruppen mitarbeiten – wie bei dem Schulaula-Projekt in Tansania – kann außerdem die Einarbeitung mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Auftauchende Probleme können aber auch als Chance gesehen werden. Als Chance die eigene gedankliche Flexibilität zu erweitern, nach neuen Lösungen zu suchen, sich auf neue Dinge einzulassen und zu improvisieren. Alles Eigenschaften, die in vielen anderen Bereichen ebenfalls angewandt werden können und den zukünftigen Architekten von Nutzen sein werden. „Wir sind alle auch an unsere Grenzen gegangen und haben teilweise elf Stunden auf der Baustelle gearbeitet. Aber dabei haben alle auch viel gelernt und am Ende haben wir Studierende von dieser Erfahrung am meisten profitiert“, sagt Jakob.
Die Nachbereitung
Ob ein Projekt wirklich erfolgreich war, kann man oft erst nach einigen Jahren sagen. Wird das Gebäude noch genutzt? Wurde es zweckentfremdet? Hat das Projekt vielleicht auch weitere Kreise gezogen, wurde es nachgemacht oder erweitert? Wie war die Zusammenarbeit vor Ort und was könnte man besser machen? „Eine kritische Nachbesprechung gab es bei uns leider nicht – auch wenn ich mir das gewünscht hätte“, meint Jakob.
Für die Studierenden, die mitgemacht haben, haben die Design-Build-Projekte viel verändert – auch wenn es immer Verbesserungsbedarf gibt, ob es nun die Einarbeitungszeit ist, die Vorbereitung oder das Einbeziehen der Anwohner vor Ort.
TRAUDI – ein Wohnheims Projekt in Wien
Ein Design-Build-Projekt in Europa ist das TRAUDI in Wien. Im Zuge des Home Not Shelter! Projekts der Hans Sauer Stiftung im Herbst 2015 haben Studierende der Technischen Universität in Wien, der TU München und der Universität Hannover gemeinsam mit Geflüchteten ein bereits bestehendes Gebäude in Wien zu einem Studentenwohnheim umgebaut. Die Studierenden haben die Basis vorbereitet und dann hieß es „sich trauen“ und selber mitanpacken. Die Zwei- bis Vierbettzimmer konnten und wurden selber von allen Beteiligten mitgestaltet. Dadurch hat sich bereits im Anfangsprozess eine Gemeinschaft gebildet – anders, als wenn alle nur in das fertige Haus gezogen wären. Durch das aktive Mitbauen haben sich die zukünftigen Bewohner gleich selber mit dem Haus und den Räumen identifizieren können. Daraus erschließt sich auch ein anderer Umgang, nicht nur mit den anderen Erbauern, sondern auch mit den Räumen und den Möbeln selbst, auf die somit besser achtgegeben wird. In das von der Caritas betriebene Wohnheim HAWI zogen dann 143 Menschen ein: 68 Studierende, 30 Geflüchtete und 45 unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Im Juni 2018 musste das erfolgreiche Projekt aber früher beendet werden als gedacht. Da durch die Schließung der Balkanroute nicht mehr so viele Flüchtlinge nach Österreich kommen, bekommt die Caritas keine Gelder mehr, um das Wohnheim weiter zu betreiben. Dies zeigt, dass erfolgreiche Projekte auch in Industrieländern von äußeren Faktoren und politischen Entwicklungen abhängig sind.