Der Weg zu einer Mobilitätskultur, die soziale und wirtschaftliche Grundbedürfnisse erfüllt und für Mensch und Umwelt verträglich ist
Unablässig zieht am Fenster des relaio-Redaktionsraum das geschäftige Treiben des Münchner Stadtverkehrs auf dem Mittleren Ring vorüber: Autos, Laster, Taxis, Lieferwägen, Busse. Zu Hochzeiten passieren fast 150.000 Fahrzeuge pro Tag den Abschnitt an der Landshuter Allee. Tausende Menschen pendeln zur Arbeit, werden mit Gütern und Waren versorgt und verschaffen sich Zugang zu Erholungsmöglichkeiten und Bildung. Die Verkehrswege sind gleichsam die Lebensadern unserer Gesellschaft. Mobilität ist ein Grundbedürfnis des Menschen, denn sie ermöglicht die Teilhabe am öffentlichen Leben.
Aber die Landshuter Allee zählt auch zu einer der am stärksten von Abgasen, Schadstoffen und Lärm belasteten Straßen Deutschlands, was ein hohes Gesundheitsrisiko für die Anwohner bedeutet. Mobilität bietet nicht nur eine gesellschaftliche Grundlage, sondern stellt auch eine Gefahrenquelle für Mensch und Umwelt dar. Der Verkehr ist in Deutschland für rund 20 Prozent des Ausstoßes der Treibhausgase verantwortlich und leistet damit einen erheblichen Beitrag zur Klimaerwärmung – Tendenz steigend. Innerhalb des Verkehrssektors fällt die Umweltbilanz des motorisierten Individualverkehrs, also der individuellen Nutzung von Kraftfahrzeugen, besonders gravierend aus. Hier kommen pro Kopf mehr Emissionen, ein höherer Flächenverbrauch und ein größeres Verkehrsaufkommen zusammen, als bei allen anderen Mobilitätsformen. Und fast drei Viertel aller täglichen Wege in Deutschland werden mit diesem Verkehrsträger unternommen. Unser Mobilitätsverhalten muss sich also dringend ändern: es muss emissionsarm, energiesparend und umweltverträglich sein, aber auch für alle Menschen die Teilhabe an Wirtschaft und Gesellschaft ermöglichen. Wie kann das möglich sein? Und welche Rolle können dabei soziale und technische Innovationen spielen?
Das Elektroauto als Problemlöser?
Wie steht es zum Beispiel um das Elektroauto? Von den großen Autokonzernen und neuen Konkurrenten wird in letzter Zeit immer mehr die Weiterentwicklung von Elektromotoren vorangetrieben. Wenn zum Laden Strom aus regenerativen Energiequellen verwendet wird, ist es in seinem Betrieb emissionsfrei und darüber hinaus leise und im Unterhalt günstig. Die Reichweiten steigen, die Anschaffungskosten werden langsam erschwinglicher und auch die Akkus laden schneller. Eine technologische Lösung, freilich noch nicht ausgereift, aber mit viel Potential.
Aber auch nur auf den ersten Blick, denn der reine Wechsel der Antriebsart löst nur einige Probleme von vielen. Der Elektroantrieb senkt zwar den Verbrauch von fossilen Energieträgern und minimiert Schadstoffemissionen, aber die Autos greifen immer noch auf die Infrastruktur für den motorisierten Individualverkehr zurück. In den 1960er Jahren wurde mit dem Konzept der autogerechten Stadt in vielen Städten der Industrieländer alles dem ungehinderten Verkehrsfluss von Automobilen untergeordnet. Getrennte Verkehrswege für motorisierten Verkehr, Radfahrer und Fußgänger wurden angelegt, die ein zügiges Vorankommen sicherstellen sollten. Schnellstraßen wurden in Richtung Stadtzentrum getrieben, wodurch bestehende Stadtviertel durchschnitten und schwer überwindbare Schneisen in über Jahrhunderte gewachsene Strukturen geschlagen wurden. Während das öffentliche Leben in den Innenstädten durch die Pendler erlahmte, kam es in den Randbezirken zur Herausbildung von nicht minder leblosen Trabantenstädten. Den Autos wurde die oberste Priorität in der Gestaltung des öffentlichen Raumes zugestanden, was die Städte bis heute prägt. Andere Formen der Mobilität dagegen müssen noch immer zurückstecken. Fußgänger sind gezwungen Umwege, Über- oder Unterführungen und lange Wartezeiten an Ampeln auf sich zunehmen. Radelnde müssen sich oft auf schmale Radwege zwängen, eingekeilt zwischen dem vorbeirauschenden Autoverkehr, sich öffnenden Türen von parkenden Autos und den Fußgängern. Dies stellt eine Gefahr für sie selbst und andere dar. Der öffentliche Personennahverkehr steckt zusammen mit den Autos im Stau fest oder musste in den Untergrund weichen – eine aufwändige und teure Lösung, die nicht überall umsetzbar ist. Damit nimmt das Konzept der autogerechten Stadt ihren Bewohnern die Möglichkeit, sich frei und sicher in ihr zu bewegen und sie damit zu beleben – eine planerische Sackgasse.
Der Weg zu einer Nachhaltigen Mobilität
Nachhaltige Mobilität bedeutet also mehr als Autos umweltfreundlich zu machen – es bedeutet auch Mobilität sozial und wirtschaftlich verträglich zu gestalten. Dafür müssen sich auch gewisse Grundvoraussetzungen in der Gesellschaft ändern, auch in Angelegenheiten, die auf den ersten Blick gar nicht so viel mit Verkehr an sich zu tun haben.
Die Reduzierung der Reiselänge und des Bedarfs sich fortzubewegen
Mobilität ist dann am umweltfreundlichsten, wenn man sie ganz vermeiden oder das Ziel bequem zu Fuß erreichen kann. Für das morgendliche Brötchen-Holen sind die wenigstens von uns aufs Auto angewiesen – für alles darüber hinaus kann es in manchen Gegenden schon schwieriger werden. Abhilfe dagegen kann die „Stadt der kurzen Wege“ bieten, die sich durch eine hohe Einwohnerdichte und diverse Nutzungsangebote auszeichnet. Eine solche menschengerechte Stadtplanung, in der neben Wohnungen auch Arbeits-, Versorgungs- und Erholungsmöglichkeiten zu Fuß oder mit dem Rad erreichbar sind, macht Mobilität nicht nur nachhaltiger, sondern auch Städte lebenswerter. Dass ein lebendiges Viertel auch zu einer umweltverträglichen Mobilität beitragen kann, beweist auch die Onlineplattform nebenan.de. Wenn man sich die Bohrmaschine beim Nachbarn ausleihen kann und nicht mit dem Auto zum Baumarkt fahren muss oder man über das gemeinsame Straßenfest neue Freundschaften im Viertel schließt, entfällt so mancher Weg durch die Stadt.
Auch andere Fahrten lassen sich substituieren oder reduzieren: Online-Shopping und eine zentrale City Logistik können Fahrten zumindest bündeln, gemeinschaftliche und integrative Wohnformen sparen Wegstrecken und moderne Informations- und Kommunikationstechnologien ersetzten zunehmend persönliche Treffen. Sie werfen aber auch die Frage auf, bis zu welchem Grad eine Vermeidung des Bedarfs sich fortzubewegen noch persönlich und gesellschaftlich wünschenswert ist.
Die Herbeiführung eines Wechsels der Verkehrsmittel
Geschwindigkeit ist alles im Straßenverkehr! Könnte man meinen, wenn man das hektische Treiben des Großstadtverkehrs beobachtet. Doch für welches Verkehrsmittel sich jemand entscheidet, hängt oft von ganz anderen Faktoren ab – neben Zeit und Kosten auch von ganz subjektiven Gründen wie Bequemlichkeit oder Attraktivität. Oft aber hinterfragen wir gar nicht mehr, welches Verkehrsmittel uns am besten zum Ziel bringt, sondern die Macht der Gewohnheit lässt uns ins Auto einsteigen. Mit den bekannten Problemen für Umwelt und Gesellschaft und eben nicht unbedingt schneller.
Fahrverbote und Geschwindigkeitsbegrenzungen, die Aufhebung von Parkplätzen sowie Maut- und Besteuerungssyteme sind restriktive Maßnahmen, die Autofahrer zum Wechsel auf andere Verkehrsmittel bewegen sollen. Damit solche Maßnahmen aber nicht zum Ausschluss von Verkehrsteilnehmern führen, müssen andere Verkehrsformen mit entsprechenden Kapazitätssteigerungen aufwarten können. Als Lösungen dafür werden häufig Neuzuteilungen von Verkehrsflächen für den öffentlichen Personennahverkehr, ein Ausbau des Radwegenetzes und Sharing Konzepte für Fahrräder und Autos angeführt. Städte wie Zürich, Münster oder Wien zeigen, dass man zu Fuß, mit dem Rad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Teil einfacher, schneller und umweltschonender ans Ziel kommen kann. Doch noch sind diese Städte Ausnahmen, in denen darüber hinaus jeweils nur ein Verkehrsträger über die anderen herausragt.
Ziel ist es aber, einen Verbund der umweltverträglichen Verkehrsmittel zu schaffen, um die Umwelt- und Gesundheitsbelastung des motorisierten Individualverkehrs zu senken. Dafür sind innovative Lösungen gefragt, die vielfältige Angebote vernetzten, flexibel nutzbar machen und dem Anwender unkompliziert vermitteln. So kann die Benutzung mehrerer Verkehrsmittel für eine Reise bequem und attraktiv gestaltet werden – und damit kann eine echte Alternative zum Auto geboten werden.
Die Steigerung der Effizienz von Verkehrsmitteln
Neben der Vermeidung und der Verlagerung von Verkehr auf andere Mobilitätsformen kommt es auch darauf an, Verkehrsmittel effizienter zu gestalten. Soziale und technische Innovationen können dazu beitragen, negative Effekte zu reduzieren, wenig Nachgefragtes attraktiver zu gestalten und Lösungen für neue Probleme zu bieten. Ansätze wie Alternative Antriebstechniken, die Verwendung regenerativer Energien und die Minimierung von Emissionen dominieren oft die Verbesserungsstrategien. Doch dieses Feld bietet noch viel mehr Raum für Ideen. Die Nutzung von Big Data Analysen, digitaler Automatisierung und der Vernetzung von Fahrzeugen und Nutzern können alle dazu beitragen, unsere Mobilität in Zukunft nachhaltiger zu gestalten. Das Münchner Start-Up Sono Motors zeigt, wie so etwas aussehen kann. Sie haben nicht nur ein bezahlbares Elektroauto entwickelt, sondern dieses lädt sich auch mit integrierten Solarzellen selber auf. Darüber hinaus kann man mithilfe der integrierten Carsharing-Funktion das Auto auch anderen zu Verfügung stellen.
Über nachhaltige Mobilität wird gerade in der Politik heftig diskutiert. Aber nachhaltige Mobilität bedeutet mehr als nur Fahrverbote und Schadstoffgrenzwerte für Dieselmotoren. Nachhaltige Mobilität betrifft viele Bereiche des öffentlichen Lebens, Wohnens und Arbeitens. Vor allem aber ist Mobilität ein Feld, das gerade einem starken Wandel unterworfen ist und das sich auch verändern muss, um zu einem nachhaltigeren Leben beizutragen. Soziale und technische Innovationen werden hier dringend benötigt.
(c) Alle Bilder Sebastian Preiß