Über das wahre Gewicht eines Handys und was man bei dem Einsatz von Ressourcen beachten sollte
Plastiktüten sind schlecht. Baumwollbeutel sind besser. Oder etwa nicht? Eigentlich scheint es so einfach zu sein, doch leider ist es etwas komplizierter. Denn alles, was wir nutzen, ob nun eine Dienstleistung oder ein Produkt, verbraucht Ressourcen. Wie viele, das ist auf den ersten Blick oft nicht ersichtlich. Wie viel Wasser wurde verwendet? Wie viel Energie wurde verbraucht? Wie viele Tonnen Erde wurden umgewälzt? Das sind alles Fragen, die es bei einem nachhaltigen Einsatz von Materialen zu beantworten gilt.
Radikale Dematerialisierung
Bereits 1983 wurde von den Vereinten Nationen eine Kommission für Umwelt und Entwicklung eingerichtet, die 1987 ein Konzept zur „langfristigen umweltverträglichen Ressourcennutzung“ vorstellte. An der Umsetzung hapert es bis heute. Ein bedeutender Wissenschaftler, der sich mit dem Einsatz und der Verschwendung von Ressourcen auseinandergesetzt hat, ist Friedrich Schmidt-Bleek. Er stellte 1991 seine Theorie der radikalen Dematerialisierung um den Faktor 10 vor, die Ressourceneffizenz auf Dauer erheblich verbessern sollte. Problematisch sind die Stoffströme, die immer dann entstehen, wenn etwas produziert wird. Bisher wurde aber dem Input weniger Aufmerksamkeit zuteil als dem Output, also weniger bei der Herstellung als bei dem Abfall und den Emissionen und deren Auswirkungen auf die Umwelt. Der Input bei der Kohle-Gewinnung wäre zum Beispiel der Abraum, also Sand und Lehm, der bei der Gewinnung der Kohle bewegt werden muss. Der Output wiederum wären die Emissionen der Kohlekraftwerke. Die Folgen dieser massiven Bewegungen von Ressourcen sind bereits sichtbar: Ozonloch, Klimawandel, Bodenerosion. Diese Stoffströme müssen laut Schmidt-Bleek radikal reduziert werden – und zwar beim Eingang, nicht beim Ausgang. Für diese Dematerialisierung braucht es nach Schmidt-Bleeks Berechnungen den Faktor 10.
Ökologischer Rucksack
Um zu verstehen, wie viel Ressourcen ein Produkt oder eine Dienstleitung kostet, hat Schmidt-Bleek 1994 den Begriff des Ökologischen Rucksacks eingeführt. Dieser zeigt, wie viel Gewicht durch die Herstellung, Nutzung und Entsorgung von Ressourcen anfallen.
Wie schwer ist ein Handy?
Um das Gewicht des ökologischen Rucksacks eines Produkts auszurechnen, zum Beispiel von einem Handy, hat Schmidt-Bleek das Maß MIPS (Material-Input pro Einheit Service) eingeführt. Auch beim Ecodesign hat man sich mit ähnlichen Fragen auseinandergesetzt.
MIPS – die Berechnung eines Lebenszyklus
MIPS berechnet nicht nur das Gewicht des Ökologischen Rucksacks, sondern den gesamten Lebenszyklus eines Produkts, von der Herstellung, über die Nutzung bis hin zur Entsorgung. Für den Material-Input (MI) gibt es fünf verschiedene Kategorien (abiotische Rohmaterialien, biotische Rohmaterialien, Landbewegungen durch Land- und Forstwirtschaft, Wasser, Luft). Die Maßeinheiten des Ökologischen Rucksacks sind Gramm, Kilogramm und Tonne. Service (S) hingegen hat keine Dimension und definiert sich nach der Leistung des spezifischen Gutes. Ein durchschnittliches Handy wiegt beispielsweise 0,08 Kilogramm. Für die Produktion braucht es unter anderem viele unterschiedliche Rohstoffe aus der ganzen Welt und somit ergibt sich ein ziemlich hoher Material-Input-Faktor. Ein Deutscher wechselt durchschnittlich alle 18 bis 24 Monate sein Smartphone – somit hält sich die Dauer der Serviceleistung S auch in Grenzen. Am Ende bringt das kleine Gerät ein stolzes Gewicht von 75,3 Kilogramm auf seinen Ökologischen Rucksack.
Checkliste von Schmidt-Bleek
Ein Auszug aus der Checkliste von Schmidt-Bleek
- Welche Materialien tragen die leichtesten ökologischen Rucksäcke?
- Ist die Materialzusammensetzung so einfach wie möglich?
- Wie können (bei kurzlebigen Produkten von weniger als 20 Jahren Lebensdauer) Verbundstoffe vermieden werden und Langlebigkeit anstreben/erhöhen
- Sind Ersatzteile langfristig verfügbar?
- Kann das Design so ausgelegt werden, dass das Produkt, nachdem es seinen ursprünglichen Zweck erfüllt hat, ganz oder teilweise für mögliche weitere Nutzungen eingesetzt werden? (Kaskadennutzung)
- Wie können begleitende Produktanleitungen auf Papier vermieden werden? (Papier hat einen Rucksack von 15 für abiotische Rohmaterialien)
Weitere Oberpunkte der Checkliste sind
- Abfall vermeiden oder minimieren
- Transportaufwand verringern
- Fragen an den Lieferanten (Materialaufwand, Energieaufwand, Entstehung von Abfall, Transportaufwand, Vermeidung von Gefahrenstoffen, Nutzungsintensität)
- Achtung bei konfliktbeladenen Rohstoffen
Die Kritiker der Theorie von Schmidt-Bleek führen an, dass er die Belastung der Umwelt etwa durch Pestizide nicht genug Platz einräume. Doch auch die die Konfliktbeladenheit einiger Ressourcen bleiben unerwähnt. Denn Rohstoff ist nicht gleich Rohstoff – das ist klar. Es hängt nicht nur davon ab, bei wem das Unternehmen es bezieht, sondern auch von wo. Soja aus Deutschland ist beispielsweise anders zu bewerten als Soja, das in Borneo angepflanzt wird und wofür ganze Abschnitte des Regenwaldes gerodet und anschließend der Versteppung ausgesetzt werden. Es gibt aber einige Rohstoffe, bei denen man lieber zwei Mal hinschauen sollte. Dazu gehören vor allem konfliktbeladene Materialien wie Kassiterit, Coltan, Wolframit und Gold, die vor allem für Elektrogeräte (Computer und Handys) verwendet werden. Ein Unternehmen, das sich damit auseinandergesetzt hat, ist das Fairphone. Es wirbt damit, dass alle Rohstoffe für das faire Handy nur aus konfliktfreien Mienen stammen. Außerdem sei das Smartphone langlebig, da Die Nutzer einzelne Teile immer auswechseln könnten. Leider hat Fairphone den Support für sein erstes jedoch eingestellt
Auch Diamanten, Edelhölzer und Drogenrohstoffe sind bekanntermaßen kritisch. Doch auch bei Kautschuk, Baumwolle und Kakao sollte man vorsichtig sein. Wieso? Was der Ökologische Rucksack nicht beachtet, ist, dass diese Produkte oft unter schlechten Arbeitsbedingungen gefördert werden. Ausbeutung, eine hohe Unfallgefahr, Kinderarbeit, Raubbau und Umweltschäden stehen hier auf der Tagesordnung. Betroffene Länder sind wie Sierra Leone und Kongo, sowie Burundi oder Afghanistan.
Bewusstsein schaffen
Egal ob es am Ende eine Dienstleistung ist oder ein fertiges Produkt, das verkauft werden soll: Wichtig ist, dass beim Kunden ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, wie wichtig der Einsatz nachhaltiger Materialien ist. Wenn ein Unternehmen bereits darauf achtet, dann sollte es das auch kommunizieren. Das gibt nicht nur dem Verbraucher ein gutes Gefühl, sondern führt dazu, dass er sich vielleicht auch bei anderen Produkten mehr Gedanken macht. Denn das ist auch nach Schmidt-Bleek eines der größten Faktoren: die Bevölkerung wird nicht genug darüber informiert, welche Probleme es bei der Ressourcenbeschaffung gibt und wie sich das bis zum Verbraucher hin zieht. Jeder Kauf beinhaltet also auch die Verantwortung für den Ökologischen Rucksack.

Die Gemüsekiste vom Kartoffelkombinat. (c) David Freudenthal
Plastik oder Baumwolle? – Die Gemüsekiste vom Kartoffelkombinat.
Somit sind wir wieder am Anfang. Welches ist denn nun die bessere Variante? Das Gewicht des Ökologischen Rucksacks durchzurechnen ist nicht einfach — es bis zum Endprodukt durchzuexerzieren manchmal gar nicht möglich. Auch die Gründer vom Kartoffelkombinat haben sich mit dieser Frage auseinandergesetzt. Daniel Überall und Simon Scholl haben ein Unternehmen mit genossenschaftlicher Struktur für die regionale und ökologische Lebensmittelversorgung aufgebaut. Mittlerweile machen 650 Münchner mit, eine logistische Herausforderung, wenn man trotzdem nachhaltig sein möchte. Plastik will eigentlich keiner mehr zuhause haben, aber mit Alternativen erreicht man teilweise das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Dazu Simon: „Wir unterliegen Gesetzen und Regularien und vieles ist einfach gar nicht möglich. Würden wir zum Beispiel Tupperboxen mit ausgeben, dürften wir diese nicht gleich wieder verwenden, wenn sie von den Genossen wieder zurückkommen. Vorher müssten wir sie heiß durchspülen. Wir sind gerade dabei eine Lösung zu entwickeln, bei der der Feldsalat in Baumwollsäckchen verpackt wird und wir hätten hier die Möglichkeit, mit der Wäscherei nebenan eine kleine Zusatzlogistik aufzuziehen. Allerdings wird es wieder schwierig, wenn man da dann wieder eine Ökobilanz aufmacht!“