Der EU-Staatenverbund hat sich zu einer Plattform für Social Entrepreneure entwickelt und steht trotzdem immer mehr in der Kritik. Ganz fair ist das nicht.
London, Stockholm, Paris und Berlin: Dies sind nur einige Namen aus einer Reihe von Metropolen innerhalb der Europäischen Union. Dort generieren, pitchen und vernetzen tagtäglich Start-Ups ihre Ideen, Erfindungen und Innovationen. Ob an Spree oder Seine, dass junge Unternehmen ihr wirtschaftliches Handeln nicht mehr nur auf ihr Heimatland beschränken, sondern immer mehr von einem starken Europa profitieren, hat verschiedene Gründe.
Grenzenlose Freiheit
Innerhalb der Europäische Union genießen Start-Ups weitreichende, wirtschaftliche Freiheiten, wie den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Das bedeutet im Klartext: Europäische Start-Ups können auch im Ausland die Vorzüge eines weitgehend einheitlichen und freien europäischen Binnenmarktes nutzen. Dabei haben sie Zugang zu über 500 Millionen Konsumenten ohne störende und kostenintensive Zölle – das vor allem dank offener Grenzen. Dass Unternehmensgründer diese Freiheiten immer stärker nutzen, zeigt der European Startup Monitor: eine Studie zur Start-Up-Kultur in Europa und Israel. Dort gaben mehr als die Hälfte der 2.500 befragten Start-Ups — auch aus den Bereichen Bildung und Green Technology — an, dass sie einen immer größer werdenden Teil ihrer Erlöse nicht in ihrem Heimatmarkt, sondern im europäischer Ausland erzielen. Solch eine Europäisierung von Businessmodellen wird gestützt von einem einheitlichen, europäischen Rechts- und Standardisierungssystem, das helfen soll, Kosten zu reduzieren, den Markt mit seinen Produkten zu schützen und deren Innovationskraft zu stärken.
Die Sternenflagge im Gegenwind
Ein gemeinsamer Markt mit all seinen Vorteilen scheint die richtige Antwort auf eine immer stärker globalisierte und vernetzte Welt zu sein. Aber ökonomische Vorteile allein reichen nicht aus, um das Projekt Europa zu sichern. Und so bleibt Kritik nicht aus. Schon lange wird etwa beklagt, die EU verkomme mehr und mehr zum aufgeblasenen Bürokratiemonster, dem das Verbot von krummen Gurken wichtiger sei als die wahren Probleme seiner Einwohner. Problematisch ist derart Kritik grundsätzlich nicht. Im Gegenteil: Sie gehört zum politischen Alltag dazu wie die Luft zum Atmen und letztlich ist ein durch Kritik entfachter Diskurs Ausgangspunkt demokratischer Entscheidungen und demzufolge auch für ein fair verhandeltes Miteinander. Durchaus problematisch aber ist, dass immer lauter Werden radikaler, konservativer Stimmen. Sie machen sich gesellschaftliche Debatten zu eigen, indem sie bewusst Falschinformationen streuen, um für eigennützige Interessen Ängste zu schüren, anstatt vernünftige Debatten zu führen. Das hat massive Konsequenzen: So waren es etwa die aggressiven Parolen der Anti-Europabewegung der britischen „UKIP“ die dazu führten, dass im Sommer 2016 eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt des Königreichs aus der Europäischen Union stimmten. Dessen Anführer wie Nigel Farage haben längst die politische Bühne verlassen, das Referendum für den Brexit aber bleibt.
Aber nicht nur in Großbritannien, sondern überall machen Europa-Gegner Lärm und fordern die Rückkehr einer lang überholten Weltvorstellung: so etwa Marie-Le Pen in Frankreich, Victor Orbán in Ungarn oder die rechte „Alternative für Deutschland“ hierzulande. Für Start-Ups würden die dort geforderten Pläne, wie die Schließung von Grenzen und der Rückbau eines europäischen Referenzrahmens von Bildungsabschlüssen vor allem eine Minderung ihrer Wettbewerbsfähigkeit bedeuten – und das auf Kosten der Machtansprüche einiger weniger. Zölle und Ausfuhrsteuern würden der internationalen Wettbewerbsfähigkeit junger Unternehmen schaden. Genauer gesagt, schadet das letztendlich dem Umsatz von Start-Ups aus kleineren EU-Mitgliedsstaaten wie Finnland, Ungarn oder Österreich. Diese können – im Gegensatz zu Frankreich oder Deutschland – nicht auf große Inlandsmärkte zurückgreifen und sind somit auf eine Europäisierung ihrer Absatzmärkte angewiesen. Spitzenreiter in diesem Feld ist Österreich, dessen Start-Ups erzielen, laut dem Austrian Startup Monitor, 2018 rund 41 Prozent ihrer Erlöse im Ausland, wovon zwei Drittel innerhalb der EU erwirtschaftet werden.
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Aber nicht nur die Schließung von Grenzen bedroht die europäische Start-UpSzene. Fast wäre etwa mit der Schließung der Budapester Central European University eine wichtige europäische Institution zur Vermittlung und Vernetzung von unternehmerischem Wissen einfach weggefallen. Dabei gilt es festzuhalten, dass etwa zehn Prozent der europäischen Start-Ups einen universitären Hintergrund besitzen. Das zeigt, wie wichtig der akademischer Austausch und die Vernetzung von Hochschulen für das Thema Entrepreneurship sind. Aber gerade Studiengänge die sich mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigen und somit das nötige Wissensfundament für soziale Innovationen liefern, sind in ihrer Existenz bedroht. So will die ungarische Regierung nun den Studiengang Gender-Studies aus den staatlichen Hörsälen verbannen. Und das mit dem vorgeschobenen Grund eines fehlenden Bedarfs an Absolventen auf dem Arbeitsmarkt.
Hinterm Horizont geht’s weiter
Trotz aller Hetze und Angstmacherei – eine europäische Gemeinschaft lohnt sich und das auch für soziale Unternehmensgründer. So gibt es immer mehr öffentliche europäische Gründerinitiativen, die vor allem eines bieten: Fördermittel. Europäische Kommission will in ihrer aktuellen Förderperiode bis zum Jahr 2020 vor allem soziale Innovationen fördern, da sie deren Lösungspotenzial für gesellschaftliche Probleme erkannt hat. Dafür sollen rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen in einem Europa überspannenden Netzwerk gestärkt und gründergerecht ausgebaut werden. Ein wichtiger Schritt dazu ist das Förderprogramm Horizon 2020. Damit soll eine wissens- und innovationsbegeisterte Gesellschaft gefördert werden, die die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärkt und gesellschaftliche Herausforderungen löst.
Um diese Ziele in die Realität umzusetzen, gibt die Europäische Union eine Menge Geld aus. Von dem insgesamt 80 Milliarden Euro schweren Budget gehen etwa 2,8 Milliarden Euro über das Teilprogram „SME-Instrument“ an kleine und mittelgroße Unternehmen – inklusive Start-Ups – was eine direkte Förderung ermöglicht. Bewerben können sich Projekte mit Sitz in der EU, mit weniger als 50 Millionen Euro Jahresumsatz und weniger als 250 Mitarbeiten. Für viele junge Start-Ups dürften diese Kriterien kein Problem sein. Konkret zu holen gibt es einiges: Erfüllt ein Social-Start-Up die quantitativen Anforderungen und liefert es mit seinem Projekt einen glaubhaften Lösungsansatz zu gesellschaftlichen Herausforderungen – wie dem demografischen Wandel, die nachhaltige Erzeugung von Energie oder die Schaffung intelligenter Mobilität – kann es mit einer finanziellen Unterstützung von einer halben Million bis zu zweieinhalb Millionen Euro rechnen und das mit einer regelmäßigen Quote von 70 Prozent.
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Unterstützung kommt meist indirekt
Mit sogenannten Strukturfonds beinhaltet die Gründerförderung der Europäischen Union einen weiteren Finanzierungszweig. Sie sind Sammelbegriff verschiedener Instrumente zur Schaffung sozialer und wirtschaftlicher Gleichheit in Europa. Zur Subventionierung von Projekten mit sozialem Impact kommen der Europäische Sozialfond (ESF) und der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) ins Spiel. Ihre Ziele sind die Schaffung von beruflicher Chancengleichheit, die Förderung von Projekten zur Verbesserung der wirtschaftlichen Produktivität und die Reduzierung von CO2-Emmissionen – die Fördermöglichkeiten sind also vielfältig. Im Gegensatz zu Horizon 2020 stehen die Mittel aus diesen Geldtöpfen sozialen Start-Ups jedoch nicht direkt zur Verfügung. Vielmehr funktionieren sie nach dem Prinzip der Kofinanzierung, was heißt, dass eine Förderung mit europäischen Mitteln nur zusammen mit Fördermitteln und Programmen auf nationaler Ebene eines EU-Mitgliedsstaates erfolgen kann. Hierzulande ist daraus eine Vielzahl von Projekten entstanden, die insgesamt bis 2020 mit einem Gesamtbudget von rund 7,5 Milliarden Euro finanziert werden. Social Entrepreneure können so, mit Hilfe europäischer Fördergelder, umwelt-, arbeitsmarkt- und bildungsbezogene Projekte finanzieren.
Gelder aus dem europäischen Sozialfond fließen zudem in die Finanzierung von sogenannten Mezzaninkapital. Zielgruppe dieses Finanzierungstools sind in erster Linie Sozialunternehmen. Unternehmen, die aus der Arbeitslosigkeit heraus gegründet werden, ausbilden oder von Menschen mit Migrationshintergrund geführt werden, erfahren eine besondere Berücksichtigung. Gefördert wird mit maximal 50.000 Euro über eine Laufzeit von zehn Jahren, wovon bis zu 35.000 Euro in der Gründungsphase gewährt werden und die Rückzahlung erst ab dem siebten Förderjahr erfolgen muss.
Europa – Erfolgsprojekt oder missglückte Idee?
Europa ist ein echtes Verwandlungstalent: War es früher ein Flickenteppich aus unzähligen Kleinstaaten und Schauplatz für Krieg und Teilung, ist es mittlerweile zu einer demokratischen Staatengemeinschaft herangewachsen. Doch an den Rändern der Idee Europa bröckelt es und die dabei entstandenen Risse reichen tief bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Scheinbar selbstverständliche Privilegien, wie die Freiheit zu reisen, zu arbeiten und zu leben, wo man will, sind große Errungenschaften der Europäischen Union. Sie scheinen jedoch momentan so bedroht wie nie zuvor. Bei der Betrachtung Europas durch die Social-Entrepreneurship-Brille wird klar, dass es auf den ersten Blick nicht so einfach ist, herauszufinden, welche Fördermöglichkeiten es gibt und welche davon die richtigen für das eigene Start-Up sind. Schaut man aber etwas genauer hin, lässt sich eine Vielfalt an geeigneten Fördermöglichkeiten finden. Zusätzlich können Sozialunternehmer auf das Wissen einer immer größer werdenden europäischen Social Entrepreneurship-Community zurückgreifen und sich in zahlreichen Netzwerken austauschen – ja sogar an öffentlich geförderten Austauschprogrammen, speziell für Entrepreneure, wie dem Erasmus for Young Entrepreneurs-Programm, teilnehmen. Man darf denken was man will, nach einer missglückten Idee klingt das nicht.
Lesetipp //
Bureau of European Policy Advisers: Social Innovation – A Decade of Change
(c) Titelbild: Sara Kurfeß