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shoemates – Schritt für Schritt eine gute Sache

Wie ein Start-up mit dem Prinzip „Get One, Give One“ afghanischen Kindern den Zugang zur Schulbildung erleichtert

Der Wecker klingelt – wie immer viel zu früh. Was dann passiert ist jedem, der schon mal eine Schule besucht hat, vertraut: Es folgt ein Sprint vom Bett ins Klassenzimmer, begleitet von der Hoffnung, dass am Ende, dieses nicht ganz freiwilligen Workouts, keine Ex in Mathe wartet. Dann die Erleichterung, kein Test – Glück gehabt. Oder doch nicht? Denn was oft als Schrecken aus der Kindheit in Erinnerung bleibt, ist eigentlich ein Privileg und das hat einen Namen: Bildung. Sie ist ein Mittel, für unsere Selbstverwirklichung – beruflich wie privat.

Der Schulbesuch als Sprungbrett in ein selbstbestimmtes Leben ist im wohlhabenden Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Ganz anders in Afghanistan. In dem von Krieg und Terrorismus zerrüttenden Land, fehlt es an fast allem und ganz besonders an Geld. Tägliche Gewalt, Vertreibung und eine steigende Armutsrate von fast 40 Prozent hindern etwa jedes dritte afghanische Kind am regelmäßigen Schulbesuch. Wenn Bildung hier eines nicht ist dann selbstverständlich. Obaid Rahimi will das ändern. Dafür hat der 30-jährige Hamburger mit afghanischen Wurzeln das Projekt „Shoemates“, ein Online-Shop mit eigener Schuh-Kollektion, ins Leben gerufen.

Mit Schuhspenden sollen afghanische Schulkinder eine bessere Chance auf Bildung erhalten. (C) shoemates

Besonders ist daran, dass jedes Paar Schuhe nach dem Prinzip „Get One, Give One“ verkauft wird. Die Idee dahinter: Findet hierzulande etwa ein Paar Sneaker einen neuen Eigentümer, wird analog ein paar Schuhe an ein afghanisches Schulkind gespendet. Während das verkaufte Paar in Spanien oder Portugal produziert wird, wird das gespendete Paar wiederum dort produziert, wo es auch zum Einsatz kommen soll – also in Afghanistan. Fragt man warum, hat Obaid eine pragmatische Antwort parat: „Weil ich durch meine afghanischen Wurzeln direkten Kontakt in das Land habe und somit die richtigen Leute für das Unternehmen finden konnte. Mein Onkel ist dort in einer Menschenrechtsorganisation tätig und hat uns mit einem Produzenten und einer NGO zusammengebracht, die uns ganz genau sagen können, wer die Schuhe erhält und wann – das ist uns wichtig.“ Und zwar aus gutem Grund: So wird durch die lokale Produktion der Schuhe einerseits die Wirtschaft vor Ort angekurbelt, andererseits wird garantiert, dass die Spende auch dort ankommt, wo sie hin soll – nämlich bei den Schulkindern. Und die haben in gleich zweierlei Hinsicht etwas davon. Durch eine stärkere heimische Wirtschaft können sich mehr afghanische Familien die Mittel für den Schulbesuch ihrer Kinder leisten und die gespendeten Schuhe ermöglichen das Bestreiten des Schulweges durch unwegsames Terrain. Das ist nicht zu unterschätzen, in einem Land in dem Hochgebirge und Subtropen aufeinandertreffen.

Obaid hat Philosophie und BWL in Hamburg studiert und letzteres nochmal im Masterstudiengang an der Uni Passau. Dort ist in dieser Zeit auch die Idee zu shoemates entstanden. Zusammen mit seinen Kommilitonen Julia Jockwer und Marc Langener ist im Rahmen eines Gründungswettbewerbs und mit einem Startkapital von fünf Euro sowie der Gründung einer GbR das Projekt ins Rollen gekommen. „Wir hatten ein Semester Zeit um ein Unternehmen aufzubauen. Das lief viel besser, als gedacht. Wir haben es sogar geschafft Schuhe zu produzieren und zu verkaufen. Letztlich haben wir ein Preisgeld von circa 1.500 Euro gewonnen. Das haben wir reinvestiert, mehr Schuhe bestellt und 2015 eine GmbH gegründet. Alles ungefähr in einem Jahr,“ sagt Obaid. Ganz neu war die Idee nicht. Angelehnt ist Shoemates an Obaids weiterhin bestehendem Vorgängerprojekt „headmates„, bei dem aber keine Schuhe, sondern Mützen im Vordergrund stehen.

Obaid Rahimi — Mitbegründer von shoemates. (C) Barabara Lersch

Für den Wechsel von der Mütze zum Schuh gibt es zwei wesentliche Gründe. Neben der Möglichkeit sie auch in kleinen Mengen vergleichsweise günstig herzustellen, ist es vor allem der Mangel an qualitativ brauchbaren Schuhspenden. „Schuhe werden tendenziell kaum gespendet, beziehungsweiße sind die Spenden in einem so schlechten Zustand, dass die Menschen, die sie benötigen, nicht sehr viel davon haben. Da gibt es eine große Nachfrage“, sagt Obaid. Um diese zu stillen, wurde neben den online angebotenen Schuhen, ein Spendenschuh entwickelt, der nicht modisch, sondern in erster Linie funktional ist. Wäre der Schuh zu modisch, bestünde zu leicht die Gefahr, dass er, anstatt getragen zu werden, weiterverkauft wird – damit wäre die Arbeit des Start-ups wirkungslos.

Man muss überlegen, was ein afghanisches Kind denkt, wenn es einen neuen Schuh bekommt. Habe ich ein neues Paar Schuhe oder etwas, dass ich verkaufen kann. Damit das nicht passiert, haben wir einen Schuh gewählt, der nicht modisch ist. Ein simpler, robuster Schuh in schwarz, der den Fuß komplett umgibt und absolut funktional ist – aber ohne Weiterverkaufswert.

Obaid Rahimi – Gründer von Shoemates 

Anders sieht es bei der Produktion der Schuhe aus, die via Online-Shop vertrieben werden und die finanzielle Haupteinnahmequelle des Unternehmens sind. Wurden diese zu Beginn noch als White Label geordert und mit dem eigenen Markenemblem versehen, wird mittlerweile ein Designer beauftragt, mit dessen Zusammenarbeit bereits eine Vielzahl an Modellen entstanden sind. Dabei wird versucht einem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht zu werden, indem die Produktion 2017 vollständig von Asien nach Europa verlagert wurde und Rohstoffe wie Leder nur aus kontrollierter Herstellung bezogen werden. Um die dabei anfallenden Aufgaben bewältigen zu können, ist um shoemates ein fünfköpfiges Team entstanden.

Mit ihrem Angebot will shoemates weiter wachsen und den europäischen Markt erobern. (C) shoemates

In Zukunft hat das Team noch viel vor. Das nächste Ziel ist Eroberung des nordeuropäischen Marktes, bei dem die Niederlande den Anfang machen sollen. Auch das Team wird bald um zwei neue Mitarbeiterinnen wachsen. Langfristig sollen auch südeuropäische Länder zu Absatzmärkten werden. Vor allem im Online-Handel und seinen Prozessstrukturen sieht Obaid die Möglichkeit gegeben diese Ziele auch zu erreichen. „Damit kannst du Vieles mit wenig Aufwand erreichen“ –  und für die Bildung lohnt sich das allemal. 


(c) Titelbild: shoemates 

Eco Toiletten – Nachhaltige Alternativen zum stillen Örtchen

Die mobilen WCs vom Start-Up Eco Toiletten sind eine geruchslose Alternative zum chemischen Klohäuschen. Das Endprodukt wird weiterverwendet – als Dünger.

Wenn es draußen wieder wärmer wird, der Schnee geschmolzen ist und alles grünt, dann sprießen sie nur so aus dem Boden: Festivals, Open-Air-Veranstaltungen, Stadt-und Straßenfeste. Ein ständiger Begleiter dieser Momente, sind leider auch mobile Plastiktoiletten, man bereits schon nach wenigen Stunden nicht mehr betreten möchte – der Geruch von Chemie und Fäkalien ist meist nur mit zugehaltener Nase zu ertragen. Das Start-Up Eco Toiletten bietet da eine umweltfreundliche, geruchsneutrale Alternative. Statt mit Wasser zu spülen und damit unser Grundwasser zu verunreinigen, wirft man hier nach dem Toilettengang einfach eine Handvoll Holzspäne nach. Das bindet den Geruch und überdeckt gleichzeitig die Hinterlassenschaften.

Das Gründerteam (von li nach re): Sven, Kevin, Thomas.

Doch wie kommt man auf so eine Start-Up-Idee? Grundsätzlich kann man sagen, dass unser Problem mit mobilen Toiletten wohl eher ein Wohlstandsproblem darstellt. Denn weltweit gibt es etwa 2,5 Milliarden Menschen, die gar keinen Zugang zu Toiletten haben. Daraus resultieren meist gesundheitliche Probleme durch sich verbreitende Krankheitserreger in umgekippten Gewässern und Böden, die versauern. Die Gründer von Eco Toiletten, Kevin Kuhn, Sven Riesbeck und Thomas Jakel überlegten während ihres Studiums – Geografie und BWL – , welche Möglichkeiten es gibt, so ein Weltproblem anzugehen. Thomas machte daraufhin 2012 eine Fahrradtour von Berlin nach Indien, um auf das Problem Aufmerksam zu machen und sammelte Spenden, um vor Ort Toiletten bauen zu können. Dabei kamen 15.000 Euro von privaten Spendern, Crowdfunding und einem veranstalteten Event zusammen. Mit Hilfe des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und einem Förderprogramm konnten am Ende sogar 35.000 Euro mit einer Partnerorganisation umgesetzt werden. Bis heute arbeitet der daraus gegründete Verein Non-Water-Sanitation an der Verbesserung der Situation.

Doch dann stellten die Drei sich die Frage, wie sich das Ganze wirtschaftlich nachhaltig in Deutschland umsetzen lässt und gleichzeitig Bewusstsein schafft – denn schlussendlich ist es ein Thema, das uns alle betrifft. So entstanden zwei Ideen: mobile Trockentoiletten und feste Trockentoiletten für Kleingärtner und öffentliche Standorte.

Aus Fäkalien wird Kompost

Der größte Vorteil an Trockentoiletten liegt auf der Hand: sie brauchen kein Wasser. Verwendet werden nur ökologisches Toilettenpapier, Holzspäne und Handdesinfektionsmittel. Der zweite große Pluspunkt ist, dass die Nährstoffe aus den Fäkalien recycelt und damit wieder nutzbar gemacht werden. „Seit wir Wassertoiletten benutzen, haben wir den Nährstoffkreislauf durchbrochen. Denn eigentlich gehen die Nährstoffe in den Boden, von dort in die Pflanze und dann wieder zu uns und nicht in die Gewässer“, erklärt Mitgründer Kevin Kuhn. Damit die Hinterlassenschaften recycelt und zu Kompost gemacht werden können, muss das Start-Up zum einen selber für die Verwertung bezahlen und zum anderen viel Aufklärungsarbeit leisten. Denn selbst bei den Ämtern herrscht viel Unwissenheit und Angst vor dem Material. „Das sind Bedenken aus dem Mittelalter, wo man noch keine Verfahren hatte, um Krankheitserreger in den Fäkalien zu erkennen. Heute gibt es die“, sagt Kevin. Diese alten Vorbehalte sorgen auch dafür, dass der Kompost aus menschlichen Fäkalien in Deutschland nicht zum Düngen verwendet werden darf – doch auch daran arbeiten sie und leisten damit in Deutschland Pionierarbeit.

Die mobilen Eco Toiletten.

Mittlerweile ist auch das Start-Up selbst gewachsen. Ganze 300 mobile Eco Toiletten sind in Deutschland unterwegs und acht fest installierte in Berlin und in Sachsen. 2018 sollen weitere in München hinzukommen. Klar ist, dass die Trockentoiletten ein Stück teurer sind als die üblichen Dixi-Klos. Im Vergleich zur chemischen Konkurrenz zahlt ein Betreiber für die alternativen Toiletten etwa das Doppelte – also grob gerechnet für zehn mobile Eco Toiletten etwa 2500 Euro. Das liegt noch an der geringen Größe des Start-Ups, aber auch an der Kompostierung, die teurer ist als das Klärwerk bei den Chemietoiletten. Dafür gibt es aber bei der nachhaltigen Alternative einen Reinigungsservice vor Ort.

Holzspäne gegen den Geruch

Die Holzspäne für die Toiletten kamen zu Beginn von Tischlereiabfällen, doch leider musste das Start-Up von dieser Verwertungsidee wieder abkommen. Die Späne waren zu staubig für die Kabinen und teilweise mit Lacken vermischt, die nicht kompostierbar waren. Die aktuell produzierten Späne kommen von deutschen Kiefern und die Menge hält sich, gerade im Vergleich der Fäkalienmenge, in Grenzen und ist daher für das Start-Up auch ökologisch vertretbar. Es gibt sogar bereits eine Technologie, die ohne die Holzspäne funktioniert und bei den fest installierten Toiletten umgesetzt wird. Dort gibt es eine Art Förderband, welches die flüssigen und festen Stoffe gleich trennt und somit auch kein Geruch entsteht.

Selber finanzieren kann sich das Start-Up leider noch nicht. Doch mit Hilfe von Privatinvestoren und externen Finanzierungen kommen die zehn Mitarbeiter, die teilweise auch in Teilzeit arbeiten, einigermaßen über die Runden. Trotzdem rückt der Blick auch immer wieder ins Ausland. Mit dem Verein Non-Water-Sanitation treiben sie verschiedene Pilotprojekte voran und planen eventuell auch mit Ghana ein weiteres Land aufzunehmen.

Je mehr Aufmerksamkeit sie bekommen und somit ein Bewusstsein in unseren Köpfen schaffen, desto eher wird das Thema unsere Hinterlassenschaften vielleicht doch irgendwann eines, das sich auch am Esstisch diskutieren lässt und so zu einer nachhaltigen Lösung beigetragen wird.


(c) Alle Bilder von Eco Toiletten

Khala Kolumna – Folge 2

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Die Modenschau

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Wir machen es uns aber auch nicht leicht. Im Oktober kamen wir nach Malawi, um innerhalb von zwei  Monaten einen laufenden Betrieb aufzubauen und dann wieder nach Deutschland zu verschwinden. Die ersten Schritte, wie die Suche nach einer geeigneten Immobilie, der Einzug und das Einrichten des Ateliers, das Einstellen und Einarbeiten der Schneider und unserer Cutterin, schafften wir in drei Wochen. Parallel dazu galt es stets, einen Blick auf den deutschen Teil unseres Business zu halten. Mit Hubi, der Khala in München vertrat, machten wir Marketing, kämpften uns durch Bürokratie, bemühten uns, unsere Crowdfunder nicht zu vergraulen und kümmerten uns um die Bestellung neuer Arbeitsmaterialien.

Die Produktion in Malawi und der Vertrieb in Deutschland, das sind die beiden Teile von Khala, an denen wir seit Monaten arbeiten. In beiden Ländern sehen wir uns unterschiedlichen Herausforderungen gegenübergestellt. Ein Start-Up auf zwei Kontinenten zu gründen ist nicht einfach. Und immer wieder kommt es zu zusätzlicher Arbeit, die wir nicht
vorhergesehen haben.

Zuletzt mit dem Africa Fashion Festival. Um der Welt ihre Kreationen vorzuführen, kamen zu diesem Event Ende November Designer und Designerinnen aus allen möglichen afrikanischen und einigen europäischen Ländern in die Hauptstadt Malawis, Lilongwe. Zufällig fiel das Festival in die Zeit, in der auch Mel und ich in Malawi waren. Diesen Zufall hatten wir nicht nicht ungenutzt lassen wollen und uns noch im September von Deutschland aus für die Show angemeldet.

Es würde unsere erste professionelle Modenschau werden. Wir bekämen Models gestellt, die wir einkleiden würden und jede Menge Publicity im Heimatland von Khala. Unsere bisherigen Designs allein genügten dafür aber nicht. Obwohl wir andere Baustellen offen hatten, mussten wir also ein paar neue Kleidungsstücke aus dem Hut zaubern. Dieser Aufgabe nahm sich vor allem Mel an. Für unsere erste Kollektion hatten wir in München mit einem Designstudio zusammengearbeitet.

Gründerin von Khala Mel beim Second-Hand Shopping.

Back to the roots

Nun waren wir mit unseren Schneidern auf uns selbst gestellt. In einer lang andauernden Trial-and-Error-Phase versuchte sich Mel an neuen Entwürfen, während wir nebenher die Manufaktur zum Laufen brachten. Zunächst hatten wir falsche Vorbilder vor Augen gehabt, hatten an diese Bilder von Modenschauen mit abgedrehten Styles gedacht, die im richtigen Leben niemand trägt. Das Festival rückte immer näher und wir wussten nicht, was von uns erwartet werden würde. Irgendwann besannen wir uns darauf, dass wir kein Unternehmen gegründet hatten, um die Erwartungen der Modewelt zu erfüllen.

Also back to the roots: Khala macht Neo-traditional Streetstyle mit afrikanischen Chitenje-Stoffen. Wir begannen, unsere bestehenden Schnitte abzuwandeln und erweiterten unser Bomberjacken-Sortiment. Auf dem chaotischen Markt Lilongwes besorgte Mel Second-Hand-Jeans in Übergrößen. Es gibt hier auf den Märkten eine riesige Auswahl an gebrauchter Kleidung. Die Flut von Second-Hand-Kleidung, die die europäische Konsumgesellschaft auf die afrikanischen Märkte hereinbrechen lässt, stellt ein enormes Problem für die hiesige Textilwirtschaft dar. Durch den massenhaften Import billiger Kleidung aus westlichen Ländern, haben in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Schneiderinnen und Schneider ihre Arbeitsplätze verloren. Das ist einer der Gründe, warum wir Khala eigentlich machen.

Mel kaufte nun also die Jeans aus Europa und zerschnibbelte sie. Zusammen mit Frederic, unserem Chefschneider, kombinierte sie den freigewordenen Denim-Stoff mit Chitenje. Ein neues Bomberjacken-Design ward geboren. Auf ähnliche Weise upcyclete Mel alte Latzhosen. Die Kollektion wuchs. Ich leistete meinen Beitrag, indem ich meinen Traum einer Leinenjacke realisieren ließ. Von den Kleidungsstücken, die bei dem Prozess entstanden, wählten wir letztendlich 13 für die Modenschau aus.

Die Khala Fashion Show Kollektion.

Man gewöhnt sich an vieles

Seit dem Beginn unseres Aufenthalts war einige Zeit ins Land gezogen. Die häufiger werdenden Regengüsse kündeten von der nahenden Regenzeit. Wir waren in den Wochen in Malawi gewachsen, hatten Hoch- und Tiefphasen erlebt, uns oft in die Haare gekriegt und genauso oft wieder versöhnt. Wir waren mitgenommen. Unser Budget war längst im Minusbereich angekommen. Gleichzeitig hatten wir fünf Angestellte, die auf ihren Lohn angewiesen waren. Dieser Umstand veranlasste uns dazu, unsere Ansprüche so gering wie möglich zu halten und an allen Ecken und Enden zu sparen[1]. Das größte Sparpotential hatten wir bei unserer Unterbringung wahrgenommen. Mit drei jungen Malawiern bewohnten wir ein landestypisches, aus Lehmziegeln gemauertes Haus. Noch besser als uns Menschen, gefiel es dort der Rattenfamilie, die durch ein Loch in der Küchendecke das Zusammenleben bereicherte.

Man gewöhnt sich an Vieles. Der Magen-Darm-Trakt gewöhnt sich an den Genuss malawischen Leitungswassers. Und wir gewöhnten uns etwa daran, dass wir abends kein Licht hatten und manchmal kein Wasser,  dass auch zwei Bananen ein Abendessen sein können und dass, wenn es anfängt an den Beinen zu kribbeln, wohl wieder eine Ameisenkolonie ihre Route verlegt hat.[2]

Wir gingen davon aus, dass das African Fashion Festival ein wenig Abwechslung in diesen Alltag bringen würde. Der Tag kam. Mel und ich waren die ganze Woche im Stress gewesen. Zur Feier des Tages zickten wir uns kontinuierlich an. Der Abend brach herein, in unserem Viertel herrschte wieder Stromausfall. Die Zeit drängte. Mel hatte einen Spiegel von der Wand gehängt und schminkte sich im staubigen Vorhof unter den matten Strahlen der untergehenden Sonne. Ich zwängte mich währenddessen in die zu kleine Hose eines unserer Mitbewohner, da ich selbst keine saubere mehr hatte, die dem Anlass gerecht werden hätte können. Kurz darauf kam unser Chauffeur.

Die Unterkunft von Mel und Bene.

Die Spannung steigt

Als wir im Tuk-Tuk an dem Luxushotel vorfuhren, das den Veranstaltungsort des Fashion Festivals darstellte, verloren wir für einen Moment die Kontrolle über unsere Kinnläden. Wir befanden uns am edelsten Ort, den wir bisher in Malawi gesehen hatten. Ein roter Teppich markierte den Weg zu einem türkisfarbenen Pool, um den sich die schneeweißen Gebäude des Hotelkomplexes sammelten. Über den Pool hatte man eine Rampe gelegt, die den Laufsteg für die Modenschauen darstellte. Rundherum standen die noch lichten Stuhlreihen. Links neben dem Laufsteg wartete eine alte Nähmaschine auf ihren Einsatz bei einer Performance-Kunstdarbietung.

Ein Herr mit Dreadlocks nahm uns in Empfang und geleitete uns in den Backstagebereich, wo es bereits vor Models und DesignerInnen wimmelte. Wir mussten uns noch ein paar Models aussuchen und den Khala-Imagefilm aus dem Internet laden. Es war viertel nach fünf, als uns der Mann mit den Dreadlocks mit der Ankündigung  überraschte, dass wir um sechs Uhr die Ersten seien würden, ihre Kollektion zu präsentieren. Diesen Zeitdruck hätte es gar nicht unbedingt gebraucht, um die Spannung zu steigern.  Denn der nächste Schock ereilte uns beim Öffnen der Box, in der sich die Outfits für die Models befanden. Unsere Managerin hatte ihren Auftrag, die Kleidungsstücke zu reinigen und zu bügeln, offenbar nicht besonders ernst genommen. Glücklicherweise gab es in der Unterkunft der Models ein Bügeleisen, welches wir benutzen durften. Während Mel eine Technik dafür entwickelte, Hemden so zu tragen, dass sie ihre eigenen Flecken verdecken, rannte ich zum Bügeln. Zugegeben, die weitere Handlung ist ein wenig vorhersehbar.

Die Models lassen sich vom Chaos hinter der Bühne nichts anmerken.  Fotocredit: Luke De Borde

Wenn etwas schief läuft, dann aber richtig

Natürlich brannte ich ein Loch in eines der Outfits. Es war ein Jumpsuit mit einem Oberteil aus Chitenje und einer gelben Chiffon-Hose – eines der exklusivsten Stücke unserer Kollektion. Zu diesem Zeitpunkt machte es bereits keinen Sinn mehr, sich über irgendetwas zu ärgern. Ich überlegte kurz, ob ich der Symmetrie wegen auch ein Loch in das andere Hosenbein brennen sollte, entschied mich aber dagegen und schnitt die Hose über dem Brandloch kurzerhand ab. Der Jumpsuit endete im unteren Teil nun eben als Shorts. Weil ich nicht sauber geschnitten hatte, sah das eher so mittel aus. Inzwischen war Patrick eingetroffen, die gute Seele unseres Ateliers.

Jetzt kommt die Performancekunst-Nähmaschine ins Spiel.

Patrick nahm an der Nähmaschine am Pool platz. Vor ihm rutschte das Publikum auf seinen Sitzen herum. Es war bereits nach sechs. Der Dreadhead blieb ruhig: „Dann fängt die Show eben um halb sieben an“. In den Minuten, in denen Patrick das neue Jumpsuitdesign fertigimprovisierte, unterwiesen und koordinierten wir unsere Models, die Moderatoren der Show unterwiesen uns. Gespannt warteten wir auf Patrick, der sein Werk bald vollendet hatte und uns zufrieden das brandneue Design überreichte. Es konnte losgehen. Es war sieben. Malawisches sechs. Der minutenlange Höhepunkt der wochenlangen Vorbereitungen begann. Eines nach dem anderen, schritten die von uns eingekleideten Models über den Pool.

Eine erfolgreiche Modenschau für Khala. Fotocredit: Luke De Borde

Die Kollektion kam gut an. Mel hatte sich als Designerin bewiesen. In unserer kurzen Rede, die wir im Anschluss auf dem Runway hielten, erklärten wir dem Publikum, dass sich Khala als Kollektiv versteht, dass die Designs in Zusammenarbeit vieler verschiedener Menschen entstehen.

Der Jumpsuit war natürlich das erste Outfit, das nach der Darbietung bestellt wurde. Auch unsere Bomberjacken waren der Renner. Der Moderator der Show schlüpfte zu jeder Ankündigung in ein anderes der neuen Modelle, der Manager des Luxushotels kaufte uns am nächsten Tag eines ab, die Moderatorin bestellte Jacken für ihre ganze Familie. Mit den Erlösen würden wir unsere Produktion wieder eine Zeit lang finanzieren können.

„T.I.A.,“ sagen die jungen Leute hier, „This is Africa.“

[1] Keine Angst, nicht an der Produktion der Kleidungsstücke.

[2] Ans Weißbrot und ans Bier gewöhnt man sich allerdings nicht, kulturelle und kulinarische Aufgeschlossenheit hin oder her.


(c) Bilder von Benedikt Habermann

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