Wie ein Start-up mit dem Prinzip „Get One, Give One“ afghanischen Kindern den Zugang zur Schulbildung erleichtert
Der Wecker klingelt – wie immer viel zu früh. Was dann passiert ist jedem, der schon mal eine Schule besucht hat, vertraut: Es folgt ein Sprint vom Bett ins Klassenzimmer, begleitet von der Hoffnung, dass am Ende, dieses nicht ganz freiwilligen Workouts, keine Ex in Mathe wartet. Dann die Erleichterung, kein Test – Glück gehabt. Oder doch nicht? Denn was oft als Schrecken aus der Kindheit in Erinnerung bleibt, ist eigentlich ein Privileg und das hat einen Namen: Bildung. Sie ist ein Mittel, für unsere Selbstverwirklichung – beruflich wie privat.
Der Schulbesuch als Sprungbrett in ein selbstbestimmtes Leben ist im wohlhabenden Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Ganz anders in Afghanistan. In dem von Krieg und Terrorismus zerrüttenden Land, fehlt es an fast allem und ganz besonders an Geld. Tägliche Gewalt, Vertreibung und eine steigende Armutsrate von fast 40 Prozent hindern etwa jedes dritte afghanische Kind am regelmäßigen Schulbesuch. Wenn Bildung hier eines nicht ist dann selbstverständlich. Obaid Rahimi will das ändern. Dafür hat der 30-jährige Hamburger mit afghanischen Wurzeln das Projekt „Shoemates“, ein Online-Shop mit eigener Schuh-Kollektion, ins Leben gerufen.
Besonders ist daran, dass jedes Paar Schuhe nach dem Prinzip „Get One, Give One“ verkauft wird. Die Idee dahinter: Findet hierzulande etwa ein Paar Sneaker einen neuen Eigentümer, wird analog ein paar Schuhe an ein afghanisches Schulkind gespendet. Während das verkaufte Paar in Spanien oder Portugal produziert wird, wird das gespendete Paar wiederum dort produziert, wo es auch zum Einsatz kommen soll – also in Afghanistan. Fragt man warum, hat Obaid eine pragmatische Antwort parat: „Weil ich durch meine afghanischen Wurzeln direkten Kontakt in das Land habe und somit die richtigen Leute für das Unternehmen finden konnte. Mein Onkel ist dort in einer Menschenrechtsorganisation tätig und hat uns mit einem Produzenten und einer NGO zusammengebracht, die uns ganz genau sagen können, wer die Schuhe erhält und wann – das ist uns wichtig.“ Und zwar aus gutem Grund: So wird durch die lokale Produktion der Schuhe einerseits die Wirtschaft vor Ort angekurbelt, andererseits wird garantiert, dass die Spende auch dort ankommt, wo sie hin soll – nämlich bei den Schulkindern. Und die haben in gleich zweierlei Hinsicht etwas davon. Durch eine stärkere heimische Wirtschaft können sich mehr afghanische Familien die Mittel für den Schulbesuch ihrer Kinder leisten und die gespendeten Schuhe ermöglichen das Bestreiten des Schulweges durch unwegsames Terrain. Das ist nicht zu unterschätzen, in einem Land in dem Hochgebirge und Subtropen aufeinandertreffen.
Obaid hat Philosophie und BWL in Hamburg studiert und letzteres nochmal im Masterstudiengang an der Uni Passau. Dort ist in dieser Zeit auch die Idee zu shoemates entstanden. Zusammen mit seinen Kommilitonen Julia Jockwer und Marc Langener ist im Rahmen eines Gründungswettbewerbs und mit einem Startkapital von fünf Euro sowie der Gründung einer GbR das Projekt ins Rollen gekommen. „Wir hatten ein Semester Zeit um ein Unternehmen aufzubauen. Das lief viel besser, als gedacht. Wir haben es sogar geschafft Schuhe zu produzieren und zu verkaufen. Letztlich haben wir ein Preisgeld von circa 1.500 Euro gewonnen. Das haben wir reinvestiert, mehr Schuhe bestellt und 2015 eine GmbH gegründet. Alles ungefähr in einem Jahr,“ sagt Obaid. Ganz neu war die Idee nicht. Angelehnt ist Shoemates an Obaids weiterhin bestehendem Vorgängerprojekt „headmates„, bei dem aber keine Schuhe, sondern Mützen im Vordergrund stehen.
Für den Wechsel von der Mütze zum Schuh gibt es zwei wesentliche Gründe. Neben der Möglichkeit sie auch in kleinen Mengen vergleichsweise günstig herzustellen, ist es vor allem der Mangel an qualitativ brauchbaren Schuhspenden. „Schuhe werden tendenziell kaum gespendet, beziehungsweiße sind die Spenden in einem so schlechten Zustand, dass die Menschen, die sie benötigen, nicht sehr viel davon haben. Da gibt es eine große Nachfrage“, sagt Obaid. Um diese zu stillen, wurde neben den online angebotenen Schuhen, ein Spendenschuh entwickelt, der nicht modisch, sondern in erster Linie funktional ist. Wäre der Schuh zu modisch, bestünde zu leicht die Gefahr, dass er, anstatt getragen zu werden, weiterverkauft wird – damit wäre die Arbeit des Start-ups wirkungslos.
Man muss überlegen, was ein afghanisches Kind denkt, wenn es einen neuen Schuh bekommt. Habe ich ein neues Paar Schuhe oder etwas, dass ich verkaufen kann. Damit das nicht passiert, haben wir einen Schuh gewählt, der nicht modisch ist. Ein simpler, robuster Schuh in schwarz, der den Fuß komplett umgibt und absolut funktional ist – aber ohne Weiterverkaufswert.
Obaid Rahimi – Gründer von Shoemates
Anders sieht es bei der Produktion der Schuhe aus, die via Online-Shop vertrieben werden und die finanzielle Haupteinnahmequelle des Unternehmens sind. Wurden diese zu Beginn noch als White Label geordert und mit dem eigenen Markenemblem versehen, wird mittlerweile ein Designer beauftragt, mit dessen Zusammenarbeit bereits eine Vielzahl an Modellen entstanden sind. Dabei wird versucht einem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht zu werden, indem die Produktion 2017 vollständig von Asien nach Europa verlagert wurde und Rohstoffe wie Leder nur aus kontrollierter Herstellung bezogen werden. Um die dabei anfallenden Aufgaben bewältigen zu können, ist um shoemates ein fünfköpfiges Team entstanden.
In Zukunft hat das Team noch viel vor. Das nächste Ziel ist Eroberung des nordeuropäischen Marktes, bei dem die Niederlande den Anfang machen sollen. Auch das Team wird bald um zwei neue Mitarbeiterinnen wachsen. Langfristig sollen auch südeuropäische Länder zu Absatzmärkten werden. Vor allem im Online-Handel und seinen Prozessstrukturen sieht Obaid die Möglichkeit gegeben diese Ziele auch zu erreichen. „Damit kannst du Vieles mit wenig Aufwand erreichen“ – und für die Bildung lohnt sich das allemal.
(c) Titelbild: shoemates