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Khala Kolumna – Folge 3

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Back to Normality

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Dünner Regen tröpfelte aus einem grauen Himmel auf die weihnachtlich dekorierte Stadt. Mit Lametta umhangene Schaufenster, Menschen in dicken Winterjacken und festlich beleuchtete Restaurants zogen an mir vorbei. Im Radio trieben sie es auf die Spitze und spielten Phil Collins „Another Day in Paradise“. Ich hatte dieses Lied nie gemocht. Die Stimme meines Bruders, der das Auto lenkte, drang durch das Gewühl meiner Gedanken: „Was machst’n du, schläfst du?“

Am Vorabend war ich aus Malawi zurückgekommen und bewegte mich nun wieder auf europäischem Boden. Ich war zurück in der „Normalität“. Meine Heimatstadt hatte sich in den letzten Monaten nicht großartig verändert, doch nahm ich sie jetzt anders wahr. Zuviel war in der Zwischenzeit passiert.

Der Aufbau eines Unternehmens in Malawi ist ein steiniger Weg.

Wie aus Steinen im Weg Gebirge werden 

Zweieinhalb Monate war ich in Malawi gewesen, hatte dort mit Mel die Schneiderei aufgebaut, zum Laufen gebracht und für die Arbeit der kommenden Monate vorbereitet. Es war zehrend gewesen. Vieles von dem, was wir uns vorgenommen hatten, hatten wir erreicht, vieles andere nicht mehr geschafft. In einem der ärmsten Länder der Welt ein Business aufzubauen, ist kein einfaches Vorhaben.

Arm bedeutet, nach eurozentrischem Verständnis, wirtschaftlich wenig entwickelt zu sein. Darin liegt eine der größten Herausforderungen für Khala: zum Wirtschaften in Malawi fehlt es oftmals bereits an den Grundlagen. Dinge, die in Deutschland im Handumdrehen erledigt sind, wachsen in Malawi zu Mammutaufgaben heran. Für Besorgungen, die man in Deutschland an jeder Straßenecke erledigen kann, muss man in Malawi stundenlang die Stadt durchforsten oder das Gesuchte Wochen vorher aus dem Ausland bestellen. Die sehr lückenhafte Infrastruktur erschwert vieles. Dazu kommt eine oftmals andere Arbeitskultur, die selbst Behördengänge und Termine bei Institutionen bisweilen zu grotesken Schauspielen werden lässt. Nachdem ich mir etwa von zwei verschiedenen Anwälten die Machbarkeit des Vorhabens versichern lassen hatte, nahm ich die Eröffnung eines Bankkontos für Khala in Angriff. Es dauerte über eine Woche und verlangte mir die Odyssee durch die Büros der Filialleiter*innen verschiedener malawischer Banken in Verbindung mit hartnäckigem Hinterher-Telefonieren und dem Ausfüllen unzähliger Formulare ab, bis ich schließlich die relevante Information erhielt:

„Since you don’t have a residency in Malawi, opening an account will be very difficult.“ „Difficult or impossible?“
Zögern.
„Impossible.“

Rückschläge gehören dazu. Mel und ich tauschten uns mit vielen Unternehmerinnen und Unternehmern über die Schwierigkeiten des Geschäftslebens in Malawi aus. Dass es einem manchmal vorkäme, als würde man bei der Unternehmensgründung gezielt Steine in den Weg gelegt bekommen, vertrauten wir uns dem deutschen Manager einer Lodge am Malawisee an. Er riss die Augen auf. „Steine?“, schüttelte er energisch den Kopf, „Gebirge!“

Baut man in Deutschland ein Unternehmen auf, profitiert man vom Reichtum und der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Staates. In Malawi ist die Mission von Khala aber zunächst, bei der Schaffung wirtschaftlicher Entwicklung mitzuwirken. Insofern war es zwar frustrierend, aber kaum überraschend, wenn wir hilflos mitansehen mussten, wie aus dem steinigen Weg, der vor uns lag, immer wieder neue Gebirgsmassive entwuchsen.

In Malawi gibt es kaum wirtschaftliche Entwicklung und damit auch keine Aufstiegschance für die Menschen.

It’s another day for you and me in paradise

Man muss sich das noch einmal bewusst machen: Wir agieren in einem Land, welches das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen der Welt aufweist. Der Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen ist nicht jedem möglich. Die Menschen leben in der Regel von der Hand in den Mund. Dadurch, dass es kaum wirtschaftliche Entwicklung gibt, gibt es keine Aufstiegschancen. Die Misere der Menschen zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es für die meisten keinen Ausweg daraus gibt *.

In Deutschland haben die Menschen Chancen – das ist der Unterschied. Als Kinder der Mittelschicht können wir uns selbst erfinden. Wir können sein, wer wir sein möchten, Yuppies, Hippies, Karrieremenschen, Dauerstudierende, Reisende; wir können uns ausprobieren. Alle Türen stehen uns offen, wir müssen uns nur eine aussuchen.
In Malawi gibt es solche Türen kaum. Man ist gezwungen, die nächstbeste zu nehmen, sonst gibt es abends nichts zu Essen. Ein malawisches Mädchen kann das Zeug zur Gehirnchirurgin, IT-Beraterin oder Elektroingenieurin haben. Weil sie aber nur wenige Jahre zur Schule gehen wird und zur Verwirklichung einer Geschäftsidee nicht an Startkapital gelangt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie letztendlich am Straßenrand Tomaten verkauft. In unserer Welt entscheidet der Ort, an dem man geboren wird, darüber, ob man seine Potentiale als Mensch entfalten darf. Selbst, wenn die Tomatenverkäuferin niemals Gehirnchirurgin geworden wäre: was rechtfertigt es, dass sie nicht zumindest die Chance darauf bekommt?

„Für deutsche Unternehmen ist Malawi ein weißer Fleck auf der Landkarte – und das grundsätzlich mit Recht“, schreibt die Deutsche Industrie- und Handelskammer für das südliche Afrika verbittert. Dabei hat dieses Land Projekte wie das unsere so nötig. Es fehlen Investitionen, damit Malawi eine Konjunktur entwickeln kann, die unabhängig von Spendengeldern ist. Die Menschen brauchen Perspektiven, um Glauben an die Zukunft und ein Verständnis für Nachhaltigkeit zu entwickeln; wer nicht daran glaubt, dass sich je etwas ändert, dem ist auch egal, was morgen passiert. Sie brauchen Chancen, um ihre Talente zu nutzen und selbst etwas aufzubauen. Irgendwer muss damit anfangen, den Weg dorthin zu ebnen.

Viele Menschen in Malawi kennen Europäer nur aus dem Fernsehen, vorausgesetzt sie besitzen einen Fernseher. Im Fernsehen wohnen wir in weihnachtlich dekorierten Städten, tragen schicke Jacken und fahren Autos ohne Sprünge in der Windschutzscheibe. „Was machst’n du, schläfst du?“, drang die Stimme meines Bruders durch das Gewühl meiner Gedanken und vorbei an Phil Collins, der es im Radio auf die Spitze trieb: „Oh, think twice, ‚cause it’s another day for you and me in paradise.“

Khala Kolumna – Folge 1

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Das neue Atelier

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Benedikt Habermann ist unser Khala Kolumnist.

Ich muss mich kurz fassen. Seit vier Wochen sind Melanie und ich bereits in Malawis Hauptstadt Lilongwe. Es wäre einfacher, ein Buch über unsere Erlebnisse in dieser Zeit zu schreiben, als das alles in ein paar hundert Sätzen zusammenzufassen. Aber durch das Schreiben von Büchern ist, soweit ich weiß, noch niemand reich und berühmt geworden. Das Beste wird wohl sein, sich auf eine Episode zu beschränken.
„Sieben Uhr vierundfünfzig. Das schaffen wir nie.“ Wir begannen zu rennen. In unserer Unterkunft hatte es vorhin wieder keinen Strom gegeben, darum hatten wir keinen Kaffee machen können und das Haus ungedopt verlassen müssen. Zur Feier des Tages hatte ich mich schick gemacht, also ein Hemd angezogen. Auch Mel hatte sich rausgeputzt. Den Chitenje-Rock aus unserem Sortiment trug sie in Kombination mit einer weißen Bluse. Während wir nun durch die staubige Morgenhitze Lilongwes schnauften, um nicht zu spät zu unserem Termin zu kommen, bildeten sich dunkle Flecken auf unseren Outfits. Für acht hatten wir einen Termin bei George. Als wir ihn eine Woche zuvor in seinem Herrenhaus aufgesucht hatten, hatten wir uns um eine Viertelstunde verspätet.

Im Hinblick auf die Erfahrungen, die wir zuvor mit dem malawischen Verständnis von Pünktlichkeit gemacht hatten, hatte ich gedacht, das wäre voll im Rahmen. Doch George belehrte uns eines besseren. Vor seiner Pensionierung war er Politiker gewesen und hatte während seiner jahrzehntelangen Karriere einige preußische Tugenden verinnerlicht. Er war der erste Malawier, den wir kennenlernten, für den Zeit ein Thema ist. Unsere Verspätung damals hatte ihn erzürnt. Uns hingegen hatte es einigermaßen verwundert, dass wir es nun waren, die sich eine Predigt über Zeitmanagement anhörten. In den vorangegangenen Wochen nämlich, waren wir mit unseren Mitarbeitern immer ungeduldiger geworden und hatten bereits gemutmaßt, dass unser Anspruch, bei einem vereinbarten Termin weniger als eine Dreiviertelstunde warten zu müssen, etwas sehr Deutsches sei.

Das Verständnis von Zeit und Pünktlichkeit ist in Malawi tendenziell ein anderes. Man unterscheidet zwischen der Zeit, die die Uhr anzeigt und der „malawischen Zeit“, die einem sehr subjektiven Empfinden unterliegt. Die meisten Menschen haben hier genug Zeit. Man muss nicht sparsam mit ihr umgehen – anders als in den Industriestaaten, wo Zeit knapp und gleich Geld ist. Weil wir Georges Zeitverständnis nun kannten, rannten wir. Mel verfluchte ihre Schuhe. Erstaunte Blicke der Frauen, die am Straßenrand Bananen und Teigtaschen verkauften, wanderten uns hinterher. Wir waren so um Georges Gunst bemüht, weil er etwas hatte, das wir haben wollten: einen wunderschönen Raum mit großen Fenstern, die viel Licht hinein lassen und den Blick auf ein bisschen Grün im Garten gewähren. Der Raum befindet sich in einem Seitenflügel von Georges großem Haus und wir wollten ihn anmieten, um unsere Manufaktur dort einzurichten. Zu einem guten Preis, versteht sich.

Wir hatten zuvor einige Schwierigkeiten gehabt, einen geeigneten Raum zu finden. Grundsätzlich gibt es in Lilongwe genügend verfügbare Immobilien. Aber die Ansprüche an unseren Produktionsstandort stellten sich als nicht so leicht zu befriedigen heraus. Dazu muss man wissen, dass Lilongwe in verschiedene Bezirke aufgeteilt ist, die Areas. Die Verteilung der Areas stellt die Krönung des für Außenstehende undurchschaubaren Chaos dieser Stadt dar. Ein Bekannter brachte es vor Kurzem auf den Punkt, als er sagte, Lilongwe sei, als hätte man es aus einer Flasche geschüttelt. Area 1 ist neben Area 8, dann kommt Area 2. Neben Area 2 findet man tatsächlich Area 3, aber direkt daneben schon wieder Area 46. Das muss man halt so hinnehmen. Als Standort für unsere Manufaktur kamen allerdings nur bestimmte Areas in Frage. Es gibt die Reichen-Areas, die konnten wir uns nicht leisten. Es gibt Areas, die sind für unser Projekt zu gefährlich. Andere Areas sind für uns oder unser Team zu umständlich zu erreichen. Von den Areas, die grundsätzlich in Frage kamen, mussten wir einige ausschließen, weil die Stromversorgung dort zu oft zusammenbricht. Ein Problem, das in so gut wie allen Areas zum Alltag gehört.

Das neue Khala-Atelier.

Um es kurz zu machen: von den über fünfzig Areas in Lilongwe blieben genau vier übrig, in denen wir nach einem Raum für unsere Werkstatt suchen konnten. Das Internet ist hier bei der Immobiliensuche keine große Hilfe. In Malawi läuft alles über Connections. Wir hatten mehrere Bekannte auf die Suche nach Räumlichkeiten angesetzt. Einige von ihnen tauchten daraufhin unter. Ein anderer Kontakt, mit dem wir eine Woche lang hin- und hergeschrieben hatten, stellte sich als eine vollkommen andere Person, als erwartet, heraus. Schließlich entschieden wir uns für eine andere Strategie und engagierten einen Makler. Wir hatten unseren Makler als den Koch eines Backpacker Hostels kennengelernt. Es ist hier nicht ungewöhnlich, dass man mehrere Jobs hat. Die Leute müssen schauen, wo sie bleiben. Leider konnte auch der makelnde Koch keine befriedigenden Räume für uns ausfindig machen. Bis auf einen: Georges Raum.

Wir wollten diesen Raum unbedingt haben. Wir schleppten uns die letzten Meter in Georges Büro. Nichts anmerken lassen. Zufrieden streckte uns der betagte Mann sein Handy entgegen. 08:03 Uhr stand auf dem Display. „You worked on your time management“, triumphierte er. Die Verhandlungen der folgenden zwei Stunden gaben uns keine Möglichkeit, zu verschnaufen. Zumindest trocknete unsere Kleidung in dieser Zeit. Die Strapazen lohnten sich letztendlich. Wir konnten uns mit George einigen und einige Tage später damit beginnen, unsere Manufaktur einzurichten. Scheinbar hatte Einstein recht: Zeit und Raum stehen in Relation zueinander.

Creapaper – Papier aus Gras

Jährlich werden in Indonesien Wälder in der Größe der Schweiz gerodet und zu Papier verarbeitet – eine Firma in Hennef hat dafür eine Alternative: Graspapier.

In vielen Bereichen wird Nachhaltigkeit groß geschrieben: nachhaltige Kleidung, Essen und Carsharing. Was viele nicht im Blick haben: Papier. Der Papierverbrauch steigt kontinuierlich – auch in Deutschland. Hierzulande wird zwar sehr viel Altpapier recycelt, aber trotzdem ist Deutschland der zweitgrößte Zellstoffimporteur der Welt . Pro Kopf werden hier laut WWF 253 Kilogramm Papier verbraucht. Katastrophal für die Wälder dieser Erde. Ein Grund für den steigenden Verbrauch ist auch der Versandhandel. Immer mehr Produkte werden online bestellt und im Karton geliefert. Uwe D’Agnone hat dafür eine umweltschonendere Alternative entwickelt, auf die bisher niemand gekommen ist: Papier aus Gras, beziehungsweise aus Heu.

„Vor etwa sechs Jahren habe ich einen Bericht gesehen über die Rodung indonesischer Urwälder. Dabei wird jedes Jahr eine Fläche so groß wie die Schweiz für die Zellstoffgewinnung abgeholzt. Dieses Material wird überwiegend im asiatischen Raum eingesetzt. Das hat mich einfach schockiert“, sagt Uwe D’Agnone. Der gelernte Industriekaufmann hat schon immer im Bereich Druckerei und Papier gearbeitet und sich mit gerade Mal 28 Jahren mit seiner Firma Creapaper selbstständig gemacht. Trotzdem waren ihm – wie vielen anderen, die in dieser Branche arbeiten – die Ausmaße nicht bewusst. Doch D’Agnone blieb nicht in Schockstarre, sondern wollte etwas an der Situation ändern: dafür brauchte es einen neuen Rohstoff.

Papier aus Holz braucht sehr viel Wasser

Doch wie entsteht überhaupt aus einem so festen und harten Produkt wie Holz etwas leicht Zerstörbares wie Papier, Karton oder Toilettenpapier? Damit der natürliche Kleber, der das Holz zusammenhält, das Lignin, sich lösen kann und die Fasern separiert werden können, muss bei der Papierherstellung einiges an Chemie eingesetzt werden – und Wasser. Alleine um eine Tonne Holzzellstoff zu gewinnen, benötigt man zweieinhalb Tonnen Holz und 6000 Liter Wasser. Uwe D’Agnone hat sich daher auf die Suche gemacht und ist fündig geworden: Gras. Denn damit weniger Chemie und Wasser verbraucht werden, sollte es eine Pflanze sein, die nicht so hoch wächst und daher weniger Lignin enthält. Gras beziehungsweise Heu ist daher ideal und braucht nicht mal Chemie bei der Aufbereitung. „Bei der Grasfaser findet nur ein Trocknungsprozess statt. Daher braucht es nur zwei Materialien: Wasser und Energie. Aber eben nur zwei Liter Wasser pro Tonne für Grasfasern und drei Prozent der Energie im Vergleich zur herkömmlichen Papierherstellung, um den Zellstoff zu separieren“, erklärt er. Insgesamt beinhaltet die Grasfaser-Produktion somit nur ein Viertel der herkömmlichen Co2-Emissionen.

REWE nutz bereits das Graspapier für die Verpackung seiner Bio-Ware.

Der Rohstoff für das Graspapier ist immer eine Mischung aus 40 bis 60 Prozent Grasfasern, Altpapierfasern und/oder neuen Holzfasern. Die Grasfasern werden dann zu Pellets gepresst, um möglichst viel Volumen transportieren zu können, aber auch, damit die Papierfabrik sie direkt und einfach einsetzen kann. Genutzt wird das Graspapier für Kartons und bei Obstverpackungen, als Ersatz für Kunststoffe. Aber auch als ganz normales Schreibpapier und auch ein Toilettenpapier mit Grasfasern ist im Entstehen.

Das ökologischste Papier der Welt

Eine tolle Entdeckung – könnte man meinen. Die Reaktion der Papierbranche war aber verhalten. „Die Papierindustrie ist sehr konservativ und nicht ganz förderlich ist die Tatsache, dass die großen Player auf der Welt integrierte Papierhersteller sind“, sagt D’Agnone. Integrierte Papierhersteller, das bedeutet, dass diese Konzerne die Wälder besitzen, aus denen sie das Holz nehmen und auch die Papierfabrik, in der der fertige Karton hergestellt wird. Ein alternativer Rohstoff spielt in dieser Größenordnung keine große Rolle. Nur wenige wollten daher das Graspapier herstellen. Also änderte D’Agnone seine Taktik. Er ging mit den Testergebnissen nicht mehr zu den Papierfabriken, sondern direkt zu den Endkunden. Mit deren Aufträgen konnte er sich dann Zeitfenster in der Fabrik kaufen, um Produkte aus Graspapier zu produzieren. Der erste Kunde, der eingestiegen ist, war der Ottoversand. Mittlerweile sind aber auch Rewe, Penny, Norma und Aldi dabei. Im Februar 2018 hat D’Agnones Idee den IKU Innovationpreis für Klima und Umwelt 2017 des Bundesumweltministeriums gewonnen. „Das Thema ist jetzt wirklich anerkannt und man kann sagen, dass wir das ökologischste Papier auf der Welt haben“, sagt D’Agnone.

Uwe D’Agnone, der Gründer von Creapaper.

Das Heu für das Graspapier bezieht D’Agnone vor allem von den sogenannten Ausgleichsflächen. Flächen, die als Ausgleich für die Verdichtung von Straßen, Häuser und anderen Böden, oft in ländlichen Regionen, geschaffen werden. Die Landwirte bekommen für diese Flächen Geld – dürfen dort aber auch nichts anbauen und das Gras nur zwei bis drei Mal im Jahr mähen. Perfekte Bedingungen für das Graspapier. Denn das Gras ist meist zu lang, als dass es die Nutztiere noch fressen würden und wird höchstens noch für Biogasanlagen verwendet. Außerdem sind die Fasern geeigneter, je länger das Gras wachsen darf. 95 Prozent dieses Heus bleibt aber ungenutzt. Das Gras von städtischen Grünflächen können sie leider nicht nutzen: „Diese Flächen sind zum einen nicht besonders groß, zum anderen oft kontaminiert. Gerade weil wir viel im Bereich Lebensmittelverpackung machen, geht das nicht, wenn auf dem Gras Hundekot war“, erklärt D’Agnone.

Die Nachfrage steigt

D’Agnone versucht seine Anlagen zur Herstellung der Rohstoffpellets für das Graspapier immer in der Nähe der Papierfabriken anzusiedeln – damit das Heu aus der Region genutzt wird und keine weiten Transportwege nötig sind. Noch sind die Mengen zu klein, als dass sich der günstigere Rohstoffpreis auf den Papierpreis auswirkt, aber das Graspapier ist auch nicht teurer als normales Papier. Wenn die Produktion steigt, soll sich das auch in einem günstigeren Preis bemerkbar machen. Nachfrage gibt es auch aus dem Ausland und Uwe D’Agnone hofft ab 2019 auch auf dem amerikanischen Markt vertreten zu sein. Irgendwann kann er dann vielleicht auch wieder durch die Schweiz fahren ohne daran zu denken, dass genau diese Fläche jedes Jahr gerodet wird, um Zellstoff zu produzieren, sondern immer noch ein Urwald in Indonesien ist.


(c) Alle Bilder: Creapaper

Brot am Haken – Freude schenken

Etwas geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten – auch an Fremde. Der Verein Brot am Haken macht das mit einfachen Mitteln möglich.

Es ist ein normaler Montagmorgen in einer Bäckerei in München. Ein Kunde kommt herein. Er bezahlt zwei Brote – das zweite bleibt aber hinter der Theke, nur der Bon wandert an  eine kleine Holztafel mit einem Haken daran. Einige Stunden später kommt eine Kundin herein, sieht den Bon, nimmt ihn vom Haken und reicht ihn der Verkäuferin. Sie bekommt das bereits bezahlte Brot. Ist sie bedürftig? Eine Studentin? Alleinerziehende Mutter? Oder hat sie nur ihren Geldbeutel Zuhause vergessen? „Das ist uns egal. Ganz nach unserem Motto ‚Freude schenken‘ soll es ein Geschenk für jeden sein – nicht nur für Bedürftige“, sagt Michael Spitzenberger, Gründer von Brot am Haken.

Gründer von Brot am Haken: Michael Spitzenberger. 

Im Mai 2015 wurde das erste Brett in München aufgestellt – mittlerweile sind es 50 in ganz München. Zuvor hatte Michael als gelernter Hotelkaufmann in der Immobilienbranche gearbeitet, sich dann aber auf die Suche nach einer Arbeit mit Sinn gemacht. Sein großes Vorbild: Professor Faltin, der Initiator der Teekampagne. Bei seinen Recherchen stieß er auf Brot am Haken in Hamburg. Das Ehepaar Hekmet und Sören Özer hatten die Idee aus der Türkei mitgebracht, wo bei einem Bäcker die bezahlten Brote in einen Beutel gesteckt wurden, aus dem sich die Leute bedienen konnten. Aus dem Beutel wurde bei dem Ehepaar ein Brett mit drei Haken: Kaffee, Kuchen, Brot. Die Idee hinter dem Brot am Haken ist aber eigentlich noch älter. Sie stammt aus Italien, genauer gesagt aus Neapel, wo der caffè sospeso ein alter Brauch ist.

2015 hat Michael dann die Idee und das Design in München zusammengebracht und sein erstes Brett in der Bäckerei Neulinger aufgestellt. Das war aber gar nicht so einfach. Denn die Idee das Brett mit den Infomaterialien für einen Starterpacket-Preis zu verkaufen, kam nicht so gut an. „Ich habe dann gefragt, ob er es ausprobieren würde, wenn es nichts kostet, und dann war er dabei“, sagt Michael. Denn so ein Brett bringt nicht nur Mehreinnahmen, sondern vielleicht auch bedürftige Menschen von der Straße in das Geschäft – und da sind einige Ladenbesitzer erst einmal skeptisch. Ein halbes Jahr stand dann das erste Brett dort auf Probe. Durch seine Kontakte und seine offene Art, brachte Michael das Thema unter die Leute und gewann weitere Bäckereien und andere Geschäfte dazu, wie einen Friseur, ein Kosmetikstudio und einen Dönerimbiss.

So viele Bons wurden innerhalb eines Jahres in der Bäckerei Neulinger an den Haken gehängt.

Anfangs ist Michael seiner Hauptbeschäftigung noch nachgegangen, aber irgendwann musste er sich entscheiden. Er beschloss sich ganz Brot am Haken zu widmen und bezog gemeinsam mit seinen Mitstreitern die ehemaligen Räumlichkeiten der Giesinger Brauerei. „Das hier ist ein Ort, an den die Leute wiederkommen, wo Menschen eintreten können und einen Raum der Begegnung vorfinden. Die Tür ist immer offen“, sagt Michael. Woran sie gerade noch arbeiten sind bessere Strukturen, mit denen die Initiative wachsen kann. Dann kann sich Michael auch vorstellen Minipraktika für Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben, anzubieten. Und eine weitere Idee von ihm ist, dass eine Seniorin aus der Nachbarschaft für alle kocht – so eine Art Nachbarschafts-Mittagtisch für mehr Gemeinschaft und gegen Altersarmut. Möglichkeiten gibt es viele und Michael hat noch viele Ideen. Doch dafür braucht es auch eine solide Finanzierung und an der arbeitet er gerade. „Es stehen zwei Ideen im Raum, wie wir da künftig vorgehen wollen. Bis das entschieden ist, bleibt es aber erst mal wie bisher“, sagt er.

Eine der vielen Ideen, die Michael so im Kopf herum geistern, ist auch schon auf dem Weg. Das Projekt „Unser täglich Brot“, das den Wettbewerb „Innovative Ideen zur Vermeidung von Lebensmittelverlusten“ des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forschen im Februar 2018 gewonnen hat, will übrig gebliebenes Brot vom Tage retten. Eigentlich keine neue Idee. Aber es geht nicht nur darum, das Brot bei den Bäckern abzuholen und weiterzugeben, sondern es in Form von Catering einen neuen Wert zu geben. „Es geht darum ein Bewusstsein zu schaffen. Denn die Frage ist auch, was wirklich frisch ist, wenn die Bäckerei bereits um zwei Uhr morgens beliefert wird. Alte Ritter sind auch zehn Tage alt – Semmelknödel 20 Tage. Sauerteigbrot muss sogar meist reifen und schmeckt erst nach ein paar Tagen gut. Es geht also darum, es geschickt in einen anderen Kontext zu bringen“, sagt Michael. Die Idee war schon recht weit gereift, da wurde Michaels Geschäftspartner krank. Bis er wieder einsatzfähig ist oder sich ein weiterer Partner findet, wird Unser täglich Brot erstmal hintenangestellt.

Ein Teil des Brot am Haken-Teams (v. li. nach re.): Michael Regnet, Vincent Lang, Michael Spitzenberger.

„Gerade bin ich sehr mit Brot am Haken beschäftigt und möchte erst die eine Sache mit einer richtigen Struktur versehen. Wir wollen bekannter werden, aber dabei nicht die ursprüngliche Idee verlieren. Denn wenn ein Unternehmen wächst, dann wird auch der Druck größer erfolgreich zu sein – und das ist nicht wirklich Sinn der Sache. Es geht also vor allem um eine Standardisierung des Systems und nicht des Menschen“, sagt Michael.


(c) Alle Bilder: Sebastian Preiß

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