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relaio.de

Die Plattform für nachhaltiges Unternehmertum

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Mach´s gut, relaio!

relaio, die Plattform für gesellschaftlichen Wandel stellt den Betrieb ein. Aber auf anderen Websites der Hans Sauer Stiftung geht es weiter… 

Wie soll eine Gesellschaft aussehen, die ein gutes und gerechtes Leben für alle schafft und dabei die Belastungsgrenzen unseres Planeten achtet? Welche Werte, Praktiken und Technologien müssen sich ändern, damit wir die Welt und die Gesellschaft in der wir leben, nachhaltig gestalten können? Und wer sind diejenigen, die dazu beitragen können?  

Mit diesen Fragen beschäftigte sich relaio zuletzt. Und hat versucht Antworten darauf finden: relaio hat Wissen geliefert, wie gesellschaftlicher Wandel funktionieren kann und dabei Hintergründe und Konzepte zu aktuellen Themen aus Forschung und Gesellschaft beleuchtet. Wie sich Innovationen in der Gesellschaft verbreiten wurde dabei ebenso thematisiert, wie die Probleme der kapitalistischen Produktionsweise oder die Unzulänglichkeiten einer Circular Economy. relaio hat aber auch Lösungsansätze vorgestellt und Vorbilder interviewt, die demonstrieren, wie gesellschaftlicher Wandel gelingen kann. Sowohl Nischenakteur*innen wie das „Penthaus à la Parasit“ als auch renommierte Wissenschaftler wie Volker Quaschning kamen hier zu Wort. relaio wollte so auch seine Leser*innen dazu ermutigt, sich selbst als Gestalter*innen des Wandels miteinzubringen. 

Menschen dazu zu bewegen, sich einzusetzen und ihnen das hierfür nötige Wissen mitzugeben, war seit jeher das Ziel dieses operativen Projekts der Hans Sauer Stiftung. Es steht damit in der gedanklichen Tradition des Erfinders, Unternehmers und Stifters Hans Sauer, der bereits 1987 das „DABEI-Handbuch für Erfinder und Unternehmer“ erarbeitet hat, um Menschen einen Leitfaden für die Umsetzung von Innovationen an die Hand zu geben. Der Stifter beschäftigte sich daraufhin in den 1990er Jahren mit dem Thema der erfinderischen Kreativität und deren Beitrag zu einer funktionierenden „Ko-Evolution“ von Mensch und Natur. Seine Tochter Monika Sachtleben veröffentlichte 1999, drei Jahre nach dem Tod des Stifters, zu diesem Thema das Buch „Kooperation mit der Evolution“. Diese Veröffentlichungen lieferten die Wertedimension, die die Arbeit von relaio prägten: Die Förderung von technischen und sozialen Innovationen, bei denen der gesellschaftliche Nutzen im Vordergrund steht.  Eine digital erneuerte Version des „DABEI-Handbuch“ entstand 2009, die sich noch stark am Aufbau des ursprünglichen Handbuchs orientierte. Zeitweise wurde das Projekt dann am LMU Entrepreneurship Center in München weiterbearbeitet, wobei vor allem der aktuelle Wissensstand rund um das Thema „Nachhaltig Wirtschaften“ erarbeitet wurde. 2012 wurde dann das DABEI-Handbuch „digitalisiert“ und thematisch grundlegend ergänzt und für eine breitere Zielgruppe zugänglich gemacht.  Dies legte den Grundstein für das Projekt relaio, das als „Ideengarage“ gestartet wurde und dann 2015 als Plattform für nachhaltiges Unternehmertum online ging.  

Im Laufe der Zeit gewannen dabei aktuelle Themen der Stiftungsarbeit wie Social Design, Stadtentwicklung und Cirular Society immer mehr an Bedeutung. Diese Themen sind aktuell die Schwerpunkte der Stiftungsarbeit geworden und werden nun auch redaktionell auf- und beabeitet. Wer die Stiftungsarbeit also weiterhin verfolgen möchte, ist herzlich eingeladen dies auf www.socialdesign.de zu tun.  Die Seite relaio.de wird daher nicht weiter aktualisiert, bleibt aber in ihrer aktuellen Form erhalten. Die Plattform hat viele angehende Sozialunternehmer*innen und Pioniere des Wandels begleitet, ihnen Wissen zur Verfügung gestellt und versucht, ihnen neue Richtungen aufzuzeigen, die hierfür erarbeiteten Inhalte sollen daher auch anderen noch zur Verfügung stehen.  
An dieser Stelle möchte sich relaio zudem bei allen Leser*innen, Interviewpartner*innen und ehemaligen Mitarbeiter*innen bedanken – ohne euch wäre diese Plattform nicht so bunt, vielseitig und spannend geworden.  

Für uns heißt es jetzt aber Abschied nehmen, mach´s  gut relaio! 

„Das Fatalste, was man machen kann, ist, einfach nichts zu tun“

Wer erfolgreich etwas gegen den Klimawandel unternehmen will, sollte vor allem eines tun: handeln – Im Interview mit Volker Quaschning. 

Junge, demonstrierende Schüler*innen, die unter dem Motto Fridays for Future auf die Straße gehen, gehören mittlerweile zum gewohnten Bild vieler Städte – weltweit. Vor allem eine Forderung wird dabei immer wieder laut: Tut endlich etwas gegen die Zerstörung unserer Erde! Es ist ein dringender Appell und der scheint keineswegs unbegründet zu sein. Denn Industrialisierung und Globalisierung, brachten nicht nur Wohlstand, sondern auch Feinstaub, Klimaerwärmung und Artensterben. Grund zu handeln also. Das weiß auch Volker Quaschning, Professor für das Fachgebiet Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Wir haben mit dem Unterstützer der Schüler*innen-Proteste und Mitinitiator von Scientists for Future über fehlenden Mut in der Politik, das richtige Setzen von Prioritäten sowie über die Bedeutung aktueller Klimaschutzbewegungen gesprochen.

relaio: Herr Quaschning, wenn man Sie auf der Straße fragen würde, was denn das Problem sei mit dem Klimawandel: Was würden Sie entgegnen?

Volker Quaschning: Das Problem ist so groß, dass man es kaum in wenige Sätze packen kann. Aber was würde man sagen? Das Problem ist, dass unsere Kinder in der zweiten Hälfte ihres Lebens vor unlösbaren Existenzschwierigkeiten stehen, wenn wir so weiter machen wie bisher und dass wir sehr schnell handeln müssen. Man kann dann natürlich nochmal anfangen, die wissenschaftlichen Ursachen für den Klimawandel zu erläutern, dass wir also enorme Mengen an Treibhausgasen ausstoßen, die nachweislich das Klima bereits verändern. Dadurch gibt es bereits einen Temperaturanstieg um ein Grad Celsius, was ungefähr ein Drittel des Temperaturanstiegs seit der letzten Eiszeit bedeutet. Der Unterschied: damals dauerte das Jahrtausende, nun geschieht das gleiche im Expresstempo in nur einhundert Jahren. Diesen dramatischen Temperaturveränderungen werden die Ökosysteme unseres Planeten nicht folgen können.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe des „Münchner Klimaherbst“ haben Sie vor vollen Rängen des Audimax der technischen Universität München einen Vortrag über die gegenwärtige Klimapolitik gehalten. Das öffentliche Interesse zu Klimafragen ist also da.

Das ist ja das Schöne! Da sind wir schon mal viel weiter als vor einem Jahr. Da wären bei dem gleichen Vortrag vielleicht ein Zehntel der Leute gekommen.

Sie haben dort gesagt: „Wenn ein nachhaltige Klimapolitik zukünftig scheitert, dann kommen die Niederländer nach Bayern.“ Wie muss man das verstehen?

Durch den Klimawandel gibt es verschiedene Veränderungen. Die muss man versuchen bildlich darzustellen. Eine der Veränderungen wird es sein, dass der Meeresspiegel ansteigt. Langfristig sind bis zu 70 Meter möglich. Das wird natürlich nicht in den nächsten zehn Jahren passieren, sondern sich über Jahrhunderte hinstrecken. Aber es gibt Veröffentlichungen, die besagen, dass wir gegen Ende des jetzigen Jahrhunderts durchaus einen Anstieg von einem oder zwei Metern erreichen können. Einen Meter werden die Niederländer mit Deichen noch hinkriegen, aber bei bei drei bis vier Meter plus sind diese Gebiete einfach weg. Die Menschen, die dort wohnen, werden sich dann einen anderen Lebensraum suchen müssen. Niederländer in Bayern wären dann wohl noch das kleinere Problem. Durch den Anstieg des Meeresspiegel werden aber generell sehr viele Lebensräume zerstört werden und die Menschen, die dort wohnen, müssen sich eine neue Heimat suchen.

„Das Problem ist, dass unsere Kinder in der zweiten Hälfte ihres Lebens vor unlösbaren Existenzschwierigkeiten stehen“, sagt Volker Quaschning.  (c) Silke Reents

In Ihrem Vortrag haben Sie noch von dem Problem der Nahrungsmittelknappheit gesprochen.  

Genau! Nahrungsmittelknappheit ist auch für mich insofern spannend, da mir erst im letzen Sommer bewusst geworden ist, um welches Problem es sich hierbei handelt. In diesem Sommer hatten wir in Deutschland eine extreme Dürre inklusive 30 Prozent Ernterückgang. Vor einigen Jahrhunderten hätte das eine Hungersnot zur Folge gehabt. Man konnte damals nur regional Nahrungsmittelengpässe ausgleichen. Das heißt, unter diesen Umständen hätten wir ein massives Problem gehabt. Wenn das Szenario eintritt, dass global, gleichzeitig mehrere Regionen von so einer Dürre betroffen sind, dann kann es auch heutzutage eng werden. Dann geht ein Kampf um knappe Lebensmittelressourcen los. Das sind Szenarien, die man sich dann doch lieber nicht vorstellen möchte. Unwahrscheinlich ist es aber eben nicht, dass so etwas in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts passiert.

Aber sind die Folgen des Klimawandels nicht auch schon heute bemerkbar? Oder wollen wir sie vielleicht erst gar nicht bemerken?

Es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten, wie man auf diese Folgen reagiert. Man erstarrt beispielsweise vor Angst und verfällt in Steinzeitreflexe. Es ist, als käme der Säbelzahntiger und man fühlt sich zu schwach, um gegen ihn zu kämpfen. Dann lässt man entweder alles über sich ergehen oder man bildet sich einfach ein, es gäbe gar keinen Säbelzahntiger und hofft, dass alles irgendwie gut ausgeht. Die andere Möglichkeit ist aber, einen Versuch des Handelns zu unternehmen. Die meisten bleiben jedoch bei den Varianten eins oder zwei. Genauso trifft das auf den Klimawandel zu und das, indem man versucht, das Problem einfach klein zu reden. Wir befinden uns aber nicht mehr in der Steinzeit. Das heißt, wir sind mit der Wissenschaft in der Lage Probleme zu bewerten und zu analysieren. Die Wissenschaft kommt dabei zu einem ganz klaren Urteil: Der Säbelzahntiger ist tödlich.

Können wir diesen Säbelzahntiger überhaupt noch bezwingen?

Wenn wir noch ewig diskutieren, ob der Klimawandel wirklich ein Problem ist, dann ist es halt irgendwann zu spät. Das ist das Problem, das wir haben. Anderseits wissen wir, was wir machen müssen. Das heißt: unser Hauptproblem ist die Nutzung fossiler Energieträger – also Öl, Kohle und Gas. Wir wissen aber auch, dass wir das mit erneuerbaren Energien lösen können. Die Technologien dazu sind  bezahlbar, das heißt, wir könnten uns den Umstieg auch leisten. Das ist eigentlich das Fatale: es gibt eine rettende Strickleiter auf den Baum, aber wir bleiben einfach sitzen. Sie nicht zu erklimmen ist zwar bequemer, aber langfristig gesehen nicht besser. Es fehlt also am Handeln. Ich hoffe aber immer noch, dass der Mensch intellektuell in der Lage ist, dieses Problem zu erkennen und demnach zu handeln. Gerade in der Wissenschaft ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen und zu kämpfen.

Wie würden Sie als Wissenschaftler so eine Strickleiter beschreiben?

Wir sagen: bis 1,5 Grad Temperaturanstieg haben wir zwar auch schon Klimaveränderungen, jedoch lassen sich diese noch ausgleichen. Das heißt: der Klimawandel ist schon da, aber in einem Maße, in dem er beherrschbar ist. Über einem Anstieg von 1,5 Grad hinaus wird es aber schon bei jedem zehntel Grad Temperaturanstieg bedeutend schlimmer werden. Wann genau so ein Anstieg für die Menschheit unbeherrschbar wird, ist nur schwer zu sagen. Manche meinen, dass es schon ab diesen 1,5 Grad schwierig wird. Andere hingegen sagen, dass man ab einen Temperaturanstieg von zwei Grad große Teile des Planeten noch einigermaßen gut beherrschen könne. Bei zwei Grad verschwinden aber bereits einige Inselstaaten. Davon abgesehen, werden dann die Probleme größer. Das muss man ganz klar sagen. Meine Empfehlung ist es, Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen und jedes Jahr, in dem wir warten, macht das Problem nur größer. Das Fatalste was man machen kann, ist, einfach nichts zu tun. Man sollte lieber nicht ganz die richtigen Maßnahmen treffen, als einfach nichts zu tun und auf zukünftige Innovationen zu hoffen.

„Wenn wir noch ewig diskutieren, ob der Klimawandel wirklich ein Problem ist, dann ist es halt irgendwann zu spät.“ (c) Silke Reents

Unter den erneuerbaren Energien sind vor allem Solar- und Windenergie am günstigsten. In Sachen des Erssetzens gibt es nur ein Motto: bauen. Dabei kann man eigentlich nichts falsch machen. Andere Baustellen, die es zu lösen gilt, sind dann noch etwa die Abholzung von Regenwäldern oder die nachhaltige Ernährung der Bevölkerung. Bei diesen Problemen tragen auch wir ein Mitschuld. Etwa indem wir die Futtermittel für unsere Schweine und Co. von dort beziehen. Das heißt, wir müssen unser Konsumverhalten ändern. Das wäre sogar relativ einfach. Etwa, indem man Fleisch nur noch am Sonntag und möglichst hochwertig isst.

Das Motto muss also lauten: Verantwortung und Verzicht?

Meine Familie und ich sind erst auf eine vegane Ernährung umgestiegen. Ich empfinde diesen Umstieg aber nicht als Verzicht. Sich vegan zu ernähren ist viel leichter, als ich gedacht habe. Es gibt einfach ein paar andere Rezepte und man probiert einfach Neues aus. Momentan ist es eher spannend. Man muss es aber eben machen. Das gilt auch beim Fliegen. Da habe ich einfach für mich entschieden, dass ich nicht mehr fliege. Es gibt trotzdem weiterhin super Urlaubsziele. Ich weiß gar nicht mal, ob man verzichten muss, sondern vielmehr nur seine Lebensgewohnheiten verändern sollte. Ich erwarte ja nicht, dass man wieder zurück in die Steinzeithöhle geht. Die Lebensgewohnheiten sollen sich ja nicht verschlechtern, aber man muss schon an gewissen Punkten, gewisse Prioritäten ändern.

Prioritäten ist ein gutes Stichwort: In der deutschen Klimapolitik scheinen diese ja nicht allzu gut verteilt zu sein. Zumindest war das Fazit Ihres Vortrags: „deutsche Klimapolitik nicht besser als bei Trump“: Sind wir zu langsam?

Genau, das sind wir eindeutig! Wenn wir weiter machen wie bisher, brauchen wir 200 Jahre für die Energiewende – uns bleiben aber nur noch 20. Im Prinzip ist das, was wir hier machen richtig, nur das Tempo stimmt eben nicht. Unser Handeln ist also in einer gewissen Art und Weise schizophren. Es ist fast so, als würde man sagen: Naja, dann machen wir jetzt bisschen weniger Klimaschutz, dann ist die Welt eben ein wenig später gerettet. Aber so funktioniert Klimaschutz nicht. Es ist wie bei einem brennenden Haus: Will man es löschen und schüttet zu wenig Wasser hinein, ist der Schaden zum Schluss viel größer, als würde man von Vornherein einen ordentlichen Löschversuch unternehmen.

In einem YouTube-Post finden Sie das im September vorgeschlagene Klimaschutzprogramm der Bundesregierung „zum Kotzen“. Prägnante Eckpunkte darin sind etwa eine CO2-Bepreisung bei gleichzeitiger „Entlastung von Bürgern und Wirtschaft“: Was ist daran so problematisch?

Naja, eine CO2-Bepreisung ist schon sinnvoll. Das allein reicht aber nicht aus, um das Klima zu retten. Zudem wäre ein Begriff wie die Schweizer Lenkungsabgabe der bessere Ausdruck. Denn so eine Bepreisung soll die Leute so lenken, dass sie von einer CO2-intensiven zu einer CO2-ärmeren Lebensweise gehen. Dazu muss es erst einmal Alternativen geben, zu denen man hinlenken kann. Die Hauptalternative, die wir brauchen, ist die Windenergie, im Klimapaket steht jedoch, dass der Abstand von Windrädern zu Gebäuden erhöht werden soll –  was de facto dazu führen wird, dass weniger Windräder gebaut und in Betrieb genommen werden. Das heißt: Die Alternativen, die wir brauchen, finden in diesem Klimapaket gar nicht statt. Die vorgeschlagene CO2-Bepreisung ist zudem viel zu günstig. Experten sagen: erst ab 50 bis 60 Euro pro Tonne CO2 ist diese in Ansätzen sinnvoll.

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Schweden ist bereits bei über 100 Euro pro Tonne angekommen und selbst die sind noch nicht auf dem Weg, den wir bräuchten, um Klimaschutz erfolgreich umsetzen zu können. Wir fangen mit zehn Euro pro Tonne an und wollen damit unsere Verfehlungen der letzten Jahre im Expresstempo aufholen – da kann man nur müde lächeln. Da geht es einfach nur darum, zu zeigen, dass man etwas unternimmt. Auf der anderen Seite gibt es die Populisten, die das Thema ausschlachten. Die AfD etwa bietet eine sehr einfache Wahrheit an. Demzufolge gibt es gar keinen Klimawandel. Man bräuchte gar nichts tun, alles andere wäre Irrsinn und Abzocke. Diese „Wahrheit“ verfängt sich bei einigen und die regierenden Parteien haben anscheinend viel mehr Angst vor diesen Menschen als vor dem Klimawandel selbst. Das finde ich fatal: Ein Schiff geht unter und man hat mehr Angst vor dem pöbelnden Koch als vor dem Untergang des Schiffes. Daran sieht man, dass die Prioritäten völlig falsch gesetzt sind und dass die verantwortlichen Politiker das Problem offensichtlich gar nicht verstanden haben.

Aber wie entgegnet man solchen einfachen Wahrheiten?

Wichtig ist erst einmal, dass dieses Hin und Her aufhört. Man hat ja gar kein schlüssiges Konzept. Ein Beispiel ist etwa Bayern. Ich war in München bei der bayerischen Landesregierung und habe mir das bayerische Energiekonzept angeschaut. Das ist nicht viel besser als das der AfD. Im Gegensatz dazu leugnet die CSU vielleicht nicht den Klimawandel als Problem, aber gleichzeitig soll es damit gelöst werden, dass keine weiteren Windräder gebaut werden. Zudem wird versprochen, dass aus der Atomenergie ausgestiegen wird, gleichzeitig sollen aber keine Stromtrassen durch das Land gehen. Das ist reiner Populismus. Das merken die Leute auch. Deswegen wäre es einfach gut, wenn man einen überparteilichen, nationalen Konsens schafft, und sagt: diese bestimmte Anzahl an Windrädern muss gebaut werden und zwar aus klimagerechter Hinsicht, überall und nicht nur vereinzelt. Dann kann man durchaus diskutieren, wo Windräder in einer Kommune stehen, aber nicht, ob sie überhaupt stehen sollen. Das muss man entsprechend kommunizieren. Ein anderes Beispiel ist etwa Thüringen. Da hat nicht nur die AfD, sondern auch die CDU gegen Windenergie plakatiert. Noch absurder ist, dass dabei oftmals zu hören ist, dass Windrädern etwa den schönen Thüringer Wald zerstören. Kommen aber diese Windräder nicht, ist in ein paar Jahrzehnten der komplette Thüringer Wald sowieso im Eimer. Dann gibts da gar keinen Wald mehr.

Man könnte das dann ja schon fast als Selbstzerstörung begreifen?

Das ist ein bisschen fatalistisch. Ich denke einfach, dass vielen Leuten vor Ort die Folgen des Klimawandels nicht bewusst sind. Was auch dadurch zustande kommt, das auch online viele Pseudowahrheiten verbreitet werden. Da muss man einfach mehr aufklären. Es ist unsere Aufgabe, das in der Wissenschaft zu tun.

Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung beinhaltet einen Masterplan Ladesäuleninfrastruktur, der die Schaffung von insgesamt einer Millionen Ladepunkten bis 2030 vorsieht. Für dessen Umsetzung soll auch mit den „Automobilherstellern und der Energiewirtschaft“ gesprochen werden. Ist das eine gute Idee?

Das ist immer die Frage: Will man das oder will man das nicht? Im Falle der Ladesäulen steigen jetzt Unternehmen ein und versuchen damit, maximalen Profit zu erzielen. Vielleicht muss man sich aber auch wieder von dieser Wirtschaftsdominanz lösen. Vielleicht auch deshalb, da sonst etwa Ladesäulen, ähnlich wie beim Handynetz geschehen, wieder nur an stark frequentierten Stellen zu finden sind und die Leute auf dem Land das Nachsehen haben. Zudem wird mit viel zu hohen Preisen abgezockt. Sowas müsste die Politik komplett unterbinden. Infrastruktur ist Staatsaufgabe, dann muss man auch mal bereit sein, Steuern für eine bessere Infrastruktur zu erhöhen. Auch als Gesellschaft muss man dann vielleicht mal über die eigenen Prioritäten reden. Ob man eben nochmal ein paar Euro mehr für den Urlaubsflug bekommt oder ob man sagt: bessere Schulen und die Energiewende sind dann auch Sachen von denen ich irgendwie profitiere.

„Die Hauptalternative, die wir brauchen, ist die Windenergie.“ (c) Mika Baumeister

Der Staat übernimmt also nicht genug Verantwortung, wie er eigentlich übernehmen sollte und die Industrie investiert zu wenig?

Die Industrie versucht das zu machen, was maximal ökonomisch ist. Das sind einfach die Grundbedingungen. Man rechnet durch und was am meisten Rendite bringt, das wird getan. Der Staat trägt hier eine sehr große Verantwortung, indem er regulierend eingreift. Und zwar indem man eben Umweltbelastungen mit Abgaben belegt. Das traut man sich momentan aber einfach nicht – in allen Bereichen.

Und verbaut sich so die eigene Zukunft?

Genau! Man erkennt zwar das Problem, aber handelt nicht. Das sehe ich auch bei meiner Arbeit. Im öffentlichen Bereich irgendetwas durchzusetzen, ist so unendlich langwierig, dass man meist nach einem Jahr aufgibt. Das liegt vielleicht auch an unserer alternden Gesellschaft. Das heißt, je älter eine Gesellschaft ist, desto mehr Beharrungskräfte hat man und die junge Aufbruchstimmung geht komplett verloren. Man kann auch sagen, die Jungen wollten das Handynetz und die alten müssen den Mast ertragen. Man hat einfach einen Generationenkonflikt. Digitalisierung und mehr Klimaschutz sind Themen, die vor allem die junge Generation betrifft, während die Älteren eher konservative Werte bewahren wollen. Das ging früher vielleicht gut, weil die Welt sich nur langsam veränderte. Aber momentan finden alle geostrategischen und politischen Veränderungen in einem Expresstempo statt und wenn man sich dabei nicht anpasst, ist man weg vom Fenster. Das droht Deutschland demzufolge langfristig auch.

Sie sind einer der Initiatoren und Initiatorinnen von „Scientists for Future“ und unterstützen auch die Fridays for Future-Demonstrationen. Was konnte bisher damit erreicht werden?

Wenn sich alle so mit dem Klimawandel auseinandersetzen würden, wie diejenigen, die derzeit auf die Straße gehen, dann müssten alle panikartig versuchen, eine Veränderung voranzutreiben. Viele Leute blenden das Thema aber einfach aus oder informieren sich bei Klimaleugnern mit ihren alternativen Fakten. Deswegen ist unserer Arbeit so wichtig. Denn ich kann ja erst handeln, sofern ich das Problem verstanden habe. Und so mühselig es auch ist, wir haben eine Demokratie und deswegen müssen wir es eben ausdiskutieren und Bereitschaft sowie Mehrheiten erzeugen. Wir stehen damit leider noch am Anfang und müssen erstmal ein Bewusstsein über die Themen des Klimawandels schaffen. Ohne Fridays for Future hätten wir gar keine Chance dazu, auch weil man die Umweltfrage immer in Lagerdenken verhandelt hat. Das heißt, wer für Umwelt war, war eher so links und grün und dann gab es noch die Konservativen, die sich davon klar abgrenzen wollten. Das schöne bei Fridays for Future aber ist, dass dort einfach unverbrauchte Jugendliche mitmachen, die noch gar nicht in solche Lager einzusortieren sind. Klar, die Bewegung ist schon irgendwie links zu verorten, aber dieses Gesamtgesellschaftliche, dieses politisch Unsortierte hat den Schub gebracht.

„Und so mühselig es auch ist, wir haben eine Demokratie und deswegen müssen wir es eben ausdiskutieren und Bereitschaft sowie Mehrheiten erzeugen.“ (c) Fridays for Future Deutschland

Gleichzeitig versucht man aber, immer wieder Schüler als dumm und irregeleitet darzustellen. Deswegen ist unsere Arbeit sehr wichtig, indem wir zeigen, dass ihre Anliegen berechtigt sind und dass es einfach ganz klare wissenschaftliche Belege dafür gibt, auf denen sich die Forderungen von Fridays for Future stützen. Wir haben also angefangen, über Probleme zu diskutieren und das ist ein riesen Erfolg der jungen Generation. Auch beim heute-Journal ist jetzt mal der Klimawandel häufiger Thema. Man kann sich also selbst auf dem Sofa dem Klimawandel nicht mehr entziehen. Aber nun den zweiten Schritt zu unternehmen und die Bereitschaft für Handeln und Veränderung zu erzeugen, ist wahrscheinlich noch ein bisschen mühseliger. Diesen Schritt müssen wir mit dem gleichen Elan und mit dem gleichen Mut weitergehen. Das wird natürlich noch ein steiniger Weg. Leider. Vor allem ist es aber ein Kampf gegen die Zeit.


(c) Titelfoto: Janine Escher 

Kuchentratsch – Mit Liebe gemachte Kuchen von Oma

Eine gesellige Backstube verknüpft Beschäftigung und Generationen übergreifenden Austausch mit finanziellem Zugewinn für Senior*Innen

Omas Kuchen schmeckt immer noch am besten. Die traditionellen Rezepte, die jahrzehntelange Backerfahrung und die Liebe zum Detail lassen so manch einen Konditor alt aussehen. Viele verbinden den Kuchen bei Oma mit Erinnerungen an Kindheit und Heimat. Doch das Bild der Großmutter, die jedes Wochenende der Familie und den Enkeln einen Kuchen backt, gehört oft der Vergangenheit an. Stattdessen ist das Leben der über 60-jährigen immer mehr geprägt von Einsamkeit und Isolation. Für viele Menschen stellt sich mit dem Austritt aus dem aktiven Arbeitsleben auch ein Gefühl des Nicht-mehr-gebraucht-Werdens ein und Altersarmut wird für immer mehr Senior*Innen zum Problem.

Bei Kuchentratsch bringt jede Senior*In eine Vielzahl an Rezepten mit, für die man sich bei der Bestellung entscheiden kann.

Das Sozialunternehmen Kuchentratsch möchte etwas gegen dieses Problem machen – mit einer Backstube für Senior*Innen. Seit 2014 bietet Gründerin Katharina Mayer eine Anlaufstelle, in der Beschäftigung, generationenübergreifender Austausch und finanzieller Zugewinn miteinander verknüpft werden. Das Backen von Kuchen in guter Gesellschaft und mit Platz für so manchen Tratsch steht dabei im Vordergrund. Mitmachen können alle, die sich schon im Ruhestand befinden. Mehr als 30 Senior*Innen arbeiten bei Kuchentratsch – und übernehmen so Verantwortung in einem Unternehmen, für das ihre Ideen, ihr Wissen und ihre Fertigkeiten von maßgeblicher Bedeutung sind – und dementsprechend wertschätzt.

Gebacken wird bei Kuchentratsch jeden Vormittag und wenn besonders viel los ist auch nachmittags. Aus rund 75 Kilo Mehl und Zucker sowie eintausend Eiern entstehen so pro Woche über 150 Kuchen. Die werden dann an der Backstube verkauft, für Firmen zu Cateringanlässen aufgetischt, oder auf Einzelbestellung an Privatleute in München und Deutschland verschickt. Die Kuchenauswahl ist riesig – Jede Senior*In bringt eine Vielzahl an Rezepten mit, für die man sich bei der Bestellung entscheiden kann. Und den backen sie auch selbst, in ihrem persönlichen Tempo und so wie sie ihn am liebsten mögen. Die Senior*Innen arbeiten dabei nicht nach festen Vorgaben, sondern können sich individuell, flexibel und selbstständig in den Dienstplan eintragen und sich auch in anderen Bereichen, wie dem Verpacken und Ausfahren der Ware einbringen. Die Senior*Innen sind dabei auf 450-Euro-Basis angestellt. Doch neben diesem Verdienst ist vor allem das Gefühl der Freude an der Arbeit und der Wertschätzung für viele Senior*innen ausschlaggebend.


(c) Bilder: David Freudenthal

Quartiermeister – zum Wohle aller

Durch Bierkonsum soziale Projekte in der Nachbarschaft fördern

Kann Konsumieren nachhaltig sein? Vor allem wenn es um das Konsumieren von Dingen geht, die erhebliche negative Auswirkungen auf Körper und Gesellschaft haben? Die Rede ist vom Alkoholkonsum, vom Biertrinken genauer gesagt: Die Macher des Sozialunternehmens Quartiermeister beantworten diese Frage klar mit ja. Bier ist ein in Deutschland gesellschaftlich fest verankertes Genussmittel, viele genießen gerne frisches Bier, egal ob in der Bar oder unter freiem Himmel, daheim auf der Couch oder in geselliger Runde. Es bringt Menschen zusammen und regt zu Unterhaltungen an. Für die Quartiermeister*Innen lag es da auf der Hand, die Geselligkeit, die aus dem gemeinsamen Konsum von Bier entsteht, mit einem gesellschaftlichen Mehrwert zu verknüpfen: Durch das Biertrinken sollen soziale Projekte in der Nachbarschaft gefördert werden. Die Sozialunternehmer*Innen wirtschaften also nicht um selbst reich zu werden, sondern um die Nachbarschaft zu bereichern. Zehn Cent pro Liter verkauftem Bier fließen daher in lokale Initiativen. In ihrer Arbeit sind sie unabhängig von Investor*innen, kontrolliert wird die Arbeit von einem ehrenamtlichen Verein. Dieser überwacht die Transparenz und Prinzipientreue des Unternehmens und entscheidet, welche sozialen Projekte in eine Online-Abstimmung kommen sollen. In der kann dann jede*r Biertrinker*In entscheiden, welches Projekt aus der Nachbarschaft vom Konsum der Quartiermeister Biere profitiert.

Gebraut wird das Bier allerdings nicht von den Quartiermeister*Innen selbst, sondern in lokalen Brauereien, die die Überzeugungen von Quartiermeister teilen. Die Stadtbrauerei Wittichenau, an der Grenze zwischen Brandenburg und Sachsen, versorgt Berlin, Leipzig und Dresden mit Bier, darunter auch mit dem traditionellen Rotbier. Für die Region Süd, also Bayern und Baden-Württemberg, kommt das Bier aus der Genossenschaftsbrauerei Gut Forsting östlich von München. Hier werden aus heimischen Rohstoffen und teils in Bio Qualität Pils und vor allem das regionaltypische Helle produziert. „Wir haben uns bewusst dazu entschieden, das Bier und auch den Geschmack regional zu halten. Ein Quartiermeister in München schmeckt anders als in Berlin und das finden wir gut so.“, sagt Benni Tiziani, der sich bei Quartiermeister um den Vertrieb in Bayern kümmert. „Wir lieben die vielfältige Bierlandschaft und nutzen sie für unser regionales Konzept. So halten wir die Lieferwege kurz, stärken kleine Betriebe und erhalten die regionale Bierkultur.“

Benni Tiziani kümmert sich bei Quartiermeister um den Vertrieb in Bayern.

Die Arbeit von Quartiermeister zielt dabei nicht darauf ab, Menschen zum häufigeren Biertrinken zu animieren, sondern ihren bisherigen Konsum mit einem sozialen Mehrwert zu verknüpfen. Damit wollen sie das Bewusstsein dafür stärken, dass durch nachhaltigen Konsum Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft ausgeübt werden kann. Das ist dem Sozialunternehmen schon ein Stück weit gelungen: Durch den Verkauf der Biere konnten schon 125 Projekte mit rund 125.000 Euro unterstützt werden.


(c) Bilder: Sebastian Preiß

Spoontainable – nachhaltig Eis löffeln

Mit essbaren Löffeln aus Kakaoschalen lineare Verbrauchsmuster durchbrechen

Rund 113 Kugeln Eis schleckt jeder Deutsche im Jahr – eine willkommene Abkühlung bei den immer heißeren Sommertemperaturen. Dabei werden aber auch pro Jahr mehr als 360 Millionen Eislöffel aus Plastik verwendet, die nach einmaligem Gebrauch im Müll, auf dem Boden oder irgendwann einmal im Meer landen: Eine unnötige Ressourcenverschwendung, die Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung noch weiter vorantreibt Die beiden Managementstudentinnen Amelie Vermeer und Julia Piechotta haben zusammen mit der Ernährungsexpertin Anja Wildermuth diesem Auswuchs der Wegwerfgesellschaft den Kampf angesagt. Gemeinsam haben sie in wochenlangen Back-Experimenten in ihrer WG-Küche in Stuttgart den Spoonie entwickelt, eine nachhaltige Alternative zum Plastiklöffel. Hergestellt aus einem Teig aus Kakaoschalen, einem Überbleibsel aus der Schokoladenherstellung, sind die Löffel essbar und schmecken leicht nach Schokolade. Aber sie schmelzen nicht, geben keinen Geschmack an das Eis ab und weichen erst nach 60 Minuten auf – bis dahin ist das Eis sowieso schon geschmolzen oder besser längst aufgegessen. Hergestellt wird der Spoonie in Deutschland und auch die Verpackungs- und Marketingmaterialien wurden unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten gestaltet. Der Spoonie stellt also wohl die nachhaltigste Art dar, im Sommer sein Eis zu löffeln.

Doch Moment einmal. Wäre es nicht nachhaltiger, die kühlende Erfrischung im Eiscafé im Glasgeschirr und mit normalen Metallbesteck zu löffeln? Oder zum Mitnehmen in der Waffel bestellen und ganz ohne Löffel schlecken? Oder am besten bei stetig steigender Klimaerwärmung ganz auf ein Produkt verzichten, das unter hohem Energieaufwand gekühlt werden muss und nur wenige Augenblicke Erfrischung bietet? Handelt es sich bei dem vermeintlich nachhaltigen Löffel nicht viel mehr um ein kluges Marketingkonzept, das den aktuellen Nachhaltigkeitstrend ausnutzt? Möglicherweise kann man mehrere oder alle dieser Fragen mit Ja beantworten.

Doch das würde von dem großen Potential ablenken, das der Spoonie hat. Hergestellt aus einem Abfallprodukt wird aus dem Spoonie selbst ein Lebensmittel, das gegessen werden kann: Ein seltener Fall von einem echten Upcyclingprodukt, in dem aus scheinbar wertlosen Stoffen wirklich etwas Höherwertiges geschaffen wird.  Damit wird das lineare Wirtschaften der Wegwerfgesellschaft an dieser Stelle durchbrochen, in dem Kakaoschalen nicht im Müll und Plastiklöffel nicht im Meer landen. Das mag auf die Müllmenge erstmal nur einen kleinen Unterschied machen, aber der nachhaltige Löffel kann einem beim Eis essen vor Augen führen, dass eine Kreislaufwirtschaft möglich ist und dafür nur ein Umdenken in der Gesellschaft nötig ist.

„Das ist der Materialkreislauf schlechthin“

Die Initiative treibgut will die Nutzung verwendeter Materialien nachhaltiger gestalten und war nun Teil einer Ausstellung, in einem der renommiertesten Kunsthäuser der Welt.

treibgut – das ist eine Initiative, die einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leistet, indem sie verwendete Materialien aus Kunst und Theater vor dem Müllcontainer bewahrt, aufbereitet und im eigenen Lager zur Wiederverwendung anbietet. Um mehr darüber zu erfahren hat relaio bereits 2017 mit den Gründern der Initiative, Boris Maximowitz und Jonaid Khodabakhshi, gesprochen. In der Münchner Pinakothek der Moderne war treibgut nun Teil der Ausstellung „Circolution – Concepts for a sustainable future“, bei der ihre Arbeit einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Wir haben uns dort einmal umgeschaut und nachgefragt, was seit unserem letzten Besuch so alles geschehen ist.    

Jonaid, bereits 2017 hatten wir euch schon einmal besucht. Damals stand bei euch, im Münchner Kreativquartier, der Abrissbagger vor der Tür: Wie ist es euch seitdem ergangen?

Jonaid: Das Lager steht nach wie vor und wir haben einen Mietvertrag bis Ende 2019. Es gibt auch noch keine offizielle Ansage, dass wir raus müssen, gleichzeitig aber auch keine feste Zusage, dass wir länger auf dem Gelände bleiben dürfen. Dazu kommt, dass wir in der Zwischenzeit unseren Außenbereich als Lagerfläche verloren haben. Der war für uns enorm wichtig. Wir mussten ihn aber räumen, da Mängel beim Brandschutz der Zufahrtswege einer Feuerwehr festgestellt wurden. Damit ist uns ein Drittel der Lagerfläche weggefallen.

Was bedeutet das für eure Arbeit? 

Boris: Es ist schon eng geworden und wir können natürlich nicht mehr so viele Sachen aufnehmen. Wir schauen uns aber schon nach neuen Räumlichkeiten um, mit der Hoffnung etwas zu finden, wo wir unser Projekt in der verfolgten, größeren Struktur umsetzen können.

Jonaid Khodabakhshi (links) und Boris Maximowitz (rechts) haben treibgut ins Leben gerufen.

Eure Heimat ist das Münchner Kreativquartier – ein Zufluchtsort unkonventioneller Subkultur. Der soll jetzt städtisch „aufgewertet“ werden: Habt ihr das Gefühl, dass damit kreativer Raum in Gefahr ist?

Boris: Man merkt schon, dass hier die Gefahr droht, einen Freiraum so umzustrukturieren und letztlich zu gentrifizieren – auch wenn natürlich der Fokus auf Kunst, Kultur oder Kreativwirtschaft bestehen bleibt. Aber eben in einer so engen Struktur, dass möglicherweise der Charme des Areals verloren geht. Dahingehend versuchen wir uns auf dem Gelände zusammenzuschließen und unsere eigene Position nach außen klar zu kommunizieren.

Von der Subkultur zur Hochkultur – Wir sitzen hier gerade in der Pinakothek der Moderne, inmitten der größten Designsammlung der Welt: Wie ist es dazu gekommen?

Jonaid: Wir haben eine Anfrage bekommen von Studenten des Lehrstuhls für Industrial Design an der Technischen Universität in München, die eben hier eine Ausstellung zum Thema Nachhaltigkeit und Obsoleszenz auf die Beine gestellt haben. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wieviel brauchen wir eigentlich? Das ist genau unser Thema und am Ende wurde nicht nur über unsere Arbeit berichtet, sondern konnten wir auch einen aktiven Beitrag leisten, indem für die Ausstellung Materialien aus unseren Lagerbeständen verwendet werden konnten. Wir freuen uns natürlich sehr darüber, in einem Kontext wahrgenommen zu werden, der auch unser eigener ist. Und das in einer so namhaften Einrichtung.

Boris: Und die gleichzeitig Kooperationspartner von uns ist!

Jonaid: Genau! Aus der wir also auch schon Materialien in unser Lager aufgenommen haben und jetzt kehren wir zurück als Teil einer Ausstellung anstatt Material von einer Ausstellung mitzunehmen. Wer weiß, vielleicht nehmen wir aus dieser Ausstellung auch wieder Materialien mit – das ist natürlich der Materialkreislauf schlecht hin.

Boris: Und ich finde, Hochkultur und Subkultur müssen sich dabei auch überhaupt nicht widersprechen. Das ist ja gerade die Idee von treibgut, dass sich Synergien ergeben, indem man die Mittel geförderter Hochkultur versucht weiter zu nutzen. Das heißt, es soll einfach das weitergeleitet werden,  was eh schon vorhanden ist und an anderer Stelle, wie in der freien Szene, wieder Früchte tragen kann. Beides hat also seine volle Berechtigung und sollte im besten Falle miteinander wachsen können.

 

Die Ausstellung „Circolution – Concepts for a sustainable future“ wollte maßlosen Konsum anprangern und gleichzeitig Alternativen aufzeigen.

In der Beschreibung zur Ausstellung heißt es, dass sie maßlosen Konsum anprangern will: Was versteht ihr eigentlich darunter?

Jonaid: In unserem Fall bedeutet das zum Beispiel ein Bühnenbild für 60.000 Euro anfertigen zu lassen und es dann doch nicht zu verwenden.

Das ist ja schon ein Beispiel dafür, warum es euer Projekt gibt, oder?    

Jonaid: Definitiv, aber ich glaube nicht, dass es primär Maßlosigkeit ist, die uns auf den Plan gerufen hat, sondern der strukturelle Umgang mit Materialien selbst, der vielleicht sogar ressourcenschonend sein will, es zum Schluss aber nicht sein kann. Wenn etwa ein großes Haus eine Ausstellung mit einem großen Künstler auf die Beine stellt, dann gibt es meist ganz konkrete Vorstellungen, mit ganz konkreten Materialanforderungen. Das geht dann Ausstellung für Ausstellung so weiter, was bedeutet, dass gebrauchtes Material oft nicht wiederverwendet werden kann.

Boris: Und die entstehenden Kosten für eine Umarbeitung, übersteigen die einer Neuanfertigung.

Jonaid: In solchen Fällen wäre vielleicht eine Wiederverwendung nach längerer Zeit schon möglich, wenn etwa bestimmte Sachen wieder gefragt sind. Wenn dann aber eine Einrichtung nicht genügend Platz hat, um über längere Zeit zu lagern, dann steht man vor einem Problem und fragt sich: Was mach ich damit? Das ist genau der Punkt, an dem wir sagen: Hey, wir haben einen Raum, indem Material auf Zeit treffen kann! Wir bieten im Endeffekt die Zeit, die das Material überdauern darf, bis es wieder einen Nutzen findet, die sonst einfach fehlt.

Mit der Ausstellung sollen die Gründe für das Behalten und Teilen von künstlich geschaffenen Objekten untersucht werden: Seht ihr darin Potentiale?   

Jonaid: Ich könnte mir als ideales Ziel vorstellen, dass sich die großen Kulturinstitutionen in Kooperationen begeben, Lagergemeinschaften bilden, als Anlaufstelle für alle weiteren Ausstellungen, die in diesen Institutionen stattfinden. Das heißt: Man teilt, indem man behält aber eben in einem öffentlicheren, kooperativen Zugang. 

Würdet ihr dann vielleicht so etwas wie eine Sharing-Economy als Idee gegen Verschwendung ins Spiel bringen? 

Jonaid: Naja, so eine Idee muss so viele Bereiche aufgreifen. Uns ist auch durchaus bewusst: Wenn das, was wir machen, in das Bewusstsein der Leute eingeht, die diesen Ausschuss produzieren, dann werden wir irgendwann selbst obsolet.

Boris: Das wäre natürlich eine utopische Zielsetzung, die überhaupt nicht realistisch ist. Wir werden sicherlich nicht den übergreifenden Strukturwechsel einleiten. 

Als Schnittstelle von Hoch-und Subkultur will treibgut nachhaltige und künstlerische Synergien schaffen.

Aber ja schon unterstützen?

Boris: Klar! Wir werden auf jeden Fall unseren Beitrag dazu leisten. Aber die große Idee ist zu komplex – zumindest für uns. Jedenfalls wenn es darum geht, den einen Weg bestimmen zu wollen, ohne irgendwelchen Dogmen zu verfallen. Es braucht ja auch ganz verschiedene Initiativen und Arten des Einsatzes, um nachhaltig zu sein.

Jonaid: Ich denke für uns beide ist treibgut der Weg, der für uns funktioniert. Grundsätzlich aber sollte schon gelten: Weniger ist mehr.


(c) Alle Bilder: Christoph Eipert

Khala Kolumna – Folge 7

Die stille Zeit

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala regelmäßig.

Und irgendwann war es dann doch Winter. Ein eisiger Wind blies mir Schnee ins Gesicht, während ich, mit unzähligen schuhkartongroßen, braunen Schachteln beladen, den Weg zur Post bewältigte. In den Schachteln befanden sich Wendejacken, die in verhältnismäßig großer Zahl über den Khala Onlineshop vorbestellt worden waren.

Aber beginnen wir zwei Monate vorher, im Herbst. Ich saß auf einer Bank unter einem blauen Oktoberhimmel und telefonierte mit Mel, die seit einigen Wochen wieder in Malawi war. Sie war ein weiteres Mal nach Lilongwe geflogen und wollte das bevorstehende halbe Jahr, das sie dort verbringen würde, nutzen, um in unserer Schneiderei einiges geradezubiegen und weiterzuentwickeln. Es gab viel zu tun. Materialien und Gelder waren verschwunden, eine kleine Kriminalgeschichte hatte sich zugetragen. Aber dazu später. So hingen wir also am Telefon, saßen auf verschiedenen Kontinenten, teilten uns denselben blauen Himmel und planten für Weihnachten. Die Zeit, in der die halbe Welt verrückt spielt, stand vor der Tür. Und wir wollten dieses Jahr mitspielen. Ein Jahr zuvor hatten wir die Schneiderei gerade erst eingerichtet. Wir waren damals damit beschäftigt gewesen, unsere Crowdfunding-Unterstützer*innen mit ihren verdienten Rewards zu versorgen und hatten daher noch keine Ware verkaufen können. Doch mittlerweile war Khala weiter. Und nochmal wollten wir uns das Weihnachtsgeschäft nicht entgehen lassen. Einzig: Wir hatten uns bisher noch nicht um Absatzmöglichkeiten kümmern können. Im Sommer waren wir auf ein paar Festivals gewesen, sonst verkauften wir unsere Ware ausschließlich online. Für Weihnachten würden wir an ein paar Christkindlmärkten teilnehmen. Die Vorstellung, in einer Bude zu sitzen und zwischen Christbaumkugeln und Kripperlfiguren Jacken zu verkaufen, gefiel mir nicht.

Malawi im Dezember

Nach unserem Telefonat begannen wir, Khala für die Weihnachtszeit vorzubereiten. Ich sah mich ein wenig um und hatte Glück. Der funkigste Weihnachtsmarkt Münchens hatte noch einen freien Platz für unseren Stand. Der würde auf einem Bazar in einem großen, gemütlichen Zirkuszelt Obdach finden. Noch dazu dauerte dieser Weihnachtsmarkt vier Wochen. Ich würde also nicht verschiedene kleine Märkte abfahren müssen, sondern den Stand nur einmal aufbauen und dann 30 Tage lang betreiben. Apropos Stand. Es gab noch keinen.

Unseren Verkaufsstand, den wir für den Sommer gebaut hatten, hatten wir so entworfen, dass er auf lediglich zwei Quadratmetern Platz fand. Das sparte Standmiete. Auf der Suche nach günstigem Baumaterial hatten wir damals in einer Scheune von Hubis Vater einige alte Latten und ein hölzernes Bettgestell gefunden. Daraus hatten wir ein niedliches Khala-Ständchen getischlert. Dieses hatte uns treue Dienste erwiesen. Aber nun waren wir ihm entwachsen. Ich brauchte  schnell einen neuen, größeren, soliden, schönen, praktischen Stand – der natürlich wieder mal nicht viel kosten durfte. Im Mai waren wir bei einem Bayern 2-Wettbewerb nominiert gewesen. Am Gala-Abend hatten wir die Jungs von der Lernwerkstatt kennengelernt. Ein soziales Projekt, um Geflüchteten Handwerkskurse zu ermöglichen. Kurzerhand rief ich dort an. Roberto, der Leiter der Handwerkskurse, war sofort begeistert und verstand es aufs Vorzüglichste, den Stand in meinem Kopf innerhalb einer Woche in der Realität nachzubauen. Next problem solved.

Wir hatten nun also den Platz auf dem Weihnachtsmarkt und der Stand war fertig. Nun musste er nur noch gefüllt werden. Noch hatten wir kaum aber kaum Ware. Während ich in Deutschland die Vorbereitungen für den Weihnachtsmarkt traf, kämpfte Mel mit der Produktion.

Es hatten sich einige Komplikationen ergeben, seitdem sie in Malawi gelandet war. Den größten Verdruss bereitete ihr unser malawischer Projektmanager. Der hatte wohl schon seit längerer Zeit seine Arbeit bei Khala anders genutzt, als es in seinem Vertrag stand. Mel kam dahinter, dass er unsere Steuergelder veruntreut und große Mengen Stoff gestohlen hatte. Außerdem vermuteten wir, dass er ein eigenes kleines Business mit unserer Ware am Laufen hatte. Ihn zu feuern und den Fall den Behörden zu übergeben, fiel Mel alles andere als leicht. Zumal er bei Khala von Anfang an dabei gewesen war und durch die Strapazen, die wir – und vor allem Mel – mit ihm durchlebt hatten, auch ein persönliches, freundschaftliches Verhältnis entstanden war. Mel musste den Laden nun also alleine managen. Da der nun seines Postens enthobene Manager unter anderem die Aufgabe der Qualitätssicherung scheinbar länger nicht mehr pflichtbewusst verfolgt hatte, hatten sich unzählige Jacken angehäuft, die ausgebessert und umgenäht werden mussten. Zudem hatten wir schon seit Langem geplant, unser Sortiment um Wendejacken zu erweitern. Jacken also, die auf einer Seite den farbenfrohen Chitenje-Stoff zeigen, die man aber auch auf links drehen kann, sodass ein einfarbiger Hanfstoff nach außen schaut und man etwas dezenter daherkommt. Mittlerweile hatten wir genug Kapital, um die Materialien dafür einzukaufen. Aus Südafrika wurden Wende-Reißverschlüsse und Hanfstoffe in unsere Werkstatt geliefert. Am Markt in Lilongwe besorgte Mel neue Chitenje-Stoffe, die uns über den Verlust der alten Stoffe hinweghalfen und darüber hinaus noch eine höhere Qualität aufwiesen. Die Zeit rannte, der Weihnachtsmarkt rückte näher. Und eigentlich hätte die Produktion nun wieder rundlaufen können. Doch plötzlich verschwand unser Chef-Schneider. Er kam einfach nicht mehr zur Arbeit. Niemand wusste, wo er war; übers Handy war er nicht zu erreichen. Sein Verschwinden bedeutete auch, dass die Hälfte der Produktion lahmlag. Der Mann leistete gute Arbeit und wir wollten ihn nicht aufgeben. Nach zwei Wochen ohne ein Lebenszeichen machte sich Mel zusammen mit unserer Zuschneiderin in einem Vorort Lilongwes auf die Suche nach ihm. Sie fanden ihn bei sich zu Hause. Am nächsten Tag kam er wieder regulär zur Arbeit. Es gehört zu den Absurditäten, denen man in Malawi begegnet, dass diese Nebengeschichte keine Pointe hat. Es gab keinen Grund für das klanglose Verschwinden des Schneiders. Er war mit seinem Arbeitsplatz zufrieden und seine Familie auf das Geld angewiesen, das er bei uns verdient. Für ein paar Tage hatte er einfach gemeint, etwas Besseres zu tun zu haben.

Das Team in Malawi arbeitet an den neuen Wendejacken.

Die ersten Wendejacken wurden ausgetüftelt und entwickelt. Sie sahen sehr gut aus. Ein paar Wochen später konnten wir sie zum Verkauf anbieten. Ein Freund, der eine Expertise für Werbung in Sozialen Netzwerken entwickelt hatte, schaltete für uns eine Anzeigenkampagne auf Facebook. Es war, als hätten die Leute nur auf die neuen Jacken gewartet. Über den Onlineshop nahmen wir fleißig Vorbestellungen entgegen, die dann direkt im Anschluss in Malawi genäht wurden. Gleichzeitig begann nun der Weihnachtsmarkt. Wir hatten einige Freiwillige akquirieren können, die mich mit den Schichten am Stand unterstützten. Ich hatte ja noch Jobs nebenher. Der Dezember sah nun so aus:

Über unseren eigenen Onlineshop sowie über zwei weitere Plattformen, auf denen wir unsere Stücke anbieten, kamen täglich neue Bestellungen rein. Gleichzeitig betreute ich den Stand auf dem Weihnachtsmarkt, wo der Absatz ebenfalls zu unserer Zufriedenheit lief. Der schöne, sich durch die reizüberflutende Farbenpracht der verschieden gemusterten Jacken nahezu vollständig selbst dekorierende Stand täuschte viele Besucher darüber hinweg, wie klein Khala immer noch war. Tatsächlich hatte ich sämtliche verfügbaren Lagerbestände an unserem Stand untergebracht. Wenn uns also eine Bestellung übers Internet erreichte, nahm ich die bestellte Ware von der Stange unserer Bude und brachte sie am nächsten Morgen zur Post. Um außerdem nicht vorrätige Größen und Muster anbieten zu können, nahm ich auch am Weihnachtsmarkt Vorbestellungen entgegen, funkte diese gleich weiter an Mel, die sie im Anschluss in Malawi fertigen ließ. Dieses Angebot gefiel den Gästen und es wurde oft in Anspruch genommen.

Bene am gut gefüllten Khala-Stand auf dem Märchenbazar im Dezember 2018.

Die am Stand und online vorbestellten und gefertigten Bomber- und Wendejacken trudelten dann Woche für Woche in Deutschland ein. Ich holte sie beim Zoll ab, verpackte sie und brachte sie zur Post, oder informierte Vorbesteller*innen, dass ihre Bestellung nun abholbar war; die übrigen Jacken brachte ich zum Weihnachtsmarkt und füllte die leer gewordenen Plätze an den Kleiderstangen auf. Parallel dazu trafen nun auch immer wieder die dem Versandgeschäft immanenten Retouren ein. Da ich selbst kaum mehr daheim war, gaben die emsigen DHL-Bienchen all die retournierten Päckchen bei verschiedenen meiner Nachbarn ab. Nur ungern öffnete ich noch den Briefkasten, befürchtete ich doch, dass mir wieder ein gelbes Kärtchen mit dem Vermerk „Ihre Sendung wurde an Ihren Nachbarn übergeben“ entgegen flatterte. Auf den Kärtchen stand noch, bemüht um Konkretisierung, der Nachname des Nachbarn. Wenn es ganz blöd lief, lautete dieser Name Müller. Bei mir im Haus wohnen drei Müllers. Auf der Suche nach meinen Päckchen lernte ich sie nun alle kennen. Die Vorbestellungen, Verkäufe, Retouren und neuen Lieferungen bedurften einer Dokumentation. Ein konkretes System dafür gab es noch nicht. Anfangs vermerkte ich alles auf verschiedenen Zetteln. Es häuften sich aber die Fälle, in denen ich etwas auf einen Zettel schreiben wollte und den Stift verdutzt wieder beiseitelegte, da ich die im Entstehen begriffene Notiz scheinbar zu einem früheren Zeitpunkt bereits verfasst hatte. Die Zettelwirtschaft wich einem System aus Listen und Verzeichnissen, welches ich stets mit mir führte, um Daten nachschlagen und updaten zu können. Aktentaschen hatte ich immer als prätentiöses Accessoire von Young Professionals betrachtet. Nun verstand ich. Sollte ich mir vielleicht eine zu Weihnachten wünschen?

Es kamen nicht nur viele Päckchen bei Bene an – er musste sie auch fleißig verschicken.  (c) Nicole Ficociello

Während sich mein Leben in einem Strudel aus vollen und leeren Versandkartons, Kärtchen, Listen und Zettelchen, Zolldokumenten, Weihnachtsmarkt und Paketklebeband zu verheddern drohte, forderte das Weihnachtsgeschäft Mel und das Team in Malawi nicht weniger heraus.

Dort war von Weihnachten indes nicht viel zu spüren. Die Regenzeit hüllte das Land in ein grünes Kleid und die gleichzeitig hohen Temperaturen führten zu einer Schwüle, die einem den Schweiß aus den Poren presste. Im Radio kam niemand auf die Idee, „Last Christmas“ zu spielen, und abgesehen von einer etwas verloren wirkenden Plastik-Tanne in einer Mall, erinnerte auch optisch wenig an Festlichkeit.

In unserem Atelier gab es zwar auch keine Deko, aber die vermerkten Jackenbestellungen an einem neu angeschafften Whiteboard ließen erkennen, dass es in Deutschland sehr weihnachtete. Die schlagartige Nachfrage nach den neuen Modellen und die Sonderanfertigungen für Besteller und Bestellerinnen am Weihnachtsmarkt in München erforderten eine wohlüberlegte Koordination der eingeschränkten Produktionskapazitäten und der teilweise überforderten Mitarbeiter*innen – und auch dortzulande eine akribische Dokumentation. Zudem hatte Mel erst kürzlich einen neuen Schneider eingestellt, der nun in der Anlernphase war. In Malawi ist Schneider, wer Zugang zu einer Nähmaschine hat. Die Stellenausschreibung nach einem fähigen, neuen Kollegen war daher eine Angelegenheit für sich. Ok, ganz kurz: Mel hatte bereits ein paar erfolglose Probearbeitstage mit verschiedenen Anwärtern für den Job hinter sich, da erreichte sie eines Tages eine Anfrage eines malawischen Rappers. Der MC wollte mit unseren Bomberjacken ein Musikvideo drehen und bewarb sich im gleichen Atemzug als Mels Assistent. Das Video wurde gedreht, wegen der schlechten Bildqualität wurde der Gastauftritt der Khala-Stücke jedoch wieder herausgeschnitten. Zu mehreren vereinbarten Terminen, bei denen seine Karrierechancen als Assistenz von Mel und eventuell neuer Projektkoordinator ausgelotet hätten werden sollen, erschien der arbeitssuchende Tausendsassa nicht. Somit war sein Nebenauftritt in dieser Geschichte auch schon wieder zu Ende. Zuvor hatte er aber noch einen seiner Nachbarn als neuen Schneider empfohlen. Und dieser saß nun an einer Nähmaschine bei Mel im Atelier und wurde mit den Spezifitäten von Schnittmustern, Nadeln, Stichlängen und Materialien vertraut gemacht.

Teammeeting im Khala-Atelier in Malawi.

Aus Chaos wurde Routine, aus Fehlern wertvolle Lektionen und aus Stoffen wurden Jacken, die nach Deutschland wanderten. Bei wem die wohl überall unterm Christbaum landen würden, fragte ich mich, während mir ein eisiger Wind Schnee ins Gesicht blies und ich die in unzähligen schuhkartongroßen, braunen Schachteln verpackten Jacken durch die Kälte zur Post trug.

Khala’s erste Weihnachten waren nervenaufreibend und stressig gewesen. Aber durchaus erfolgreich. Mit dem Gewinn, den wir machten, hatten wir nun erstmals genug Geld auf der hohen Kante, um mehrere Monate in die Zukunft zu kalkulieren. Dadurch würden sich im neuen Jahr vollkommen neue Möglichkeiten ergeben.


(c) alle Bilder Benedikt Habermann/ Khala

„Das Thema Wasser haben die Leute nicht auf dem Schirm.“

Blue Ben, das ist ein Modelabel, das vor allem Mittel zum Zweck sein will. Und der hat einen Namen: Wasser.

Es hilft kein Stapeln und kein Stopfen – der Kleiderschrank ist einfach zu voll. Aber was soll man machen. Schließlich kann man kann doch nicht das schöne Oberteil der Frühlingskollektion auch noch im Sommer tragen! Aber alles ganz easy: Die neuesten Trends gibt es schließlich zum Dumpingpreis in den Regalen der Fast-Fashion-Ketten. Doch so einfach ist es nicht. Eine immer größer werdende Nachfrage nach Kleidung zum immer kleineren Preis funktioniert nur auf Kosten anderer, tausende Kilometer weit weg – etwa in Bangladesch. Das weiß auch Ali Azimi. Nachdem der Wahlberliner 2016 durch einen Dokumentarfilm auf die prekäre Situation der dortigen Textilarbeiter aufmerksam wurde, begann er zu recherchieren – auch vor Ort. Schnell war klar: Ein großes Problem ist der enorme Wasserverbrauch bei der Herstellung von Baumwollstoffen. Gerade den Ärmsten der Armen wird damit eine überlebenswichtige Ressource entzogen. Um dagegen etwas zu unternehmen wurde „BlueBen“ ins Leben gerufen. Dahinter steckt ein Modelabel, das vor allem eines will: Wasser geben, anstatt nehmen. Um mehr darüber zu erfahren, haben wir mit Ali Azimi, dem Gründer des Start-Up gesprochen.

 

Ali, ihr schreibt auf eurer Website: “Water is more important than clothing.“ Wie lässt sich das verstehen?

Als ich erfahren habe, wieviel Wasser in Baumwolle steckt und wie die Ressource Wasser in der Textilbranche genutzt wird, war ich ziemlich schockiert. Daraufhin reiste ich nach Bangladesch, habe mir die Industrie angeguckt und mit Bauern gesprochen. Die dort produzierte Kleidung ist zu 90 Prozent für den Export bestimmt. Man fragt sich dann, welchen Nutzen die Menschen vor Ort davon haben. Zudem sind es meist nur Großgrundbesitzer oder Fabrikanten, die wirklich etwas dabei verdienen. Daraufhin ist die Aussage entstanden, dass Wasser wichtiger für den Lebensmittelanbau, als Lebensgrundlage vor Ort, ist, als dafür, dass wir T-Shirts für drei, vier Euro kaufen können.

Nach eigenen Recherchen in Bangladesch hat Ali Azimi 2017 Blue Ben ins Leben gerufen. (c) Jonas Nellissen

Wieso ist die Nutzung von Wasser zur Textilherstellung so kritisch? 

Zwischen 7.000 und 29.000 Liter Wasser werden für ein Kilo Baumwolle benötigt – vom Anbau bis zur Endproduktion. Ich diskutiere oft mit Leuten, die meinen, dass man für Kaffee und Fleisch ebenfalls eine Menge Wasser benötigt. Klar, stimmt, aber das sind Lebensmittel. Das ist etwas anderes als Kleidung. Die liegt erstmal überall in Massen rum, die im Gegensatz zu Lebensmitteln, weniger zwingend gebraucht werden. Das Problem ist, dass in den Gebieten – in denen der Baumwollanbau und die Textilindustrie angesiedelt sind – es entweder sehr trocken ist oder es dort von vornherein gravierende Versorgungsprobleme mit Wasser gibt. Das heißt, wir begünstigen durch die Produktion und Anbau von Baumwolle noch mehr Probleme, als es ohnehin schon gibt. Zudem ist erstaunlich: Das Thema ist völlig unterrepräsentiert. Keiner redet darüber. Das Thema Wasser haben die Leute nicht auf dem Schirm.

Aber ihr wollt Wasser nicht nur einsparen, sondern auch geben: Wie wollt ihr das schaffen?

Der erste Schritt liegt natürlich im Wassersparen. Das heißt aber nicht Bio-Baumwolle aus Indien zu verwenden. Wir produzieren überhaupt nicht in diesen Ländern, denn diese Länder brauchen das Wasser für den Lebensmittelanbau. Daher produzieren wir nur in Europa. Der wesentliche Punkt ist jedoch, dass wir überhaupt keine Baumwolle verwenden. Wir wollen hierbei Verantwortung übernehmen, aber wir können uns nicht vor den Schäden drücken, die wir in den letzten 40 Jahren in diesen Ländern verursacht haben. Wir zahlen deswegen eine Art Reparationen, indem wir Wasserprojekte finanzieren. Das ist der nächste Schritt. Wir versuchen das Wasser, das durch die Textilindustrie verschmutzt wurde, wiederaufzubereiten, also den Leuten wieder zugänglich zu machen.

Aber Privatpersonen sollen euch auch direkt unterstützen, oder? 

Genau. Wir wollen erreichen, dass du genau wie einen Co2-Ausgleich beim Fliegen, einen Wasser-Ausgleich machen kannst. Das planen wir mit unserem Verein, den wir gegründet haben und der unsere Wasserprojekte kuratiert. Den gibt es auch deswegen, da wir die Zwischenschritte verkürzen wollen und somit keine überflüssigen Mittelsmänner haben, damit am Ende dort mehr ankommt, wo es gebraucht wird. Ein Beispiel: In Bangladesch gibt es Superarme, Arme und Normale. Die Superarmen können es sich nicht einmal leisten, für 20 US-Cent im Monat, Wasser zu kaufen. Mit dem Wasserausgleich hat man die Möglichkeit, diese 20 Cent pro Familie zu spenden. Zusammengefasst hat man mit zehn Euro einen Monat lang 50 Familien mit Wasser versorgt. Aber das ist ein langfristiges Projekt, deswegen haben wir es nicht in den Mittelpunkt gesetzt. Wir versuchen eher durch größere Wasserprojekte etwas Nachhaltigeres zu implementieren.

Der hohe Wasserverbrauch beim Anbau und der Verarbeitung von Baumwolle erschwert vielen Menschen den Zugang zu sauberen Trinkwasser. (c) Benedikt Fuhrmann

Eure Ziele wollt ihr mit dem Verkauf eines baumwollfreien Sweaters erreichen: Wie kam es dazu?

Wir hatten gar nicht vor ein Modelabel zu gründen – denn es stand die Frage im Raum, ob man eigentlich noch ein weiteres Modelabel braucht. Aber die Tatsache, dass wir das mit dem Sweater machen, interessiert die Leute. Darüber kommen wir mit ihnen ins Gespräch und nicht, weil wir ein Wasserausgleich anbieten oder einen Verein gegründet haben. Das ist schade, aber einfach Tatsache.

Der Pullover ist also Mittel zum Zweck?

Absolut! Er ist die Grundlage, um über unsere Themen zu sprechen. Dazu gehört auch, dass wir einen Schritt weitergehen, indem wir uns gefragt haben, was in Zukunft sein wird. Baumwolle wird nicht dazugehören. Da bin ich mir ziemlich sicher, weil wir die Agrarfläche und das Wasser für den Lebensmittelanbau brauchen werden. Deswegen wird es zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass wir andere Fasern nutzen.            
Dafür haben wir selbst einen Stoff zu hundert Prozent aus Buchenholz geschaffen. Aber es hat schon eine ganze Weile gedauert, bis wir das erreicht haben. Wir mussten beim Stoff viel nachjustieren, etwa beim Material für die Bündchen. Wir wollten ein Garn das biologisch abbaubar ist und eben nicht aus Polyester besteht. Das war ziemlich schwierig. Das hat alles ein bisschen länger gedauert als geplant, aber jetzt da die Pullover da sind, ist es echt cool zu sehen was wir in den letzten Monaten geschaffen haben. Da sind wir stolz drauf. Und die Leute sind echt begeistert. Wir hätten natürlich auf schon Vorhandenes zurückgreifen können, aber wir haben uns für diesen Weg entschieden. Dann dauert es eben alles manchmal länger als geplant – in unserem Fall drei Monate.   

Dann geht es also jetzt los mit dem Verkauf? 

Genau. Die Pullover in unseren Basic-Farben sind bereits erhältlich. Die erste Auslieferung war im Dezember 2018.

Ihr hattet bereits in Vergangenheit eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne durchgeführt. Gerade habt ihr nochmal eine gewagt. Wie lief die?

Wir wollten schon immer eine internationale Kampagne auf Kickstarter machen. Das war jedoch schwieriger als gedacht, was vielleicht auch daran lag, dass wir die Kampagne zum Ende des Jahres gemacht haben. Das heißt, die Kampagne ging nicht so durch die Decke, wie wir es bei der letzten erlebt hatten. Einerseits, weil wir unterschätzt haben wieviel Zeit und Kraft so etwas benötigt. Anderseits hatten wir auch schon unser Netzwerk erschöpft. Deshalb mussten wir komplett neue Leute erreichen. Das war echt eine Herausforderung. Dafür haben wir in drei Städten Öffentlichkeitsarbeit gemacht – in Amsterdam, London und Berlin. Zudem haben wir eine tolle PR-Mitarbeiterin an Bord, die einen richtig guten Job macht. Gott sei Dank haben wir dann das Ziel der Kampagne erreicht und sie erfolgreich beendet. Der Erfolg war dann sogar ein bisschen international. Es gab ein paar Kunden aus Asien. Auch in Europa verteilt und aus den USA sind Bestellungen eingegangen. Aber trotzdem, man darf das alles nicht unterschätzen. 

Was wollt ihr mit dem Geld anstellen?

Wir brauchen viel Geld für die Produktion selbst. Aber auch für Dinge wie einen biologischen Abbaubarkeitstest. Der ist echt teuer und kostest allein schon etwa 5.000 Euro. Das wollen wir nicht machen, um es als Alleinstellungsmerkmal zu kommunizieren, sondern damit wir uns selber sicher sein zu können, dass wir etwas geschaffen haben, das biologisch abbaubar ist.

Produziert werden die Sweater ausschließlich in Europa. (c) Blue Ben

Neben all euren Bemühungen: Wen siehst du mehr in der Verantwortung, die Produzenten oder die Verbraucher? 

Ich persönlich bin nicht der nachhaltigste Konsument, um ehrlich zu sein. Worauf ich eher achte ist Qualität. Ich kaufe einfach wenig. Ich bin da eher unbewusst nachhaltig. Ich lege die Verantwortung nicht auf die Konsumenten, sondern auf die Produzenten. Da in ihnen die Ursache des Übels liegt. Das was Konsumenten machen, ist nur Symptombekämpfung. Das heißt, wenn wir unseren Konsum runterschrauben, bedeutet das nicht, dass Modelabels weniger produzieren. Das müssten dann schon alle oder zumindest ein sehr großer Teil tun und das wird nicht passieren. Da müssen wir realistisch sein. Es wird nicht passieren, es sei denn, die Politik würde eingreifen, das tut sie aber nicht. Warum: Es geht um Steuergelder, um globalen Austausch und letztlich um ökonomische Vorteile der Modelabels. Was wir als Produzenten machen können, ist das Ganze anzustoßen. Ich glaube, kein Label, das jemals angefangen hat Fair-Fashion zu machen, war ein Systemwandler. Vielmehr haben sie dazu beigetragen, dass sich andere daran orientieren. Ich glaube, dass die Intensität eines Wandels davon abhängt, wie groß und wie bekannt wir werden. Um zu zeigen, dass man es wirklich radikal anders machen kann.

Euer Pullover ist ja Mittel statt Zweck. Der Steckt in  euren Wasserprojekten. Was hat sich da getan?

Ursprünglich hatten wir uns auf reine Trinkwasserprojekte fokussiert. Das hat sich in wenig geändert. Das heißt, wir arbeiten gerade an einer Lösung, die das Abwasser von Textilmanufakturen, Färberein etc. filtert. An so einem Filtersystem arbeiten wir gerade mit verschiedenen Partnern zusammen. Wir wollen etwas machen, was ein bisschen mehr zu uns passt. Wenn wir Textilien herstellen, macht es auch mehr Sinn etwas mit Textilabwässern zu machen. Brunnenbau würde uns vielleicht die bessere PR bringen, aber wir wollen an der Ursache arbeiten, das ist uns wichtiger. Wir wollen uns mit den Verursachern des Wasserproblems generell, etwa in den Großstädten Bangladeschs, befassen – mit Textilbetrieben etwa, die sich Filteranlagen und ein Waste-Water-Managemernt nicht leisten können. Dort wollen wir Abhilfe schaffen. Wie das aussehen kann, daran arbeiten wir geraden. Da steckt jede Menge Arbeit drin, die wir bald öffentlich kommunizieren werden.

Euer Sweater verfügt über eine ziemlich auffällige Armbinde am Ärmel. Das hat ein wenig einen Siegelcharakter: Meinst du, eine Siegel für nachhaltige Textilien bräuchte es?  

Wir als Unternehmen verwenden keine Siegel. Weil sie nur Symptome bekämpfen, indem sie versuchen Vertrauen zu schaffen, wo gar keine Glaubwürdigkeit da ist. Aber dem ist nicht so. Denn viele Menschen können nicht nachvollziehen, wie Rohstoffe angebaut werden. Da gibt es extrem viele Schwierigkeiten und das ist den Leuten nicht bewusst. Das wollen wir nicht. Wir wollen unabhängig davon zu 100 Prozent transparent sein. Dann braucht es auch kein Siegel mehr. Das Label am Arm ist vielmehr etwas, worüber sich die Leute identifizieren und reden. Also ein Conversation-Starter, mit dem Ziel, ein gemeinsames Symbol entstehen zu lassen. 

Eine Armbinde als Conversation-Starter für nachhaltigen Konsum. (c) BlueBen


(c) Titelbild: Benedikt Fuhrmann

piqd – handverlesene Onlinemedien

piqd möchte einen Gegenentwurf zur Reichweiten-optimierten Online-Berichterstattung liefern, indem ausgewiesene Experten Artikel empfehlen.

Bio statt Fast-Food. Handverlesen statt Massenware. Kritische Reflexion statt gedankenloser Konsum: Die Rede ist keineswegs von gesunder Ernährung. Es geht um Medien, um genau zu sein: um unseren Umgang mit Online-Berichterstattung. piqd statt Informationsflut. Von Experten empfohlen statt vom Algorithmus vorgesetzt.

Internet und Smartphone haben unseren Zugang zu Informationen radikal verändert. Früher dauerte es Tage oder Wochen, bis eine Nachricht um den Erdball wanderte und den Zeitungsleser am Frühstückstisch erreichte. Heute vergehen nur ein paar Augenblicke zwischen einem Ereignis und dem Aufpoppen der ersten Push-Message auf unserem Handy. Das Internet hat Menschen auf der ganzen Welt die Möglichkeit gegeben, sich zu jeder Zeit Informationen und Nachrichten zu einem beliebigen Thema zu besorgen und dadurch einen bestehenden Markt umgewälzt. Etablierte Medienkonzerne und neue Akteure liefern sich einen Wettlauf auf diesem Markt, in dem generierter Traffic und erzielte Reichweite die neue Währung geworden sind. Bestehende Konventionen des Journalismus wurden überworfen und Schlagwörter wie „Fake News“ oder „Lügenpresse“ prägen die Debatte um die Informationskultur.

piqd Geschäftsführer Marcus von Jordan

Die Macher von piqd sehen im Umgang mit Informationen aus dem Web ein soziales Problem, zu deren Lösung sie beitragen möchten. Sie möchten den NutzerInnen Artikel präsentieren, die lesenswert sind. Eine Programmzeitung, die nicht auf Reichweite und Traffic ausgerichtet ist und danach ihre Inhalte kuratiert, sondern Journalismus mit relevanten Inhalten bietet. Ein Gegenvorschlag also zu den aktuellen Entwicklungen in der Online Berichterstattung, betont Geschäftsführer Marcus von Jordan: „Es gibt nicht die perfekte Vision davon, wie Informationsbeschaffung funktionieren sollte. Es gibt nur eine Annäherung, durch inspirierte journalistische Arbeit und durch Quellenvielfalt.“

Marcus von Jordan zieht den Vergleich mit Bio-Lebensmitteln: „Du bist, was du isst, genauso wie du bist, was du liest.“ Dafür werden Artikel aus der Masse heraus handverlesen, oder eben „gepiqd“. Die Aufgabe des „Rosinenpickens“ übernehmen Experten. piqd greift dafür auf einen Pool von mittlerweile über 130 KuratorInnen, genannt „piqer“, zurück. Diese Experten wählen in ihren Augen relevante Online-Artikel aus, kommentieren diese in einer kurzen Zusammenfassung und ordnen sie einem bestimmten Kanal zu. Diese decken Themen von „Volk und Wirtschaft“ bis hin zu „Kopf und Körper“ ab. KuratorInnen und Kanäle werden von der piqd-Redaktion bestimmt, aber in ihrer Arbeit sind die piqer unabhängig. Bezahlt werden sie pro piq, mit einer monatlichen Obergrenze. Einige machen auch unentgeltlich mehr oder verzichten komplett auf eine Bezahlung – aus Überzeugung. Gemeinsam ist allen, dass sie der piqd-Redaktion gegenüber Sachverstand und einen breit gefächerten digitalen Medienkonsum vorweisen müssen, bevor sie für piqd empfehlen dürfen.

Gegründet wurde piqd von Konrad Schwingenstein und Marcus von Jordan. Die Verbindung zum Journalismus liegt bei Konrad Schwingenstein sozusagen in der Familie – er ist Enkel des Mitgründers der Süddeutschen Zeitung August Schwingenstein und Teilerbe des Unternehmens. 2010 kehrte er aber den bestehenden Strukturen der Medienwelt den Rücken und verkaufte zusammen mit anderen Erben seine Anteile. Seitdem fördert er Projekte, von denen er hofft, dass sie dabei helfen, neue Strukturen für den Journalismus mitzugestalten. Im Moment wird der Großteil der Kosten von piqd noch von ihm getragen. Diese Finanzierung erlaubt es piqd, sich für eine gewisse Zeit der Dynamik um Traffic und Reichweite zu entziehen. In Fachkreisen und der Szene haben sie deswegen bereits mit Qualität überzeugt. Aber damit sich der journalistische Gegenentwurf etablieren und selbst tragen kann, muss er natürlich auch eine gewisse Zahl an Lesern erreichen, die bereit sind, für Qualität angemessen zu zahlen. Und dies stellt das Team um Marcus von Jordan vor eine große Herausforderung. Anfangs war die Idee, dass die NutzerInnen nach einer kostenlosen Testphase dazu angehalten werden, jeden Monat einen kleinen Betrag für den Service des „piqens“ zu entrichten. Doch es haben sich nicht genügend zahlende Kunden gefunden, damit das Projekt schwarze Zahlen schreiben kann. Damit steht piqd vor demselben Problem wie viele andere Redaktionen: Es scheint bereits gängiger Konsens zu sein, dass Journalismus im Internet kostenlos zu sein hat.

Die Macher von piqd möchten einen Gegenentwurf zur Reichweiten-optimierten Berichterstattung im Internet liefern.

Die Macher von piqd haben sich daher entschieden, erst einmal einen anderen Weg zu gehen und zu versuchen, mehr Nutzer zu erreichen. Dies gleicht einer Gratwanderung: Auf der einen Seite möchte man sich nicht der Dynamik um Klicks und Traffic unterwerfen, auf der anderen Seite muss man eine gewisse Reichweite haben, um sich als Alternative etablieren zu können. Darum hat das Team einige „Qualitätspartner“ mit ins Boot geholt, die ebenfalls journalistische Gegenentwürfe liefern und ihre eigenen Inhalte empfehlen – und so piqd einem Teil ihrer Leserschaft näherbringen. Zu diesen Partnern zählen unter anderem Perspective Daily, The Buzzard, Übermedien und Zündfunk. Und auch die User haben jetzt die Möglichkeit, Empfehlungen abzugeben und zu bewerten. Piqd wird also interaktiver und entwickelt sich in Richtung eines sozialen Netzwerks. Mit der so gestärkten Community stehen dem Team dann, so die Hoffnung, alternative Finanzierungsformen offen, zum Beispiel in Form eines jährlichen Crowdfundings.

 


(c) Alle Bilder Sebastian Preiß

RECUP – To-go-Becher nachhaltig gestalten

Pfand statt Einwegbecher, auch beim Kaffee für unterwegs

Am Morgen halb aus dem Bett in die Dusche gefallen, schnell angezogen und dann ab Richtung Uni oder Arbeit. Auf dem Weg holt man sich dann noch einen Coffee-to-go, der, sobald er nicht mehr die Zunge verbrennt, schnell heruntergespült wird. Offensichtlich geht es nicht mehr ohne den Wachmacher aus dem Einwegbecher. Aber auch nicht mit: Nach kurzer Zeit landet der Becher in der Tonne –  oder daneben. Und das allein in Deutschland 320.000 Mal in der Stunde.

Der Einwegbecher ist für viele das Paradebeispiel unserer Wegwerfgesellschaft, die nur konsumiert und schnell durch Neues ersetzt. Aber es gibt Alternativen: Zum Beispiel den eigenen Kaffeebecher ins Café mitbringen. Aber den müsste man immer dabei haben, wenn man mal eben unterwegs Lust auf Kaffee hat. Für viele ist das nicht alltagstauglich. Abhilfe schaffen da die Gründer des Münchner Start-Up RECUP, die mit einem Pfandsystem für wiederverwendbare Becher die komplette Coffee-to-go Landschaft aufrollen.

Pfand statt Einweg

Fabian Eckert und Florian Pachaly haben sich ganz unabhängig voneinander Gedanken über das Becherproblem gemacht. Der Münchner Fabian hat Leadership for Sustainability in Malmö, Schweden, studiert und hat für ein Projekt an seiner Universität die Pappbecher in den Cafeterien gegen Tassen ausgetauscht – das Thema ist hängen geblieben. Beide erzählten am exakt gleichen Tag Julia Post, der Macherin der Kampagne gegen Einwegbecher  „Coffee-to-go-again“, von ihrer Idee. „Jetzt habt ihr mir an einem Tag genau dasselbe erzählt. Ihr solltet unbedingt miteinander reden“, meinte Julia da zu Florian.

Gründer Florian Pachaly im Münchner Café gangungäbe, das seine Einwegbecher durch die RECUPs ausgetauscht hat.

Danach ging alles sehr schnell. Innerhalb von drei Monaten starteten die Jungs ihre Testphase in Rosenheim, um herauszufinden, ob so ein Pfandsystem für Coffee-to-go-Becher überhaupt funktioniert. Weder Logo noch Becher waren bis zu dem Zeitpunkt wirklich ausgreift und trotzdem kamen schnell 26 Partner vor Ort zusammen, die teilweise ihre Becher nicht mal mehr zurückgeben wollten. „Wir wollten eigentlich nach acht Wochen erst einmal alle wieder einsammeln und die Ergebnisse auswerten, aber viele Cafés wollten weiter machen“, sagt Florian. Also blieben die Becher wo sie waren und gleichzeitig wurden neue, schönere Becher in zwei verschiedenen Größen und Farben in Auftrag gegeben.

Sie sind, wie Tupperware, aus Polypropylen, ein recycelbarer Kunststoff, der hitzebeständig, bruchsicher, lebensmittelecht und leicht ist. Der Hersteller garantiert 500 Spülgänge und im Test mit einem Spülmaschinenhersteller wurden sogar 1000 Spülgänge mit Erfolg getestet. Sollte ein Becher kaputt gehen, sendet RECUP ihn einfach zurück an den Hersteller, einem mittelständigen Unternehmer im Allgäu, der das Material wiederverwenden kann. Aber auch wenn er im Müll landet, wird er von den meisten Abfallwirtschaftssystemen aussortiert und in einen gesonderten Kreislauf gegeben. Seit einiger Zeit läuft bei der Deutschen Umwelthilfe außerdem eine Studie zur Ökobilanz von Mehrwegbechern – und auch der RECUP ist dabei. „Es kam heraus, dass bei 20-maliger Nutzung der RECUP nachhaltiger ist, als ein Einwegbecher“, sagt Johanna Perret von RECUP, die seit Beginn am Aufbau des Start-Ups mitgearbeitet hat.

 

Die RECUP-Gründer Fabian (links) und Florian (rechts)                                                                                                                     (c) RECUP

RECUP goes Südafrika

Mittlerweile gibt es über 2.000 Partner in ganz Deutschland, die Teil des RECUPS-Pfandsystems sind, unter anderem in größeren Städten wie Hamburg, München, Berlin und Köln, aber auch in kleineren Städten, wie Oldenburg, Ludwigsburg, Augsburg oder Böblingen – und in ganzen Regionen, wie dem Allgäu, dem Bodensee oder Schwäbisch Hall. Alle Partner sind übersichtlich auf der RECUP-Karte (www.recup.de/app oder als Download-App) verzeichnet. Das RECUP-Team ist dementsprechend gewachsen. Waren es Ende 2016 nur Fabian und Florian, so sind es nun ganze 23 Mitarbeiter, die den Betrieb am Laufen halten. Selber finanzieren können sie sich aber noch nicht. Denn den einzigen Verdienst, den sie an dem Pfandsystem haben, ist der monatliche Mitgliedsbeitrag von einem Euro pro Tag pro Standort der Cafés. Seit 2018 gibt es aber auch ein Kaufprodukt: den Deckel, der nicht beim Pfandsystem dabei ist. „Nicht alle Partner wollen einen Deckel, zum einen, weil sie es nicht als nötig erachten und zum anderen aus hygienischen Gründen“, erklärt Johanna. Neu hinzu kam auch der 0,2 Liter Becher als dritte Größeneinheit in der To-go-Becher-Familie und bisher gibt es bereits 24-Städte-Kooperations-Editionen.

Das Jahr 2018 war für RECUP also ein Jahr voller Veränderungen und Wachstum. Ein Highlight war hier der Preis für den Gründer des Jahres, bei dem RECUP einer von acht Gewinnern war. Auch 2019 soll es so weitergehen und vor allem soll die Frage der Internationalisierung angegangen werden, für die es bisher noch keine konkrete Lösung, aber viele Ideen gibt. Anfang des Jahres überraschte das Start-Up dann alle mit der Mitteilung, dass es ab jetzt RECUP auch in Südafrika geben wird. „Unser Ziel ist es, dass es bald keine Einwegbecher mehr gibt“, sagt Florian.


(c) Alle Bilder Sebastian Preiß

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