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Ökoesel – Gemeinsam mehr Bio

Bei dem Münchener Projekt werden regionale und Bio-Lebensmittel bezahlbar und normale Kunden zu solidarischen Mitgliedern.

Gründe für den Griff ins Bio-Sortiment gibt es genug. Ob Dioxin in Fisch und Ei oder Tierquälerei – viele Konsumenten wollen das nicht mehr hinnehmen und bevorzugen vermehrt Produkte mit einem Bio-Siegel, denn sie versprechen eine nachhaltige Herstellung und Beschaffenheit von Produkten. Das belegen auch konkrete Zahlen: Der Bio-Anteil am Lebensmittelumsatz hat sich so in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt und liegt bei einem Marktanteil von etwa 5,9 Prozent. Trotz allem Anstiegs bleibt der Gesamtanteil gering. Warum eigentlich? Glaubt man den Ergebnissen repräsentativer Studien, liegt ein Hauptgrund in der Tatsache, dass fast die Hälfte aller Lebensmittel-Konsumenten, aufgrund der höheren Preise, nicht „bio“ kaufen, gleichzeitig aber zum Kauf bereit wären, würden die Produkte mit dem Siegel günstiger sein.

Um etwas gegen dieses Problem zu unternehmen und so den nachhaltigen Verbrauch von Lebensmittel zu stärken, betreiben Hannes Schmidt und Katharina Deininger in München den Mitgliederladen „Ökoesel“. Von der Butter bis zur Weinflasche werden dort nur biologische, nachhaltige und im besten Fall regionale Produkte verkauft. Wie der Name bereits verrät, werden Konsumenten in so einem Laden zu Mitgliedern einer Gemeinschaft, indem sie einen monatlichen Beitrag von höchstens 15 Euro zahlen. Im Gegenzug erhält man die gewünschten Waren bis zu 30 Prozent günstiger – fast zum Einkaufpreis. Möglich wird das, da durch die Mitgliederbeiträge anfallende Betriebskosten gedeckt werden und so auf hohe Profitmargen verzichtet werden kann. Bleibt die Frage: Warum das Ganze?      

Das Ökoesel-Team Hannes Schmidt und Katharina Deininger

Ziel ist es damit auch die Menschen zu erreichen, die sich aus finanziellen Gründen keine hochwertigen Lebensmittel leisten können. Konkret sollen die Mitgliederbeiträge hier nach einem solidarischen Prinzip helfen, auch sozial Benachteiligten eine gesunde und nachhaltige Ernährung zu ermöglichen. So kann der monatliche Beitrag für Menschen, in besonders prekären Situationen, symbolisch kleiner ausfallen, in dem er von den Beiträgen der Anderen mitgetragen wird. So soll ein Raum entstehen, der „nicht wie alle anderen Supermärkte so sehr auf Profitgenerierung, sondern auf eine gute Versorgung fokussiert ist“, meint Hannes.

Begonnen hat alles im Herbst 2016 mit dem Angebot eines Lieferservices, bei dem Mitglieder zunächst ihre Bestellung online aufgegeben und per Rad nach Hause geliefert bekommen haben. Damals war auch noch Katharinas Bruder Konstantin mit dabei. Es folgte bald der erste Laden, damals noch im Keller des Elternhauses der beiden Geschwister. „Richtig los ging es, als wir dann zwei Mal pro Woche unseren Laden geöffnet hatten. „Da ging die Nachfragekurve steil nach oben“, erklärt Hannes. Die gute Nachricht war jedoch Herausforderung zugleich. So sind Hannes und Konstantin neben der Arbeit im Laden auch noch mit ihrer akademischen Laufbahn beschäftigt. Konkret bedeutet das für Hannes, seinen Soziologie-Master zu absolvieren und für Konstantin erfolgreich zu promovieren. „Es ist schwierig, hier im Laden und gleichzeitig in der Uni alles so zu schaffen, wie man es sich vorstellt – da muss man ein Kompromiss eingehen“, weiß Hannes. Letztlich war für Konstantin aber dieser Kompromiss zu groß, weswegen er aus dem operativen Geschehen im Laden aussteigen musste.

Auch einkommensschwache Menschen sollen sich nachhaltige Lebensmittel leisten können. Ermöglicht werden soll das mithilfe monatlicher Mitgliedsbeiträge.

Eine neue Unterstützung ist jedoch schon in Sicht. Außerdem gibt es jede Menge Hilfe von den Mitgliedern des Ladens selbst. Die packen schon mal am Morgen mit an. Reine Konsumenten sind sie also wirklich nicht. Und genau das ist ja auch das Ziel des Ökoesels: „Mehr Verantwortung abgeben, mehr Leute ins Boot holen, mehr gemeinschaftlich gestalten“, so Hannes. Damit das auch in die Tat umgesetzt werden kann, musste bald eine neue Ladenfläche her. Der Umzug aus dem ersten Verkaufsraum im Elternhaus von Katharina und Konstantin gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht und brachte allmählich das ganze Projekt ins Straucheln. Ende 2018 war es aber dann soweit. Dem Umsatz hat der Umzug nicht geschadet, ganz im Gegenteil. So erklärt Hannes: „Zum einen haben wir einige neue Mitglieder aus der Nachbarschaft hinzubekommen, für die wir eine Lücke im Einkaufsangebot füllen, zum anderen sind uns unsere alten Kunden treu geblieben.  Am Ende ist es schön zu sehen, was wir in den letzten zwei Jahren geschafft haben“.
Auch in Zukunft wird es sicherlich nicht langweilig. Mittlerweile können die Mitglieder an drei Tagen in der Woche zum Einkaufen kommen.  Auch soll der neue Laden weiter ausgebaut werden, eine Käsetheke wartet noch darauf angeschlossen zu werden, zudem soll ein vergrößertes Angebot seinen Weg in die Regale finden. Schritt für Schritt – also alle beim Alten.

Mittlerweile hat der Ökoesel drei Mal pro Woche geöffnet.


(c) Alle Bilder: Christoph Eipert

Khala – faire, stylische Mode aus Malawi

Europäisches Design trifft auf malawische Stoffe

Khala hat viele Bedeutungen auf Chichewa, der malawischen Nationalsprache; es heißt: sein, sich hinsetzen und einfach mal entspannen. Khala ist dabei vor allem ein Lebensgefühl. Khala, so heißt auch das Start-Up von Melanie Rödel aus München. Sie kombiniert europäische Designs mit malawischen Stoffen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit der Produktion vor Ort die Situation in Malawi zu verbessern.

Gründerin eines Modellabels zu werden – das war nicht das erste, was Melanie nach ihrem Psychologie- und Wirtschaftsstudium im Sinn hatte. Doch für sie war von Anfang an klar, dass sie etwas verändern will, und zwar nicht als Therapeutin, sondern in der Wirtschaft. Von innen heraus. Schon während ihres Studiums arbeitete Melanie ehrenamtlich als Mitgründerin des ersten Viva con Agua-Vereins in Österreich. Ihr Engagement brachte sie im Herbst 2015 für ein Trinkwasser- und Sanitäranlagenprojekt nach Malawi. Die Zeit dort hat Melanie sehr geprägt – die Menschen, die Lebensfreude, aber natürlich auch die Armut, die fehlenden, industriellen Strukturen und die geringe Aussicht auf Verbesserung. „Für mich war es keine Option, wieder nach Hause zu fliegen und das Thema abzuhaken“, sagt Melanie.

Mel ist die Gründerin von Khala.   (c) Markus Hensel

In Malawi besuchte sie auch einen der landestypischen Märkte, wo es viele farbenfrohe Textilien zu kaufen gibt. Diese traditionellen, afrikanischen Stoffe, Chitenjes genannt, begeisterten Melanie sofort. Da es sie in Europa nicht zu kaufen gibt, nahm sie gleich eine Auswahl mit. Zurück in Deutschland brachten diese ungewöhnlichen Muster und Farben sie auf die Idee, die malawischen Stoffe mit europäischen Schnitten zu kombinieren und auf den Markt zu bringen. Ihre Mode sollte nicht nur stylisch und fair, sondern auch bezahlbar sein, denn sie will mit ihrem Konzept nicht nur die klassische Nische der teuren Öko-Mode, sondern eine breite Zielgruppe erreichen. Für die Mitarbeiter in Malawi wiederum bedeutet Khala konkret: das Dreifache von dem durchschnittlichen Gehalt, eine Krankenversicherung und geregelte Arbeitszeiten. Dafür wird es auch höchste Zeit, denn in den vergangenen Jahren wurde Malawi mit Billigtextilien aus Ländern wie China oder Indien überschwemmt. Aus diesem Grund gibt es dort auch nur noch eine Fabrik, die die Textilien für Khala tatsächlich vor Ort herstellen kann.

Das Khala-Kollektiv

Die Idee war da – aber alleine und ohne Kapital wäre es für Melanie schwierig gewesen, ein Start-Up wie Khala zu gründen. Deshalb nutzte sie ihr Netzwerk, fragte Freunde und Bekannte und fand so für viele Bereiche ehrenamtliche und motivierte Unterstützer. „Eigentlich sind wir mittlerweile ein richtiges Kollektiv“, erklärt sie mit einem Lächeln. Zum Kollektiv gehören unter anderem Hubert Mirlach, der sich um die audio-visuellen Medien kümmert, und Benedikt Habermann als Mann für die PR, der mittlerweile CO-Founder von Khala ist. „Zuerst wollte ich nicht CEO werden und habe sogar überlegt auszusteigen. Aber als nach der ersten Kickstarter-Kampagne die Produktion anlief und es dabei Probleme gab, bin ich mit Mel nach Malawi geflogen und war dann mitten drin“, sagt Benedikt.

Denn nach dem ersten Hoch nach der erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne, gab es viele Probleme. Der Stofflieferant machte Schwierigkeiten und die Zusammenarbeit mit der malawischen Designerin musste beendet werden – somit fehlte Khala zu Beginn der Produktion ein Atelier. Kurzerhand beschlossen Melanie und Benedikt nach Malawi zu fliegen und die Sache selber in die Hand zu nehmen. Mit welchen Problemen sie vor Ort kämpfen mussten und wie unterschiedlich die Kulturen sind, lernte Benedikt nach kurzer Zeit und schrieb seine Erfahrungen in seiner Kolumne für relaio auf. „Die Werkstatt aus dem Nichts aufzubauen, hat das ganze Projekt für mich auf ein anderes Level gehoben. Die Idee und der Afrikabezug gehen von Mel aus – aber ich stehe total hinter dem Gedanken des nachhaltigen Konsums. Dafür schlägt mein Herz“, sagt Benedikt. Und so wurde aus aus Mel und Bene die Habermann & Rödel GbR – zu 49 Prozent gehört Khala Benedikt und zu 51 Prozent Mel.

Auf der Suche nach dem richtigen Stoff

Nach der ersten Produktion gab es in Malawi eine weitere große Herausforderung: die Textilfabrik in Malawi. Eigentlich wollte Khala möglichst alles in Malawi produzieren, um die lokale Wirtschaft zu fördern. Doch die Qualität der Stoffe aus der heimischen Fabrik war nicht optimal und bei der zweiten Bestellung hätten sie sehr große Stoffmengen abnehmen müssen. Zu viel für das kleine Start-Up. Daher sind sie wieder dazu übergegangen die Chitenje-Stoffe in kleinen Auflagen auf dem malawischen Markt zu kaufen  – die dort aber nicht produziert werden. Für das Innenfutter der Jacken entdeckte Hubert nach längerer Recherche einen Vertrieb für Hanfwaren in Südafrika. Das Hanf-Öko-Baumwoll-Gemisch stellte sich als ökologischste Variante heraus, da Hanf viel weniger Wasser und Pestizide benötigt als Baumwolle. „Unser Ziel ist immer noch irgendwann selber in Malawi zu produzieren und dann die Stoffe auch aus Ökobaumwolle zu machen. Dafür brauchen wir aber eine bestimmte Abnahmemenge“, erklärt Benedikt.

Bene an seinem Stand beim Märchenbasar im Münchner Kreativquartier.   (c) Caroline Deidenbach

2018 war für Khala das Jahr der Festivals. Um die Marke bekannter zu machen, waren Mel und Benedikt auf vielen Festivals mit ihrem Stand. Es war auch ein gutes Jahr für Khala, weil sie endlich kein Geld mehr von der Familie brauchten, sondern sogar anfangen konnten geliehenes zurückzuzahlen. „Mel und ich haben aber bisher noch keinen Cent an Khala verdient“, erzählt Benedikt. Er selbst hält sich mit zwei Nebenjobs über Wasser und Mel, die seit September 2018 in Malawi ist, weil der Manager des malawischen Betriebs (unter anderem) Khala’s Steuergelder veruntreute hat und sie nun noch bis Ende Februar 2019 vor Ort alles selbst regeln muss, verdient durch Unternehmensberatung via Sykpe etwas dazu.

Neues Jahr – neue Herausforderungen

Für 2019 hoffen Benedikt und Mel, dass sie erstmal einen neuen Manager oder eine neue Managerin in Malawi finden, der sie vertrauen können. „Dass uns unser Manager beklaut hat, konnte ich anfangs gar nicht glauben. Es hat auch lange gedauert, bis er es zugegeben hat“, erzählt Benedikt. Die verschiedenen kulturellen Dimensionen, was Offenheit und Direktheit angeht, sind bei den Deutschen und den Malawiern sehr unterschiedlich. Etwas, was die Arbeit oft schwieriger macht. In ihrem Atelier gibt es immer wieder Probleme mit der Zuverlässigkeit ihrer Mitarbeiter – trotz der guten Gehälter kommt es vor, dass jemand nicht mehr zur Arbeit erscheint. „Schneider ist ein typisch männlicher Beruf in Malawi. Wir wollen uns aber auch mal nach Schneiderinnen umschauen, weil wir glauben, dass da die Zuverlässigkeit etwas höher sein könnte“, meint Benedikt.

Neben den alltäglichen Herausforderungen in Malawi wird auch die Arbeit in Deutschland immer mehr. Denn durch die Schaltung von Werbung auf Facebook und die Arbeit auf den Festivals, sind auch die Anfragen mehr geworden. E-Mail müssen also beantwortet werden, Pakete verschickt, Bestellungen entgegengenommen und die Teilnahme an Festivals organisiert werden. „Es wäre toll, wenn ich dieses Jahr in meinen anderen Jobs zehn Stunden weniger machen könnte und dafür zehn Stunden Arbeit bei Khala bezahlt bekommen würde“, sagt Benedikt. Außerdem gibt es wahrscheinlich auch die Möglichkeit ihre Produkte in zwei Geschäften in der Schweiz zu verkaufen – eine große Entlastung. Es gibt auch einige Neuerungen im Sortiment, unter anderem Wendejacken, bei der die Käufer die Farben selber zusammenstellen können. Außerdem wird es neben den bekannten Produkten, wie Röcken und Shorts, in Zukunft auch Taschen und Jutebeutel geben. An Herausforderungen mangelt es dem Khala-Kollektiv definitiv nicht!


(c) Headerbild Christoph Barthold

180 Degrees Consulting – studentische Beratung

Bei der Beratungsagentur entwickeln Studierende innovative und nachhaltige Strategien für soziale Unternehmen.

Eine Telefonseelsorgeeinrichtung, die erfolgreich Heranwachsende berät, aber durch steigende Kosten und sinkende Einnahmen in ihrer Existenz bedroht ist. Ein Start-Up, das nachhaltiges Toilettenpapier produziert, aber nicht genügend Kunden erreicht, um das Konzept zu etablieren. Eine Klimaschutzorganisation, die eine neue Strategie sucht, um Privatpersonen zu CO2 Einsparungen zu animieren, aber deren Mitarbeiter schon komplett ausgelastet sind.

Sozialunternehmen, gemeinnützige Organisationen und Initiativen leisten einen wichtigen Beitrag dazu, anderen Menschen zu helfen, die Umwelt zu schützen und die Welt zu einem etwas besseren Ort zu machen. Aber wer unterstützt sie, wenn bei ihnen selbst mal nicht alles nach Plan läuft? Der Australier Nat Ware hat dafür 2007 die Beratungsagentur 180 Degrees Consulting (180 DC) gegründet. Durch anspruchsvolle, aber kostengünstige Beratung möchte er sozial verantwortungsbewusste Projekte darin unterstützen, ihr volles Potential bei der Lösung ihres eigentlichen Aufgabengebietes zu entfalten. Sein Konzept: Die Beratung wird nicht von hauptberuflichen Unternehmensberatern übernommen, sondern von Studierenden. Diese arbeiten ehrenamtlich ein Semester lang neben dem Studium bei einem Beratungsprojekt mit und können so wertvolle Erfahrung sammeln. Die Projektpartner zahlen dadurch nur einen Unkostenbeitrag.

Der Ansatz hat sich bewährt: Mittlerweile haben sich an 87 Hochschulstandorten in 35 Länder unabhängig agierende Ortsgruppen von 180 DC gegründet – so auch in München. Dieses Semester hat der Münchner Standort unter anderem für die Telefonseelsorgeeinrichtung verschiedene Finanzierungsoptionen erarbeitet und eine Kooperation mit lokalen Unternehmen vorgeschlagen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen. Für den Toilettenpapierhersteller wurde eine Endkundenanalyse durchgeführt und die verstärkte Zusammenarbeit mit etablierten Einzelhandelsketten empfohlen. Und für die Klimaschutzorganisation wurde ein skalierbares Programm entwickelt, in dem engagierte Klimaschützer in einer ersten Stufe als Mentoren in ihrem Freundeskreis auftreten. Wir haben mit Elias Steiner, dem Vice President des als Verein organisierten Münchner Standorts von 180 Degrees Consulting gesprochen. Darüber wie so eine Beratung funktioniert, woher ihre Expertise stammt und welchen Mehrwert die Studierenden von ihrer Arbeit haben.

Wirtschaftsprüfung, Unternehmensberatung, studentische Beratung: Was macht eine Beratungsagentur aus und wie unterscheidet ihr euch davon?

Elias: Was jede Beratung ausmacht, ist der Blick von außen in eine Organisation hinein, der sehr wertvoll ist. Egal ob wachsendes Start-Up, etabliertes Unternehmen oder gemeinnützige Initiative – mit der Zeit verstetigen sich Prozesse und man hängt oft in den eigenen Strukturen fest. Eine Beratungsagentur unterzieht diese Strukturen einem kritischen Blick, kann frischen Wind hineinbringen, alte Muster neu denken und so eine Organisation unterstützen.
Den Projektpartnern, die wir beraten, fehlen ganz oft Ressourcen, um das Potential, das sie haben, zu entfalten. Sie haben dadurch häufig keine Zeit mehr, wichtige Themen wie beispielsweise Marketing, oder die Finanzierung von Projekten von Grund auf zu durchdenken und strategische Entscheidungen, die eigentlich wichtig wären, werden im Alltag oft von operativen Themen verdrängt. Eine konventionelle Beratung kommt für diese Organisationen aufgrund des Preises aber nicht in Frage. 
Wenn man konventionelle Beratung hört, denkt man meist an die großen Unternehmensberatungen. Die können auf riesige Ressourcen weltweit zurückgreifen und auf Expertise in den verschiedensten Bereichen. Da können wir nicht mithalten, aber das wollen wir auch gar nicht. Entscheidend für uns ist es jeden Ansatz, jeden Projektpartner neu zu denken. Unsere Berater sind junge Studierende, die im Normalfall ein Semester lang beraten und dabei ihre Erfahrungen und ihr Wissen aus dem Studium und ganz viel Leidenschaft mit einbringen. Wir gehen mit Sicherheit unerfahrener an die Dinge heran als eine große Unternehmensberatung. Aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch, sondern ist sogar wertvoll für unsere Arbeit, weil dadurch kreative, innovative Ideen entstehen können. Damit können wir einen ganz großen Mehrwert leisten.

Wie sieht denn eure Arbeit aus, innerhalb eines Semesters? 

Elias: Vor dem Semesterbeginn startet bei uns die einmonatige Bewerbungsphase, in der sich engagierte Studierende als Berater bewerben können. Wir entscheiden uns dann nach einem intensiven Auswahlprozess für die Bewerber, von denen wir überzeugt sind, dass sie am besten in eines unserer Projektteams und zu unseren Werten passen. Direkt danach trifft sich jedes Projektteam mit dem Projektpartner, lernt sich kennen und stellt offene Fragen. Das ist ganz wichtig am Anfang, um die Projekte in eine klare gemeinsame Richtung zu lenken. Deswegen sollen die Projektteams vertieft herausfinden, was die Ausgangslage ist und mit welchen Herausforderungen sie es überhaupt zu tun haben.
Während des Semesters arbeiten die Teams dann eigenverantwortlich an einer individuell zugeschnittenen Strategie für den Projektpartner. Unterstützung bekommen die Teams dabei von einem unserer drei erfahrenen Consulting Director, deren Aufgabe es in erster Linie ist, die Arbeit der Beraterteams hin und wieder auf den Prüfstand zu stellen. Außerdem haben wir immer wieder Feedbackrunden, in denen explizite Fragestellungen bearbeitet werden können und auf einer Mid-Term-Präsentation werden die Zwischenergebnisse vorgestellt. So stellen wir sicher, dass alle auf dem richtigen Weg sind. Am Ende des Semesters steht das Abschlussevent, bei dem in einem öffentlichen Rahmen das ganze Projekt anschaulich präsentiert wird. In den letzten Wochen findet dann noch die finale Abschlusspräsentation beim Projektpartner statt, bei der im Detail vorgestellt wird, was gemacht wurde, zu welchem Ergebnis man gekommen ist und welche Empfehlungen und Handlungsstrategien erarbeitet wurden. Parallel zu den Projekten läuft natürlich viel Organisatorisches im Hintergrund. Wir müssen schon vor dem Semesterstart die richtigen Projekte auswählen, das entsprechende Marketing betreiben, die richtigen Studierenden ansprechen und die Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern vorantreiben.

Bei 180 Degrees Consulting arbeiten Studierende ehrenamtlich bei einem Beratungsprojekt mit und können so wertvolle Erfahrung sammeln. (Fotocredit: 180 Degrees Consulting Munich e.V.)

Woher kommen eure Projektpartner, wie akquiriert ihr sie?

Elias: Am Anfang – uns gibt es seit 2015 in München – lief es meistens über persönliche Beziehungen. Jemand kannte etwa jemanden von den SOS Kinderdörfern. Man hat dann zusammen ein super Projekt durchgeführt – aber eben überwiegend über Beziehungen. Mittlerweile haben wir über Jahre konstant zufriedene Projektpartner und das spricht sich rum, gerade im sozialen Umfeld. Deswegen haben wir keine Probleme mehr Projekte zu finden. Im Gegenteil, wir müssen auswählen, welche Projekte wir wirklich machen wollen und müssen entscheiden, wo wir am meisten Wirkung haben, wo wir uns am besten weiterentwickeln können und wo wir am meisten Input geben können. Mit einigen Organisationen haben wir auch Folgeprojekte durchgeführt. Und natürlich haben wir gewisse Anforderungen an unsere Projektpartner und an uns. Beispielsweise achten wir auf hohe Diversität der Projekte, und so kommt meist auch ein kleiner Teil unserer Projekte aus Kaltakquise.

Woher kommt eure Expertise in der Beratung eurer Projektpartnern in fachspezifischen Themen?

Elias: Das macht Beratung gewissermaßen auch in einem professionellen Umfeld aus. Man beschäftigt sich sehr oft mit Themen, mit denen man sich davor noch nie beschäftigt hat. Aber man hat einfach schlaue und motivierte Köpfe, die sich von außen neuen Themen annehmen und diese von Grund auf aufarbeiten. Genauso sind auch wir nicht in allen Bereichen, in denen wir arbeiten, von Anfang an Experten. Aber wir bauen uns das auf. Wir arbeiten in schwierigen Projektphasen mit externen Mentoren, Experten und erfahrenen Unternehmensberatern zusammen. Zu Beginn und während des Semesters organisieren wir Workshops, bei denen wir den Beratern Wissen und Methoden vermitteln. Mit unseren Kooperationspartnern, den Beratungsunternehmen Oliver Wyman und CGI führen wir jedes Semester thematisch wechselnde Workshops durch. Und wir organisieren auch den ein oder anderen Impuls. Dieses Semester hatten wir zum Beispiel Verena von dem Ökostromanbieter Polarstern da, die einen Workshop über Arbeit mit Sinn gegeben hat, oder Frank von der Nachhaltigkeitsberatung fors, der schon mehrmals einen Nachhaltigkeitsimpuls gegeben hat. Wir entwickeln uns so Semester für Semester weiter – damit aber auch die nachfolgenden Berater auf dieser Expertise aufbauen können, bauen wir gerade ein standortübergreifendes Wissensmanagement auf. Wir sammeln für jedes Projekt die relevanten Daten und überlegen, was wir sinnvoll für zukünftige Projekte verwenden können. Ein Steckenpferd von uns, Impact Measurement, haben wir inzwischen in vier Projekten durchgeführt und die Expertise, die wir uns da aufgebaut haben, erfolgreich an folgende Projektteams weitergegeben.

In Workshops werden den Studierenden durch externe Mentoren und erfahrene Unternehmensberater Wissen und Methoden vermittelt. (Fotocredit: 180 Degrees Consulting Munich e.V.)

Was haben die Studierenden von ihrer Tätigkeit bei 180 DC?

Elias: Man kann anwenden, was man im Studium lernt, sich durch die Teamarbeit Fähigkeiten aneignen und durch den Input weiterbilden – und dabei kann man sich sozial engagieren. Ich glaube diese Kombination ist relativ einzigartig in München und deswegen eine großartige Möglichkeit. Außerdem kommt der Spaß bei uns nie zu kurz und man lernt super viele Leute kennen, die ähnliche Werte haben oder entwickeln. Das ist eine tolle Gemeinschaft, aus der neben engen Freundschaften auch ein spannendes Netzwerk entsteht.

Für viele eurer Bewerber stellt 180 DC mit Sicherheit auch die erste Gelegenheit dar, einmal als Berater oder Consultant zu arbeiten. Hast du das Gefühl, dass viele eurer Bewerber dies als Trittbrett sehen, um später mal bei einer großen Unternehmensberatung zu arbeiten?

Elias: Es ist mit Sicherheit so, dass Unternehmensberatungen auch Leute suchen, die sich neben ihrem Studium engagiert haben und die auch mal über den Tellerrand hinausgeschaut haben. Wir bieten unseren Beratern praxisorientierte Strategieprojekte, man lernt das Feingefühl für den Kunden und nebenbei leben wir eine stark ausgeprägte Feedbackkultur, die für die richtige Teamdynamik extrem wichtig ist. Insofern ja, 180 DC kann eine gute Vorbereitung sein, wenn man einmal in eine große Beratung will, auch wegen der guten Kontakte, die man hier knüpfen kann. Aber gleichzeitig sind hier genauso viele Leute dabei, die beruflich in eine komplett andere Richtung gehen wollen. Unsere Berater haben ganz unterschiedliche fachliche Hintergründe und Ziele, das ist wirklich ein bunter Mix. Klar haben wir viele Wirtschaftswissenschaftler hier. Aber von Management sozialer Innovationen über Tourismusmanagement, Medizin, Ethnologie, Soziologie, Psychologie, Ingenieurswissenschaft und Physik bis hin zu Theologie war alles schon vertreten. Viele die bei uns beraten, gehen später in den Non-Profit- oder Social-Bereich und wir haben auch Alumni, die selbst im sozialen Bereich gegründet haben. Wir haben Leute, die um die Welt tingeln und solche, die an den großen Universitäten promovieren, oder bei Konzernen arbeiten. Und klar haben wir auch welche dabei, die irgendwann bei den großen Strategieberatungen arbeiten. Teil unserer Mission ist es, verantwortungsbewusste Führungskräfte mit einem entsprechenden Werteverständnis auszubilden. Wenn wir das in viele verschiedene Organisationen tragen können, ist das umso schöner. Diese Vielfalt zeichnet uns aus und macht es so aufregend mitzuarbeiten.


(c) Fotocredit: 180 Degrees Consulting Munich e.V./ Beitragsbild: Sebastian Preiß

forStory – Filmen fürs Miteinander

Mit der richtigen Geschichte Chancen stärken und Vorurteile abbauen.

Dem Alltag entfliehen, wer wünscht sich das nicht ab und zu? Glücklicherweise reicht hierfür manchmal schon Popcorn, Cola und ein guter Streifen Made in Hollywood, um die Welt um sich herum für eine Weile zu vergessen. Ob Herzschmerz oder heroische Heldentaten, der Einfallsreichtum der Traumfabriken scheint dabei schier grenzenlos zu sein. Aber wer erzählt eigentlich die Geschichten der Menschen, für die kein roter Teppich ausgerollt wird und die sich trotzdem tagtäglich für andere einsetzen? Diesen Helden des Alltags widmet sich das Münchner Unternehmen forStory und das mit der Idee, genau ihre Geschichten in bewegten Bildern festzuhalten.

 „Wir wollen die Geschichte von gemeinnützigen Organisationen erzählen und ihnen damit helfen, auf sich aufmerksam zu machen und Unterstützer zu bekommen. Unsere eigene Vision ist es, zu zeigen, wie man sich persönlich engagieren kann und wie das Engagement von jedem Einzelnen auch etwas bewirken kann“, erklärt Alexander Conrad. Zusammen mit Philipp Exler und David Hahn ist er einer der Gründer von forStory. Ins Leben gerufen wurde das Projekt auch aus einer bestimmten Not heraus.

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Moe‘ s Story – Die Erfolgsgeschichte eines Flüchtlings aus Sierra Leone in München ist das Erstlingswerk der Filmemacher von forStory.

So fehlt es kleinen sozialen Vereinen, Projekten und Start-Ups oft an den notwendigen finanziellen Mitteln sowie am nötigen kommunikativen Know-how, um erfolgreich auf sich aufmerksam zu machen.  Genau hier soll forStory ansetzen und ein Sprachrohr bieten. Dafür dreht das Team Filmbeiträge, die im Gegensatz zu reinen Imagefilmen nicht bloß ein Projekt ins rechte Licht rücken, sondern dessen gesellschaftlichen Impact und somit die Wirkung ihres gesellschaftlichen Engagements festhalten wollen.  Damit das möglich ist, werden die Kosten für solche Impactfilme so niedrig wie möglich gehalten. Klar, auch das Drehteam muss sich das leisten können. Deshalb wird auch mit größeren Unternehmen und NGO´S zusammengearbeitet um mithilfe des damit erzielten Gewinns auch die Geschichten sozialer Initiativen einzufangen.

„Es ist wichtig, dass wir Organisation vorstellen, aber viel wichtiger ist es sich zu fragen: Was passiert dadurch, dass sie das machen, was sie machen? Was verändert sich für die Gesellschaft?“ sagt Philipp. Seit der Gründung 2016 wurden bereits in über 100 Beträgen Antworten auf diese Fragen filmisch festgehalten. Auch sonst ist viel passiert: Das Team hat sich zu einer GmbH firmiert, ist nach einigen Stopps zur Zwischenmiete in die ersten eigenen Büros gezogen und auch das Team selbst ist gewachsen. So gibt es neben den drei Gründern noch Praktikanten und Werkstudenten, die dabei helfen das Unternehmen am Laufen zu halten. Außerdem sollen bald weitere Festangestellte das Team vergrößern.

Die forStory-Gründer David Hahn (zweiter von links), Philipp Exler (Mitte) und Alexander Conrad (rechts) mit ihrem gesamten Team auf dem Impactfilm Festival 2018.

Auch neue Formate und Finanzierungsmodelle entstehen gerade. „Aktuell arbeiten wir zusammen mit dem SEND e.V. und dem RKW Kompetenzzentrum an einer Videoreihe über Social-Start-Up-Gründer und Gründerinnen. Ermöglicht wird das Projekt aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft. Wir versuchen also verstärkt die Umsetzung von Projekten mit kleineren Initiativen zu sichern, indem wir Partner finden, die das auch finanziell ermöglichen“, sagt Philipp. So soll auch in Zukunft, die Mission von forStory gesichert werden: Sichtbarkeit schaffen.

Für alle anderen Stories, die es verdient haben, gedreht zu werden, sich das aber nicht leisten können, wurde 2017 das Impactfilm Festival ins Leben gerufen.  Hier wird kleinen, aber nicht unwichtigen, Initiativen die Chance gegeben, sich mit engagierten Filmemachern zu vernetzen und Teil eines Wettbewerbsbeitrags zu werden. Die Idee ging auf – und das mit so großem Erfolg, dass das Festival nach zwei erfolgreichen Durchführungen ein Jahr pausieren wird, um die gestiegenen Nachfrage auch bewältigen zu können und ein passenderes Konzept auszuarbeiten. In Zukunft wird es also wohl noch einiges zu bestaunen geben. Schon jetzt sieht Philipp in forStory gar nicht mehr so sehr ein Start-Up, sondern vielmehr eine Filmagentur, die nicht mehr oder weniger die führende Filmagentur im Bereich Nachhaltigkeit werden will. Und das für Philipp aus gutem Grund: „Dieses Ziel treibt uns an, jeden Tag ein bisschen mehr zu machen.“


(c) Alle Bilder: forStory

treibgut – Ist das Kunst oder kann das weg?

Über Mut, Kunst und Kultur zwischen Raummangel und Gentrifizierung

treibgut – das ist eine Münchner Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ausgediente Materialien aus der Kunstszene vor dem Müllcontainer zu retten, sie aufzuarbeiten und aus ihrem Lager heraus, wieder Kunst- und Kulturschaffenden zukommen zu lassen. Treibgut will somit Raum schaffen für den persönlichen Austausch und der Beratung sowie Vernetzung Kunst- und Kulturschaffender. Das macht treibgut auch zu einem Fördertool, denn: Leute kommen, man unterhält sich darüber, was man vorhat und wie man es lösen kann, wie man welches Material verbauen könnte. Ein Fördertool ist treibgut auch deshalb, da Materialien zu einem weitaus geringeren Preis weitergegeben werden, als es auf dem Markt üblich wäre. Gut für eine kreative Szene also, die – anders als die großen Namen und Bühnen – keine riesen Budgets zur Verfügung hat und sich so trotzdem notwendige Utensilien zur Umsetzung eigener Projekte besorgen kann.

Das geht aber nur, wenn die eigenen Kosten so gering wie möglich gehalten werden. Wären die Kosten für Transport, Arbeitsaufwand und Lagerung der Materialien zu hoch, wäre das am Ende auch der Preis für Endabnehmer und der Vorteil zu neuen Materialien wäre dahin. Konkret wird ein großer Teil der Kosten – wie die Mietkosten für das Lager –  durch einen öffentlichen Träger übernommen. So kann treibgut, mit kommunaler Unterstützung, Räume frei nutzen, die in einem Wirtschaftszentrum wie München sonst kaum zu bezahlen sind. Diese Unterstützung ist überlebenswichtig für eine Initiative, deren Erlöse allein noch nicht das Leben ihrer Gründer finanzieren kann. Gut und wichtig ist sie trotzdem. Denn treibgut ist vor allem ein soziales Projekt, das sich nicht auf einen einzigen Schwerpunkt festlegen will und ökologische sowie gesellschaftlichen Interessen verbindet. Als nicht-kommerzielle Initiative ist es dennoch schwer sich in einem Umfeld zu behaupten in dem Raummangel und Gentrifizierung schon längst keine Schlagwörter, sondern reale Bedrohungen für das Leben und seine Kultur in der Großstadt geworden sind.

Wie kann also eine solche Initiative in einem Umfeld funktioniert, indem Wohnungsnot und Gentrifizierung auf der Tagesordnung stehen? Für Antworten sprachen wir mit den Gründern von treibgut Boris Maximowitz und Jonaid Khodabakhshi in ihrem Lager im Münchner Kreativquartier.

In Wirtschaftszentren wie München ist mietbarer Raum oft kaum bezahlbar. Wie seid ihr zu eurem Lager gekommen?

Jonaid: Wir hatten Glück. Die Räume wurden uns vom Kulturreferat kostenlos überlassen, nachdem wir dort bereits das Konzept unserer Lagerinitiative vorgestellt hatten.

Boris: Wir haben einfach versucht auszuarbeiten was wir hier vorhaben – über persönliche Gespräche und mithilfe einiger Leute, die uns unterstützt haben. Letztlich haben wir leerstehende, städtische Räume bekommen. Ich kannte die Räume bereits von einer Ausstellung, bei der ich mitgewirkt habe.

Würdet ihr das, was ihr macht, als einzigartig in einer Stadt wie München bezeichnen?

Jonaid: Bisher schon, also ich wüsste jetzt nicht, dass jemand das hier schon macht. Ich höre auch immer wieder: „Ah cool, dass ihr das macht, das hat hier noch gefehlt“.

Da kann man schon drauf stolz sein, oder?

Jonaid: Stolz in Details würde ich sagen. Ein Detail ist beispielsweise die Ausstellung die Boris alleine gestemmt hat und mir danach erzählt hat, dass er sie mit nur neun Euro umgesetzt hat.  

Boris: Das war auf jeden Fall ein Erfolgserlebnis. Eine komplette Ausstellung, vom Licht bis zur Ausstellungsarchitektur bei der fast keine Kosten angefallen sind.

Boris (links) und Jonaid (rechts) wollen mit treibgut ein fester Bestandteil der Münchner Kreativszene werden.

Was war die Idee eurer Ausstellung?

Boris: Es gab schon lange Gespräche darüber, eine Ausstellung zu machen, bei der unser Netzwerk an befreundeten Künstlern der hier ansässigen Kunstszene Raum zur Verfügung gestellt bekommt, um ihre Sachen zu präsentieren. Das Kreativquartier – also das Gelände auf dem wir uns befinden – hat sich dann an einem Stadtteilfest angeschlossen und direkt im Anschluss das Panama Plus Festival veranstaltet. Für letzteres wurden wir auch angefragt, etwas zu machen. Die Ausstellung ging über zehn Tage, hieß „White Cube. Not.“ und sollte einen Versuch darstellen mit den Räumlichkeiten eine Kreuzung, beziehungsweise Hybridform zwischen dem Lagerinventar und einer klassischen Kunstaustellung umzusetzen. Das hat erstaunlich gut geklappt. Wir haben versucht das Lagerinventar direkt zu nutzen um die Ausstellungsarchitektur hochzuziehen und ich habe das ganze eigentlich als installatives und skulpturales Gesamtpaket gesehen, in das ich dann die einzelnen Werke von insgesamt elf Künstlern eingebettet habe. Aus meiner Perspektive hat das sehr gut funktioniert. Das wurde auch vom Publikum so empfunden. Zudem sind wahnsinnig viele Leute vorbeigekommen, die sowohl die Ausstellung gesehen haben, als auch das Lager kennen gelernt haben. Das war für uns eine gute Art von direkter Öffentlichkeitsarbeit.

Wollt ihr mit solchen Aktionen euch auch ein zweites Standbein als Kulturplattform aufbauen?

Boris: Bis jetzt war die Ausstellung erstmal ein Versuch überhaupt den Raum anders zu nutzen. Ich glaube, wir müssen uns erst noch darüber klar werden, ob sowas wieder stattfindet oder ob das eine einmalige Geschichte war. Wir hatten jetzt auch wieder eine Anfrage für ein Konzert im kleinen Rahmen, wo wir bereits beschlossen haben, dass wir das eher nicht machen wollen. Auch aus dem Grund, dass der Fokus hier wirklich auf Lager, Lagerbestand und Aufarbeitung liegen soll.

Habt ihr euch schon Gedanken gemacht, wie ihr euch finanziell absichern könnt?

Boris: Da sind wir dann doch eher die pragmatischen Typen, die vor Ort versuchen den Laden am Laufen zu halten. Aber klar, Unterstützung bräuchten wir eigentlich schon. Wir sind am Überlegen noch Leute mit ins Boot zu holen, die Aufgaben, wie zum Beispiel Pressearbeit, übernehmen. Es ist schwer den Laden voranzubringen, wenn wir zu zweit alle Aufgaben übernehmen müssen, ohne dass das finanziell was abwirft. Unsere Jobs, mit denen wir unsere Leben bestreiten, fressen auch sehr viel Zeit. Da wird klar, dass die Dimension von realisierbaren Projekten immer auch an die finanzielle Situation geknüpft ist. Letztlich vergrößern wir aber auch die Möglichkeiten bei Leuten, die durch unsere Initiative in der Lage sind künstlerische Projekte umzusetzen. Wenn man hier für 100 Euro einkauft, kann man viel mehr künstlerisch umsetzen, als wenn man alle Materialien neu kaufen müsste. Das ist für mich schon auch stark Grundimpuls und Motivation zugleich. Das gibt dem Ganzen eine Sinnhaftigkeit.  

Mit eurer Unterstützer-Rolle seid ihr auch Gestalter der Kunstszene? 

Boris: Das versuchen wir. Wir wollen zu einem festen Bestandteil der freien Szene in München werden, indem wir als klarer Anlaufpunkt für Kunstschaffende und Kreative, die Projekte umsetzten wollen, agieren.

Eure Heimstätte – das Kreativquartier – soll in den nächsten Jahren mit viel Geld umgestaltet und ausgebaut werden, einige Gebäude sind der Abrissbirne schon zum Opfer gefallen. Wie sieht eure Zukunft hier aus? Müsst ihr hier irgendwann raus?

Jonaid: Wir haben auf jeden Fall ein Verfallsdatum. Wir haben die Ansage, dass dieser ganze Gebäudezug abgerissen wird, definitiv. Nicht das ganze Areal, aber der Rahmenbebauungsplan sieht vor, dass rundherum im Kreativquartier sehr viel abgerissen wird und neugebaut wird, was eben auch unser Lager betrifft. Das heißt, über kurz oder lang müssen wir uns neue Räume suchen

„Wir haben auf jeden Fall ein Verfallsdatum“ —  auch treibgut muss in absehbarer Zeit der Abrissbirne weichen. 

Und das habt ihr vor?

Jonaid: Das hängt davon ab, wie unser Projekt beim Kulturreferat gesehen wird und ob sie gemerkt haben, dass das, was wir machen, Hand und Fuß hat. Wir sind uns aber auch im Klaren darüber, dass wir mehr auf uns aufmerksam machen müssen, damit auch Außenstehende ein Gefühl dafür bekommen, wie ernst es uns damit ist.

Habt ihr Angst, dass eine freie, urbane Kunstszene der reichen „Hochkultur“ weichen muss?

Boris: Ja, momentan ist hier eines der letzten Gelände, dass ein bisschen Keimstätte sein kann, wo es einfach ein bisschen wilder zugeht und die Kreativszene noch nicht durchinstitutionalisiert ist.

Jonaid: … und nicht durchweg kreativwirtschaftlich ist. Kreativwirtschaft: dieser Begriff sagt schon aus, dass Kunst ökonomisch sinnvoll und funktional sein muss. Wenn es solche Vorgaben gibt, die du von vornherein erfüllen musst, dann kannst du dich gar nicht frei entfalten.

Sind Ökonomisierung und Institutionalisierung die typischen Charakteristika eures Umfelds?

Boris: Ja, Freiräume platt machen. Auch hier, diese Quadratmeter, die wir haben, die sind sehr teuer. Das ist Luxusboden hier – einfach zu zentral. Ich habe mitbekommen, dass Teile der Lokalpolitik versuchen so viel wie möglich zu erhalten. Anderen Teilen der Politik ist es aber völlig egal. Für die ist es wichtiger hier Wohnungen hinzustellen. Das kann man schon ein Stück nachvollziehen, da prallen verschiedene Welten und Interessen aufeinander. Aber ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass das Gelände hier wahrscheinlich in fünf oder zehn Jahren soweit umgemodelt ist, dass für eine freie Kreativszene nicht mehr viel Platz ist. Umso wichtiger ist es, dass gerade die Leute vom Gelände und die Leute aus der freien Szene sich dafür einsetzten und dafür kämpfen, dass Freiräume erhalten bleiben. Im Grunde geht es darum den MUT zu haben sich dafür einzusetzen und auch den Mut zu haben, von Seiten der Stadt diese Freiräume zuzulassen und nicht alles kontrollieren zu müssen.

Mit den Freiräumen wird es also ganz schön knapp. 

Jonaid: Man merkt, dass Kunst und Pragmatismus kaum nebeneinander existieren können. Warum auch immer. Klar, wenn hier Wohnungen entstehen, was auch wichtig ist, weil man bezahlbar wohnen muss, dann muss aber auch ein Supermarkt und dies und das und jenes rein und schon hast du als Nebeneffekt, dass alles andere verschwinden muss, weil es nicht effizient genug ist.

Für treibgut ist es wichtig den Mut zu haben sich für kreative Freiräume einzusetzen.

Woran liegt das?

Boris: Kunst wirft kein direktes Produkt ab. Das was es abwirft, das ist schlecht kalkulierbar. Aber so ist das mit kreativen Freiräumen: da kann was entstehen, muss aber nicht. Ebenso wenig ist Kunst planbar. Es kann sein, dass der kreative Output gering ist, es kann aber auch sein, dass Künstler hier zugange sind, die in zehn Jahren international ausstellen. Aber es kann nur und muss nicht – das ist anscheinend zu wenig. Das wird immer sofort weg argumentiert. Trotzdem, ich finde es sinnvoll hier zu bleiben und dann wird man sehen, wie es weitergeht.

Jonaid: Oder wir bauen selber.

Boris: Aus Pappkarton, haben wir ja alles draußen.


(c) Alle Bilder: Sebastian Preiß

Experience Design Kolumne – Folge 2

Prototypen

Nils Enders-Brenner ist Designer und hat einen Kommunikationshelfer entwickelt, der vor allem hörgeschädigte Menschen in der Kommunikation mit hörenden Personen unterstützen soll. Für relaio schreibt er über seine Erfahrungen, seine Projekte und die Herausforderungen, auf die er bei seiner Arbeit stößt.

In letzter Zeit habe ich mich sehr wenig mit dem Kommunikationshelfer beschäftigt. Das passiert, wenn man einen Vollzeitjob, freiberufliche Arbeiten und zusätzlich noch einige Projekte am Laufen hat. Trotzdem werde ich euch berichten, was ich bis jetzt mit dem Kommunikationshelfer gemacht habe. Außerdem habe ich mit dem Gerät schon einiges erreichen können. 

Der Kommunikationshelfer, oder auch „Kommunikationsstörer“ genannt, ist ein Gerät, das die Kommunikation zwischen den Menschen verbessern soll. Es sendet immer wieder ein Feedback, welches den Menschen an einfache Kommunikationsregeln erinnern soll. Das war ein Masterprojekt an der Technischen Universität München beim Lehrstuhl Industrial Design. Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, dann könnt ihr bei der ersten Kolumne einiges darüber lesen.

Seit der ersten Kolumne habe ich den zweiten Prototyp stabiler gemacht, damit ich ihn einer Testgruppe zur Verfügung stellen kann. Die Testgruppe befindet sich an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut. Sie ist bereit, das Gerät für einen längeren Zeitraum zu testen. Sie werden das Gerät überwiegend in Besprechungen und Vorlesungen einsetzen und auf die Funktionalität überprüfen. Es wird ebenfalls beobachtet, welche Auswirkung das Gerät auf die Gesprächsteilnehmer hat. Sie werden den zweiten Prototyp so lange testen, bis ich den dritten genauer und besser ausgearbeitet habe.

Welche Pläne habe ich nun mit dem dritten Prototyp?

Der dritte Prototyp sollte auf jeden Fall dem Benutzer die Möglichkeit geben, die Einstellungen direkt am Gerät vorzunehmen. Damit kann der Benutzer das Gerät so genau wie möglich einstellen, bis es ziemlich perfektioniert ist. Das heißt, das Gerät muss bestimmte Kommunikationsfehlverhalten erkennen, bevor es ein Feedback abgeben darf. Ich versuchte das damals schon im zweiten Störer einzubauen, aber da fehlten mir die Zeit und Erfahrungen. Jetzt werde ich dafür sorgen, dass ich es schaffe.

Gleichzeitig mache ich auch weitere Recherchearbeit. Ich bin gerade dabei herauszufinden, welche Art von Filter für den Störer am bestens geeignet ist, um unerwünschte Geräusche, wie Echos, herauszufiltern. Zudem bin ich auf der Suche nach einem feineren Mikrofon und auch nach einem geeigneten Programmierer, der sich in Kleinelektronik auskennt und C-Dialekt beherrscht. Natürlich könnte ich auch selbst programmieren, aber das dauert bei mir zu lange. Der Code muss allgemein genauer, effektiver und effizienter sein, wenn das Gerät auf dem Markt kommen soll. Solltet ihr Leser jemanden kennen, der sich mit sowas auskennt, meldet euch bei mir! Ich würde mich sehr freuen!

Ich habe mir inzwischen gebrauchte gute Lötkolben gekauft, da ich keinen Zugang zu den Werkstätten mehr habe, die ich damals als Student der TU München immer und gerne besucht habe. Jetzt löte ich ab und zu mal abends, wenn ich von der Arbeit heimkomme, an dem Mikrokontroller und seinen Bauelementen in der Wohnung. Während meiner Arbeiten habe ich es sogar höchstwahrscheinlich geschafft, den Mikrokontroller kaputt zu machen. Ich bezeichne es nicht als ein herber Rückschlag, sondern als einen kleinen Fortschritt, weil ich aus Fehlern lerne.

Erinnert ihr euch noch, dass ich in der vorigen Kolumne geschrieben habe, dass ich immer noch keinen Namen für den Störer gefunden habe, welches aber noch Zeit bis zur endgültigen Marktreife hat? Ende Mai ist mir ein Geistesblitz gekommen, und habe den Namen gefunden. Doch das werde ich euch noch nicht verraten, da ich noch nicht 100-prozentig sicher bin, ob es überhaupt klappt! Den Namen werdet ihr erst in der nächsten oder übernächsten Kolumne erfahren.

Dafür werde ich euch jetzt eine gute Nachricht überbringen. In der vorigen Kolumne habe ich ebenfalls erwähnt, dass der Störer einen Auftritt bei der Munich Creative Business Week, MCBW 2018 im Oskar-von-Miller-Forum hatte. Dort war gleichzeitig auch ein Wettbewerb von Universal Design, wo ich auch das Gerät vor der Jury und den Besuchern präsentiert beziehungsweise vorgestellt habe. Anfang Mai bekam ich eine E-Mail von dem Universal Design Institut, dass ich mit meiner Einreichung erfolgreich war. Einige Wochen später hat T. Bade, der Geschäftsführer des Universal Design Instituts, mir ein Zertifikat im Lehrstuhl Industrial Design überreicht. Ich war sehr begeistert von dem Zertifikat, das zwei Siegel von Universal Design Winner Consumer 2018 und Expert 2018 trägt. Es ist das erste Mal, dass eins meiner Designprodukte eine Auszeichnung erhielt. Zwar bin ich nicht der Gold Winner, aber das ist nur der Anfang meiner Designkarriere. Mit der Auszeichnung habe ich bewiesen, dass ich es geschafft habe Design, für alle zu kreieren, da der Kommunikationshelfer bei jeder Diskussion der versteckte Mittelpunkt ist und den Menschen hilft.

Jetzt, liebe Leser, endet die schriftliche Kommunikation langsam. Hoffentlich hat euch die Kolumne gefallen! Zudem möchte ich mich herzlich bei allen Mitwirkenden für die Unterstützung meiner Masterarbeit und der Realisierung des Gerätes bedanken! Falls ihr irgendwelche Anregungen habt oder an einer Zusammenarbeit interessiert seid, könnt ihr mich sehr gerne anschreiben!


(c) Alle Bilder: Daria Stakhovska 

Experience Design Kolumne – Folge 1

Kommunikationshelfer

Nils Enders-Brenner ist Designer und hat einen Kommunikationshelfer entwickelt, der vor allem hörgeschädigte Menschen in der Kommunikation mit hörenden Personen unterstützen soll. Für relaio schreibt er über seine Erfahrungen, seine Projekte und die Herausforderungen, auf die er bei seiner Arbeit stößt.

Jedes Mal, wenn ich den Störer präsentieren will, fange ich mit den zwei Fragen an: „Können Sie mich hören? Können Sie mich sehen?” Sobald die Zuhörer und Zuschauer zweimal bejaht haben, schließe ich dann mit: „Wunderbar, das ist Kommunikation und die funktioniert, weil wir uns verstehen können.” In dieser Kolumne könnt ihr mich aber nicht hören, sondern nur lesen. Also muss ich in diesem Fall folgendes schreiben: „Können Sie mich lesen?” Hoffentlich habt ihr es verstehen können, ich weiß es nicht, da ich eure Reaktion nicht sehen kann. Ihr seht, wie hochkompliziert die Kommunikation ist, denn sie ist immer mit Störungen verbunden. Diese sind sehr vielfältig:

Es gibt technische Störungen, zum Beispiel wenn wir uns in einem Funkloch befinden und unser Taschentelefon kein Empfang mehr hat. Dann können wir nicht kommunizieren. Es passiert ebenfalls, wenn wir von Informationen überflutet werden, sodass wir nicht mehr zwischen wichtigen und unwichtigen unterscheiden können. Natürlich gibt es auch die Störung durch die Sprache, das kann passieren, wenn die Menschen keinen gemeinsamen Sprachcode haben, wie beispielsweise ein Gespräch zwischen einem Norddeutschen und einem Bayern.

Als ich noch ein Masterstudent der Technische Universität München am Lehrstuhl Industriedesign war, habe ich das Thema Kommunikation ausgesucht, da ich mich damit sehr gut auskenne. Erstens habe ich mich in meiner Bachelorarbeit intensiv mit Kommunikation beschäftigt. Zweitens bin ich von Geburt an hochgradig schwerhörig, das heißt, dass ich so gut wie taub bin. Und drittens musste ich während meiner ganzen Lebenszeit  mit unterschiedlichen Kommunikationsbarrieren zurechtkommen, diesen ausweichen oder sie vermeiden.

Bei meiner Masterarbeit ist mir bei der Recherche aufgefallen, dass die meisten, wenn nicht alle, hörgeschädigten Studierende in ganz Deutschland vom Staat unzureichend gefördert werden. Der Staat unterschätzt nicht die wirklichen Probleme der Hörschädigung. Es ist ein großes Thema und darüber wird noch viel diskutiert.

Hörschädigung ist eine unsichtbare “Behinderung” (manche sprechen gar nicht von einer Behinderung, weil sie ein Teil der Gehörlosenkultur mit ihrer eigenen Sprache, der Gebärdensprache ist). Die Bürger können die Hörschädigung nicht sehen im Vergleich zu einem Rollstuhlfahrer oder einem Blinden. Diese Art von Behinderungen sind sichtbar und ihnen wird sofort Aufmerksamkeit geschenkt. Doch diese Aufmerksamkeit erhalten die Hörgeschädigten nicht, obwohl sie besonders viel davon brauchen, wenn sie sich in der Gesellschaft wohl fühlen wollen.

Bei meiner Masterarbeit habe ich versucht, die Kommunikation zwischen den hörenden und hörgeschädigten Studierende an den deutschen Universitäten wieder auf Augenhöhe zu bringen. Dabei habe ich die Methoden der Designforschung verwendet. Das heißt, ich habe zuerst viel über die Gehörlosenkultur und Schwierigkeiten der Hörschädigung in der hörenden Gesellschaft recherchiert. Erst als ich das erweiterte Grundwissen erlangt habe, habe ich 14 betroffene Studierende aus München und Hamburg interviewt. Nebenbei machte ich auch zwei Workshops mit insgesamt 30 Teilnehmern in Bayern. Am Ende ist durch intensive Recherche ein „Kommunikationsstörer“ entstanden.

Die Masterarbeit hat mir unglaublich viel Spaß gemacht und ich habe jeden Tag ungefähr zehn Stunden über sechs Monate hinweg dafür gearbeitet. Ich habe recherchiert, dokumentiert und am Ende einen Prototypen gebaut. Jetzt fragt ihr bestimmt, was ein Störer ist und was er macht?

Bei der Recherche habe ich herausgefunden, dass die meisten der hörgeschädigten Studierenden oft lieber alleine lernen oder zu zweit, da sie die Diskussionen mehrerer Kommilitonen nicht verfolgen können. Zudem sind die meisten der Universitätsleute sehr schlecht über Gehörlosigkeit aufgeklärt.

Außerdem habe ich auch noch die interessante Sache herausgefunden, dass es sich oft nicht lohnt, das Problem einfach weiterzuverfolgen. Am Ende entsteht zwar eine Lösung, aber mit neuen  Problemen. Also habe ich mich dann in die entgegensetze Richtung bewegt, indem ich die Kommunikationsstörungen nicht reduziere, sondern sie verstärke. Ihr wisst ja, dass die Störungen nicht zu vermeiden, sondern nur reduzierbar sind. Auf diese Weise bleibt das Problem nicht nur an einem Hörgeschädigten hängen, sondern das Problem wird allen in der Gruppe bewusst.

Und wie funktioniert nun eigentlich der Störer?

Er funktioniert folgendermaßen: Das Gerät liegt unauffällig auf dem Tisch, während die Studenten ihre Gruppenarbeit machen. Der Störer kommt erst zum Einsatz, sobald einer der Gesprächspartner zu laut oder zu schnell spricht. Er stört den Sprecher durch ein lautes Feedback mit einem hohen primitiven Pfeifton. Das passiert ebenfalls, wenn die Sprecher sich gegenseitig unterbrechen. In diesem Fall muss der Hörgeschädigte den anderen nicht andauernd bitten, langsamer oder deutlicher zu sprechen. Das muss er nun nicht mehr machen, sondern das macht der Störer, der nun im Mittelpunkt steht und nicht der Mensch. Eine erfolgreiche Kommunikation funktioniert nur, wenn sie alle gegenseitig Rücksicht nehmen.

Ich erzähle den anderen gerne, dass die Menschen sich an den Störer anpassen müssen, wenn sie sich unterhalten wollen. Ihr wisst ja, dass die meisten Gegenstände so entworfen sind, dass sie sich an den Benutzer anpassen müssen.

Der Störer kann aber auch für andere Menschen sehr interessant sein. Es gibt unglaublich viele Anwendungsgebiete, wo das Gerät eingesetzt werden kann. Seine Hauptaufgabe ist, den Menschen wieder qualitatives Kommunizieren beizubringen. Er kann bei der Sprachtherapie eingesetzt werden, um den Menschen gegen das Stottern zu helfen, oder um eine Fremdsprache noch fließender zu beherrschen mit dem richtigen Rhythmus. Auch beim Präsentationstraining kann er verwendet werden, da er den Sprecher dazu erzieht, dass dieser im richtigen Sprechtempo und und der richtigen Lautstärke spricht. Das Gerät hat einen weiteren  Pluspunkt, der heute immer wichtiger wird: Es sammelt keine Daten und es funktioniert in Eigenregie, das heißt, es wird kein Internetanschluss benötigt.

Ich habe zu diesem Thema bereits mehrere Präsentationen gehalten, wie ich am Anfang schon erwähnt habe. Bei einem Vortrag an der HAW Landshut wollten die Zuschauer mir gleich den  Prototyp abkaufen wollten. Das ging leider nicht, da der Störer sich  noch einem Entwicklungsstatus befindet und noch etwas unausgereift ist. Ich war jedoch bereit, den Prototyp für Testversuche zur Verfügung zu stellen und mir selber einen Neuen zubauen.

Das Gerät hatte auch einen Auftritt bei der Munich Creative Business Week, MCBW 2018 im Oskar-von-Miller Forum gehabt. Es hat zwar den Wettbewerb nicht gewonnen, aber es hat für Aufmerksamkeit gesorgt und die Besucher haben mich immer wieder ermuntert, es weiter zu verbessern.

Und was passiert als nächstes?

Wichtig ist für mich, den Prototypen zu einem marktfähigen Produkt zu machen. Um das zu erreichen, müssen die Funktionen noch besser werden. Natürlich muss weiter fleißig Feedback eingesammelt werden, indem er Testversuche durchläuft. Und das Patent muss noch eingereicht werden. Am Ende erfolgt dann die Werbung, die ich eigentlich jetzt schon mache, damit der Störer die erforderliche öffentliche Aufmerksamkeit bekommt.

Und ich habe immer noch keinen Namen für den Störer gefunden, aber das hat noch Zeit bis zur endgültigen Marktreife.

Schließlich möchte ich erwähnen, dass die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht einen stärkeren Eindruck hinterlässt, als die Kommunikation über technische Geräte oder soziale Medien.

Wie sich das Kommunikationsgerät weiterentwickelt und ob es vielleicht auch bald einen Namen gibt, erfahrt ihr in der nächsten Kolumne.


(c) Alle Bilder: Daria Stakhovska 

Störer – für eine bessere Kommunikation

Der Industriedesigner Nils Enders-Brenner hat ein Gerät entwickelt, dass die Menschen zu mehr Sprechkultur erzieht.

Eine Gruppe Studierender sitzt zusammen und diskutiert den durchgenommenen Stoff. Ein Student spricht. Plötzlich fällt ihm eine Studentin ins Wort und auf einmal reden alle durcheinander. Nicht gerade höflich und für jeden etwas schwierig – aber an sich eine ganz normale Situation, solange man alles hört. Doch wenn eine Person dabei ist, die schwerhörig oder  taub ist, dann ist es ein Ding der Unmöglichkeit  einer solchen Diskussion zu folgen. Um seine Mitstudierenden in so einem Moment auf ihr Handeln Aufmerksam zu machen, hat Nils Enders-Brenner den Störer entwickelt. Ein Gerät, das in dem Augenblick, wenn eine Person zu schnell oder laut spricht oder jemanden unterbricht, ein Störgeräusch von sich gibt und signalisiert, dass gerade etwas nicht passt.

Schon während des Bachelorstudiums in Kunst und Design an der Universität Bozen, hat Nils das Thema zwischenmenschliche Kommunikation begleitet. Nach einem Auslandsjahr in Schweden im Anschluss an seinen Bachelor verschlug es ihn für den Masterstudiengang Industrial Design nach München. Bei der Suche nach einem Thema für seine Masterarbeit, entdeckte er die Methode des Experience-Designs für sich: „Dabei denkt man weniger an die Lösung, sondern setzt sich erst einmal an die Recherche und Forschung und versucht daraus etwas zu entwickelt.“

Ein kulturelles Problem?

Beim Interview von hörgeschädigten Studierenden an der LMU in München, kristallisierten sich drei Hauptprobleme heraus, die die Probanden hatten. Erstens: Professoren, Mitarbeiter und Studierenden wissen nicht, wie sie mit Hörgeschädigten kommunizieren sollen. Zweitens: Die Trennung zwischen Hörenden und Hörgeschädigten, beispielsweise durch unvollständige Mitschriften (da diese nie ganz vollständig sein können) oder Gebärdendolmetscher (wobei nicht jeder Gehörlose die Gebärdensprache versteht, besonders wenn sie von den Lippen ablesen können). Drittens: Die Schwierigkeiten, die in Lerngruppen auftreten und dazu führen, dass Hörgeschädigte selten daran teilnehmen. „In Italien und Amerika ist das beispielsweise anders, die sind freundlicher und offener. In Deutschland gibt es da nicht so eine große Bereitschaft sich ‚einzuschränken‘ bzw. anderen mehr entgegenzukommen“, sagt Nils.

Nils Enders-Brenner mit dem Prototyp des Störers.

Was also tun? Normalerwiese wird ein Produkt, laut Nils, dem Menschen angepasst. In diesem Fall ist es aber umgekehrt, denn der Mensch muss sich hierbei an das entworfene Objekt anpassen und beispielsweise seine Sprechgeschwindigkeit reduzieren. Nils hat also weitergeforscht, mit Hörenden Gruppen und gemischten Gruppen von Hörenden nicht Nicht-Hörenden. Die gemischte Gruppe stellte sich als viel effizienter raus. Die hörenden Studierenden verstanden im Austausch besser die Probleme der Hörgeschädigten. Entwickelt wurden daraus vor allem App-Ideen, die bei Nils nicht auf Zuspruch stießen: „Bei einer App ist man immer vom Smartphone abhängig, daher kam das für mich nicht in Frage.“

Sprecherziehung für Hörende

Der Störer – wobei dieser Name noch nicht final ist – kommt ganz schlicht daher. Eine Runde, schwarz-graue Box, in der Mitte ein kleines Loch mit einem Mikrophon. Wenn der Störer dann erst mal angeschaltet ist, versteht man das Konzept schnell: spricht man zu schnell oder sind die Hintergrundgeräusche zu laut, gibt er ein unangenehmes Brummen von sich. Das irritiert erst mal. „Wenn das dann öfter passiert, lernt man langsamer und deutlicher zu sprechen, sodass auch ein Hörgeschädigter ohne Probleme von den Lippen ablesen kann“, sagt Nils.

Aber der Störer kann auch in anderen Bereich genutzt werden. Wie zum Beispiel als Präsentationstrainer, um eine bestimmte Sprechgeschwindigkeit beizubehalten, in Schulen, wenn die Kinder zu laut sind oder wenn ein Gebärdensprachdolmetscher dabei ist und der Redner selber zu schnell spricht, erinnert ihn der Störer daran, dass er langsam reden muss, damit die Gebärden auch zeitgleich das Gesagte wiedergeben können. 

Nils Enders-Brenner im Oskar-Miller-Forum während der Munich Creative Business Week.

Im Zuge seiner Masterarbeit hat Nils auch ein einmonatiges Stipendium der Hans Sauer Stiftung für den MakerSpace der TU München bekommen. „Die Zeit im MakerSpace hat mir Sicherheit und Motivation gegeben selber mit dem Lötkolben zu arbeiten – da war ich mir vorher immer unsicher. Ich wollte in dieser Zeit vor allem Dinge lernen und beobachten, wie gewisse Dinge funktionieren“, sagt Nils.

Nils arbeitet daran, dass der Störer kleiner wird und noch weniger auffällt. Daher soll er bestenfalls am Ende aus Holz und Kork bestehen. Statt einem Mikrofon soll es mehrere geben, damit das Gerät auch in größeren Gruppen funktioniert. Interessenten, wie die Dolmetscher-Studierenden der Hochschule Landshut, gibt es bereits. Mit ihnen plant Nils eine längere Testphase, um den Störer zu perfektionieren.  Dafür will er aber zuerst eine Software entwickeln: „Damit soll das Gerät einfacher zu bedienen sein, also auch für Menschen, die keine Codesprache beherrschen.“ Der soziale Mehrwert seiner Arbeit ist ihm bei allem, was er entwickelt, sehr wichtig. „Für mich ist der soziale Mehrwert  eine Selbstverständlichkeit.“ Und das Thema ist ihm auch ein persönliches Anliegen – Nils ist selbst hochgradig schwerhörig.


(c) Alle Bilder: Daria Stakhovska

Too Good To Go – Auf den Teller statt in die Tonne

Ein Start-Up zeigt, dass vom nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln alle profitieren.

Keine Hektik! Warum auch, denn egal wie lang der Tag im Büro oder in der Uni auch ist, die Theken und Töpfe von Restaurants, Cafés und Obstläden sind bis spät abends prall gefüllt. Einerseits, weil wir es so wollen und der Handel im Kampf um jeden Kunden mitspielt, andererseits, weil ein solches Überangebot einen Wettbewerbsvorteil bietet, den man als Konsument gerne annimmt. Was nun mehr stimmt, bleibt ungewiss. Sicher ist jedoch, dass durch diesen Überfluss eine ganze Menge Lebensmittel weggeworfen werden. So landet das meiste, das nach Laden- und Küchenschluss übrig bleibt, nicht auf dem Teller, sondern im Müll – allein in Deutschland jährlich knapp elf Millionen Tonnen.

Was also tun? Diese Frage stellten sich 2015 auch die drei Dänen Stian Olesen, Thomas Bjørn Momsen und Klaus Pedersen als sie zusehen mussten, wie am Ende eines Restaurantbesuchs noch gutes Essen einfach entsorgt wurde. Die Antwort war schnell gefunden: „Too Good To Go“. Entstanden ist damit eine App, die Anbieter überproduzierter Speisen und Lebensmittel mit hungrigen Interessenten vernetzen will, die bereit sind, nach Laden- oder Restaurantschließung die Reste für einen günstigeren Preis abzuholen. Wie genau das funktioniert, weiß Teresa Rath. Sie kümmert sich unter anderem um das Marketing des deutschen Ablegers der mobilen Anwendung: „Die App ist super unkompliziert aufgebaut. Auf der Startseite werden direkt alle Angebote in der näheren Umgebung angezeigt. Der Nutzer kann sich aussuchen, auf was er Lust hat und es nach Art des Essens und angebotener Uhrzeit filtern. Ist das Essen ausgesucht, wird direkt über die App bezahlt und das Essen muss zur angegeben Zeit nur noch abgeholt werden“, erklärt Teresa.

Aussuchen, bestellen, bezahlen — geregelt wird alles mithilfe der App. (C) To Good To Go

Ziel dahinter ist es eine Situation zu schaffen, von der letztendlich jeder etwas hat. Lebensmittelhändler und gastronomische Betriebe können ihr gutes Essen noch an Frau und Mann bringen, müssen es also nicht entsorgen und die Kunden profitieren vom reduzierten Preis und tragen gleichzeitig zum nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln bei. Das Start-Up selbst bekommt für jede verkaufte Mahlzeit einen Euro Provision – eine Win-Win-Win-Situation also. Dabei werden vor allem wertvolle Ressourcen geschont. „Darauf sind wir super stolz! Wir haben jetzt schon insgesamt vier Millionen Mahlzeiten vor der Tonne gerettet, womit 7.000 Tonnen C02 eingespart werden konnten“, erklärt Teresa. Um das zu erreichen, soll zudem das gesamte Konzept so nachhaltig wie möglich gestaltet werden. Dafür will das Start-Up auch eine Gemeinschaft entstehen lassen, deren Mitglieder sich nicht nur als effiziente Unternehmen und Schnäppchenjäger verstehen, sondern als Mitglieder einer Community von Lebensmittelrettern. Teresa betont dabei: „Für uns ist es wichtig, dass verschiedenen Akteure gemeinsam an einer Lösung mitwirken können. Man hat das ja oft, dass die Leute gegenseitig mit dem Finger auf sich zeigen: Die Politik schiebt es auf den Handel, der wiederrum schiebt es auf die Verbraucher. Selbst wenn das stimmt, es bewegt sich dabei nichts. Daher war uns wichtig, verschiedene gesellschaftliche Akteure miteinander zu vernetzen.“

Und die Community wächst schnell: Mittlerweile gibt es die App des Start-Ups in neun europäischen Ländern mit rund vier Millionen Nutzern. Allein in Deutschland sind es momentan eine Million. Hierzulande wird die App von einem Team von 20 Mitarbeitern gesteuert. Der fast gleichzeitig zum dänischen Pendant gegründete deutsche Ableger ist dabei in über hunderten Orten vertreten. Neben Städten mit der höchsten Nachfrage wie Berlin und Hamburg, gibt es das Angebot der App auch mehr und mehr in ländlichen Gebieten. Aber auch im großen Rahmen will das Start-up weiterhin wachsen. So soll die App in immer weiteren Ländern verfügbar sein. 

In Deutschland gibt es „Too Good To Go“ mittlerweile in über 300 Gemeinden und Städten. (C) To Good To Go

Auch neue Kundengruppen sollen erschlossen werden. So gibt es schon einige Supermärkte, die ihre übrig gebliebenen Lebensmittel über die App anbieten. Kritische Fragen, ob so ein Angebot anderen, bereits bestehenden Initiativen, wie der Tafel, schaden würden, weist Teresa zurück: „Man kann dort sehr gut in Kombination mit anderen Initiativen zusammenarbeiten. Sie funktionieren organisatorisch auch nochmal ganz anders. Das lässt sich gut kombinieren, da wir ganz andere Mengen vermitteln können. Bei uns kommen die Kunden etwa direkt in den Laden und holen sich ihre Bestellung einfach ab. Dabei lassen sich auch geringere Mengen retten, die sich etwa für die Tafel nicht lohnen würden abzuholen. Mit Too Good To Go können somit auch frisch zubereitete Lebensmittel mitgenommen werden. Da können wir einfach sehr gut Hand in Hand arbeiten und eine Lücke füllen.“


(C) Titelbild: To Good To Go

shoemates – Schritt für Schritt eine gute Sache

Wie ein Start-up mit dem Prinzip „Get One, Give One“ afghanischen Kindern den Zugang zur Schulbildung erleichtert

Der Wecker klingelt – wie immer viel zu früh. Was dann passiert ist jedem, der schon mal eine Schule besucht hat, vertraut: Es folgt ein Sprint vom Bett ins Klassenzimmer, begleitet von der Hoffnung, dass am Ende, dieses nicht ganz freiwilligen Workouts, keine Ex in Mathe wartet. Dann die Erleichterung, kein Test – Glück gehabt. Oder doch nicht? Denn was oft als Schrecken aus der Kindheit in Erinnerung bleibt, ist eigentlich ein Privileg und das hat einen Namen: Bildung. Sie ist ein Mittel, für unsere Selbstverwirklichung – beruflich wie privat.

Der Schulbesuch als Sprungbrett in ein selbstbestimmtes Leben ist im wohlhabenden Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Ganz anders in Afghanistan. In dem von Krieg und Terrorismus zerrüttenden Land, fehlt es an fast allem und ganz besonders an Geld. Tägliche Gewalt, Vertreibung und eine steigende Armutsrate von fast 40 Prozent hindern etwa jedes dritte afghanische Kind am regelmäßigen Schulbesuch. Wenn Bildung hier eines nicht ist dann selbstverständlich. Obaid Rahimi will das ändern. Dafür hat der 30-jährige Hamburger mit afghanischen Wurzeln das Projekt „Shoemates“, ein Online-Shop mit eigener Schuh-Kollektion, ins Leben gerufen.

Mit Schuhspenden sollen afghanische Schulkinder eine bessere Chance auf Bildung erhalten. (C) shoemates

Besonders ist daran, dass jedes Paar Schuhe nach dem Prinzip „Get One, Give One“ verkauft wird. Die Idee dahinter: Findet hierzulande etwa ein Paar Sneaker einen neuen Eigentümer, wird analog ein paar Schuhe an ein afghanisches Schulkind gespendet. Während das verkaufte Paar in Spanien oder Portugal produziert wird, wird das gespendete Paar wiederum dort produziert, wo es auch zum Einsatz kommen soll – also in Afghanistan. Fragt man warum, hat Obaid eine pragmatische Antwort parat: „Weil ich durch meine afghanischen Wurzeln direkten Kontakt in das Land habe und somit die richtigen Leute für das Unternehmen finden konnte. Mein Onkel ist dort in einer Menschenrechtsorganisation tätig und hat uns mit einem Produzenten und einer NGO zusammengebracht, die uns ganz genau sagen können, wer die Schuhe erhält und wann – das ist uns wichtig.“ Und zwar aus gutem Grund: So wird durch die lokale Produktion der Schuhe einerseits die Wirtschaft vor Ort angekurbelt, andererseits wird garantiert, dass die Spende auch dort ankommt, wo sie hin soll – nämlich bei den Schulkindern. Und die haben in gleich zweierlei Hinsicht etwas davon. Durch eine stärkere heimische Wirtschaft können sich mehr afghanische Familien die Mittel für den Schulbesuch ihrer Kinder leisten und die gespendeten Schuhe ermöglichen das Bestreiten des Schulweges durch unwegsames Terrain. Das ist nicht zu unterschätzen, in einem Land in dem Hochgebirge und Subtropen aufeinandertreffen.

Obaid hat Philosophie und BWL in Hamburg studiert und letzteres nochmal im Masterstudiengang an der Uni Passau. Dort ist in dieser Zeit auch die Idee zu shoemates entstanden. Zusammen mit seinen Kommilitonen Julia Jockwer und Marc Langener ist im Rahmen eines Gründungswettbewerbs und mit einem Startkapital von fünf Euro sowie der Gründung einer GbR das Projekt ins Rollen gekommen. „Wir hatten ein Semester Zeit um ein Unternehmen aufzubauen. Das lief viel besser, als gedacht. Wir haben es sogar geschafft Schuhe zu produzieren und zu verkaufen. Letztlich haben wir ein Preisgeld von circa 1.500 Euro gewonnen. Das haben wir reinvestiert, mehr Schuhe bestellt und 2015 eine GmbH gegründet. Alles ungefähr in einem Jahr,“ sagt Obaid. Ganz neu war die Idee nicht. Angelehnt ist Shoemates an Obaids weiterhin bestehendem Vorgängerprojekt „headmates„, bei dem aber keine Schuhe, sondern Mützen im Vordergrund stehen.

Obaid Rahimi — Mitbegründer von shoemates. (C) Barabara Lersch

Für den Wechsel von der Mütze zum Schuh gibt es zwei wesentliche Gründe. Neben der Möglichkeit sie auch in kleinen Mengen vergleichsweise günstig herzustellen, ist es vor allem der Mangel an qualitativ brauchbaren Schuhspenden. „Schuhe werden tendenziell kaum gespendet, beziehungsweiße sind die Spenden in einem so schlechten Zustand, dass die Menschen, die sie benötigen, nicht sehr viel davon haben. Da gibt es eine große Nachfrage“, sagt Obaid. Um diese zu stillen, wurde neben den online angebotenen Schuhen, ein Spendenschuh entwickelt, der nicht modisch, sondern in erster Linie funktional ist. Wäre der Schuh zu modisch, bestünde zu leicht die Gefahr, dass er, anstatt getragen zu werden, weiterverkauft wird – damit wäre die Arbeit des Start-ups wirkungslos.

Man muss überlegen, was ein afghanisches Kind denkt, wenn es einen neuen Schuh bekommt. Habe ich ein neues Paar Schuhe oder etwas, dass ich verkaufen kann. Damit das nicht passiert, haben wir einen Schuh gewählt, der nicht modisch ist. Ein simpler, robuster Schuh in schwarz, der den Fuß komplett umgibt und absolut funktional ist – aber ohne Weiterverkaufswert.

Obaid Rahimi – Gründer von Shoemates 

Anders sieht es bei der Produktion der Schuhe aus, die via Online-Shop vertrieben werden und die finanzielle Haupteinnahmequelle des Unternehmens sind. Wurden diese zu Beginn noch als White Label geordert und mit dem eigenen Markenemblem versehen, wird mittlerweile ein Designer beauftragt, mit dessen Zusammenarbeit bereits eine Vielzahl an Modellen entstanden sind. Dabei wird versucht einem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht zu werden, indem die Produktion 2017 vollständig von Asien nach Europa verlagert wurde und Rohstoffe wie Leder nur aus kontrollierter Herstellung bezogen werden. Um die dabei anfallenden Aufgaben bewältigen zu können, ist um shoemates ein fünfköpfiges Team entstanden.

Mit ihrem Angebot will shoemates weiter wachsen und den europäischen Markt erobern. (C) shoemates

In Zukunft hat das Team noch viel vor. Das nächste Ziel ist Eroberung des nordeuropäischen Marktes, bei dem die Niederlande den Anfang machen sollen. Auch das Team wird bald um zwei neue Mitarbeiterinnen wachsen. Langfristig sollen auch südeuropäische Länder zu Absatzmärkten werden. Vor allem im Online-Handel und seinen Prozessstrukturen sieht Obaid die Möglichkeit gegeben diese Ziele auch zu erreichen. „Damit kannst du Vieles mit wenig Aufwand erreichen“ –  und für die Bildung lohnt sich das allemal. 


(c) Titelbild: shoemates 

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