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RECUP – To-go-Becher nachhaltig gestalten

Pfand statt Einwegbecher, auch beim Kaffee für unterwegs

Am Morgen halb aus dem Bett in die Dusche gefallen, schnell angezogen und dann ab Richtung Uni oder Arbeit. Auf dem Weg holt man sich dann noch einen Coffee-to-go, der, sobald er nicht mehr die Zunge verbrennt, schnell heruntergespült wird. Offensichtlich geht es nicht mehr ohne den Wachmacher aus dem Einwegbecher. Aber auch nicht mit: Nach kurzer Zeit landet der Becher in der Tonne –  oder daneben. Und das allein in Deutschland 320.000 Mal in der Stunde.

Der Einwegbecher ist für viele das Paradebeispiel unserer Wegwerfgesellschaft, die nur konsumiert und schnell durch Neues ersetzt. Aber es gibt Alternativen: Zum Beispiel den eigenen Kaffeebecher ins Café mitbringen. Aber den müsste man immer dabei haben, wenn man mal eben unterwegs Lust auf Kaffee hat. Für viele ist das nicht alltagstauglich. Abhilfe schaffen da die Gründer des Münchner Start-Up RECUP, die mit einem Pfandsystem für wiederverwendbare Becher die komplette Coffee-to-go Landschaft aufrollen.

Pfand statt Einweg

Fabian Eckert und Florian Pachaly haben sich ganz unabhängig voneinander Gedanken über das Becherproblem gemacht. Der Münchner Fabian hat Leadership for Sustainability in Malmö, Schweden, studiert und hat für ein Projekt an seiner Universität die Pappbecher in den Cafeterien gegen Tassen ausgetauscht – das Thema ist hängen geblieben. Beide erzählten am exakt gleichen Tag Julia Post, der Macherin der Kampagne gegen Einwegbecher  „Coffee-to-go-again“, von ihrer Idee. „Jetzt habt ihr mir an einem Tag genau dasselbe erzählt. Ihr solltet unbedingt miteinander reden“, meinte Julia da zu Florian.

Gründer Florian Pachaly im Münchner Café gangungäbe, das seine Einwegbecher durch die RECUPs ausgetauscht hat.

Danach ging alles sehr schnell. Innerhalb von drei Monaten starteten die Jungs ihre Testphase in Rosenheim, um herauszufinden, ob so ein Pfandsystem für Coffee-to-go-Becher überhaupt funktioniert. Weder Logo noch Becher waren bis zu dem Zeitpunkt wirklich ausgreift und trotzdem kamen schnell 26 Partner vor Ort zusammen, die teilweise ihre Becher nicht mal mehr zurückgeben wollten. „Wir wollten eigentlich nach acht Wochen erst einmal alle wieder einsammeln und die Ergebnisse auswerten, aber viele Cafés wollten weiter machen“, sagt Florian. Also blieben die Becher wo sie waren und gleichzeitig wurden neue, schönere Becher in zwei verschiedenen Größen und Farben in Auftrag gegeben.

Sie sind, wie Tupperware, aus Polypropylen, ein recycelbarer Kunststoff, der hitzebeständig, bruchsicher, lebensmittelecht und leicht ist. Der Hersteller garantiert 500 Spülgänge und im Test mit einem Spülmaschinenhersteller wurden sogar 1000 Spülgänge mit Erfolg getestet. Sollte ein Becher kaputt gehen, sendet RECUP ihn einfach zurück an den Hersteller, einem mittelständigen Unternehmer im Allgäu, der das Material wiederverwenden kann. Aber auch wenn er im Müll landet, wird er von den meisten Abfallwirtschaftssystemen aussortiert und in einen gesonderten Kreislauf gegeben. Seit einiger Zeit läuft bei der Deutschen Umwelthilfe außerdem eine Studie zur Ökobilanz von Mehrwegbechern – und auch der RECUP ist dabei. „Es kam heraus, dass bei 20-maliger Nutzung der RECUP nachhaltiger ist, als ein Einwegbecher“, sagt Johanna Perret von RECUP, die seit Beginn am Aufbau des Start-Ups mitgearbeitet hat.

 

Die RECUP-Gründer Fabian (links) und Florian (rechts)                                                                                                                     (c) RECUP

RECUP goes Südafrika

Mittlerweile gibt es über 2.000 Partner in ganz Deutschland, die Teil des RECUPS-Pfandsystems sind, unter anderem in größeren Städten wie Hamburg, München, Berlin und Köln, aber auch in kleineren Städten, wie Oldenburg, Ludwigsburg, Augsburg oder Böblingen – und in ganzen Regionen, wie dem Allgäu, dem Bodensee oder Schwäbisch Hall. Alle Partner sind übersichtlich auf der RECUP-Karte (www.recup.de/app oder als Download-App) verzeichnet. Das RECUP-Team ist dementsprechend gewachsen. Waren es Ende 2016 nur Fabian und Florian, so sind es nun ganze 23 Mitarbeiter, die den Betrieb am Laufen halten. Selber finanzieren können sie sich aber noch nicht. Denn den einzigen Verdienst, den sie an dem Pfandsystem haben, ist der monatliche Mitgliedsbeitrag von einem Euro pro Tag pro Standort der Cafés. Seit 2018 gibt es aber auch ein Kaufprodukt: den Deckel, der nicht beim Pfandsystem dabei ist. „Nicht alle Partner wollen einen Deckel, zum einen, weil sie es nicht als nötig erachten und zum anderen aus hygienischen Gründen“, erklärt Johanna. Neu hinzu kam auch der 0,2 Liter Becher als dritte Größeneinheit in der To-go-Becher-Familie und bisher gibt es bereits 24-Städte-Kooperations-Editionen.

Das Jahr 2018 war für RECUP also ein Jahr voller Veränderungen und Wachstum. Ein Highlight war hier der Preis für den Gründer des Jahres, bei dem RECUP einer von acht Gewinnern war. Auch 2019 soll es so weitergehen und vor allem soll die Frage der Internationalisierung angegangen werden, für die es bisher noch keine konkrete Lösung, aber viele Ideen gibt. Anfang des Jahres überraschte das Start-Up dann alle mit der Mitteilung, dass es ab jetzt RECUP auch in Südafrika geben wird. „Unser Ziel ist es, dass es bald keine Einwegbecher mehr gibt“, sagt Florian.


(c) Alle Bilder Sebastian Preiß

fairafric – Naschen für den guten Zweck

fairafric stellt die fairste Schokolade der Welt her. Wie? Indem sie die „Speise der Götter“ komplett in Ghana produzieren.

116 Tafeln Schokolade pro Jahr isst der Deutsche im Durchschnitt. Damit liegt der Konsum hierzulande noch über dem der Schweiz. Doch die Basis für Schokolade, die Kakaobohne, kommt ganz woanders her. Ursprünglich wuchs der Kakaobaum im nördlichen Südamerika, sowie in Mittelamerika. Die Frucht wurde von den Maya und Azteken auch als „Speise der Götter“ bezeichnet. Mittlerweile hat sich die Produktion aber vor allem nach Westafrika verschoben – etwa 70 Prozent der Kakaobohnen kommen aus diesen Regionen, mit der Elfenbeinküste und Ghana an der Spitze. Das Problem: Der Preis für die Kakaobohnen ist so niedrig, dass viele Bauern ums Überleben kämpfen müssen – nicht nur die konventionellen Bauern, sondern auch die, die nach Fairtrade-Standards arbeiten.

Die Schokolade von fairafric kommt aus Ghana, aber eben: nicht nur die Kakaobohnen, sondern die gesamte Schokolade. Der Gründer des Start-Ups, Hendrik Reimers, ist ein bekennender Schokoladenliebhaber, ein Hobby-Chocolatier und Afrikafan. Nach seinem BWL-Studium hat er erst eine ganz klassische, betriebswirtschaftliche Karriere gemacht und hat bei großen Firmen wie SAP und IBM gearbeitet. Anfang 2016 kam Marc Schiff-Francois zum fairafric-Team dazu, der dieses bis Ende 2018 begleitete und mittlerweile auf Grund eines privaten Ortswechsels nicht mehr mit dabei ist.

Schokolade made in Africa

Auf die Idee mit der Schokolade kam Hendrik als er ein Jahr mit seiner Freundin in Kairo lebte. Von dort aus unternahm er viele Reisen durch Afrika. Als er eine Zeit bei einer Kaffee-Kooperative in Uganda verbrachte, merkte er, wie sehr das die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort verbesserte. Wäre das nicht auch mit Kakao und Schokolade möglich? Diese Idee ließ ihn nicht mehr los. Zurück in Deutschland arbeitete erst noch einmal bei einem Software-Start-Up, um sich ein Startkapital zusammenzusparen. Nebenher baute er seine Kontakte in Afrika aus und machte in seiner Küche in München Experimente mit eigens hergestellter Schokolade – von der Kakaobohne bis zur Tafel.

Gründer Hendrik Reimers mit Kakaofarmern in Ghana.

In Ghana fand Hendrik Ende 2015 ein halbstaatliches Unternehmen, dass auch Schokolade produzierte – kleine, 20-Gramm-Täfelchen thermoresistenter Schokolade für den lokalen Markt. Hendriks Idee: die Schokolade vor Ort zu produzieren, damit mehr von der Wertschöpfungskette im Land bleibt. Denn der  Gewinn an der Schokolade, 70 Prozent um genau zu sein, bleibt normalerweise bei den Schokoladenproduzenten. Die Kakaobauern bekommen weniger als zehn Prozent des Preises einer verkauften Schokolade. Selbst die Fairtrade-Zertifizierung bringt den Bauern nur wenige Cent mehr ein als der Verkauf von konventionellen Kakaobohnen.

Um die Idee voran zu treiben und die ersten Tafel produzieren zu lassen, startete Hendrik im August 2016 eine Kickstarter-Kampagne – ein voller Erfolg. Fairafric will aber viel mehr, als nur Schokolade produzieren. Hendrik sieht sich und sein Team als Mittelsmänner an. Vor Ort arbeiten nur Ghanaer und die Kakao-Kooperative hat sogar eine Frauenquote von 50 Prozent. fairafric hilft ihnen, einen Fuß in den westlichen Markt zu bekommen, der ihnen sonst versperrt wäre. Mittlerweile hat das Start-Up eine so große Fangemeinde, dass sie im April 2017 und im Oktober 2018 weitere Kickstarter-Kampagnen starteten und beide Male mehr als doppelt so viele Gelder bekamen, wie als Mindestsumme benötigt wurde. Durch die Kampagnen war es fairafric möglich, mehr Sorten anzubieten – seit der zweiten Kampagne auch in der klassischen 100-Gramm-Packung – und auch mit einem Bio-Siegel zu versehen. Außerdem arbeitet das Team seit einer Weile an einer kompostierbaren Verpackung.

Das Team von fairafric (von li nach re): Vorne: Hendrik Reimers und Julia Gause. Hinten: Yayra Glover, Charlotte Knull und Bea Draese.

Fair in allen Situationen

Die letzte Lieferung von fairafric hat die Vorgaben für die Bio-Zertifizierung leider nicht erfüll. Die Kakaobohnen der  Partnerkooperative Yayra Glover, mit der sie arbeiten, haben die Bio-Standards nicht erfüllt und konnten daher kein Bio-Siegel bekommen. Hendrik beschloss, trotzdem ihre Ware zu kaufen und ihnen den Bonus von 600$ pro Tonne Bio-Kakaobohnen auszuzahlen. Schließlich sind er und sein Team auch eine soziale Verantwortung mit der Kooperative eingegangen – und die nächste Charge wird dann auch hoffentlich wieder Bio sein. Auch auf die weiteren Zutaten der Schokolade wird viel Wert gelegt. Nicht immer ist es möglich Fahrtwege zu vermeiden und nur afrikanische Produkte zu nutzen, da sie oft schwer in Bio-Qualität zu bekommen sind – Milchpulver wird in Afrika beispielsweise so gut wie gar nicht genutzt und daher kommt es für die fairafric-Schokolade von einem Demeter-Hof im Berchtesgadener Land. Den Zucker wird aber es wahrscheinlich schon 2019 aus Afrika geben.

Um das ganze Unternehmen noch fairer zu machen, ist Hendrik Ende 2018 noch einen großen Schritt weitergegangen. Er hat eine Stiftung gegründet und im Zuge der Kickstarter-Kampagne konnten die Käufer Farmer-Anteile an fairafric verschenken. Damit werden die Farmerinnen und Farmer der Kakaobohnen in Zukunft auch an den Gewinnen des Start-Ups beteiligt sein.


(c) Alle Bilder fairafric

Ökoesel – Gemeinsam mehr Bio

Bei dem Münchener Projekt werden regionale und Bio-Lebensmittel bezahlbar und normale Kunden zu solidarischen Mitgliedern.

Gründe für den Griff ins Bio-Sortiment gibt es genug. Ob Dioxin in Fisch und Ei oder Tierquälerei – viele Konsumenten wollen das nicht mehr hinnehmen und bevorzugen vermehrt Produkte mit einem Bio-Siegel, denn sie versprechen eine nachhaltige Herstellung und Beschaffenheit von Produkten. Das belegen auch konkrete Zahlen: Der Bio-Anteil am Lebensmittelumsatz hat sich so in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt und liegt bei einem Marktanteil von etwa 5,9 Prozent. Trotz allem Anstiegs bleibt der Gesamtanteil gering. Warum eigentlich? Glaubt man den Ergebnissen repräsentativer Studien, liegt ein Hauptgrund in der Tatsache, dass fast die Hälfte aller Lebensmittel-Konsumenten, aufgrund der höheren Preise, nicht „bio“ kaufen, gleichzeitig aber zum Kauf bereit wären, würden die Produkte mit dem Siegel günstiger sein.

Um etwas gegen dieses Problem zu unternehmen und so den nachhaltigen Verbrauch von Lebensmittel zu stärken, betreiben Hannes Schmidt und Katharina Deininger in München den Mitgliederladen „Ökoesel“. Von der Butter bis zur Weinflasche werden dort nur biologische, nachhaltige und im besten Fall regionale Produkte verkauft. Wie der Name bereits verrät, werden Konsumenten in so einem Laden zu Mitgliedern einer Gemeinschaft, indem sie einen monatlichen Beitrag von höchstens 15 Euro zahlen. Im Gegenzug erhält man die gewünschten Waren bis zu 30 Prozent günstiger – fast zum Einkaufpreis. Möglich wird das, da durch die Mitgliederbeiträge anfallende Betriebskosten gedeckt werden und so auf hohe Profitmargen verzichtet werden kann. Bleibt die Frage: Warum das Ganze?      

Das Ökoesel-Team Hannes Schmidt und Katharina Deininger

Ziel ist es damit auch die Menschen zu erreichen, die sich aus finanziellen Gründen keine hochwertigen Lebensmittel leisten können. Konkret sollen die Mitgliederbeiträge hier nach einem solidarischen Prinzip helfen, auch sozial Benachteiligten eine gesunde und nachhaltige Ernährung zu ermöglichen. So kann der monatliche Beitrag für Menschen, in besonders prekären Situationen, symbolisch kleiner ausfallen, in dem er von den Beiträgen der Anderen mitgetragen wird. So soll ein Raum entstehen, der „nicht wie alle anderen Supermärkte so sehr auf Profitgenerierung, sondern auf eine gute Versorgung fokussiert ist“, meint Hannes.

Begonnen hat alles im Herbst 2016 mit dem Angebot eines Lieferservices, bei dem Mitglieder zunächst ihre Bestellung online aufgegeben und per Rad nach Hause geliefert bekommen haben. Damals war auch noch Katharinas Bruder Konstantin mit dabei. Es folgte bald der erste Laden, damals noch im Keller des Elternhauses der beiden Geschwister. „Richtig los ging es, als wir dann zwei Mal pro Woche unseren Laden geöffnet hatten. „Da ging die Nachfragekurve steil nach oben“, erklärt Hannes. Die gute Nachricht war jedoch Herausforderung zugleich. So sind Hannes und Konstantin neben der Arbeit im Laden auch noch mit ihrer akademischen Laufbahn beschäftigt. Konkret bedeutet das für Hannes, seinen Soziologie-Master zu absolvieren und für Konstantin erfolgreich zu promovieren. „Es ist schwierig, hier im Laden und gleichzeitig in der Uni alles so zu schaffen, wie man es sich vorstellt – da muss man ein Kompromiss eingehen“, weiß Hannes. Letztlich war für Konstantin aber dieser Kompromiss zu groß, weswegen er aus dem operativen Geschehen im Laden aussteigen musste.

Auch einkommensschwache Menschen sollen sich nachhaltige Lebensmittel leisten können. Ermöglicht werden soll das mithilfe monatlicher Mitgliedsbeiträge.

Eine neue Unterstützung ist jedoch schon in Sicht. Außerdem gibt es jede Menge Hilfe von den Mitgliedern des Ladens selbst. Die packen schon mal am Morgen mit an. Reine Konsumenten sind sie also wirklich nicht. Und genau das ist ja auch das Ziel des Ökoesels: „Mehr Verantwortung abgeben, mehr Leute ins Boot holen, mehr gemeinschaftlich gestalten“, so Hannes. Damit das auch in die Tat umgesetzt werden kann, musste bald eine neue Ladenfläche her. Der Umzug aus dem ersten Verkaufsraum im Elternhaus von Katharina und Konstantin gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht und brachte allmählich das ganze Projekt ins Straucheln. Ende 2018 war es aber dann soweit. Dem Umsatz hat der Umzug nicht geschadet, ganz im Gegenteil. So erklärt Hannes: „Zum einen haben wir einige neue Mitglieder aus der Nachbarschaft hinzubekommen, für die wir eine Lücke im Einkaufsangebot füllen, zum anderen sind uns unsere alten Kunden treu geblieben.  Am Ende ist es schön zu sehen, was wir in den letzten zwei Jahren geschafft haben“.
Auch in Zukunft wird es sicherlich nicht langweilig. Mittlerweile können die Mitglieder an drei Tagen in der Woche zum Einkaufen kommen.  Auch soll der neue Laden weiter ausgebaut werden, eine Käsetheke wartet noch darauf angeschlossen zu werden, zudem soll ein vergrößertes Angebot seinen Weg in die Regale finden. Schritt für Schritt – also alle beim Alten.

Mittlerweile hat der Ökoesel drei Mal pro Woche geöffnet.


(c) Alle Bilder: Christoph Eipert

Khala – faire, stylische Mode aus Malawi

Europäisches Design trifft auf malawische Stoffe

Khala hat viele Bedeutungen auf Chichewa, der malawischen Nationalsprache; es heißt: sein, sich hinsetzen und einfach mal entspannen. Khala ist dabei vor allem ein Lebensgefühl. Khala, so heißt auch das Start-Up von Melanie Rödel aus München. Sie kombiniert europäische Designs mit malawischen Stoffen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit der Produktion vor Ort die Situation in Malawi zu verbessern.

Gründerin eines Modellabels zu werden – das war nicht das erste, was Melanie nach ihrem Psychologie- und Wirtschaftsstudium im Sinn hatte. Doch für sie war von Anfang an klar, dass sie etwas verändern will, und zwar nicht als Therapeutin, sondern in der Wirtschaft. Von innen heraus. Schon während ihres Studiums arbeitete Melanie ehrenamtlich als Mitgründerin des ersten Viva con Agua-Vereins in Österreich. Ihr Engagement brachte sie im Herbst 2015 für ein Trinkwasser- und Sanitäranlagenprojekt nach Malawi. Die Zeit dort hat Melanie sehr geprägt – die Menschen, die Lebensfreude, aber natürlich auch die Armut, die fehlenden, industriellen Strukturen und die geringe Aussicht auf Verbesserung. „Für mich war es keine Option, wieder nach Hause zu fliegen und das Thema abzuhaken“, sagt Melanie.

Mel ist die Gründerin von Khala.   (c) Markus Hensel

In Malawi besuchte sie auch einen der landestypischen Märkte, wo es viele farbenfrohe Textilien zu kaufen gibt. Diese traditionellen, afrikanischen Stoffe, Chitenjes genannt, begeisterten Melanie sofort. Da es sie in Europa nicht zu kaufen gibt, nahm sie gleich eine Auswahl mit. Zurück in Deutschland brachten diese ungewöhnlichen Muster und Farben sie auf die Idee, die malawischen Stoffe mit europäischen Schnitten zu kombinieren und auf den Markt zu bringen. Ihre Mode sollte nicht nur stylisch und fair, sondern auch bezahlbar sein, denn sie will mit ihrem Konzept nicht nur die klassische Nische der teuren Öko-Mode, sondern eine breite Zielgruppe erreichen. Für die Mitarbeiter in Malawi wiederum bedeutet Khala konkret: das Dreifache von dem durchschnittlichen Gehalt, eine Krankenversicherung und geregelte Arbeitszeiten. Dafür wird es auch höchste Zeit, denn in den vergangenen Jahren wurde Malawi mit Billigtextilien aus Ländern wie China oder Indien überschwemmt. Aus diesem Grund gibt es dort auch nur noch eine Fabrik, die die Textilien für Khala tatsächlich vor Ort herstellen kann.

Das Khala-Kollektiv

Die Idee war da – aber alleine und ohne Kapital wäre es für Melanie schwierig gewesen, ein Start-Up wie Khala zu gründen. Deshalb nutzte sie ihr Netzwerk, fragte Freunde und Bekannte und fand so für viele Bereiche ehrenamtliche und motivierte Unterstützer. „Eigentlich sind wir mittlerweile ein richtiges Kollektiv“, erklärt sie mit einem Lächeln. Zum Kollektiv gehören unter anderem Hubert Mirlach, der sich um die audio-visuellen Medien kümmert, und Benedikt Habermann als Mann für die PR, der mittlerweile CO-Founder von Khala ist. „Zuerst wollte ich nicht CEO werden und habe sogar überlegt auszusteigen. Aber als nach der ersten Kickstarter-Kampagne die Produktion anlief und es dabei Probleme gab, bin ich mit Mel nach Malawi geflogen und war dann mitten drin“, sagt Benedikt.

Denn nach dem ersten Hoch nach der erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne, gab es viele Probleme. Der Stofflieferant machte Schwierigkeiten und die Zusammenarbeit mit der malawischen Designerin musste beendet werden – somit fehlte Khala zu Beginn der Produktion ein Atelier. Kurzerhand beschlossen Melanie und Benedikt nach Malawi zu fliegen und die Sache selber in die Hand zu nehmen. Mit welchen Problemen sie vor Ort kämpfen mussten und wie unterschiedlich die Kulturen sind, lernte Benedikt nach kurzer Zeit und schrieb seine Erfahrungen in seiner Kolumne für relaio auf. „Die Werkstatt aus dem Nichts aufzubauen, hat das ganze Projekt für mich auf ein anderes Level gehoben. Die Idee und der Afrikabezug gehen von Mel aus – aber ich stehe total hinter dem Gedanken des nachhaltigen Konsums. Dafür schlägt mein Herz“, sagt Benedikt. Und so wurde aus aus Mel und Bene die Habermann & Rödel GbR – zu 49 Prozent gehört Khala Benedikt und zu 51 Prozent Mel.

Auf der Suche nach dem richtigen Stoff

Nach der ersten Produktion gab es in Malawi eine weitere große Herausforderung: die Textilfabrik in Malawi. Eigentlich wollte Khala möglichst alles in Malawi produzieren, um die lokale Wirtschaft zu fördern. Doch die Qualität der Stoffe aus der heimischen Fabrik war nicht optimal und bei der zweiten Bestellung hätten sie sehr große Stoffmengen abnehmen müssen. Zu viel für das kleine Start-Up. Daher sind sie wieder dazu übergegangen die Chitenje-Stoffe in kleinen Auflagen auf dem malawischen Markt zu kaufen  – die dort aber nicht produziert werden. Für das Innenfutter der Jacken entdeckte Hubert nach längerer Recherche einen Vertrieb für Hanfwaren in Südafrika. Das Hanf-Öko-Baumwoll-Gemisch stellte sich als ökologischste Variante heraus, da Hanf viel weniger Wasser und Pestizide benötigt als Baumwolle. „Unser Ziel ist immer noch irgendwann selber in Malawi zu produzieren und dann die Stoffe auch aus Ökobaumwolle zu machen. Dafür brauchen wir aber eine bestimmte Abnahmemenge“, erklärt Benedikt.

Bene an seinem Stand beim Märchenbasar im Münchner Kreativquartier.   (c) Caroline Deidenbach

2018 war für Khala das Jahr der Festivals. Um die Marke bekannter zu machen, waren Mel und Benedikt auf vielen Festivals mit ihrem Stand. Es war auch ein gutes Jahr für Khala, weil sie endlich kein Geld mehr von der Familie brauchten, sondern sogar anfangen konnten geliehenes zurückzuzahlen. „Mel und ich haben aber bisher noch keinen Cent an Khala verdient“, erzählt Benedikt. Er selbst hält sich mit zwei Nebenjobs über Wasser und Mel, die seit September 2018 in Malawi ist, weil der Manager des malawischen Betriebs (unter anderem) Khala’s Steuergelder veruntreute hat und sie nun noch bis Ende Februar 2019 vor Ort alles selbst regeln muss, verdient durch Unternehmensberatung via Sykpe etwas dazu.

Neues Jahr – neue Herausforderungen

Für 2019 hoffen Benedikt und Mel, dass sie erstmal einen neuen Manager oder eine neue Managerin in Malawi finden, der sie vertrauen können. „Dass uns unser Manager beklaut hat, konnte ich anfangs gar nicht glauben. Es hat auch lange gedauert, bis er es zugegeben hat“, erzählt Benedikt. Die verschiedenen kulturellen Dimensionen, was Offenheit und Direktheit angeht, sind bei den Deutschen und den Malawiern sehr unterschiedlich. Etwas, was die Arbeit oft schwieriger macht. In ihrem Atelier gibt es immer wieder Probleme mit der Zuverlässigkeit ihrer Mitarbeiter – trotz der guten Gehälter kommt es vor, dass jemand nicht mehr zur Arbeit erscheint. „Schneider ist ein typisch männlicher Beruf in Malawi. Wir wollen uns aber auch mal nach Schneiderinnen umschauen, weil wir glauben, dass da die Zuverlässigkeit etwas höher sein könnte“, meint Benedikt.

Neben den alltäglichen Herausforderungen in Malawi wird auch die Arbeit in Deutschland immer mehr. Denn durch die Schaltung von Werbung auf Facebook und die Arbeit auf den Festivals, sind auch die Anfragen mehr geworden. E-Mail müssen also beantwortet werden, Pakete verschickt, Bestellungen entgegengenommen und die Teilnahme an Festivals organisiert werden. „Es wäre toll, wenn ich dieses Jahr in meinen anderen Jobs zehn Stunden weniger machen könnte und dafür zehn Stunden Arbeit bei Khala bezahlt bekommen würde“, sagt Benedikt. Außerdem gibt es wahrscheinlich auch die Möglichkeit ihre Produkte in zwei Geschäften in der Schweiz zu verkaufen – eine große Entlastung. Es gibt auch einige Neuerungen im Sortiment, unter anderem Wendejacken, bei der die Käufer die Farben selber zusammenstellen können. Außerdem wird es neben den bekannten Produkten, wie Röcken und Shorts, in Zukunft auch Taschen und Jutebeutel geben. An Herausforderungen mangelt es dem Khala-Kollektiv definitiv nicht!


(c) Headerbild Christoph Barthold

180 Degrees Consulting – studentische Beratung

Bei der Beratungsagentur entwickeln Studierende innovative und nachhaltige Strategien für soziale Unternehmen.

Eine Telefonseelsorgeeinrichtung, die erfolgreich Heranwachsende berät, aber durch steigende Kosten und sinkende Einnahmen in ihrer Existenz bedroht ist. Ein Start-Up, das nachhaltiges Toilettenpapier produziert, aber nicht genügend Kunden erreicht, um das Konzept zu etablieren. Eine Klimaschutzorganisation, die eine neue Strategie sucht, um Privatpersonen zu CO2 Einsparungen zu animieren, aber deren Mitarbeiter schon komplett ausgelastet sind.

Sozialunternehmen, gemeinnützige Organisationen und Initiativen leisten einen wichtigen Beitrag dazu, anderen Menschen zu helfen, die Umwelt zu schützen und die Welt zu einem etwas besseren Ort zu machen. Aber wer unterstützt sie, wenn bei ihnen selbst mal nicht alles nach Plan läuft? Der Australier Nat Ware hat dafür 2007 die Beratungsagentur 180 Degrees Consulting (180 DC) gegründet. Durch anspruchsvolle, aber kostengünstige Beratung möchte er sozial verantwortungsbewusste Projekte darin unterstützen, ihr volles Potential bei der Lösung ihres eigentlichen Aufgabengebietes zu entfalten. Sein Konzept: Die Beratung wird nicht von hauptberuflichen Unternehmensberatern übernommen, sondern von Studierenden. Diese arbeiten ehrenamtlich ein Semester lang neben dem Studium bei einem Beratungsprojekt mit und können so wertvolle Erfahrung sammeln. Die Projektpartner zahlen dadurch nur einen Unkostenbeitrag.

Der Ansatz hat sich bewährt: Mittlerweile haben sich an 87 Hochschulstandorten in 35 Länder unabhängig agierende Ortsgruppen von 180 DC gegründet – so auch in München. Dieses Semester hat der Münchner Standort unter anderem für die Telefonseelsorgeeinrichtung verschiedene Finanzierungsoptionen erarbeitet und eine Kooperation mit lokalen Unternehmen vorgeschlagen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen. Für den Toilettenpapierhersteller wurde eine Endkundenanalyse durchgeführt und die verstärkte Zusammenarbeit mit etablierten Einzelhandelsketten empfohlen. Und für die Klimaschutzorganisation wurde ein skalierbares Programm entwickelt, in dem engagierte Klimaschützer in einer ersten Stufe als Mentoren in ihrem Freundeskreis auftreten. Wir haben mit Elias Steiner, dem Vice President des als Verein organisierten Münchner Standorts von 180 Degrees Consulting gesprochen. Darüber wie so eine Beratung funktioniert, woher ihre Expertise stammt und welchen Mehrwert die Studierenden von ihrer Arbeit haben.

Wirtschaftsprüfung, Unternehmensberatung, studentische Beratung: Was macht eine Beratungsagentur aus und wie unterscheidet ihr euch davon?

Elias: Was jede Beratung ausmacht, ist der Blick von außen in eine Organisation hinein, der sehr wertvoll ist. Egal ob wachsendes Start-Up, etabliertes Unternehmen oder gemeinnützige Initiative – mit der Zeit verstetigen sich Prozesse und man hängt oft in den eigenen Strukturen fest. Eine Beratungsagentur unterzieht diese Strukturen einem kritischen Blick, kann frischen Wind hineinbringen, alte Muster neu denken und so eine Organisation unterstützen.
Den Projektpartnern, die wir beraten, fehlen ganz oft Ressourcen, um das Potential, das sie haben, zu entfalten. Sie haben dadurch häufig keine Zeit mehr, wichtige Themen wie beispielsweise Marketing, oder die Finanzierung von Projekten von Grund auf zu durchdenken und strategische Entscheidungen, die eigentlich wichtig wären, werden im Alltag oft von operativen Themen verdrängt. Eine konventionelle Beratung kommt für diese Organisationen aufgrund des Preises aber nicht in Frage. 
Wenn man konventionelle Beratung hört, denkt man meist an die großen Unternehmensberatungen. Die können auf riesige Ressourcen weltweit zurückgreifen und auf Expertise in den verschiedensten Bereichen. Da können wir nicht mithalten, aber das wollen wir auch gar nicht. Entscheidend für uns ist es jeden Ansatz, jeden Projektpartner neu zu denken. Unsere Berater sind junge Studierende, die im Normalfall ein Semester lang beraten und dabei ihre Erfahrungen und ihr Wissen aus dem Studium und ganz viel Leidenschaft mit einbringen. Wir gehen mit Sicherheit unerfahrener an die Dinge heran als eine große Unternehmensberatung. Aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch, sondern ist sogar wertvoll für unsere Arbeit, weil dadurch kreative, innovative Ideen entstehen können. Damit können wir einen ganz großen Mehrwert leisten.

Wie sieht denn eure Arbeit aus, innerhalb eines Semesters? 

Elias: Vor dem Semesterbeginn startet bei uns die einmonatige Bewerbungsphase, in der sich engagierte Studierende als Berater bewerben können. Wir entscheiden uns dann nach einem intensiven Auswahlprozess für die Bewerber, von denen wir überzeugt sind, dass sie am besten in eines unserer Projektteams und zu unseren Werten passen. Direkt danach trifft sich jedes Projektteam mit dem Projektpartner, lernt sich kennen und stellt offene Fragen. Das ist ganz wichtig am Anfang, um die Projekte in eine klare gemeinsame Richtung zu lenken. Deswegen sollen die Projektteams vertieft herausfinden, was die Ausgangslage ist und mit welchen Herausforderungen sie es überhaupt zu tun haben.
Während des Semesters arbeiten die Teams dann eigenverantwortlich an einer individuell zugeschnittenen Strategie für den Projektpartner. Unterstützung bekommen die Teams dabei von einem unserer drei erfahrenen Consulting Director, deren Aufgabe es in erster Linie ist, die Arbeit der Beraterteams hin und wieder auf den Prüfstand zu stellen. Außerdem haben wir immer wieder Feedbackrunden, in denen explizite Fragestellungen bearbeitet werden können und auf einer Mid-Term-Präsentation werden die Zwischenergebnisse vorgestellt. So stellen wir sicher, dass alle auf dem richtigen Weg sind. Am Ende des Semesters steht das Abschlussevent, bei dem in einem öffentlichen Rahmen das ganze Projekt anschaulich präsentiert wird. In den letzten Wochen findet dann noch die finale Abschlusspräsentation beim Projektpartner statt, bei der im Detail vorgestellt wird, was gemacht wurde, zu welchem Ergebnis man gekommen ist und welche Empfehlungen und Handlungsstrategien erarbeitet wurden. Parallel zu den Projekten läuft natürlich viel Organisatorisches im Hintergrund. Wir müssen schon vor dem Semesterstart die richtigen Projekte auswählen, das entsprechende Marketing betreiben, die richtigen Studierenden ansprechen und die Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern vorantreiben.

Bei 180 Degrees Consulting arbeiten Studierende ehrenamtlich bei einem Beratungsprojekt mit und können so wertvolle Erfahrung sammeln. (Fotocredit: 180 Degrees Consulting Munich e.V.)

Woher kommen eure Projektpartner, wie akquiriert ihr sie?

Elias: Am Anfang – uns gibt es seit 2015 in München – lief es meistens über persönliche Beziehungen. Jemand kannte etwa jemanden von den SOS Kinderdörfern. Man hat dann zusammen ein super Projekt durchgeführt – aber eben überwiegend über Beziehungen. Mittlerweile haben wir über Jahre konstant zufriedene Projektpartner und das spricht sich rum, gerade im sozialen Umfeld. Deswegen haben wir keine Probleme mehr Projekte zu finden. Im Gegenteil, wir müssen auswählen, welche Projekte wir wirklich machen wollen und müssen entscheiden, wo wir am meisten Wirkung haben, wo wir uns am besten weiterentwickeln können und wo wir am meisten Input geben können. Mit einigen Organisationen haben wir auch Folgeprojekte durchgeführt. Und natürlich haben wir gewisse Anforderungen an unsere Projektpartner und an uns. Beispielsweise achten wir auf hohe Diversität der Projekte, und so kommt meist auch ein kleiner Teil unserer Projekte aus Kaltakquise.

Woher kommt eure Expertise in der Beratung eurer Projektpartnern in fachspezifischen Themen?

Elias: Das macht Beratung gewissermaßen auch in einem professionellen Umfeld aus. Man beschäftigt sich sehr oft mit Themen, mit denen man sich davor noch nie beschäftigt hat. Aber man hat einfach schlaue und motivierte Köpfe, die sich von außen neuen Themen annehmen und diese von Grund auf aufarbeiten. Genauso sind auch wir nicht in allen Bereichen, in denen wir arbeiten, von Anfang an Experten. Aber wir bauen uns das auf. Wir arbeiten in schwierigen Projektphasen mit externen Mentoren, Experten und erfahrenen Unternehmensberatern zusammen. Zu Beginn und während des Semesters organisieren wir Workshops, bei denen wir den Beratern Wissen und Methoden vermitteln. Mit unseren Kooperationspartnern, den Beratungsunternehmen Oliver Wyman und CGI führen wir jedes Semester thematisch wechselnde Workshops durch. Und wir organisieren auch den ein oder anderen Impuls. Dieses Semester hatten wir zum Beispiel Verena von dem Ökostromanbieter Polarstern da, die einen Workshop über Arbeit mit Sinn gegeben hat, oder Frank von der Nachhaltigkeitsberatung fors, der schon mehrmals einen Nachhaltigkeitsimpuls gegeben hat. Wir entwickeln uns so Semester für Semester weiter – damit aber auch die nachfolgenden Berater auf dieser Expertise aufbauen können, bauen wir gerade ein standortübergreifendes Wissensmanagement auf. Wir sammeln für jedes Projekt die relevanten Daten und überlegen, was wir sinnvoll für zukünftige Projekte verwenden können. Ein Steckenpferd von uns, Impact Measurement, haben wir inzwischen in vier Projekten durchgeführt und die Expertise, die wir uns da aufgebaut haben, erfolgreich an folgende Projektteams weitergegeben.

In Workshops werden den Studierenden durch externe Mentoren und erfahrene Unternehmensberater Wissen und Methoden vermittelt. (Fotocredit: 180 Degrees Consulting Munich e.V.)

Was haben die Studierenden von ihrer Tätigkeit bei 180 DC?

Elias: Man kann anwenden, was man im Studium lernt, sich durch die Teamarbeit Fähigkeiten aneignen und durch den Input weiterbilden – und dabei kann man sich sozial engagieren. Ich glaube diese Kombination ist relativ einzigartig in München und deswegen eine großartige Möglichkeit. Außerdem kommt der Spaß bei uns nie zu kurz und man lernt super viele Leute kennen, die ähnliche Werte haben oder entwickeln. Das ist eine tolle Gemeinschaft, aus der neben engen Freundschaften auch ein spannendes Netzwerk entsteht.

Für viele eurer Bewerber stellt 180 DC mit Sicherheit auch die erste Gelegenheit dar, einmal als Berater oder Consultant zu arbeiten. Hast du das Gefühl, dass viele eurer Bewerber dies als Trittbrett sehen, um später mal bei einer großen Unternehmensberatung zu arbeiten?

Elias: Es ist mit Sicherheit so, dass Unternehmensberatungen auch Leute suchen, die sich neben ihrem Studium engagiert haben und die auch mal über den Tellerrand hinausgeschaut haben. Wir bieten unseren Beratern praxisorientierte Strategieprojekte, man lernt das Feingefühl für den Kunden und nebenbei leben wir eine stark ausgeprägte Feedbackkultur, die für die richtige Teamdynamik extrem wichtig ist. Insofern ja, 180 DC kann eine gute Vorbereitung sein, wenn man einmal in eine große Beratung will, auch wegen der guten Kontakte, die man hier knüpfen kann. Aber gleichzeitig sind hier genauso viele Leute dabei, die beruflich in eine komplett andere Richtung gehen wollen. Unsere Berater haben ganz unterschiedliche fachliche Hintergründe und Ziele, das ist wirklich ein bunter Mix. Klar haben wir viele Wirtschaftswissenschaftler hier. Aber von Management sozialer Innovationen über Tourismusmanagement, Medizin, Ethnologie, Soziologie, Psychologie, Ingenieurswissenschaft und Physik bis hin zu Theologie war alles schon vertreten. Viele die bei uns beraten, gehen später in den Non-Profit- oder Social-Bereich und wir haben auch Alumni, die selbst im sozialen Bereich gegründet haben. Wir haben Leute, die um die Welt tingeln und solche, die an den großen Universitäten promovieren, oder bei Konzernen arbeiten. Und klar haben wir auch welche dabei, die irgendwann bei den großen Strategieberatungen arbeiten. Teil unserer Mission ist es, verantwortungsbewusste Führungskräfte mit einem entsprechenden Werteverständnis auszubilden. Wenn wir das in viele verschiedene Organisationen tragen können, ist das umso schöner. Diese Vielfalt zeichnet uns aus und macht es so aufregend mitzuarbeiten.


(c) Fotocredit: 180 Degrees Consulting Munich e.V./ Beitragsbild: Sebastian Preiß

forStory – Filmen fürs Miteinander

Mit der richtigen Geschichte Chancen stärken und Vorurteile abbauen.

Dem Alltag entfliehen, wer wünscht sich das nicht ab und zu? Glücklicherweise reicht hierfür manchmal schon Popcorn, Cola und ein guter Streifen Made in Hollywood, um die Welt um sich herum für eine Weile zu vergessen. Ob Herzschmerz oder heroische Heldentaten, der Einfallsreichtum der Traumfabriken scheint dabei schier grenzenlos zu sein. Aber wer erzählt eigentlich die Geschichten der Menschen, für die kein roter Teppich ausgerollt wird und die sich trotzdem tagtäglich für andere einsetzen? Diesen Helden des Alltags widmet sich das Münchner Unternehmen forStory und das mit der Idee, genau ihre Geschichten in bewegten Bildern festzuhalten.

 „Wir wollen die Geschichte von gemeinnützigen Organisationen erzählen und ihnen damit helfen, auf sich aufmerksam zu machen und Unterstützer zu bekommen. Unsere eigene Vision ist es, zu zeigen, wie man sich persönlich engagieren kann und wie das Engagement von jedem Einzelnen auch etwas bewirken kann“, erklärt Alexander Conrad. Zusammen mit Philipp Exler und David Hahn ist er einer der Gründer von forStory. Ins Leben gerufen wurde das Projekt auch aus einer bestimmten Not heraus.

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Moe‘ s Story – Die Erfolgsgeschichte eines Flüchtlings aus Sierra Leone in München ist das Erstlingswerk der Filmemacher von forStory.

So fehlt es kleinen sozialen Vereinen, Projekten und Start-Ups oft an den notwendigen finanziellen Mitteln sowie am nötigen kommunikativen Know-how, um erfolgreich auf sich aufmerksam zu machen.  Genau hier soll forStory ansetzen und ein Sprachrohr bieten. Dafür dreht das Team Filmbeiträge, die im Gegensatz zu reinen Imagefilmen nicht bloß ein Projekt ins rechte Licht rücken, sondern dessen gesellschaftlichen Impact und somit die Wirkung ihres gesellschaftlichen Engagements festhalten wollen.  Damit das möglich ist, werden die Kosten für solche Impactfilme so niedrig wie möglich gehalten. Klar, auch das Drehteam muss sich das leisten können. Deshalb wird auch mit größeren Unternehmen und NGO´S zusammengearbeitet um mithilfe des damit erzielten Gewinns auch die Geschichten sozialer Initiativen einzufangen.

„Es ist wichtig, dass wir Organisation vorstellen, aber viel wichtiger ist es sich zu fragen: Was passiert dadurch, dass sie das machen, was sie machen? Was verändert sich für die Gesellschaft?“ sagt Philipp. Seit der Gründung 2016 wurden bereits in über 100 Beträgen Antworten auf diese Fragen filmisch festgehalten. Auch sonst ist viel passiert: Das Team hat sich zu einer GmbH firmiert, ist nach einigen Stopps zur Zwischenmiete in die ersten eigenen Büros gezogen und auch das Team selbst ist gewachsen. So gibt es neben den drei Gründern noch Praktikanten und Werkstudenten, die dabei helfen das Unternehmen am Laufen zu halten. Außerdem sollen bald weitere Festangestellte das Team vergrößern.

Die forStory-Gründer David Hahn (zweiter von links), Philipp Exler (Mitte) und Alexander Conrad (rechts) mit ihrem gesamten Team auf dem Impactfilm Festival 2018.

Auch neue Formate und Finanzierungsmodelle entstehen gerade. „Aktuell arbeiten wir zusammen mit dem SEND e.V. und dem RKW Kompetenzzentrum an einer Videoreihe über Social-Start-Up-Gründer und Gründerinnen. Ermöglicht wird das Projekt aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft. Wir versuchen also verstärkt die Umsetzung von Projekten mit kleineren Initiativen zu sichern, indem wir Partner finden, die das auch finanziell ermöglichen“, sagt Philipp. So soll auch in Zukunft, die Mission von forStory gesichert werden: Sichtbarkeit schaffen.

Für alle anderen Stories, die es verdient haben, gedreht zu werden, sich das aber nicht leisten können, wurde 2017 das Impactfilm Festival ins Leben gerufen.  Hier wird kleinen, aber nicht unwichtigen, Initiativen die Chance gegeben, sich mit engagierten Filmemachern zu vernetzen und Teil eines Wettbewerbsbeitrags zu werden. Die Idee ging auf – und das mit so großem Erfolg, dass das Festival nach zwei erfolgreichen Durchführungen ein Jahr pausieren wird, um die gestiegenen Nachfrage auch bewältigen zu können und ein passenderes Konzept auszuarbeiten. In Zukunft wird es also wohl noch einiges zu bestaunen geben. Schon jetzt sieht Philipp in forStory gar nicht mehr so sehr ein Start-Up, sondern vielmehr eine Filmagentur, die nicht mehr oder weniger die führende Filmagentur im Bereich Nachhaltigkeit werden will. Und das für Philipp aus gutem Grund: „Dieses Ziel treibt uns an, jeden Tag ein bisschen mehr zu machen.“


(c) Alle Bilder: forStory

Too Good To Go – Auf den Teller statt in die Tonne

Ein Start-Up zeigt, dass vom nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln alle profitieren.

Keine Hektik! Warum auch, denn egal wie lang der Tag im Büro oder in der Uni auch ist, die Theken und Töpfe von Restaurants, Cafés und Obstläden sind bis spät abends prall gefüllt. Einerseits, weil wir es so wollen und der Handel im Kampf um jeden Kunden mitspielt, andererseits, weil ein solches Überangebot einen Wettbewerbsvorteil bietet, den man als Konsument gerne annimmt. Was nun mehr stimmt, bleibt ungewiss. Sicher ist jedoch, dass durch diesen Überfluss eine ganze Menge Lebensmittel weggeworfen werden. So landet das meiste, das nach Laden- und Küchenschluss übrig bleibt, nicht auf dem Teller, sondern im Müll – allein in Deutschland jährlich knapp elf Millionen Tonnen.

Was also tun? Diese Frage stellten sich 2015 auch die drei Dänen Stian Olesen, Thomas Bjørn Momsen und Klaus Pedersen als sie zusehen mussten, wie am Ende eines Restaurantbesuchs noch gutes Essen einfach entsorgt wurde. Die Antwort war schnell gefunden: „Too Good To Go“. Entstanden ist damit eine App, die Anbieter überproduzierter Speisen und Lebensmittel mit hungrigen Interessenten vernetzen will, die bereit sind, nach Laden- oder Restaurantschließung die Reste für einen günstigeren Preis abzuholen. Wie genau das funktioniert, weiß Teresa Rath. Sie kümmert sich unter anderem um das Marketing des deutschen Ablegers der mobilen Anwendung: „Die App ist super unkompliziert aufgebaut. Auf der Startseite werden direkt alle Angebote in der näheren Umgebung angezeigt. Der Nutzer kann sich aussuchen, auf was er Lust hat und es nach Art des Essens und angebotener Uhrzeit filtern. Ist das Essen ausgesucht, wird direkt über die App bezahlt und das Essen muss zur angegeben Zeit nur noch abgeholt werden“, erklärt Teresa.

Aussuchen, bestellen, bezahlen — geregelt wird alles mithilfe der App. (C) To Good To Go

Ziel dahinter ist es eine Situation zu schaffen, von der letztendlich jeder etwas hat. Lebensmittelhändler und gastronomische Betriebe können ihr gutes Essen noch an Frau und Mann bringen, müssen es also nicht entsorgen und die Kunden profitieren vom reduzierten Preis und tragen gleichzeitig zum nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln bei. Das Start-Up selbst bekommt für jede verkaufte Mahlzeit einen Euro Provision – eine Win-Win-Win-Situation also. Dabei werden vor allem wertvolle Ressourcen geschont. „Darauf sind wir super stolz! Wir haben jetzt schon insgesamt vier Millionen Mahlzeiten vor der Tonne gerettet, womit 7.000 Tonnen C02 eingespart werden konnten“, erklärt Teresa. Um das zu erreichen, soll zudem das gesamte Konzept so nachhaltig wie möglich gestaltet werden. Dafür will das Start-Up auch eine Gemeinschaft entstehen lassen, deren Mitglieder sich nicht nur als effiziente Unternehmen und Schnäppchenjäger verstehen, sondern als Mitglieder einer Community von Lebensmittelrettern. Teresa betont dabei: „Für uns ist es wichtig, dass verschiedenen Akteure gemeinsam an einer Lösung mitwirken können. Man hat das ja oft, dass die Leute gegenseitig mit dem Finger auf sich zeigen: Die Politik schiebt es auf den Handel, der wiederrum schiebt es auf die Verbraucher. Selbst wenn das stimmt, es bewegt sich dabei nichts. Daher war uns wichtig, verschiedene gesellschaftliche Akteure miteinander zu vernetzen.“

Und die Community wächst schnell: Mittlerweile gibt es die App des Start-Ups in neun europäischen Ländern mit rund vier Millionen Nutzern. Allein in Deutschland sind es momentan eine Million. Hierzulande wird die App von einem Team von 20 Mitarbeitern gesteuert. Der fast gleichzeitig zum dänischen Pendant gegründete deutsche Ableger ist dabei in über hunderten Orten vertreten. Neben Städten mit der höchsten Nachfrage wie Berlin und Hamburg, gibt es das Angebot der App auch mehr und mehr in ländlichen Gebieten. Aber auch im großen Rahmen will das Start-up weiterhin wachsen. So soll die App in immer weiteren Ländern verfügbar sein. 

In Deutschland gibt es „Too Good To Go“ mittlerweile in über 300 Gemeinden und Städten. (C) To Good To Go

Auch neue Kundengruppen sollen erschlossen werden. So gibt es schon einige Supermärkte, die ihre übrig gebliebenen Lebensmittel über die App anbieten. Kritische Fragen, ob so ein Angebot anderen, bereits bestehenden Initiativen, wie der Tafel, schaden würden, weist Teresa zurück: „Man kann dort sehr gut in Kombination mit anderen Initiativen zusammenarbeiten. Sie funktionieren organisatorisch auch nochmal ganz anders. Das lässt sich gut kombinieren, da wir ganz andere Mengen vermitteln können. Bei uns kommen die Kunden etwa direkt in den Laden und holen sich ihre Bestellung einfach ab. Dabei lassen sich auch geringere Mengen retten, die sich etwa für die Tafel nicht lohnen würden abzuholen. Mit Too Good To Go können somit auch frisch zubereitete Lebensmittel mitgenommen werden. Da können wir einfach sehr gut Hand in Hand arbeiten und eine Lücke füllen.“


(C) Titelbild: To Good To Go

„Uns ist wichtig, wie man etwas macht und nicht nur was.“

Wie ein Startup die Arbeit von Fahrradkurieren sozialer gestaltet und mit einer Mitfahrzentrale für Dinge aller Art zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit beiträgt

Bequemer könnte es kaum sein. Beinahe alles lässt sich heutzutage mit einem einfachen Klick online bestellen und in Windeseile nach Hause liefern. Der Haken: besonders nachhaltig ist das nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn etwa eine nachhaltige Zahnbürste mit einem alten Dieselfahrzeug transportiert wird und der Fahrer dieses Gefährts mehr schlecht als recht bezahlt wird. Um das zu ändern, wurde TiMMi Tranport ins Leben gerufen. Entstanden ist damit ein Start-Up, das einerseits mit einer eigenen Online-Plattform deutschlandweit die Arbeit von Fahrradkurieren fair gestalten will und anderseits mehr Raum für Soziales und ein Beitrag zum Umweltschutz leisten soll. Dafür wurde außerdem eine Mitfahrzentrale für zu transportierende Dinge ins Leben gerufen. In Form einer Community-Plattform können mit dessen Hilfe Privatpersonen und ehrenamtliche Organisationen Lieferungen von A nach B transportieren lassen, indem sie von Menschen mitgenommen werden, die ohnehin auf der gefragten Strecke unterwegs sind. Das spart CO2 und bringt Menschen wieder näher zusammen. Wie es dazu kam und was hinter den Kulissen das Start-Ups passiert, hat uns die Gründerin des Start-Ups Christina Kleinau im relaio-Interview verraten.   

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Start-Up wie TiMMi Transport zu gründen?

Christina: Ich habe in Wirtschaftsethik promoviert. Dabei wurde immer wieder darüber gesprochen, dass nachhaltige Geschäftsideen dringende gesellschaftliche Probleme lösen sollen und somit die besseren Geschäfte sind. Aus Konsumentensicht hatte ich zudem beobachtet, dass es zwar nachhaltige Produkte gibt, sie meist aber nur online bestellbar sind. Da kommt eine Lieferkette zustande, in der schlecht bezahltes Personal in umweltschädlichen Fahrzeugen diese dann ausliefern – das ist total inkonsistent. Deswegen haben wir uns letztendlich dem Thema der nachhaltigen und fair bezahlten Lieferung angenommen. Gleichzeitig war Ende 2015 die Flüchtlingssituation sehr präsent. Viele Sachspenden waren nötig. Die gab es auch und man wusste, wo sie hinmüssen, jedoch gab es ein Transportproblem. Man wusste nicht, wie man die Spenden von einem zum anderen Ort bringen sollte. In diese Lücke sind wir gesprungen und haben gesagt: „Wir probieren es einfach aus!“ Indem wir mit einer Organisationsplattform online gehen und schauen wer sich da anmeldet, um etwas zu transportieren.

Als Mitgründerin von TiMMi Transport will Christina Kleinau (links) für mehr Nachhaltigkeit in der Mobilität kämpfen. (C) TiMMi 

Also war Flüchtlingsversorgung euer Startschuss?

Christina: Ja, die Idee war schon da, aber das war letztlich der Initialzünder um es auszuprobieren. Das hat auch gut funktioniert. Wir haben tausende Kilogramm an Sachen durch die Stadt bewegt, innerhalb von einem Tag. Dafür musste alles ziemlich zügig im Hintergrund ablaufen. Wir sind dadurch schnell mit unserer Plattform online gegangen – innerhalb von zwei Wochen. Wir versuchen also schon Lean-Methoden umzusetzen, indem wir erstmal etwas entwickeln und den Leuten in die Hand geben, bevor wir versuchen es zu perfektionieren. Klar, zu Beginn war es schon sehr rudimentär, aber es hat ausgereicht – jemand kann einen Auftrag aufgeben und jemand kann darauf antworten: „Ja, das mach ich.“

Mittlerweile nutzen auch andere Menschen eure Plattform?

Christina: Meistens sind es Lieferungen für gemeinnützige Organisationen, generell auch Sachen die irgendwo vergessen wurden. Oder Dinge von kleineren, nachhaltigen Produzenten, die ihre Produkte über unsere Plattform versenden. Es gab auch mal ein Projekt für nachhaltige Särge, die mit Hilfe einer Mitfahrgelegenheit transportiert wurden, dann aber mit einem Auto. Für die Lieferoption „Mitfahrgelegenheit“ gibt es keine Bindung an Fährräder.

Als Lieferoptionen bietet ihr professionelle Kurierdienste und private Mitfahrgelegenheiten an: Warum eigentlich beides?   

Christina: Professionelle Lieferoptionen mit einer Garantie, dass die Lieferung sicher und schnell ankommt, bilden einen großer Bestandteil der Nachfrage am Markt, den wir mit Mitfahrgelegenheiten allein nicht abdecken könnten. Am liebsten würden wir als Zentrale und Plattform für verschiedene Fahrrad-Kurierdienste gesehen werden. Das ganze aus dem Hintergrund, dass ein Unternehmen uns gefragt hatte, ob sie unsere Plattform für Mitfahrgelegenheiten nutzen können, um ihre Lieferungen ausfahren zu lassen – gegen Bezahlung. Das ist natürlich für professionelle Fahrradkuriere interessant. Und so sind wir immer mehr mit Kurieren ins Gespräch gekommen. Wir haben uns dann gedacht: „Ja klar, alles was umweltfreundlich ist, machen wir mit.“ So hat sich es entwickelt, dass wir die Software und ihre Funktionen weiterentwickelt und angepasst haben, damit sie auch für die Kurier-Profis gut funktioniert.   

Das TiMMi-Kernteam (v.l.n.r.): Alex, Christina, Petros & Sandra (C) TiMMi

Wir stemmt ihr das alles finanziell?

Christina: Die Software selbst, die die tagtägliche Arbeit der Kuriere digital abbildet und vereinfacht, wird vergütet. Wenn wir den Kurieren neue Aufträge bringen, bekommen wir auch eine Provision. Wichtig zu wissen ist: diese Softwarelösung, für die Profi-Kuriere, ist nicht dieselbe wie die Community-Plattform für die Mitfahrgelegenheiten. In der öffentlichen Plattform nehmen wir keine Gebühren, verdienen also nichts daran. Ursprünglich hatten wir schon gedacht, auch da eine Provision einzuführen, aber die Option der Mitfahrgelegenheit wird größtenteils für gemeinnützige und ehrenamtliche Lieferungen genutzt, die eh kostenfrei sind. Hinzu kommt, dass die Abwicklung sehr kompliziert ist. Wir arbeiten schon Vollzeit, sind jedoch noch förderungsgestützt. Unsere größte Förderung war bisher ein Technologie-Gründerstipendium der Sächsischen Aufbau Bank. Zudem sind zwei kleinere Seed-Investoren dabei, die uns finanziell helfen. Es soll aber darauf hinauslaufen, mit professionellen Lieferoptionen den Lebensunterhalt zu verdienen und die gemeinnützige Säule der Mitfahrgelegenheiten zu tragen.

Einfach ist das bestimmt nicht immer: Was ist momentan eure größte Herausforderung?

Christina: Momentan gibt es ein großes Wachstum im Same-Day-Delivery-Bereich durch Online-Shops. Andere Kurier-Plattformen, die daran verdienen wollen, werden meist mit viel Wagniskapital unterstützt und drücken die Preise. So gibt es Angebote für fünf Euro pro Lieferung innerhalb von 90 Minuten. Die 25 Euro die es eigentlich kostet, wird den Kurieren mit Hilfe des Wagniskapitals zwar bezahlt, aber die Kunden bekommen davon nichts mit und denken: „Ach toll, nur fünf Euro“. Das Problem der Kuriere ist, dass sie somit diesen Unternehmen helfen in den Markt einzusteigen und gleichzeitig zum Preisdumping der eigenen Arbeit beitragen. Das ist für uns natürlich eine riesen Herausforderung, weil wir für faire Preise und Arbeitsbedingungen kämpfen wollen.

Welches Ziel habt ihr vor Augen, wenn ihr solchen Unternehmen die Stirn bietet wollt?  

Christina: Ziel ist der Aufbau einer Community. Der Gedanke ist, dass die Person die deine Sachen liefert – egal ob über die Community Plattform oder über den Profibereich – weniger anonym ist und menschliche Interaktionen mehr im Vordergrund stehen. 

Gerade bei Online-Shops ist die Lieferung die einzige menschliche Interaktion, die noch stattfindet

Es ist das Gefühl, dass wir damit transportieren wollen, dass alle füreinander wirtschaften. Allgemein war es nie der Wunsch ein Start-Up zu gründen, was nur zum Geldverdienen da ist, sondern auch gesellschaftliche Probleme löst. Der Anspruch ist das System nachhaltiger zu gestalten. Uns ist wichtig, wie man etwas macht und nicht nur was.


(c) Titelbild: Timmi Transport

Khala Kolumna – Folge 6

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Über Sonne, Mut und mehr

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala hier bei uns.

“Ganz schön mutig, was ihr macht,” sagte das Mädchen mit dem netten Lächeln und dem halbvollen Plastikbecher, den sie in der Hand hielt. Mit der anderen Hand skippte sie sich gerade durch die verschiedenen Modelle unserer Bomberjacken, die an einer Kleiderstange baumelten. Von der nahe gelegenen Bühne wummerten Bässe zu uns herüber und die Sonne beschien wohlwollend das Festivaltreiben der Münchner Afrika Tage, auf denen wir uns befanden.

Der Sommer war seit Langem hier und zeigte, was er konnte. Die lähmende Hitze hatte auch den Betrieb bei Khala gedrosselt. Urlaube wollten gemacht werden, Reisen unternommen, Open Airs besucht, Seen bebadet und die sonderbar zahlreichen warmen Tage in diesem Jahr genutzt werden. In Anbetracht all dieser Optionen und der harten Arbeit der vorangegangenen Monate, rückte unser Business bisweilen ein wenig in den Hintergrund. Die Verkaufserlöse unseres Online Shops genügten, um den laufenden Betrieb in Malawi zu finanzieren. Vom Hustle am Anfang des Jahres hatten wir uns weitgehend verabschiedet. Wir mussten nicht mehr um Spenden werben oder eigene Gelder zuschießen. Khala trug sich selbst. Um unseren Lebensunterhalt zu finanzieren, hatten wir allerdings noch Jobs nebenher. Die machten zwar Spaß, gleichzeitig kosteten sie wertvolle Stunden und trugen dazu bei, dass unsere Zeiteinteilung manchen Tages zu Lasten des eigenen Unternehmens ausfiel.

Bei Khala selbst nahmen Verwaltungsarbeiten sehr viel Raum ein, allem voran die Koordinierung und Planung der Produktion in Malawi. Hinzu kamen Inventuren, Einkäufe, Besuche beim Zollamt, Vorträge, Fotoshootings, die leidige Buchhaltung und dergleichen mehr. Vertrieb und Marketing hatten wir hingegen etwas schleifen lassen.

So dauerte es nicht lange und die trügerische Sicherheit konstanter Absatzzahlen, in der wir uns selbstzufrieden gewähnt hatten, war plötzlich wieder passé. Geschluckt vom Sommerloch. Immer weniger Bestellungen kamen über unseren Online Shop rein. In der Postannahmestelle des kleinen Kiosks, wo ich alle paar Tage ein paar Päckchen über die Theke geschoben hatte, musste mich die Angestellte, die so angenehm unkonventionell das Porto berechnet, wohl schon vermissen.

Es galt also, über neue Vertriebswege die Verkäufe anzukurbeln. Soweit es sich zeitlich einrichten ließ, brachten Mel und ich daher auf Festivals unsere Ware unters Volk.

Während also von der unweit entfernten Bühne die Bässe zu unserem Stand wummerten und die Sonne wohlwollend das Festivaltreiben beschien, hatten wir dem Mädchen mit dem halbvollen Plastikbecher jede Menge Fragen zu Khala beantwortet. Etwa über die Bedeutungen des Wortes Khala in Chichewa, der Nationalsprache Malawis. Dass es so viel heiße wie sein, sich hinsetzen, bleiben, relaxen. Dass das zumindest ein gängiges Deutsch-Chichewa-Wörterbuch behaupte. Und dass wir mittlerweile herausgefunden hatten, dass khala auch Holzkohle heißt. Das Mädel hatte sanftmütig gelächelt und weiter Fragen gestellt. Und dann sagte sie, dass es so mutig sei, was wir machen. Irgendwann leerte sie ihr Getränk, probierte ein paar Sachen an und kaufte schließlich eine Jacke.

 

Der Khala-Alltag

Ich war indessen nachdenklich geworden. Ist es mutig, was wir machen? Ich erinnerte mich daran, wie ich den Khala-Stand einige Tage zuvor montiert hatte. Es war einer der vergessenen Regentage in diesem Jahr gewesen. Unter dem Dach eines halbaufgebauten Bierzeltes hatte ich die einzelnen Module des Standes frühmorgens zusammen geschraubt und, übertönt vom auf mich prasselnden Regen, laut fluchend nach draußen auf den uns zugeteilten Stellplatz getragen, wo ich sie, von einer Plane bedeckt, abgestellt hatte. Vollkommen durchnässt radelte ich danach in die andere Arbeit, meine Erwerbstätigkeit. Mutig kam ich mir dabei nicht vor. Höchstens fragte ich mich, warum ich mir das Ganze antue.

Das Mädchen auf dem Festival war nicht die erste, die unser Tun als mutig bezeichnet hatte. Aber was wirkt auf die Leute so mutig?

Ist es mutig, dass wir uns die Zeit nehmen für Khala? Dass wir so viele unwiederbringbare Stunden investieren? Oder, dass wir nicht in die Rentenkasse einzahlen? Dass wir Geld investiert haben? Dass wir Verantwortung für eine Hand voll Menschen in Malawi tragen, die auf ihre Löhne angewiesen sind? Dass wir ohne wirkliche Erfahrung ein internationales Unternehmen aufbauen? Ich hatte nie wirklich darüber nachgedacht. Und dass Mel bald wieder für ein halbes Jahr nach Malawi geht, ist das auch mutig?

Uns selbst kommt das alles gar nicht so mutig vor. Und würden wir es nicht spüren, wenn es Mut wäre? Was ist Mut überhaupt? Weil ich mir schwer tat, zu einer Definition zu kommen, begab ich mich auf Recherchereise ins Internet. Dort  erfuhr ich, Mut sei die “Fähigkeit, in einer riskanten Situation seine Angst zu überwinden”. Hmmm. Ängste müssen wir höchstens überwinden, wenn wir irgendwo einen Vortrag halten müssen. Die nächste Definition nannte Mut die “Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält”. Da lag der Hund schon eher begraben. Allerdings erwarten wir keine Nachteile. Auch wenn wir scheitern sollten, was soll denn schon passieren?

Schwierig also, das mit dem Mut. Dass wir uns mit Khala keiner leichten Aufgabe stellen und dass wir aus der Reihe tanzen, ist uns klar. Einen kleinen Dachschaden braucht man wohl. Aber Mut? Sind denn alle anderen feige, weil sie kein Modelabel in Afrika gründen?

Eine akzeptable Antwort darauf, warum viele uns für mutig halten, fand ich schließlich in einem alten Lied der Beginner. Der US-amerikanische Psychologe und Philosoph Rollo May wird darin zitiert: “Das Gegenteil von Mut in unserer Gesellschaft ist nicht Feigheit, sondern Anpassung.”

Aha!

Was in dem Beginner-Song keinen Platz gefunden hatte, war der Anfang des Zitats: “Viele Leute fühlen sich machtlos, etwas wirksames mit ihrem Leben anzustellen. Es erfordert Mut, neue Wege zu gehen, aber für viele ist Konformität bequemer.”

Wenn dieser Rollo recht hatte, dann ist es wohl doch mutig, was wir mit Khala machen. Wir müssen ständig unsere Komfortzone verlassen; oft stoßen wir an unsere eigenen Grenzen, wenn wir etwa Dinge tun müssen, die wir nicht können oder in Situationen geworfen werden, die uns überfordern. In der Rolle derer, die etwas anders machen als der Rest, sind wir in der Position, unser unstetes Leben zu rechtfertigen. Und sollten wir eines Tages doch scheitern, haben es alle bereits besser gewusst.

Insofern ist es auch vollkommen nachvollziehbar, warum viele Menschen ihre Träume verblassen lassen, nicht ausbrechen, ungeliebten Jobs nachgehen und letztlich womöglich in der gesellschaftlichen Konformität landen: den Mut aufzubringen, dagegen zu rebellieren, ist harte Arbeit.

Das soll nicht selbstgefällig klingen. Wir kommen uns trotzdem nicht mutig vor. Für uns ist es schlicht nicht denkbar, in irgendeinem Angestelltenverhältnis zu einer Wirtschaft ohne Ideale beizutragen. Unser Ausweg ist, mit Khala selbst etwas zu schaffen, wohinter wir stehen können.

Wir sind nicht die einzigen, die sich diesen Stress geben. Über viele Umwege hatte mich meine Recherche zu Mut auf eine Website geführt, die mich stutzig machte. Was ich dort las, klang ein wenig nach Bizarro-World: Es gibt ein faires Modelabel, das mit seinem kleinen Team in Malawi aus Chitenje-Stoffen Kleidung herstellt, unter anderem Bomberjacken. Der Name des Labels: Khama. Die Marke wurde vor einigen Jahren von einer Engländerin gegründet, hat einen sozialen Hintergrund und fußt auf der Idee, dass Handel eine nachhaltigere Veränderung erzielen kann, als Spendengelder.

Gerne hätte ich den Leuten von Khama ein paar Fragen gestellt, leider antwortete mir niemand auf meine Mails. Ich kann mir denken warum: vermutlich sind sie beschäftigt mit Verwaltungsarbeiten, der Koordinierung und Planung der Produktion in Malawi, Inventuren, Einkäufen, Besuchen beim Zollamt, Fotoshootings, der leidigen Buchhaltung und so weiter.

Was ‘Khama’ bedeutet, bekam ich aber auch so heraus. Es ist Chichewa und heißt soviel wie harte Arbeit. Würde uns irgendwie auch besser stehen als Kohle und Relaxen.

Khala Kolumna – Folge 5

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Unter Strom

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Ein Vöglein, das irgendwo vor meinem offenen Fenster in der Sonne saß, zwitscherte mich sanft aus den Träumen.

Am Vorabend war es wieder spät geworden in dem Restaurant, in dem ich ein paar Mal pro Woche arbeite und ich war heute mal etwas länger liegen geblieben. Weil wir mit Khala selbst kein Geld verdienen, hatten Mel und ich Teilzeitjobs angenommen, um unsere Rechnungen bezahlen zu können. Nach diesen regulären Arbeitstagen trafen wir uns oft noch, um für Khala Zeugs zu erledigen, Pakete zu packen, Pläne zu schmieden und Strategien zu entwickeln. Zeit ist ein kostbares Gut geworden. Heute, an diesem warmen Frühlingstag aber, würde ich endlich wieder einmal genug davon haben, um all das zu erledigen, was sich in den letzten Wochen angesammelt hatte. Erst für heute Abend um fünf Uhr stand ein wichtiger Khala-Termin im Kalender.

Vor drei Wochen war ich umgezogen, hatte aber noch keine Zeit gefunden, mich in meinem neuen Zimmer anständig einzurichten. Auch das stand heute auf der Liste. Ich stieg aus dem Bett und bahnte mir einen Weg durch nicht ausgepackte Umzugskartons, kletterte über die Matratze meines Vormieters, die schon seit einiger Zeit den Flur meiner neuen WG blockierte, und ging ins Bad.

Benes Zimmer steht noch voller Umzugskisten.

Mel hatte gestern Hals über Kopf beschlossen, morgen früh nach Malawi zu fliegen. In den vorangegangenen Wochen hatten wir oft tagelang die Verbindung zu Patrick, unserem malawischen Projektkoordinator, verloren. Und Klaar, eine belgische Hobby-Designerin, die mit ihrer Familie in Malawis Hauptstadt Lilongwe wohnt und unser Team dort einmal in der Woche im Atelier besucht, hatte in ihren letzten Nachrichten ein recht desolates Bild von der aktuellen Situation und der Stimmung im Team gezeichnet. Wir fürchteten, dass unsere Leute überfordert waren mit der Verantwortung, die wir ihnen übertragen hatten. Ein neuer Motivationsschub war nötig. Also hatte Mel nach einer schlaflosen Nacht einen Entschluss gefasst. Ihr Chef hatte Verständnis gezeigt und ihr zwei Wochen freigegeben.

In den nächsten Tagen stand einiges bevor. Hubi würde ab kommender Woche eine mehrmonatige Auszeit nehmen und sich nach Südamerika absetzen. Dadurch, dass Mel in Malawi sein würde, würde ich die Organisation in Deutschland alleine übernehmen: Flyer entwerfen, einen Banner drucken lassen, Modenschauen organisieren, E-Mail-Anfragen beantworten, den Versand abwickeln, an unserer Verkaufsbude arbeiten, Freundinnen und Freunde gewinnen und koordinieren, die uns glücklicherweise immer wieder gerne unterstützen, Lieferanten in Afrika anschreiben und vieles mehr. Dazwischen drängten sich die Schichten meiner beiden Nebenjobs.

Um nach Malawi einzureisen, benötigte Mel noch US-Dollar. Da sie heute arbeiten musste, würde ich später zum Hauptbahnhof radeln und in einer Wechselstube die fürs Visum benötigten Dollars holen. Das markierte ich mir noch auf meiner imaginären To-Do-Liste, während ich einen Haufen Wäsche, der in einer Ecke meines Zimmers herangewachsen war, in die Waschmaschine stopfte. Mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand stieg ich über die Matratze im Flur und wanderte zurück in mein Zimmer, wo ich mich an das bunte Chaos meines Schreibtisches setzte. Lange war ich nun schon nicht mehr dazu gekommen, an einer neuen Khala Kolumna zu schreiben. Auch dem wollte ich mich heute widmen. Ich wusste noch nicht genau, worüber ich schreiben sollte. Jeden Tag passiert so wahnsinnig viel. Diese Flut aus Anekdoten und Erkenntnissen in geregelte Bahnen zu leiten, und möglichst unterhaltsam und informativ über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung zu schreiben, fällt nicht immer leicht. Zumal es dafür Muse braucht. Eigentlich wollte ich irgendwas über Geld schreiben – ein urfades Thema. Man müsste es in eine Geschichte verpacken, irgendwas mit menschlichem Scheitern, das würde das Ganze auflockern.

Das Khala-Atelier in Malawi.

Meine Überlegungen wurden vom Vibrieren meines Handys unterbrochen. Ein Whatsapp-Anruf aus Malawi. Es war Patrick. „Hello Mr B.“ begrüßte er mich.

Ich finde es witzig, dass er mich so nennt. Natürlich dürfte er mich ruhig Bene nennen. Aber das wäre gegen die malawischen Höflichkeitskonventionen.

Ich erinnere mich nicht mehr genau, worüber wir in den folgenden zwanzig Minuten sprachen. Vermutlich ging es um die Anmeldung bei der malawischen Steuerbehörde, die sich mit Händen und Füßen dagegen sträubte, unsere Zahlungen anzunehmen. Der zuständige Beamte wollte immer neue Dokumente vorgelegt bekommen. Einmal glaubte man uns nicht, dass da zwei Deutsche nach Malawi kommen und ein Unternehmen mit so wenig Kapital gründen. Dann mussten wir eine Briefkasten-Adresse vorweisen, die wir nicht hatten und für deren Einrichtung die malawische Post wiederum einige Monate Vorlaufzeit benötigte. Es war ein ewiges Hin und Her. Während ich mit Patrick telefonierte, schaufelte ich die nasse Wäsche aus der Waschmaschine. Das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt und den Wäschekorb in den Händen, überwand ich die Matratze im Gang. Mit dem rechten Ellenbogen öffnete ich die Wohnungstür, um auf den Dachboden zu steigen und die Wäsche aufzuhängen. Ich gab der Tür hinter mir mit dem Fuß einen Stups. Sie fiel ins Schloss.

„Oh Shit,“ entfuhr es mir. „What’s up, Mr B?“ Ich hatte keinen Wohnungsschlüssel eingesteckt. Jetzt stand ich ausgesperrt im Treppenhaus, barfuß, in Jogginghose und dem Shirt, in dem ich geschlafen hatte. Ich beendete das Gespräch mit Patrick, hängte meine Wäsche auf und überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, wieder in die Wohnung zu gelangen. Mit einem gebogenen Kleiderbügel fummelte ich ungeduldig durch den Briefschlitz in der Türe, um die Klinke von Innen  herunterzudrücken. Nach ein paar ungeduldigen Versuchen rutschte der Kleiderbügel durch den Schlitz und schepperte drinnen zu Boden. Zumindest hatte ich ein Handy dabei. Es dauerte eine halbe Stunde bis ich heraus bekam, wo mein Mitbewohner arbeitete. Dort würde ich seinen Wohnungsschlüssel ausleihen können. Sein Arbeitsplatz befand sich am anderen Ende der Stadt. Ich ging wieder auf den Dachboden und schlüpfte in ein nasses, aber zumindest frisches, T-Shirt von der Leine. In einer Ecke fand ich ein Paar zerlöcherte Schuhe, die mir eine Nummer zu klein waren. Nachdem ich meine nackten Füße hineingezwängt hatte, konnte es losgehen.

Der Schlüssel für das Schloss meines Fahrrads war dort, wo auch mein Wohnungsschlüssel war. Beim Schwarzfahren wollte ich ohne Geld und Ausweis lieber nicht erwischt werden. Also sprang ich hinaus in den Frühling und begann zu joggen.

Der wichtige Khala-Termin am Abend rückte nun doch bedenklich nahe. Es gab ja noch einiges zu erledigen.

Es war ein sehr heißer Tag für die Jahreszeit. An der Isar lagen zufriedene Menschen in der Sonne. Ich hastete vorüber. An die grüne Wand eines Transformatorenhäuschens hatten nachdenkliche Unbekannte in schmucklosen weißen Lettern gepinselt: KANN DiE WELT NICHT RETTEN ABER FiND DiE iDEE GUT. Ich hatte gerade andere Sorgen. Die Schilder verschiedener Stadtviertel zogen vorbei. Es ging bergauf und bergab, stadteinwärts und wieder hinaus. Meine To-Do-Liste für den heutigen Tag schrumpfte auf wenige Punkte zusammen. Mein Outfit erntete befremdete Blicke. Wie hatte Karl Lagerfeld, der andere Modezar, einst gesagt: „Wer in Jogginghose das Haus verlässt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

Irgendwann stand ich wieder vor meiner Wohnungstür. Diesmal mit dem Schlüssel meines Mitbewohners in der Hand. Drei Stunden waren vergangen, seit mir der Kleiderbügel durch den Briefschlitz gefallen war. Ich kletterte über die Matratze, duschte geschwind, zog mir eine Khala-Jacke an, sprang aufs Fahrrad und radelte zum Bahnhof, wo ich das Geld für Mel wechselte. Immerhin das konnte ich von der Liste streichen. Dann weiter zu dem wichtigen Termin – glücklicherweise ganz in der Nähe. Es war schon zwanzig nach fünf. Gehetzt betrat ich das große Gebäude. Ein Portier wies mir den Weg. Ich wand mich durch Trauben von Leuten in Abendgarderobe und Tracht. Ein kulanter Türsteher ließ mich noch hinein ins Studio des Bayerischen Rundfunks. „…Und wenn ihr euren Namen hört, dann kommt gleich auf die Bühne, wartet nicht darauf, was die anderen machen, das ist sonst tote Zeit. Da sagt keiner was und ich weiß auch nicht, was ich sagen soll und die Zuhörer denken sich ‚was ist da denn los?‘,“ instruierte ein Moderator Mel und ein paar andere Leute.

Khala bei der Preisverleihung zum „Guten Beispiel 2018“. (c) BR/Markus Konvalin

Die Preisverleihung zum „Guten Beispiel 2018“ würde in wenigen Minuten beginnen. Wir waren mit Khala im Finale. Es gab viel Geld zu gewinnen. Geld, das wir dringend benötigten, um neue Materialien für die Produktion zu kaufen, Mels Flug morgen zu bezahlen und überhaupt weitermachen zu können.

Wir gewannen den zweiten Platz. Und im Foyer gab es Schnittchen. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen.


(c) Bilder von Benedikt Habermann

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