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Khala Kolumna – Folge 4

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Das Haus, das verrückt macht

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

So ein Unternehmen gründet man nicht alle Tage. Khala ist nach diversen anderen Projekten unser erstes ernst zu nehmendes Start-Up. Vieles ist für uns neu. Die meisten Prozesse, die sich aus der Kontinente übergreifenden Zusammenarbeit mit unseren Schneidern ergeben, sind uns zunächst völlig unbekannt. Oft kommen unterschiedliche Herangehensweisen an eine neue Herausforderung in Frage und erst durch Trial and Error stellt sich die für uns richtige heraus. So bildet sich Stück für Stück die Basis für den späteren Erfolg. Das ist einerseits strapaziös, andererseits wird es auch nie langweilig; Khala ist ein einziges großes Abenteuer. Wir lernen täglich dazu, erleben tausend erste Male.

Zu den ersten Malen, die wir in den vergangenen Wochen erlebten, gehört die erste Überführung frisch gefertigter Kleidungsstücke von Malawi nach Deutschland. Da unsere kleine Manufaktur noch nicht genug produziert, um einen Schiffscontainer zu füllen, hatten wir beschlossen, den Transport der Ware mit einem malawischen Luftfrachtunternehmen abzuwickeln.

Im  Dezember,  als  ich  mich  in  Malawi  aufhielt,  war  ich  mit  Patrick,  unserem  malawischen Projektkoordinator, zum Flughafen eine halbe Stunde außerhalb Lilongwes gefahren. Der Anlass unseres Ausflugs war, den künftigen Ablauf des Versendens zu simulieren und Näheres über die gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen herauszufinden. Wir wurden damals sehr nett empfangen. Die gesamte Führungsriege des Frachtunternehmens legte ihre Arbeit nieder, um sich unser Projekt vorstellen zu lassen. Auch für sie war es ein erstes Mal, mit Deutschen Geschäfte zu machen. Patrick und ich bekamen die Informationen, die wir haben wollten, ein Mittagessen oben drauf, und fuhren nach einigen Stunden zufrieden zurück. Nach dieser Generalprobe lag es zwei Monate später an Patrick, denselben Prozess noch einmal zu durchlaufen. Diesmal mit tatsächlicher Ware im Gepäck.

Nachdem uns der einzige verfügbare Kartonhersteller Malawis unter einer Abnahmemenge von 1000  Stück  nicht  hatte  beliefern  wollen,  musste  sich  Patrick  zunächst  anderweitig  nach Verpackungsmaterial umsehen. Pappkartons sind in Lilongwe gar nicht so einfach zu bekommen.

Endlich ist die Bomberjacke von Khala verpackt.

Also klapperte Patrick verschiedene Geschäfte in der Stadt ab und kaufte zusammen, was er kriegen konnte. Die so zusammen gesammelten Kartons packte er bis zum Rand mit Jacken, Röcken und den anderen Khala-Teilen, die unser Team in den vorangegangenen Wochen geschneidert hatte. Endlich fuhr er damit zum Flughafen, von wo aus die Pakete die Reise nach Europa antreten sollten.

So  unkompliziert,  wie  uns  der  Versandprozess  im  Dezember  am  Konferenztisch  des Frachtunternehmens geschildert wurde, gestaltete er sich dann freilich nicht. Patrick wurde von den Frachtarbeitern zu den Zöllnern verwiesen und wieder zurück. Plötzlich fehlten Dokumente, von denen nie zuvor die Rede gewesen war und die unseren Recherchen zufolge auch gar nicht nötig waren für die Einfuhr nach Deutschland. Die Leute am Flughafen redeten Patrick aber ein, dass unsere Pakete vom deutschen Zoll verbrannt werden würden, würde man die geforderten Formulare nicht mitschicken. Und der malawische Zoll verlangte Geld für seine Arbeit, welches Patrick nicht dabei hatte. Nach langem Hin und Her, zähen Verhandlungen und tausend Sprachnachrichten, die zwischen Malawi und Deutschland durch den Äther wanderten, durften sich unsere Pakete zwei Tage später in die Lüfte erheben. Patrick war fix und fertig. Wir auch.

Das Bangen war damit aber nicht vorbei. Wenn bei dieser ersten Lieferung etwas nicht klappen sollte, eines der Pakete verloren gehen würde, dann könnten wir den Laden dicht machen. Wir würden  nicht  genug  Geld  haben,  die  Kleidungsstücke  noch  einmal  zu  produzieren.  Und  der deutsche Zoll, der verbrennt doch nicht wirklich einfach so Sachen, wenn Dokumente fehlen, oder?

Falschinformationen  von Angestellten,  undurchsichtige  Prozesse,  Hilfe  verweigernde  Beamte, unvorhergesehene  Mehrkosten  –  das  Bewerkstelligen  verwaltungstechnischer  Formalitäten  in diesem Staat kostet einen ungemein viel Zeit und Nerven. Warum macht man es uns nur so schwer? Wir sind doch die Guten.

Drei Tage später bekamen wir einen Anruf. Vier Pakete lägen für uns am Flughafen München und warteten darauf, abgeholt zu werden. Yeah.

Die Pakete sind da — aber nicht so einfach zu bekommen.

Mel  hatte  im  Vorhinein  mehrmals  mit  dem  deutschen  Zoll  telefoniert  und  die  Konditionen abgeklärt. Eine Einfuhranmeldung für die Kleidungsstücke sei nicht nötig, da unsere Ware unter dem dafür relevanten Mindestwert liege. Voll Vorfreude fuhren wir zum Flughafen und hielten dort gut gelaunt ein Pläuschchen mit den Frachtarbeitern, während sie unsere Pakete ausfindig machten. Nach wenigen Minuten war alles abgehandelt. „Ihr könnt die Pakete gleich mitnehmen,“ unterwies man uns, „sobald der Zoll eure Einfuhranmeldung bestätigt hat.

Na toll.

Wer schon einmal Asterix erobert Rom gesehen hat und sich an die Szene mit dem    Passierschein A38 im „Haus das Verrückte macht“ erinnert, kann den nächsten Absatz getrost überspringen. Das Pendant zum Passierschein A38 ist in unserer Geschichte das sogenannte Einheitspapier 0737.

Aber von vorne: Gespannt, was nun wieder auf uns zukommen würde, verließen wir das Büro des Luftfrachtunternehmens und begaben uns ins Haus, das Verrückte macht. Der erste Zöllner, dem wir unser Anliegen vortrugen, pampte uns in feinster Beamtenmanier an, dass man zur gewerblichen Einfuhr von Waren selbstverständlich eine Zollanmeldung brauche. Das, was man Mel am Telefon erzählt hatte, sei Unsinn. Wir hätten die Anmeldung im Voraus im Internet machen müssen. Es gebe noch  die  Möglichkeit,  die  Einfuhr  vor  Ort  anzumelden.  Dafür  müssten  wir  das  sogenannte Einheitspapier 0737 ausfüllen. Vergnügt riet uns der Zöllner aber davon ab. Es sei unmöglich das Einheitspapier 0737 zu verstehen. Alternativ, schlug er uns vor, könnten wir eine der im Haus ansässigen Speditionen mit unserer Einfuhranmeldung beauftragen. Wir stapften hinauf ins nächste Stockwerk, wo wir uns von einer Spedition zur nächsten verweisen ließen, bis uns schließlich eine Firma das Angebot machte,  die Einfuhranmeldung für  uns zu  übernehmen. „Das  würde dann zwischen 100 und 150 Euro kosten,“ informierte man uns. „Oh. Da müssen wir uns kurz beraten,“ entgegneten wir und dachten: „Auf keinen Fall. Soviel Kohle haben wir nicht übrig. Die dümmsten Menschen der Welt sind wir nun auch nicht. Füllen wir diesen popeligen Passierschein eben händisch aus.“

Wir stapften wieder zurück zu unserem Zöllner. Der zeigte sich höchst eingeschnappt darüber, dass wir  es,  entgegen  seiner  Empfehlung,  nun  doch  selbst  probieren  wollten,  das  Einheitspapier auszufüllen.

– „Ich sag’s Ihnen, es ist ausgeschlossen, das Formular beim ersten Mal richtig auszufüllen!“

– „Dann geben Sie uns am besten gleich zwei.“

Unser Kampfgeist war geweckt.

Wir  setzten  uns  an  einen  Tisch  und  beugten  uns  über  die Aufgabe,  die  sich  die  deutsche Zollverwaltung da für uns ausgedacht hatte. Das giftig grüne Formular bestand aus lediglich einer DinA4-Seite, zwei Durchschläge hefteten ihm an und… häh? Was? Ok, keine Ahnung, was die da von uns wollen. Aber wir leben im 21. Jahrhundert. Wir tragen das Wissen der Menschheit in unseren Hosentaschen herum. Irgendwer da Draußen wird sein Knowhow zum Einheitspapier 0737 sicherlich irgendwann einmal im Internet kundgetan haben. Wir griffen nach unseren Handys.

Während es draußen dunkler wurde und sich die Batterieanzeigen auf unseren Spiderappdisplays von grün zu rot verfärbten, brüteten wir über den blanken Kästchen der Einfuhranmeldung. Wir fanden heraus, dass es ein Merkblatt zu unserem einseitigen Formular gab. Unser Zöllner konnte uns  dieses  Merkblatt  mit  der  griffigen  Bezeichnung  GZD-Z  3455-2016.00006-DV.A.2 (201700249692)  leider nicht aushändigen: „Das gibt es nur noch online.“ Nach kurzem Suchen fanden wir das passende PDF. Es hatte 192 Seiten.

Nachdem wir innerhalb von zwei Stunden etwa drei Zeilen des Einheitspapiers 0737 vervollständigt hatten, kapitulierten wir vor dieser bürokratischen Ausgeburt des Teufels. Bei einem revitalisierenden Kaffee in der Zollkantine beschlossen wir, in die nächstgelegene Stadt zu  meinem  Bruder  zu  fahren  und  an  seinem  Laptop  die  Einfuhranmeldung  über  das menschenfreundlichere Onlineformular zu erledigen.

Endlich können die Pakete eingeladen werden.

Weitere  zweieinhalb  Stunden  später  betraten  wir  erneut  das  Haus,  das  Verrückte  macht,  die ausgefüllte Einfuhranmeldung ausgedruckt in der Hand. Glücklicherweise hatte in der Zwischenzeit ein Schichtwechsel stattgefunden. Ein frischer Sachbearbeiter besah gutmütig unsere Dokumente, korrigierte mit uns, was wir falsch ausgefüllt hatten, setzte schließlich den Stempel des Zolls darauf und schickte uns zurück zu dem Frachtunternehmen, bei dem unsere Odyssee sieben Stunden zuvor begonnen hatte.

Vier  Pakete  karrte  man  dort  heran.  Sie  hatten  unterschiedliche  Größen.  Leichte  Lädierungen zeugten von ihrem Tausende Kilometer langen Weg durch die Lüfte. Auf einer der Schachteln prangte das Logo einer Cornflakes-Marke – Patrick hatte bei seiner Suche nach Kartons keine Option ausgelassen. Wir luden ein und verließen den Flughafen so schnell wie möglich.

Falschinformationen  von Angestellten,  undurchsichtige  Prozesse,  Hilfe  verweigernde  Beamte, unvorhergesehene  Mehrkosten  –  das  Bewerkstelligen  verwaltungstechnischer  Formalitäten  in diesem Staat kostet einen ungemein viel Zeit und Nerven. Warum macht man es uns nur so schwer? Wir sind doch die Guten.

Wieder zu Hause öffneten wir unsere Cornflakes-Schachteln. Die Kleidungsstücke, die vor fünf Tagen Malawi verlassen hatten, sahen super aus. Unsere Leute hatten gute Arbeit geleistet. Darauf stießen wir erst einmal an. Die Strapazen auf dem Flughafen waren schnell vergessen. Wir hatten wieder eine Lektion gelernt, eine Herausforderung bewältigt und wichtige Grundlagen geschaffen. Und das Beste: von jetzt an würde es nur noch bergauf gehen. Wer einmal das Einheitspapier 0737 vor sich liegen hatte, hat das Schlimmste hinter sich. Oder?


(c) Bilder von Benedikt Habermann

Khala Kolumna – Folge 3

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Back to Normality

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Dünner Regen tröpfelte aus einem grauen Himmel auf die weihnachtlich dekorierte Stadt. Mit Lametta umhangene Schaufenster, Menschen in dicken Winterjacken und festlich beleuchtete Restaurants zogen an mir vorbei. Im Radio trieben sie es auf die Spitze und spielten Phil Collins „Another Day in Paradise“. Ich hatte dieses Lied nie gemocht. Die Stimme meines Bruders, der das Auto lenkte, drang durch das Gewühl meiner Gedanken: „Was machst’n du, schläfst du?“

Am Vorabend war ich aus Malawi zurückgekommen und bewegte mich nun wieder auf europäischem Boden. Ich war zurück in der „Normalität“. Meine Heimatstadt hatte sich in den letzten Monaten nicht großartig verändert, doch nahm ich sie jetzt anders wahr. Zuviel war in der Zwischenzeit passiert.

Der Aufbau eines Unternehmens in Malawi ist ein steiniger Weg.

Wie aus Steinen im Weg Gebirge werden 

Zweieinhalb Monate war ich in Malawi gewesen, hatte dort mit Mel die Schneiderei aufgebaut, zum Laufen gebracht und für die Arbeit der kommenden Monate vorbereitet. Es war zehrend gewesen. Vieles von dem, was wir uns vorgenommen hatten, hatten wir erreicht, vieles andere nicht mehr geschafft. In einem der ärmsten Länder der Welt ein Business aufzubauen, ist kein einfaches Vorhaben.

Arm bedeutet, nach eurozentrischem Verständnis, wirtschaftlich wenig entwickelt zu sein. Darin liegt eine der größten Herausforderungen für Khala: zum Wirtschaften in Malawi fehlt es oftmals bereits an den Grundlagen. Dinge, die in Deutschland im Handumdrehen erledigt sind, wachsen in Malawi zu Mammutaufgaben heran. Für Besorgungen, die man in Deutschland an jeder Straßenecke erledigen kann, muss man in Malawi stundenlang die Stadt durchforsten oder das Gesuchte Wochen vorher aus dem Ausland bestellen. Die sehr lückenhafte Infrastruktur erschwert vieles. Dazu kommt eine oftmals andere Arbeitskultur, die selbst Behördengänge und Termine bei Institutionen bisweilen zu grotesken Schauspielen werden lässt. Nachdem ich mir etwa von zwei verschiedenen Anwälten die Machbarkeit des Vorhabens versichern lassen hatte, nahm ich die Eröffnung eines Bankkontos für Khala in Angriff. Es dauerte über eine Woche und verlangte mir die Odyssee durch die Büros der Filialleiter*innen verschiedener malawischer Banken in Verbindung mit hartnäckigem Hinterher-Telefonieren und dem Ausfüllen unzähliger Formulare ab, bis ich schließlich die relevante Information erhielt:

„Since you don’t have a residency in Malawi, opening an account will be very difficult.“ „Difficult or impossible?“
Zögern.
„Impossible.“

Rückschläge gehören dazu. Mel und ich tauschten uns mit vielen Unternehmerinnen und Unternehmern über die Schwierigkeiten des Geschäftslebens in Malawi aus. Dass es einem manchmal vorkäme, als würde man bei der Unternehmensgründung gezielt Steine in den Weg gelegt bekommen, vertrauten wir uns dem deutschen Manager einer Lodge am Malawisee an. Er riss die Augen auf. „Steine?“, schüttelte er energisch den Kopf, „Gebirge!“

Baut man in Deutschland ein Unternehmen auf, profitiert man vom Reichtum und der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Staates. In Malawi ist die Mission von Khala aber zunächst, bei der Schaffung wirtschaftlicher Entwicklung mitzuwirken. Insofern war es zwar frustrierend, aber kaum überraschend, wenn wir hilflos mitansehen mussten, wie aus dem steinigen Weg, der vor uns lag, immer wieder neue Gebirgsmassive entwuchsen.

In Malawi gibt es kaum wirtschaftliche Entwicklung und damit auch keine Aufstiegschance für die Menschen.

It’s another day for you and me in paradise

Man muss sich das noch einmal bewusst machen: Wir agieren in einem Land, welches das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen der Welt aufweist. Der Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen ist nicht jedem möglich. Die Menschen leben in der Regel von der Hand in den Mund. Dadurch, dass es kaum wirtschaftliche Entwicklung gibt, gibt es keine Aufstiegschancen. Die Misere der Menschen zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es für die meisten keinen Ausweg daraus gibt *.

In Deutschland haben die Menschen Chancen – das ist der Unterschied. Als Kinder der Mittelschicht können wir uns selbst erfinden. Wir können sein, wer wir sein möchten, Yuppies, Hippies, Karrieremenschen, Dauerstudierende, Reisende; wir können uns ausprobieren. Alle Türen stehen uns offen, wir müssen uns nur eine aussuchen.
In Malawi gibt es solche Türen kaum. Man ist gezwungen, die nächstbeste zu nehmen, sonst gibt es abends nichts zu Essen. Ein malawisches Mädchen kann das Zeug zur Gehirnchirurgin, IT-Beraterin oder Elektroingenieurin haben. Weil sie aber nur wenige Jahre zur Schule gehen wird und zur Verwirklichung einer Geschäftsidee nicht an Startkapital gelangt, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie letztendlich am Straßenrand Tomaten verkauft. In unserer Welt entscheidet der Ort, an dem man geboren wird, darüber, ob man seine Potentiale als Mensch entfalten darf. Selbst, wenn die Tomatenverkäuferin niemals Gehirnchirurgin geworden wäre: was rechtfertigt es, dass sie nicht zumindest die Chance darauf bekommt?

„Für deutsche Unternehmen ist Malawi ein weißer Fleck auf der Landkarte – und das grundsätzlich mit Recht“, schreibt die Deutsche Industrie- und Handelskammer für das südliche Afrika verbittert. Dabei hat dieses Land Projekte wie das unsere so nötig. Es fehlen Investitionen, damit Malawi eine Konjunktur entwickeln kann, die unabhängig von Spendengeldern ist. Die Menschen brauchen Perspektiven, um Glauben an die Zukunft und ein Verständnis für Nachhaltigkeit zu entwickeln; wer nicht daran glaubt, dass sich je etwas ändert, dem ist auch egal, was morgen passiert. Sie brauchen Chancen, um ihre Talente zu nutzen und selbst etwas aufzubauen. Irgendwer muss damit anfangen, den Weg dorthin zu ebnen.

Viele Menschen in Malawi kennen Europäer nur aus dem Fernsehen, vorausgesetzt sie besitzen einen Fernseher. Im Fernsehen wohnen wir in weihnachtlich dekorierten Städten, tragen schicke Jacken und fahren Autos ohne Sprünge in der Windschutzscheibe. „Was machst’n du, schläfst du?“, drang die Stimme meines Bruders durch das Gewühl meiner Gedanken und vorbei an Phil Collins, der es im Radio auf die Spitze trieb: „Oh, think twice, ‚cause it’s another day for you and me in paradise.“

Khala Kolumna – Folge 2

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Die Modenschau

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Wir machen es uns aber auch nicht leicht. Im Oktober kamen wir nach Malawi, um innerhalb von zwei  Monaten einen laufenden Betrieb aufzubauen und dann wieder nach Deutschland zu verschwinden. Die ersten Schritte, wie die Suche nach einer geeigneten Immobilie, der Einzug und das Einrichten des Ateliers, das Einstellen und Einarbeiten der Schneider und unserer Cutterin, schafften wir in drei Wochen. Parallel dazu galt es stets, einen Blick auf den deutschen Teil unseres Business zu halten. Mit Hubi, der Khala in München vertrat, machten wir Marketing, kämpften uns durch Bürokratie, bemühten uns, unsere Crowdfunder nicht zu vergraulen und kümmerten uns um die Bestellung neuer Arbeitsmaterialien.

Die Produktion in Malawi und der Vertrieb in Deutschland, das sind die beiden Teile von Khala, an denen wir seit Monaten arbeiten. In beiden Ländern sehen wir uns unterschiedlichen Herausforderungen gegenübergestellt. Ein Start-Up auf zwei Kontinenten zu gründen ist nicht einfach. Und immer wieder kommt es zu zusätzlicher Arbeit, die wir nicht
vorhergesehen haben.

Zuletzt mit dem Africa Fashion Festival. Um der Welt ihre Kreationen vorzuführen, kamen zu diesem Event Ende November Designer und Designerinnen aus allen möglichen afrikanischen und einigen europäischen Ländern in die Hauptstadt Malawis, Lilongwe. Zufällig fiel das Festival in die Zeit, in der auch Mel und ich in Malawi waren. Diesen Zufall hatten wir nicht nicht ungenutzt lassen wollen und uns noch im September von Deutschland aus für die Show angemeldet.

Es würde unsere erste professionelle Modenschau werden. Wir bekämen Models gestellt, die wir einkleiden würden und jede Menge Publicity im Heimatland von Khala. Unsere bisherigen Designs allein genügten dafür aber nicht. Obwohl wir andere Baustellen offen hatten, mussten wir also ein paar neue Kleidungsstücke aus dem Hut zaubern. Dieser Aufgabe nahm sich vor allem Mel an. Für unsere erste Kollektion hatten wir in München mit einem Designstudio zusammengearbeitet.

Gründerin von Khala Mel beim Second-Hand Shopping.

Back to the roots

Nun waren wir mit unseren Schneidern auf uns selbst gestellt. In einer lang andauernden Trial-and-Error-Phase versuchte sich Mel an neuen Entwürfen, während wir nebenher die Manufaktur zum Laufen brachten. Zunächst hatten wir falsche Vorbilder vor Augen gehabt, hatten an diese Bilder von Modenschauen mit abgedrehten Styles gedacht, die im richtigen Leben niemand trägt. Das Festival rückte immer näher und wir wussten nicht, was von uns erwartet werden würde. Irgendwann besannen wir uns darauf, dass wir kein Unternehmen gegründet hatten, um die Erwartungen der Modewelt zu erfüllen.

Also back to the roots: Khala macht Neo-traditional Streetstyle mit afrikanischen Chitenje-Stoffen. Wir begannen, unsere bestehenden Schnitte abzuwandeln und erweiterten unser Bomberjacken-Sortiment. Auf dem chaotischen Markt Lilongwes besorgte Mel Second-Hand-Jeans in Übergrößen. Es gibt hier auf den Märkten eine riesige Auswahl an gebrauchter Kleidung. Die Flut von Second-Hand-Kleidung, die die europäische Konsumgesellschaft auf die afrikanischen Märkte hereinbrechen lässt, stellt ein enormes Problem für die hiesige Textilwirtschaft dar. Durch den massenhaften Import billiger Kleidung aus westlichen Ländern, haben in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Schneiderinnen und Schneider ihre Arbeitsplätze verloren. Das ist einer der Gründe, warum wir Khala eigentlich machen.

Mel kaufte nun also die Jeans aus Europa und zerschnibbelte sie. Zusammen mit Frederic, unserem Chefschneider, kombinierte sie den freigewordenen Denim-Stoff mit Chitenje. Ein neues Bomberjacken-Design ward geboren. Auf ähnliche Weise upcyclete Mel alte Latzhosen. Die Kollektion wuchs. Ich leistete meinen Beitrag, indem ich meinen Traum einer Leinenjacke realisieren ließ. Von den Kleidungsstücken, die bei dem Prozess entstanden, wählten wir letztendlich 13 für die Modenschau aus.

Die Khala Fashion Show Kollektion.

Man gewöhnt sich an vieles

Seit dem Beginn unseres Aufenthalts war einige Zeit ins Land gezogen. Die häufiger werdenden Regengüsse kündeten von der nahenden Regenzeit. Wir waren in den Wochen in Malawi gewachsen, hatten Hoch- und Tiefphasen erlebt, uns oft in die Haare gekriegt und genauso oft wieder versöhnt. Wir waren mitgenommen. Unser Budget war längst im Minusbereich angekommen. Gleichzeitig hatten wir fünf Angestellte, die auf ihren Lohn angewiesen waren. Dieser Umstand veranlasste uns dazu, unsere Ansprüche so gering wie möglich zu halten und an allen Ecken und Enden zu sparen[1]. Das größte Sparpotential hatten wir bei unserer Unterbringung wahrgenommen. Mit drei jungen Malawiern bewohnten wir ein landestypisches, aus Lehmziegeln gemauertes Haus. Noch besser als uns Menschen, gefiel es dort der Rattenfamilie, die durch ein Loch in der Küchendecke das Zusammenleben bereicherte.

Man gewöhnt sich an Vieles. Der Magen-Darm-Trakt gewöhnt sich an den Genuss malawischen Leitungswassers. Und wir gewöhnten uns etwa daran, dass wir abends kein Licht hatten und manchmal kein Wasser,  dass auch zwei Bananen ein Abendessen sein können und dass, wenn es anfängt an den Beinen zu kribbeln, wohl wieder eine Ameisenkolonie ihre Route verlegt hat.[2]

Wir gingen davon aus, dass das African Fashion Festival ein wenig Abwechslung in diesen Alltag bringen würde. Der Tag kam. Mel und ich waren die ganze Woche im Stress gewesen. Zur Feier des Tages zickten wir uns kontinuierlich an. Der Abend brach herein, in unserem Viertel herrschte wieder Stromausfall. Die Zeit drängte. Mel hatte einen Spiegel von der Wand gehängt und schminkte sich im staubigen Vorhof unter den matten Strahlen der untergehenden Sonne. Ich zwängte mich währenddessen in die zu kleine Hose eines unserer Mitbewohner, da ich selbst keine saubere mehr hatte, die dem Anlass gerecht werden hätte können. Kurz darauf kam unser Chauffeur.

Die Unterkunft von Mel und Bene.

Die Spannung steigt

Als wir im Tuk-Tuk an dem Luxushotel vorfuhren, das den Veranstaltungsort des Fashion Festivals darstellte, verloren wir für einen Moment die Kontrolle über unsere Kinnläden. Wir befanden uns am edelsten Ort, den wir bisher in Malawi gesehen hatten. Ein roter Teppich markierte den Weg zu einem türkisfarbenen Pool, um den sich die schneeweißen Gebäude des Hotelkomplexes sammelten. Über den Pool hatte man eine Rampe gelegt, die den Laufsteg für die Modenschauen darstellte. Rundherum standen die noch lichten Stuhlreihen. Links neben dem Laufsteg wartete eine alte Nähmaschine auf ihren Einsatz bei einer Performance-Kunstdarbietung.

Ein Herr mit Dreadlocks nahm uns in Empfang und geleitete uns in den Backstagebereich, wo es bereits vor Models und DesignerInnen wimmelte. Wir mussten uns noch ein paar Models aussuchen und den Khala-Imagefilm aus dem Internet laden. Es war viertel nach fünf, als uns der Mann mit den Dreadlocks mit der Ankündigung  überraschte, dass wir um sechs Uhr die Ersten seien würden, ihre Kollektion zu präsentieren. Diesen Zeitdruck hätte es gar nicht unbedingt gebraucht, um die Spannung zu steigern.  Denn der nächste Schock ereilte uns beim Öffnen der Box, in der sich die Outfits für die Models befanden. Unsere Managerin hatte ihren Auftrag, die Kleidungsstücke zu reinigen und zu bügeln, offenbar nicht besonders ernst genommen. Glücklicherweise gab es in der Unterkunft der Models ein Bügeleisen, welches wir benutzen durften. Während Mel eine Technik dafür entwickelte, Hemden so zu tragen, dass sie ihre eigenen Flecken verdecken, rannte ich zum Bügeln. Zugegeben, die weitere Handlung ist ein wenig vorhersehbar.

Die Models lassen sich vom Chaos hinter der Bühne nichts anmerken.  Fotocredit: Luke De Borde

Wenn etwas schief läuft, dann aber richtig

Natürlich brannte ich ein Loch in eines der Outfits. Es war ein Jumpsuit mit einem Oberteil aus Chitenje und einer gelben Chiffon-Hose – eines der exklusivsten Stücke unserer Kollektion. Zu diesem Zeitpunkt machte es bereits keinen Sinn mehr, sich über irgendetwas zu ärgern. Ich überlegte kurz, ob ich der Symmetrie wegen auch ein Loch in das andere Hosenbein brennen sollte, entschied mich aber dagegen und schnitt die Hose über dem Brandloch kurzerhand ab. Der Jumpsuit endete im unteren Teil nun eben als Shorts. Weil ich nicht sauber geschnitten hatte, sah das eher so mittel aus. Inzwischen war Patrick eingetroffen, die gute Seele unseres Ateliers.

Jetzt kommt die Performancekunst-Nähmaschine ins Spiel.

Patrick nahm an der Nähmaschine am Pool platz. Vor ihm rutschte das Publikum auf seinen Sitzen herum. Es war bereits nach sechs. Der Dreadhead blieb ruhig: „Dann fängt die Show eben um halb sieben an“. In den Minuten, in denen Patrick das neue Jumpsuitdesign fertigimprovisierte, unterwiesen und koordinierten wir unsere Models, die Moderatoren der Show unterwiesen uns. Gespannt warteten wir auf Patrick, der sein Werk bald vollendet hatte und uns zufrieden das brandneue Design überreichte. Es konnte losgehen. Es war sieben. Malawisches sechs. Der minutenlange Höhepunkt der wochenlangen Vorbereitungen begann. Eines nach dem anderen, schritten die von uns eingekleideten Models über den Pool.

Eine erfolgreiche Modenschau für Khala. Fotocredit: Luke De Borde

Die Kollektion kam gut an. Mel hatte sich als Designerin bewiesen. In unserer kurzen Rede, die wir im Anschluss auf dem Runway hielten, erklärten wir dem Publikum, dass sich Khala als Kollektiv versteht, dass die Designs in Zusammenarbeit vieler verschiedener Menschen entstehen.

Der Jumpsuit war natürlich das erste Outfit, das nach der Darbietung bestellt wurde. Auch unsere Bomberjacken waren der Renner. Der Moderator der Show schlüpfte zu jeder Ankündigung in ein anderes der neuen Modelle, der Manager des Luxushotels kaufte uns am nächsten Tag eines ab, die Moderatorin bestellte Jacken für ihre ganze Familie. Mit den Erlösen würden wir unsere Produktion wieder eine Zeit lang finanzieren können.

„T.I.A.,“ sagen die jungen Leute hier, „This is Africa.“

[1] Keine Angst, nicht an der Produktion der Kleidungsstücke.

[2] Ans Weißbrot und ans Bier gewöhnt man sich allerdings nicht, kulturelle und kulinarische Aufgeschlossenheit hin oder her.


(c) Bilder von Benedikt Habermann

Khala Kolumna – Folge 1

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Das neue Atelier

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Benedikt Habermann ist unser Khala Kolumnist.

Ich muss mich kurz fassen. Seit vier Wochen sind Melanie und ich bereits in Malawis Hauptstadt Lilongwe. Es wäre einfacher, ein Buch über unsere Erlebnisse in dieser Zeit zu schreiben, als das alles in ein paar hundert Sätzen zusammenzufassen. Aber durch das Schreiben von Büchern ist, soweit ich weiß, noch niemand reich und berühmt geworden. Das Beste wird wohl sein, sich auf eine Episode zu beschränken.
„Sieben Uhr vierundfünfzig. Das schaffen wir nie.“ Wir begannen zu rennen. In unserer Unterkunft hatte es vorhin wieder keinen Strom gegeben, darum hatten wir keinen Kaffee machen können und das Haus ungedopt verlassen müssen. Zur Feier des Tages hatte ich mich schick gemacht, also ein Hemd angezogen. Auch Mel hatte sich rausgeputzt. Den Chitenje-Rock aus unserem Sortiment trug sie in Kombination mit einer weißen Bluse. Während wir nun durch die staubige Morgenhitze Lilongwes schnauften, um nicht zu spät zu unserem Termin zu kommen, bildeten sich dunkle Flecken auf unseren Outfits. Für acht hatten wir einen Termin bei George. Als wir ihn eine Woche zuvor in seinem Herrenhaus aufgesucht hatten, hatten wir uns um eine Viertelstunde verspätet.

Im Hinblick auf die Erfahrungen, die wir zuvor mit dem malawischen Verständnis von Pünktlichkeit gemacht hatten, hatte ich gedacht, das wäre voll im Rahmen. Doch George belehrte uns eines besseren. Vor seiner Pensionierung war er Politiker gewesen und hatte während seiner jahrzehntelangen Karriere einige preußische Tugenden verinnerlicht. Er war der erste Malawier, den wir kennenlernten, für den Zeit ein Thema ist. Unsere Verspätung damals hatte ihn erzürnt. Uns hingegen hatte es einigermaßen verwundert, dass wir es nun waren, die sich eine Predigt über Zeitmanagement anhörten. In den vorangegangenen Wochen nämlich, waren wir mit unseren Mitarbeitern immer ungeduldiger geworden und hatten bereits gemutmaßt, dass unser Anspruch, bei einem vereinbarten Termin weniger als eine Dreiviertelstunde warten zu müssen, etwas sehr Deutsches sei.

Das Verständnis von Zeit und Pünktlichkeit ist in Malawi tendenziell ein anderes. Man unterscheidet zwischen der Zeit, die die Uhr anzeigt und der „malawischen Zeit“, die einem sehr subjektiven Empfinden unterliegt. Die meisten Menschen haben hier genug Zeit. Man muss nicht sparsam mit ihr umgehen – anders als in den Industriestaaten, wo Zeit knapp und gleich Geld ist. Weil wir Georges Zeitverständnis nun kannten, rannten wir. Mel verfluchte ihre Schuhe. Erstaunte Blicke der Frauen, die am Straßenrand Bananen und Teigtaschen verkauften, wanderten uns hinterher. Wir waren so um Georges Gunst bemüht, weil er etwas hatte, das wir haben wollten: einen wunderschönen Raum mit großen Fenstern, die viel Licht hinein lassen und den Blick auf ein bisschen Grün im Garten gewähren. Der Raum befindet sich in einem Seitenflügel von Georges großem Haus und wir wollten ihn anmieten, um unsere Manufaktur dort einzurichten. Zu einem guten Preis, versteht sich.

Wir hatten zuvor einige Schwierigkeiten gehabt, einen geeigneten Raum zu finden. Grundsätzlich gibt es in Lilongwe genügend verfügbare Immobilien. Aber die Ansprüche an unseren Produktionsstandort stellten sich als nicht so leicht zu befriedigen heraus. Dazu muss man wissen, dass Lilongwe in verschiedene Bezirke aufgeteilt ist, die Areas. Die Verteilung der Areas stellt die Krönung des für Außenstehende undurchschaubaren Chaos dieser Stadt dar. Ein Bekannter brachte es vor Kurzem auf den Punkt, als er sagte, Lilongwe sei, als hätte man es aus einer Flasche geschüttelt. Area 1 ist neben Area 8, dann kommt Area 2. Neben Area 2 findet man tatsächlich Area 3, aber direkt daneben schon wieder Area 46. Das muss man halt so hinnehmen. Als Standort für unsere Manufaktur kamen allerdings nur bestimmte Areas in Frage. Es gibt die Reichen-Areas, die konnten wir uns nicht leisten. Es gibt Areas, die sind für unser Projekt zu gefährlich. Andere Areas sind für uns oder unser Team zu umständlich zu erreichen. Von den Areas, die grundsätzlich in Frage kamen, mussten wir einige ausschließen, weil die Stromversorgung dort zu oft zusammenbricht. Ein Problem, das in so gut wie allen Areas zum Alltag gehört.

Das neue Khala-Atelier.

Um es kurz zu machen: von den über fünfzig Areas in Lilongwe blieben genau vier übrig, in denen wir nach einem Raum für unsere Werkstatt suchen konnten. Das Internet ist hier bei der Immobiliensuche keine große Hilfe. In Malawi läuft alles über Connections. Wir hatten mehrere Bekannte auf die Suche nach Räumlichkeiten angesetzt. Einige von ihnen tauchten daraufhin unter. Ein anderer Kontakt, mit dem wir eine Woche lang hin- und hergeschrieben hatten, stellte sich als eine vollkommen andere Person, als erwartet, heraus. Schließlich entschieden wir uns für eine andere Strategie und engagierten einen Makler. Wir hatten unseren Makler als den Koch eines Backpacker Hostels kennengelernt. Es ist hier nicht ungewöhnlich, dass man mehrere Jobs hat. Die Leute müssen schauen, wo sie bleiben. Leider konnte auch der makelnde Koch keine befriedigenden Räume für uns ausfindig machen. Bis auf einen: Georges Raum.

Wir wollten diesen Raum unbedingt haben. Wir schleppten uns die letzten Meter in Georges Büro. Nichts anmerken lassen. Zufrieden streckte uns der betagte Mann sein Handy entgegen. 08:03 Uhr stand auf dem Display. „You worked on your time management“, triumphierte er. Die Verhandlungen der folgenden zwei Stunden gaben uns keine Möglichkeit, zu verschnaufen. Zumindest trocknete unsere Kleidung in dieser Zeit. Die Strapazen lohnten sich letztendlich. Wir konnten uns mit George einigen und einige Tage später damit beginnen, unsere Manufaktur einzurichten. Scheinbar hatte Einstein recht: Zeit und Raum stehen in Relation zueinander.

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