Blue Ben, das ist ein Modelabel, das vor allem Mittel zum Zweck sein will. Und der hat einen Namen: Wasser.
Es hilft kein Stapeln und kein Stopfen – der Kleiderschrank ist einfach zu voll. Aber was soll man machen. Schließlich kann man kann doch nicht das schöne Oberteil der Frühlingskollektion auch noch im Sommer tragen! Aber alles ganz easy: Die neuesten Trends gibt es schließlich zum Dumpingpreis in den Regalen der Fast-Fashion-Ketten. Doch so einfach ist es nicht. Eine immer größer werdende Nachfrage nach Kleidung zum immer kleineren Preis funktioniert nur auf Kosten anderer, tausende Kilometer weit weg – etwa in Bangladesch. Das weiß auch Ali Azimi. Nachdem der Wahlberliner 2016 durch einen Dokumentarfilm auf die prekäre Situation der dortigen Textilarbeiter aufmerksam wurde, begann er zu recherchieren – auch vor Ort. Schnell war klar: Ein großes Problem ist der enorme Wasserverbrauch bei der Herstellung von Baumwollstoffen. Gerade den Ärmsten der Armen wird damit eine überlebenswichtige Ressource entzogen. Um dagegen etwas zu unternehmen wurde „BlueBen“ ins Leben gerufen. Dahinter steckt ein Modelabel, das vor allem eines will: Wasser geben, anstatt nehmen. Um mehr darüber zu erfahren, haben wir mit Ali Azimi, dem Gründer des Start-Up gesprochen.
Ali, ihr schreibt auf eurer Website: “Water is more important than clothing.“ Wie lässt sich das verstehen?
Als ich erfahren habe, wieviel Wasser in Baumwolle steckt und wie die Ressource Wasser in der Textilbranche genutzt wird, war ich ziemlich schockiert. Daraufhin reiste ich nach Bangladesch, habe mir die Industrie angeguckt und mit Bauern gesprochen. Die dort produzierte Kleidung ist zu 90 Prozent für den Export bestimmt. Man fragt sich dann, welchen Nutzen die Menschen vor Ort davon haben. Zudem sind es meist nur Großgrundbesitzer oder Fabrikanten, die wirklich etwas dabei verdienen. Daraufhin ist die Aussage entstanden, dass Wasser wichtiger für den Lebensmittelanbau, als Lebensgrundlage vor Ort, ist, als dafür, dass wir T-Shirts für drei, vier Euro kaufen können.
Wieso ist die Nutzung von Wasser zur Textilherstellung so kritisch?
Zwischen 7.000 und 29.000 Liter Wasser werden für ein Kilo Baumwolle benötigt – vom Anbau bis zur Endproduktion. Ich diskutiere oft mit Leuten, die meinen, dass man für Kaffee und Fleisch ebenfalls eine Menge Wasser benötigt. Klar, stimmt, aber das sind Lebensmittel. Das ist etwas anderes als Kleidung. Die liegt erstmal überall in Massen rum, die im Gegensatz zu Lebensmitteln, weniger zwingend gebraucht werden. Das Problem ist, dass in den Gebieten – in denen der Baumwollanbau und die Textilindustrie angesiedelt sind – es entweder sehr trocken ist oder es dort von vornherein gravierende Versorgungsprobleme mit Wasser gibt. Das heißt, wir begünstigen durch die Produktion und Anbau von Baumwolle noch mehr Probleme, als es ohnehin schon gibt. Zudem ist erstaunlich: Das Thema ist völlig unterrepräsentiert. Keiner redet darüber. Das Thema Wasser haben die Leute nicht auf dem Schirm.
Aber ihr wollt Wasser nicht nur einsparen, sondern auch geben: Wie wollt ihr das schaffen?
Der erste Schritt liegt natürlich im Wassersparen. Das heißt aber nicht Bio-Baumwolle aus Indien zu verwenden. Wir produzieren überhaupt nicht in diesen Ländern, denn diese Länder brauchen das Wasser für den Lebensmittelanbau. Daher produzieren wir nur in Europa. Der wesentliche Punkt ist jedoch, dass wir überhaupt keine Baumwolle verwenden. Wir wollen hierbei Verantwortung übernehmen, aber wir können uns nicht vor den Schäden drücken, die wir in den letzten 40 Jahren in diesen Ländern verursacht haben. Wir zahlen deswegen eine Art Reparationen, indem wir Wasserprojekte finanzieren. Das ist der nächste Schritt. Wir versuchen das Wasser, das durch die Textilindustrie verschmutzt wurde, wiederaufzubereiten, also den Leuten wieder zugänglich zu machen.
Aber Privatpersonen sollen euch auch direkt unterstützen, oder?
Genau. Wir wollen erreichen, dass du genau wie einen Co2-Ausgleich beim Fliegen, einen Wasser-Ausgleich machen kannst. Das planen wir mit unserem Verein, den wir gegründet haben und der unsere Wasserprojekte kuratiert. Den gibt es auch deswegen, da wir die Zwischenschritte verkürzen wollen und somit keine überflüssigen Mittelsmänner haben, damit am Ende dort mehr ankommt, wo es gebraucht wird. Ein Beispiel: In Bangladesch gibt es Superarme, Arme und Normale. Die Superarmen können es sich nicht einmal leisten, für 20 US-Cent im Monat, Wasser zu kaufen. Mit dem Wasserausgleich hat man die Möglichkeit, diese 20 Cent pro Familie zu spenden. Zusammengefasst hat man mit zehn Euro einen Monat lang 50 Familien mit Wasser versorgt. Aber das ist ein langfristiges Projekt, deswegen haben wir es nicht in den Mittelpunkt gesetzt. Wir versuchen eher durch größere Wasserprojekte etwas Nachhaltigeres zu implementieren.
Eure Ziele wollt ihr mit dem Verkauf eines baumwollfreien Sweaters erreichen: Wie kam es dazu?
Wir hatten gar nicht vor ein Modelabel zu gründen – denn es stand die Frage im Raum, ob man eigentlich noch ein weiteres Modelabel braucht. Aber die Tatsache, dass wir das mit dem Sweater machen, interessiert die Leute. Darüber kommen wir mit ihnen ins Gespräch und nicht, weil wir ein Wasserausgleich anbieten oder einen Verein gegründet haben. Das ist schade, aber einfach Tatsache.
Der Pullover ist also Mittel zum Zweck?
Absolut! Er ist die Grundlage, um über unsere Themen zu sprechen. Dazu gehört auch, dass wir einen Schritt weitergehen, indem wir uns gefragt haben, was in Zukunft sein wird. Baumwolle wird nicht dazugehören. Da bin ich mir ziemlich sicher, weil wir die Agrarfläche und das Wasser für den Lebensmittelanbau brauchen werden. Deswegen wird es zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass wir andere Fasern nutzen.
Dafür haben wir selbst einen Stoff zu hundert Prozent aus Buchenholz geschaffen. Aber es hat schon eine ganze Weile gedauert, bis wir das erreicht haben. Wir mussten beim Stoff viel nachjustieren, etwa beim Material für die Bündchen. Wir wollten ein Garn das biologisch abbaubar ist und eben nicht aus Polyester besteht. Das war ziemlich schwierig. Das hat alles ein bisschen länger gedauert als geplant, aber jetzt da die Pullover da sind, ist es echt cool zu sehen was wir in den letzten Monaten geschaffen haben. Da sind wir stolz drauf. Und die Leute sind echt begeistert. Wir hätten natürlich auf schon Vorhandenes zurückgreifen können, aber wir haben uns für diesen Weg entschieden. Dann dauert es eben alles manchmal länger als geplant – in unserem Fall drei Monate.
Dann geht es also jetzt los mit dem Verkauf?
Genau. Die Pullover in unseren Basic-Farben sind bereits erhältlich. Die erste Auslieferung war im Dezember 2018.
Ihr hattet bereits in Vergangenheit eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne durchgeführt. Gerade habt ihr nochmal eine gewagt. Wie lief die?
Wir wollten schon immer eine internationale Kampagne auf Kickstarter machen. Das war jedoch schwieriger als gedacht, was vielleicht auch daran lag, dass wir die Kampagne zum Ende des Jahres gemacht haben. Das heißt, die Kampagne ging nicht so durch die Decke, wie wir es bei der letzten erlebt hatten. Einerseits, weil wir unterschätzt haben wieviel Zeit und Kraft so etwas benötigt. Anderseits hatten wir auch schon unser Netzwerk erschöpft. Deshalb mussten wir komplett neue Leute erreichen. Das war echt eine Herausforderung. Dafür haben wir in drei Städten Öffentlichkeitsarbeit gemacht – in Amsterdam, London und Berlin. Zudem haben wir eine tolle PR-Mitarbeiterin an Bord, die einen richtig guten Job macht. Gott sei Dank haben wir dann das Ziel der Kampagne erreicht und sie erfolgreich beendet. Der Erfolg war dann sogar ein bisschen international. Es gab ein paar Kunden aus Asien. Auch in Europa verteilt und aus den USA sind Bestellungen eingegangen. Aber trotzdem, man darf das alles nicht unterschätzen.
Was wollt ihr mit dem Geld anstellen?
Wir brauchen viel Geld für die Produktion selbst. Aber auch für Dinge wie einen biologischen Abbaubarkeitstest. Der ist echt teuer und kostest allein schon etwa 5.000 Euro. Das wollen wir nicht machen, um es als Alleinstellungsmerkmal zu kommunizieren, sondern damit wir uns selber sicher sein zu können, dass wir etwas geschaffen haben, das biologisch abbaubar ist.
Neben all euren Bemühungen: Wen siehst du mehr in der Verantwortung, die Produzenten oder die Verbraucher?
Ich persönlich bin nicht der nachhaltigste Konsument, um ehrlich zu sein. Worauf ich eher achte ist Qualität. Ich kaufe einfach wenig. Ich bin da eher unbewusst nachhaltig. Ich lege die Verantwortung nicht auf die Konsumenten, sondern auf die Produzenten. Da in ihnen die Ursache des Übels liegt. Das was Konsumenten machen, ist nur Symptombekämpfung. Das heißt, wenn wir unseren Konsum runterschrauben, bedeutet das nicht, dass Modelabels weniger produzieren. Das müssten dann schon alle oder zumindest ein sehr großer Teil tun und das wird nicht passieren. Da müssen wir realistisch sein. Es wird nicht passieren, es sei denn, die Politik würde eingreifen, das tut sie aber nicht. Warum: Es geht um Steuergelder, um globalen Austausch und letztlich um ökonomische Vorteile der Modelabels. Was wir als Produzenten machen können, ist das Ganze anzustoßen. Ich glaube, kein Label, das jemals angefangen hat Fair-Fashion zu machen, war ein Systemwandler. Vielmehr haben sie dazu beigetragen, dass sich andere daran orientieren. Ich glaube, dass die Intensität eines Wandels davon abhängt, wie groß und wie bekannt wir werden. Um zu zeigen, dass man es wirklich radikal anders machen kann.
Euer Pullover ist ja Mittel statt Zweck. Der Steckt in euren Wasserprojekten. Was hat sich da getan?
Ursprünglich hatten wir uns auf reine Trinkwasserprojekte fokussiert. Das hat sich in wenig geändert. Das heißt, wir arbeiten gerade an einer Lösung, die das Abwasser von Textilmanufakturen, Färberein etc. filtert. An so einem Filtersystem arbeiten wir gerade mit verschiedenen Partnern zusammen. Wir wollen etwas machen, was ein bisschen mehr zu uns passt. Wenn wir Textilien herstellen, macht es auch mehr Sinn etwas mit Textilabwässern zu machen. Brunnenbau würde uns vielleicht die bessere PR bringen, aber wir wollen an der Ursache arbeiten, das ist uns wichtiger. Wir wollen uns mit den Verursachern des Wasserproblems generell, etwa in den Großstädten Bangladeschs, befassen – mit Textilbetrieben etwa, die sich Filteranlagen und ein Waste-Water-Managemernt nicht leisten können. Dort wollen wir Abhilfe schaffen. Wie das aussehen kann, daran arbeiten wir geraden. Da steckt jede Menge Arbeit drin, die wir bald öffentlich kommunizieren werden.
Euer Sweater verfügt über eine ziemlich auffällige Armbinde am Ärmel. Das hat ein wenig einen Siegelcharakter: Meinst du, eine Siegel für nachhaltige Textilien bräuchte es?
Wir als Unternehmen verwenden keine Siegel. Weil sie nur Symptome bekämpfen, indem sie versuchen Vertrauen zu schaffen, wo gar keine Glaubwürdigkeit da ist. Aber dem ist nicht so. Denn viele Menschen können nicht nachvollziehen, wie Rohstoffe angebaut werden. Da gibt es extrem viele Schwierigkeiten und das ist den Leuten nicht bewusst. Das wollen wir nicht. Wir wollen unabhängig davon zu 100 Prozent transparent sein. Dann braucht es auch kein Siegel mehr. Das Label am Arm ist vielmehr etwas, worüber sich die Leute identifizieren und reden. Also ein Conversation-Starter, mit dem Ziel, ein gemeinsames Symbol entstehen zu lassen.
(c) Titelbild: Benedikt Fuhrmann