Chancengleichheit darf nicht nur ein Phrase sein, sondern muss gelebt werden. Damit das klappt, wird immer wieder ein bedingungsloses Grundeinkommen gefordert. Doch das ist eine ziemlich anspruchsvolle Idee.
Man kann es ruhig angehen oder richtig krachen lassen. Die Tage können am Schreibtisch vorbeiziehen oder im Zechenschacht nicht einmal zum Vorschein kommen. Egal jedoch wie das eigene Leben auch aussieht, eines haben wohl alle gemeinsam: sie sind voll von Entscheidungen. Einige davon sind einfach, andere riskant und gewiss mitunter schon längst überfällig. Ins Gewicht fallen dürften wohl auch gerade diejenigen, bei denen es um die Weichenstellung zur eigenen und gelungenen Selbstverwirklichung geht. Ganz konkret heißt es dann: Abitur oder nicht? Die Lehre zur Klavierbauerin machen oder doch die Bürokarriere durchziehen? Oder warum nicht gleich den alten, schnöden Job an den Nagel hängen und mit dem eigenen Café endlich das machen, was schon immer der eigene Traum wahr? Ja, warum eigentlich nicht? Die Antwort kommt prompt: Weil es oft nicht ums Wollen, sondern ums Können geht. So braucht es zur Café-Gründung oder zum nachgeholten Bildungsabschluss meist ein gewisses Finanzpolster, das aber viele nicht haben. Und so bleibt alles wie es ist und eine Entscheidung nicht mehr als ein unerfüllbarer Wunsch. So ein Dilemma wollen viele Menschen zur Recht nicht hinnehmen und haben sich deswegen Gedanken gemacht, wie es auch anders funktionieren könnte. Eines der bekanntesten Ergebnisse solcher Überlegungen ist das bedingungslose Grundeinkommen. Die Idee dahinter ist einfach, stellt aber das gewohnte System aus Sozialstaat und Arbeit ziemlich auf den Kopf.
Gerechtigkeit als Gleichheit
Ganz grundsätzlich würde dabei jede Bürgerin und jeder Bürger eines Landes eine bestimmte und regelmäßige Geldsumme vom Staat ausgezahlt bekommen, die jedem wiederum zur freien Verfügung steht. Keine Bedingungen und keine Unterschiede also. Dabei geht es natürlich nicht bloß um ein paar Euro pro Monat, sondern soll der Betrag des Grundeinkommens so hoch sein, dass eine ganzwertige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben oder zumindest die Chance dazu, möglich ist. Ohne jetzt gleich den geistigen Taschenrechner anzuwerfen, könnte das bedeuten, dass Armut und Obdachlosigkeit ein für alle Mal der Vergangenheit angehören und der Mensch seine Abhängigkeit von der Lohnarbeit ein Stück weit aufgeben kann. Zumindest dürfte es ziemlich schwer sein Menschen auszubeuten, die nicht jeden einzelnen Euro zweimal umdrehen müssen und sich somit in einer besseren Verhandlungsposition befinden. Die Selbstbestimmung rückt also in den Mittelpunkt. Das bedeutet in beruflicher Hinsicht auch, dass man es sich leisten kann die Dinge zu verfolgen, die den eigenen Zielen und Wünschen entsprechen. Denn wer sich Aufgrund seiner Herkunft sich die Privat-Uni nicht leisten konnte, kann es jetzt vielleicht. Eine Andere kann durch den Rückgriff auf ihr Grundeinkommen vielleicht ihre Arbeitsstunden reduzieren und sich endlich den Plänen der eigenen Unternehmensgründung widmen. Man muss also nicht Karl Marx heißen, um zu verstehen, dass ein Grundeinkommen dazu dienen kann, Menschen aus einem Abhängigkeitsverhältnis zu befreien, in dem sie nicht das bekommen, was ihnen eigentlich zusteht.
Bleibt nur die Frage: Warum gibt es hierzulande kein Grundeinkommen, wenn dessen Vorteile doch so klar auf der Hand liegen? Die typischen Antworten auf diese Frage klingen meistens ungefähr so: Das Grundeinkommen könne unmöglich öffentlich finanziert werden! Oder: In einem Sozialstaat wie Deutschland braucht es gar keine Mittel wie das des bedingungslosen Grundeinkommens!
Die Finnen machen es ein bisschen vor
Aber stimmt das? Nicht ganz – das beweist ein Blick über die eigenen Ländergrenzen hinaus. So testete Finnland in einem zweijährigen Experiment, 2017 und 2018, ob sich mithilfe eines bedingungslosen Grundeinkommens vorhandene soziale Sicherungsmechanismen verschlanken lassen und das bedingungslose Grundeinkommen möglicherweise ein geeignetes Mittel darstellt, den geänderten Arbeitsbedingungen im Informationszeitalter zu begegnen. Letztlich versprach man sich mehr Jobanreize zu schaffen, unnötige Bürokratie zu reduzieren und vor allem eine Kultur des Experimentierens zu etablieren. Dafür bekamen 2.000 arbeitslose Personen im Alter zwischen 28 und 57 Jahren monatlich 560 Euro ausgezahlt, was ungefähr der Summe des ohnehin ausgezahlten Arbeitslosengeld in Finnland entspricht. Zugegeben, eigentlich handelt es sich hier eher um ein bedingungsloses Arbeitslosengeld als um ein Grundeinkommen. Aber noch eine weitere Erkenntnis ist entscheidend: Laut einer offiziellen und vorläufigen Auswertung der Daten, hatten die Personen mit bedingungslosen Grundeinkommen zwar keine größeren oder geringeren Chancen auf dem Arbeitsmarkt als die Personen ohne Grundeinkommen, aber – und das ist vielleicht viel wichtiger – sie waren glücklicher. Der Auswertung zu Folge war das allgemeine Wohlbefinden der Personen mit Grundeinkommen deutlich besser als bei den Personen ohne. So wiesen erstere in der Testphase deutlich weniger gesundheitliche Probleme auf, hatten weniger Stress und waren deutlich zuversichtlicher über die eigene Zukunft und die eigene Fähigkeit auf gesellschaftliche Probleme einwirken zu können.
1:0 für das Grundeinkommen also, oder doch nicht? So einfach ist es leider nicht. Denn mag das finnische Experiment bisher zwar einzigartig und vielversprechend sein, sagt es über die flächendeckende Umsetzung in einem ganzen Land nur wenig aus. So bleibt auch weiterhin das stärkste Argument gegen das Grundeinkommen die damit verbundene Unsicherheit. Niemand weiß, wie sich eine landesweite Umsetzung auf die sozialen Sicherungsnetze auswirken wird. Denn ein Grundeinkommen ist nur dann möglich, wenn es durch vorherige Wirtschaftsleistungen finanziert werden kann und wer kann schon versichern, dass Menschen nicht nur auf der faulen Haut liegen, sobald sie über ein Grundeinkommen verfügen? Zugegeben, so ein Gegenargument ist ganz schön schief. Denn lässt sich wirklich ein derart negatives Bild vom Menschen zeichnen? Und sind Arbeitsverhältnisse, die auf Ausbeutung beruhen in ihren Auswirkungen nicht sogar gefährlicher?
Eine zu einfache Rechnung
Aber Unsicherheit hin oder her – am Ende kann sich das bedingungslose Grundeinkommen eh kein Land der Welt so richtig leisten. Diese Argument hört man oft und es existiert in den verschiedensten Varianten. Die Rechnung dabei ist immer die gleiche: In Deutschland leben rund 83 Millionen Bürger*innen, davon erhält jede*r im Monat 1.000 Euro. Das macht monatlich 83 Milliarden- und jährlich rund eine Billionen Euro, die der Staat ausgebeben müsste. Geld das er nicht hat, so die Gegner. Denn dieser Summe stünden nur rund 356 Milliarden Euro Budget aus dem Bundeshaushalt gegenüber – unmöglich also ein bedingungsloses Grundeinkommen zu finanzieren. Solche Rechnungen haben aber einen ausgemachten Schönheitsfehler. Hierbei wird nämlich vergessen, dass der Staat jährlich weitaus mehr für Sozialleistungen ausgeben kann, als die sogenannte Rechnung suggerieren will. So kommen zu den, für Sozialausgaben veranschlagten und steuerfinanzierten Anteil des Bundeshaushalts – im übrigen rund 181 Milliarden Euro – aktuell noch rund 965 Milliarden Euro an Ausgaben aus den Sozialversicherungssystemen, etwa für Rente und Kindergeld, dazu. Klar, dieser Anteil kommt nur zustande, sofern er aus erarbeitenden Löhnen oder Unternehmensgewinnen eingefordert werden kann. Ganz grundsätzlich scheint es aber doch möglich zu sein, die notwendigen finanziellen Summen für ein bedingungsloses Grundeinkommen aufzubringen.
Modelle, die beschreiben, wie aus diesen Geldern ein Grundeinkommen bedingungslos ausgezahlt werden kann und gleichzeitig niemand deshalb unnötig mehr belastet wird, gibt es dabei zuhauf. Ob die sich wirklich umsetzen lassen, muss wahrscheinlich an anderer Stelle entschieden werden, ganz unrealistisch erscheint es jedoch nicht.
Der ungerechte Wolf im sozialen Schafspelz?
Ein Grundeinkommen ist also grundsätzlich möglich aber nicht ganz bedingungslos. Denn die Beiträge, aus denen es sich ergibt, müssen schlichtweg erarbeitet werden. Aber noch eine ganze andere Frage drängt sich auf: Braucht ein Gesellschaft überhaupt ein bedingungsloses Grundeinkommen um sozial gerecht zu sein, schließlich leben wir doch in einem intakten Sozialstaat? Befürworter des Grundeinkommens würden jetzt argumentieren, dass damit die Bürokratie in einem Sozialstaat verschlankt werden würde und somit ein Menge Geld eingespart werden kann. Aber für was eigentlich? Für eines schon mal nicht: mehr Gerechtigkeit. Klar, so ein bedingungsloses Grundeinkommen hat den großen Vorteil, dass es sich nicht um gesellschaftlichen Status und Ansehen schert – jeden also gleichbehandelt. Leider kommt jetzt doch eine großes Aber: Chancengleichheit garantiert diese blinde Verteilung von Geldern noch lange nicht.
Denn Menschen sind verschieden und brauchen manchmal mehr Unterstützung als andere, um die gleichen Chancen zu erhalten, wie diejenigen, die vielleicht bessere Startbedingungen im Leben haben. Chancengleichheit heißt dann, dass Ungleiches verschieden behandelt werden muss, um letztlich wieder Gleich zu sein. Zumindest dann, wenn es um die faire Verteilung von Chancen geht. Beim bedingungslosen Grundeinkommensrechner leuchtet spätestens jetzt die Alarmglocke hellrot auf, denn jedem 1.000 Euro im Monat auszuzahlen und dann noch bedarfsgerecht Transferleistungen obendrauf zu legen, scheint ein ziemlich ehrgeiziges Vorhaben zu sein, vielleicht zu ehrgeizig. Selbst wenn etwa Steuererhöhungen eine Finanzierung stemmen könnten, wäre es immer noch ziemlich schwer Menschen in Pflegeberufen samt Schichtdienst zu erklären, warum sie mehr Steuern zahlen sollen, damit auch der letzte Multimillionär seine 1.000 Euro im Monat bekommt. Vielleicht liegt hier ja der größte Widerspruch im bedingungslosen Grundeinkommen: Es will mehr Gerechtigkeit, fordert sie aber zugleich ziemlich heraus. Vielleicht wäre es wichtiger die eigentlichen Probleme direkt anzugehen, indem man für faire Mindestlöhne kämpft und Geld gerechter von oben nach unten weitergibt. Und hey! Vielleicht gibt es auch einen goldenen Mittelweg, auf dem man sich mehr trauen kann und darf; auf dem die richtigen Weichen für ein bisschen mehr Chancen fair und gerecht gestellt werden – wir werden ihn finden müssen.
// Lesetipp
- The basic income experiment 2017–2018 in Finland. Preliminary results
- Die Struktur des Bundeshaushalts