Zwischennutzungen ermöglichen Neues an ungewöhnlichen Orten und können so Teilhabe und Innovation in der Stadt stärken. Oft dienen sie aber kommerziellen Interessen.
Was machen wir in unseren Städten? Wo finden wir Raum dafür? Gerade in dicht besiedelten Städten wie München fehlt dieser zum Wohnen, zum Arbeiten, zum Lernen und Probieren. Der Lebensraum Stadt ist durchökonomisiert – für Lebensqualität und eine Diversität in der Umgebung sorgt die nach dem Ideal der ökonomischen Effizienz funktionierende Raumvergabe nicht unbedingt. Wo sollen sie hin, die guten Ideen, Kulturschaffenden und Initiativgruppen?
Zwischennutzungen sind zeitlich beschränkte Nutzungen von Gebäuden und Flächen. Häufig sind diese Übergangsnutzungen nicht rein ökonomisch orientiert und funktionieren nach dem Prinzip „Günstiger Raum gegen befristete Nutzung“ beziehungsweise „Bewachung durch Bewohnung“.
Der Begriff der Zwischennutzung hat sich dabei in den letzten Jahren einem Imagewandel unterzogen. Noch in den 90er Jahren verwendeten Zwischennutzende oft halblegal die jeweiligen Räumlichkeiten. Die temporäre Nutzung von Gebäuden wurde oft als Hausbesetzung praktiziert. Dieser Eindruck haftete der Praxis länger an. Inzwischen haben sich Zwischennutzungen aus der Nische des alternativen, informellen Raums zu bauplanerischen Instrumenten im Umgang mit Brachflächen und in der Wirtschaftsförderung entwickelt – und oft auch zu einem profitablen Geschäft.
Zwischennutzungen als Experimentierfläche
Zwischennutzungen können dazu dienen, Projekten und Initiativen im Prozess den notwendigen Freiraum zu geben, sich auszuprobieren. Oft fallen dabei nur die Betriebskosten als Miete an. In Städten wie München, Berlin, Köln oder Hamburg ist das eine entscheidende Startbedingung für junge Projekte: Flächen in zentraler Lage sind dort quasi unerschwinglich. Die gemeinschaftliche Nutzung von Bauten und Räumen bietet Möglichkeit für Vernetzung und Synergieeffekte. Auch die oft ungewöhnliche Lage der Orte für deren Nutzer*innen birgt innovatives Potential: Junge oder ökonomisch unprofitable Projekte und Initiativen werden an sonst unerschwinglichen, zentralen Orten mit ihrem jeweiligen Publikum sichtbar.
Zugleich reduziert die Praxis des Zwischennutzens die Leerstandskosten für den Eigentümer und kann durch die gesteigerte Aufmerksamkeit für den temporär genutzten Raum für eine Imageaufwertung sorgen. Entscheidend ist dabei auch, wo die Zwischennutzungen stattfinden: In Städten wie Berlin, München oder Hamburg ist Raum umkämpft, während in Regionen wie dem Ruhrgebiet viel Leerstand herrscht.
Die Praxis des Zwischen-Nutzens kann so Verfall vorbeugen und vergessene Flächen wieder aufwerten. Dabei bietet sie hohes partizipatives Potential: Durch einen ständigen Prozess an Aushandlung und Anpassung können unterschiedliche Interessensgruppen wie Anwohner*innen, interessierte Bürger*innen und Initiativen an unterschiedlichen Punkten mit einsteigen und den weiteren Verlauf beeinflussen. Beispielsweise wird der Zenettiplatz in München schon das zweite Jahr in Folge zum „Piazza Zenetti“ – durch Bepflanzung und Sitzgelegenheiten wird der verwaiste Zwischenort, der als Parkplatz wenig Raum für lebendige Nutzung lässt, zur interessanten Anlaufstelle für unterschiedlichste Nutzungsmöglichkeiten. Die Anwohner*innen und Passant*innen sorgen dabei durch die Art, wie sie den Platz nutzen, für neue soziale Begegnungen und Synergieeffekte. Durch das Angebot an die Anwohner*innen, den Platz dadurch an ihre gewünschte Nutzung anzupassen, entfaltet der Ort sein Potential als Fläche zum Austausch und Generieren von Ideen und zur Freizeitgestaltung.
Zwischen-Nutzen bietet Raum für Innovation und Partizipation
Die Möglichkeit, an der Gestaltung mitzuwirken, weckt oft eine starke Identifikation mit dem Ort und fördert das Bewusstsein, sein Umfeld mitgestalten zu können. Das kann gerade in Nachbarschaften, die keine Möglichkeiten für Austausch und Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung bieten, die ungenutzten Potentiale des Raums aufzeigen und damit neue Möglichkeiten schaffen. Die Praxis des Zwischen-Nutzens kann so weiteren Innovationen den Weg ebnen und als neue Form der Bürgerbeteiligung verstanden werden. Dabei werden Akteure sichtbar, die ansonsten weniger Einfluss auf die Gestaltung ihres Lebensraums haben, so zum Beispiel Kinder, ältere Menschen oder Geflüchtete.
Aber wo gibt es eigentlich in dicht besiedelten Städten noch Raum? Wenn Umbauvorhaben von kulturellen Zwischennutzungen begleitet werden, bringt das diese Orte oft erst in den Fokus der Öffentlichkeit und erzeugt so Aufmerksamkeit für einen leerstehenden Raum, der sich im Wandel befindet. So können diese Experimente den Diskurs öffnen und die Aufmerksamkeit auf die Potentiale der Orte, die uns umgeben, lenken. Im Rahmen des Zwischennutzungsprojekts Z Common Ground eröffnete die Hans Sauer Stiftung in Kooperation mit Guerilla Architects das temporäre Fitnessstudio Fit&Fun. Dabei wurde ein kostenloses Sportangebot geschaffen, das durch die ungezwungene, gemeinsame Tätigkeit Raum für neue Begegnungen schaffen konnte. Dadurch, dass der Ort zum Sport machen anregte, konnte im Gegensatz zu vielen als partizipativ deklarierten Angeboten tatsächlich eine breitere Gesellschaft teilnehmen und wurde von dem Angebot angesprochen. Für die kostenlose Teilnahme wurden die Besucher*innen gebeten, an einer Befragung teilzunehmen. So konnten auch Bedürfnisse von Menschen erfasst werden, die nicht die Zeit, den Zugang oder das Interesse daran haben, an anderen Plattformen zur Bürgerbeteiligung wie beispielsweise Nachbarschaftstreffs teilzunehmen.
Im Idealfall können Projekte wie diese auch längerfristig neue Räume für eine anwohner- und anwenderorientierte Nutzung öffnen und damit dem Gesetz des Höchstprofitablen etwas entgegensetzen.
Selbstausbeutung zugunsten der befristeten Möglichkeit auf Raum
Doch was passiert mit den Zwischennutzer*innen selbst nach dem Ablauf der befristeten Zeit in ihren Räumlichkeiten? Eine Zwischennutzung bietet die Chance zu experimentieren, die auch das Scheitern eines Projektes erlaubt, ohne dass ruinöse Folgen daraus entstehen. Projekte, die in ihren temporär verfügbaren Räumen Erfolge verzeichnen, können im Idealfall auf sich aufmerksam machen und daraus bessere Chancen für ein längerfristiges Mietverhältnis ausmachen, denn: Auch nach der Zwischennutzung wird Raum benötigt.
Problematisch ist bei der temporären Vermietung, dass die ständige Suche nach einem Ort zum Bleiben für Betroffene nervenaufreibend und zermürbend ist. Diese Planungsunsicherheit kann zum Scheitern von Projekten und zu einer regelrechten Selbstausbeutung führen. Gerade für künstlerisch-kulturell Beschäftigte und deren Projekte wird Raum benötigt – der in dicht besiedelten Städten meist Mangelware ist. Kunst und Kultur sieht gut aus und wird gerne genossen, zahlen will da aber niemand so richtig dafür.
„Es gibt scheinbar keine anderen Möglichkeiten, um an Räume zu kommen“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Simone Egger im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk, „Oft hat man den Eindruck, das ist in München eher ein Feigenblatt. Das heißt, ein Bauunternehmen kann sich offen präsentieren und sagen, wir stellen unsere Räume zu Verfügung. Auf der anderen Seite, wenn eine Stadt, so dicht belegt ist wie München, ist das die oft einzige Möglichkeit an Räume und große Flächen zu kommen, die auch zentral liegen.“
Zwischennutzungen führen nicht selten zu Gentrifizierung
Für diejenigen, die Flächen für Zwischennutzungen großzügig ausschreiben, bietet die Zwischennutzung eine gesellschaftlich positiv konnotierte Form der Aufschiebung von Entscheidungen, was mit dem Raum langfristig passieren könnte. In nicht wenigen Fällen führt das wiederum zu einer Privatisierung und Ökonomisierung von Flächen – zudem manchmal zu untragbaren Bedingungen.
Ein Beispiel: In der Münchener Innenstadt steht das ehemalige Gesundheitshaus in der Dachauer Straße für eine Zwischennutzung von fünf Jahren zur Ausschreibung. Bedenklich ist allerdings der Zustand, in dem die Stadt möglichen Interessenten die Räume übergibt: In dem Exposé des Gebäudes heißt es unter anderem, dass Asbest selbständig zu entsorgen sei, kein Brandschutz vorliege und die Wasserleitungen von Legionellen befallen sind. Eine Zwischennutzung klingt so nach einer günstigen Gelegenheit, das Gebäude wieder in Schuss zu bringen und aufzuwerten – aber das auf Kosten derjenigen, die eigentlich nicht dafür verantwortlich sind.
Sind Zwischennutzungsprojekte erfolgreich, steigert die Immobilie ihren Wert und die Nutzer müssen nicht selten weichen. Ein Zusammenhang zwischen Zwischennutzungen und Gentrifizierung ist dabei in jedem Fall zu ziehen. In strukturschwächeren Regionen kann dies zu einer Aufwertung und Belebung von ungenutzten Flächen führen, in dicht besiedelten, teuren Stadtgebieten verdrängt dies unkommerzielle, experimentelle Initiativen und deren Betreiber*innen.
Das könnte ein ewiger Fluch der Zwischennutzer bleiben: Ist ein Konzept erfolgreich, stürzen sich sofort vielfältige Verwertungs- und Vermarktungsinteressen auf die Orte und Räume. Allerdings kann die Kritik zu Erneuerungen des Verfahrens führen, die wir dann als Prozessinnovationen einordnen können. So geschehen im Ruffinihaus in München: War in dem geschichtsträchtigen Haus mitten in der Innenstadt nur eine vorübergehende Zwischennutzung von drei Monaten für Künstler*innen, experimentelle Start-Ups und soziale Initiativen vorgesehen, werden in dem unteren Stockwerk nach dem Umbau des Hauses nochmals für zwei Jahre oder mehr Raum für die vormaligen Zwischenmieter*innen angeboten.
Es kommt also auch hier darauf an, wie der Prozess der Zwischennutzung und die Auswahl der Nutzer*innen von statten geht und wer die Konditionen beeinflusst. Längerfristig bleibt das Problem, dass auch kreative, engagierte, diverse Personen und Konzepte voller Elan Raum jenseits des Prekären brauchen – der in einer Stadt auch sichtbar sein sollte. Gesellschaftlicher Wandel braucht Raum um auszuprobieren, gesehen zu werden und unterschiedliche Einflüsse einzubauen. Für gegenwärtige Herausforderungen gibt es oft nicht eine ideale Lösung, sie anzugehen, bedeutet, scheitern und danach weitermachen zu können. Dafür braucht es immer wieder neue Möglichkeiten und eine gewisse Konsistenz, dass es Raum gibt und geben wird – so kann die Stadt vom vielfältigen Potential ihrer Gesellschaft profitieren, anstatt einen Wegzug eben dieser zu erleben.
Die nicht-kommerzielle Nutzung von beliebten, frequentierten Flächen sowie von unentdeckten, schlummernden Kleinoden ist keine Verschwendung. Für einen Städtebau des Gebrauchs sollten Zwischennutzungen nicht als Verwertungslücke im Lebenszyklus einer Immobilie fungieren. Sie bieten das Potential, Menschen an für sie ungewöhnlichen Orten zusammen zu bringen, Engagement für die Gestaltung von Raum zu fördern und Projekte, Personen und Initiativen sichtbar zu machen, die wir sicher gern öfter sehen wollen.
(c) Beitragsbild: Hans Sauer Stiftung