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fairafric – Naschen für den guten Zweck

fairafric stellt die fairste Schokolade der Welt her. Wie? Indem sie die „Speise der Götter“ komplett in Ghana produzieren.

116 Tafeln Schokolade pro Jahr isst der Deutsche im Durchschnitt. Damit liegt der Konsum hierzulande noch über dem der Schweiz. Doch die Basis für Schokolade, die Kakaobohne, kommt ganz woanders her. Ursprünglich wuchs der Kakaobaum im nördlichen Südamerika, sowie in Mittelamerika. Die Frucht wurde von den Maya und Azteken auch als „Speise der Götter“ bezeichnet. Mittlerweile hat sich die Produktion aber vor allem nach Westafrika verschoben – etwa 70 Prozent der Kakaobohnen kommen aus diesen Regionen, mit der Elfenbeinküste und Ghana an der Spitze. Das Problem: Der Preis für die Kakaobohnen ist so niedrig, dass viele Bauern ums Überleben kämpfen müssen – nicht nur die konventionellen Bauern, sondern auch die, die nach Fairtrade-Standards arbeiten.

Die Schokolade von fairafric kommt aus Ghana, aber eben: nicht nur die Kakaobohnen, sondern die gesamte Schokolade. Der Gründer des Start-Ups, Hendrik Reimers, ist ein bekennender Schokoladenliebhaber, ein Hobby-Chocolatier und Afrikafan. Nach seinem BWL-Studium hat er erst eine ganz klassische, betriebswirtschaftliche Karriere gemacht und hat bei großen Firmen wie SAP und IBM gearbeitet. Anfang 2016 kam Marc Schiff-Francois zum fairafric-Team dazu, der dieses bis Ende 2018 begleitete und mittlerweile auf Grund eines privaten Ortswechsels nicht mehr mit dabei ist.

Schokolade made in Africa

Auf die Idee mit der Schokolade kam Hendrik als er ein Jahr mit seiner Freundin in Kairo lebte. Von dort aus unternahm er viele Reisen durch Afrika. Als er eine Zeit bei einer Kaffee-Kooperative in Uganda verbrachte, merkte er, wie sehr das die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort verbesserte. Wäre das nicht auch mit Kakao und Schokolade möglich? Diese Idee ließ ihn nicht mehr los. Zurück in Deutschland arbeitete erst noch einmal bei einem Software-Start-Up, um sich ein Startkapital zusammenzusparen. Nebenher baute er seine Kontakte in Afrika aus und machte in seiner Küche in München Experimente mit eigens hergestellter Schokolade – von der Kakaobohne bis zur Tafel.

Gründer Hendrik Reimers mit Kakaofarmern in Ghana.

In Ghana fand Hendrik Ende 2015 ein halbstaatliches Unternehmen, dass auch Schokolade produzierte – kleine, 20-Gramm-Täfelchen thermoresistenter Schokolade für den lokalen Markt. Hendriks Idee: die Schokolade vor Ort zu produzieren, damit mehr von der Wertschöpfungskette im Land bleibt. Denn der  Gewinn an der Schokolade, 70 Prozent um genau zu sein, bleibt normalerweise bei den Schokoladenproduzenten. Die Kakaobauern bekommen weniger als zehn Prozent des Preises einer verkauften Schokolade. Selbst die Fairtrade-Zertifizierung bringt den Bauern nur wenige Cent mehr ein als der Verkauf von konventionellen Kakaobohnen.

Um die Idee voran zu treiben und die ersten Tafel produzieren zu lassen, startete Hendrik im August 2016 eine Kickstarter-Kampagne – ein voller Erfolg. Fairafric will aber viel mehr, als nur Schokolade produzieren. Hendrik sieht sich und sein Team als Mittelsmänner an. Vor Ort arbeiten nur Ghanaer und die Kakao-Kooperative hat sogar eine Frauenquote von 50 Prozent. fairafric hilft ihnen, einen Fuß in den westlichen Markt zu bekommen, der ihnen sonst versperrt wäre. Mittlerweile hat das Start-Up eine so große Fangemeinde, dass sie im April 2017 und im Oktober 2018 weitere Kickstarter-Kampagnen starteten und beide Male mehr als doppelt so viele Gelder bekamen, wie als Mindestsumme benötigt wurde. Durch die Kampagnen war es fairafric möglich, mehr Sorten anzubieten – seit der zweiten Kampagne auch in der klassischen 100-Gramm-Packung – und auch mit einem Bio-Siegel zu versehen. Außerdem arbeitet das Team seit einer Weile an einer kompostierbaren Verpackung.

Das Team von fairafric (von li nach re): Vorne: Hendrik Reimers und Julia Gause. Hinten: Yayra Glover, Charlotte Knull und Bea Draese.

Fair in allen Situationen

Die letzte Lieferung von fairafric hat die Vorgaben für die Bio-Zertifizierung leider nicht erfüll. Die Kakaobohnen der  Partnerkooperative Yayra Glover, mit der sie arbeiten, haben die Bio-Standards nicht erfüllt und konnten daher kein Bio-Siegel bekommen. Hendrik beschloss, trotzdem ihre Ware zu kaufen und ihnen den Bonus von 600$ pro Tonne Bio-Kakaobohnen auszuzahlen. Schließlich sind er und sein Team auch eine soziale Verantwortung mit der Kooperative eingegangen – und die nächste Charge wird dann auch hoffentlich wieder Bio sein. Auch auf die weiteren Zutaten der Schokolade wird viel Wert gelegt. Nicht immer ist es möglich Fahrtwege zu vermeiden und nur afrikanische Produkte zu nutzen, da sie oft schwer in Bio-Qualität zu bekommen sind – Milchpulver wird in Afrika beispielsweise so gut wie gar nicht genutzt und daher kommt es für die fairafric-Schokolade von einem Demeter-Hof im Berchtesgadener Land. Den Zucker wird aber es wahrscheinlich schon 2019 aus Afrika geben.

Um das ganze Unternehmen noch fairer zu machen, ist Hendrik Ende 2018 noch einen großen Schritt weitergegangen. Er hat eine Stiftung gegründet und im Zuge der Kickstarter-Kampagne konnten die Käufer Farmer-Anteile an fairafric verschenken. Damit werden die Farmerinnen und Farmer der Kakaobohnen in Zukunft auch an den Gewinnen des Start-Ups beteiligt sein.


(c) Alle Bilder fairafric

Ökoesel – Gemeinsam mehr Bio

Bei dem Münchener Projekt werden regionale und Bio-Lebensmittel bezahlbar und normale Kunden zu solidarischen Mitgliedern.

Gründe für den Griff ins Bio-Sortiment gibt es genug. Ob Dioxin in Fisch und Ei oder Tierquälerei – viele Konsumenten wollen das nicht mehr hinnehmen und bevorzugen vermehrt Produkte mit einem Bio-Siegel, denn sie versprechen eine nachhaltige Herstellung und Beschaffenheit von Produkten. Das belegen auch konkrete Zahlen: Der Bio-Anteil am Lebensmittelumsatz hat sich so in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt und liegt bei einem Marktanteil von etwa 5,9 Prozent. Trotz allem Anstiegs bleibt der Gesamtanteil gering. Warum eigentlich? Glaubt man den Ergebnissen repräsentativer Studien, liegt ein Hauptgrund in der Tatsache, dass fast die Hälfte aller Lebensmittel-Konsumenten, aufgrund der höheren Preise, nicht „bio“ kaufen, gleichzeitig aber zum Kauf bereit wären, würden die Produkte mit dem Siegel günstiger sein.

Um etwas gegen dieses Problem zu unternehmen und so den nachhaltigen Verbrauch von Lebensmittel zu stärken, betreiben Hannes Schmidt und Katharina Deininger in München den Mitgliederladen „Ökoesel“. Von der Butter bis zur Weinflasche werden dort nur biologische, nachhaltige und im besten Fall regionale Produkte verkauft. Wie der Name bereits verrät, werden Konsumenten in so einem Laden zu Mitgliedern einer Gemeinschaft, indem sie einen monatlichen Beitrag von höchstens 15 Euro zahlen. Im Gegenzug erhält man die gewünschten Waren bis zu 30 Prozent günstiger – fast zum Einkaufpreis. Möglich wird das, da durch die Mitgliederbeiträge anfallende Betriebskosten gedeckt werden und so auf hohe Profitmargen verzichtet werden kann. Bleibt die Frage: Warum das Ganze?      

Das Ökoesel-Team Hannes Schmidt und Katharina Deininger

Ziel ist es damit auch die Menschen zu erreichen, die sich aus finanziellen Gründen keine hochwertigen Lebensmittel leisten können. Konkret sollen die Mitgliederbeiträge hier nach einem solidarischen Prinzip helfen, auch sozial Benachteiligten eine gesunde und nachhaltige Ernährung zu ermöglichen. So kann der monatliche Beitrag für Menschen, in besonders prekären Situationen, symbolisch kleiner ausfallen, in dem er von den Beiträgen der Anderen mitgetragen wird. So soll ein Raum entstehen, der „nicht wie alle anderen Supermärkte so sehr auf Profitgenerierung, sondern auf eine gute Versorgung fokussiert ist“, meint Hannes.

Begonnen hat alles im Herbst 2016 mit dem Angebot eines Lieferservices, bei dem Mitglieder zunächst ihre Bestellung online aufgegeben und per Rad nach Hause geliefert bekommen haben. Damals war auch noch Katharinas Bruder Konstantin mit dabei. Es folgte bald der erste Laden, damals noch im Keller des Elternhauses der beiden Geschwister. „Richtig los ging es, als wir dann zwei Mal pro Woche unseren Laden geöffnet hatten. „Da ging die Nachfragekurve steil nach oben“, erklärt Hannes. Die gute Nachricht war jedoch Herausforderung zugleich. So sind Hannes und Konstantin neben der Arbeit im Laden auch noch mit ihrer akademischen Laufbahn beschäftigt. Konkret bedeutet das für Hannes, seinen Soziologie-Master zu absolvieren und für Konstantin erfolgreich zu promovieren. „Es ist schwierig, hier im Laden und gleichzeitig in der Uni alles so zu schaffen, wie man es sich vorstellt – da muss man ein Kompromiss eingehen“, weiß Hannes. Letztlich war für Konstantin aber dieser Kompromiss zu groß, weswegen er aus dem operativen Geschehen im Laden aussteigen musste.

Auch einkommensschwache Menschen sollen sich nachhaltige Lebensmittel leisten können. Ermöglicht werden soll das mithilfe monatlicher Mitgliedsbeiträge.

Eine neue Unterstützung ist jedoch schon in Sicht. Außerdem gibt es jede Menge Hilfe von den Mitgliedern des Ladens selbst. Die packen schon mal am Morgen mit an. Reine Konsumenten sind sie also wirklich nicht. Und genau das ist ja auch das Ziel des Ökoesels: „Mehr Verantwortung abgeben, mehr Leute ins Boot holen, mehr gemeinschaftlich gestalten“, so Hannes. Damit das auch in die Tat umgesetzt werden kann, musste bald eine neue Ladenfläche her. Der Umzug aus dem ersten Verkaufsraum im Elternhaus von Katharina und Konstantin gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht und brachte allmählich das ganze Projekt ins Straucheln. Ende 2018 war es aber dann soweit. Dem Umsatz hat der Umzug nicht geschadet, ganz im Gegenteil. So erklärt Hannes: „Zum einen haben wir einige neue Mitglieder aus der Nachbarschaft hinzubekommen, für die wir eine Lücke im Einkaufsangebot füllen, zum anderen sind uns unsere alten Kunden treu geblieben.  Am Ende ist es schön zu sehen, was wir in den letzten zwei Jahren geschafft haben“.
Auch in Zukunft wird es sicherlich nicht langweilig. Mittlerweile können die Mitglieder an drei Tagen in der Woche zum Einkaufen kommen.  Auch soll der neue Laden weiter ausgebaut werden, eine Käsetheke wartet noch darauf angeschlossen zu werden, zudem soll ein vergrößertes Angebot seinen Weg in die Regale finden. Schritt für Schritt – also alle beim Alten.

Mittlerweile hat der Ökoesel drei Mal pro Woche geöffnet.


(c) Alle Bilder: Christoph Eipert

Khala – faire, stylische Mode aus Malawi

Europäisches Design trifft auf malawische Stoffe

Khala hat viele Bedeutungen auf Chichewa, der malawischen Nationalsprache; es heißt: sein, sich hinsetzen und einfach mal entspannen. Khala ist dabei vor allem ein Lebensgefühl. Khala, so heißt auch das Start-Up von Melanie Rödel aus München. Sie kombiniert europäische Designs mit malawischen Stoffen und hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit der Produktion vor Ort die Situation in Malawi zu verbessern.

Gründerin eines Modellabels zu werden – das war nicht das erste, was Melanie nach ihrem Psychologie- und Wirtschaftsstudium im Sinn hatte. Doch für sie war von Anfang an klar, dass sie etwas verändern will, und zwar nicht als Therapeutin, sondern in der Wirtschaft. Von innen heraus. Schon während ihres Studiums arbeitete Melanie ehrenamtlich als Mitgründerin des ersten Viva con Agua-Vereins in Österreich. Ihr Engagement brachte sie im Herbst 2015 für ein Trinkwasser- und Sanitäranlagenprojekt nach Malawi. Die Zeit dort hat Melanie sehr geprägt – die Menschen, die Lebensfreude, aber natürlich auch die Armut, die fehlenden, industriellen Strukturen und die geringe Aussicht auf Verbesserung. „Für mich war es keine Option, wieder nach Hause zu fliegen und das Thema abzuhaken“, sagt Melanie.

Mel ist die Gründerin von Khala.   (c) Markus Hensel

In Malawi besuchte sie auch einen der landestypischen Märkte, wo es viele farbenfrohe Textilien zu kaufen gibt. Diese traditionellen, afrikanischen Stoffe, Chitenjes genannt, begeisterten Melanie sofort. Da es sie in Europa nicht zu kaufen gibt, nahm sie gleich eine Auswahl mit. Zurück in Deutschland brachten diese ungewöhnlichen Muster und Farben sie auf die Idee, die malawischen Stoffe mit europäischen Schnitten zu kombinieren und auf den Markt zu bringen. Ihre Mode sollte nicht nur stylisch und fair, sondern auch bezahlbar sein, denn sie will mit ihrem Konzept nicht nur die klassische Nische der teuren Öko-Mode, sondern eine breite Zielgruppe erreichen. Für die Mitarbeiter in Malawi wiederum bedeutet Khala konkret: das Dreifache von dem durchschnittlichen Gehalt, eine Krankenversicherung und geregelte Arbeitszeiten. Dafür wird es auch höchste Zeit, denn in den vergangenen Jahren wurde Malawi mit Billigtextilien aus Ländern wie China oder Indien überschwemmt. Aus diesem Grund gibt es dort auch nur noch eine Fabrik, die die Textilien für Khala tatsächlich vor Ort herstellen kann.

Das Khala-Kollektiv

Die Idee war da – aber alleine und ohne Kapital wäre es für Melanie schwierig gewesen, ein Start-Up wie Khala zu gründen. Deshalb nutzte sie ihr Netzwerk, fragte Freunde und Bekannte und fand so für viele Bereiche ehrenamtliche und motivierte Unterstützer. „Eigentlich sind wir mittlerweile ein richtiges Kollektiv“, erklärt sie mit einem Lächeln. Zum Kollektiv gehören unter anderem Hubert Mirlach, der sich um die audio-visuellen Medien kümmert, und Benedikt Habermann als Mann für die PR, der mittlerweile CO-Founder von Khala ist. „Zuerst wollte ich nicht CEO werden und habe sogar überlegt auszusteigen. Aber als nach der ersten Kickstarter-Kampagne die Produktion anlief und es dabei Probleme gab, bin ich mit Mel nach Malawi geflogen und war dann mitten drin“, sagt Benedikt.

Denn nach dem ersten Hoch nach der erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne, gab es viele Probleme. Der Stofflieferant machte Schwierigkeiten und die Zusammenarbeit mit der malawischen Designerin musste beendet werden – somit fehlte Khala zu Beginn der Produktion ein Atelier. Kurzerhand beschlossen Melanie und Benedikt nach Malawi zu fliegen und die Sache selber in die Hand zu nehmen. Mit welchen Problemen sie vor Ort kämpfen mussten und wie unterschiedlich die Kulturen sind, lernte Benedikt nach kurzer Zeit und schrieb seine Erfahrungen in seiner Kolumne für relaio auf. „Die Werkstatt aus dem Nichts aufzubauen, hat das ganze Projekt für mich auf ein anderes Level gehoben. Die Idee und der Afrikabezug gehen von Mel aus – aber ich stehe total hinter dem Gedanken des nachhaltigen Konsums. Dafür schlägt mein Herz“, sagt Benedikt. Und so wurde aus aus Mel und Bene die Habermann & Rödel GbR – zu 49 Prozent gehört Khala Benedikt und zu 51 Prozent Mel.

Auf der Suche nach dem richtigen Stoff

Nach der ersten Produktion gab es in Malawi eine weitere große Herausforderung: die Textilfabrik in Malawi. Eigentlich wollte Khala möglichst alles in Malawi produzieren, um die lokale Wirtschaft zu fördern. Doch die Qualität der Stoffe aus der heimischen Fabrik war nicht optimal und bei der zweiten Bestellung hätten sie sehr große Stoffmengen abnehmen müssen. Zu viel für das kleine Start-Up. Daher sind sie wieder dazu übergegangen die Chitenje-Stoffe in kleinen Auflagen auf dem malawischen Markt zu kaufen  – die dort aber nicht produziert werden. Für das Innenfutter der Jacken entdeckte Hubert nach längerer Recherche einen Vertrieb für Hanfwaren in Südafrika. Das Hanf-Öko-Baumwoll-Gemisch stellte sich als ökologischste Variante heraus, da Hanf viel weniger Wasser und Pestizide benötigt als Baumwolle. „Unser Ziel ist immer noch irgendwann selber in Malawi zu produzieren und dann die Stoffe auch aus Ökobaumwolle zu machen. Dafür brauchen wir aber eine bestimmte Abnahmemenge“, erklärt Benedikt.

Bene an seinem Stand beim Märchenbasar im Münchner Kreativquartier.   (c) Caroline Deidenbach

2018 war für Khala das Jahr der Festivals. Um die Marke bekannter zu machen, waren Mel und Benedikt auf vielen Festivals mit ihrem Stand. Es war auch ein gutes Jahr für Khala, weil sie endlich kein Geld mehr von der Familie brauchten, sondern sogar anfangen konnten geliehenes zurückzuzahlen. „Mel und ich haben aber bisher noch keinen Cent an Khala verdient“, erzählt Benedikt. Er selbst hält sich mit zwei Nebenjobs über Wasser und Mel, die seit September 2018 in Malawi ist, weil der Manager des malawischen Betriebs (unter anderem) Khala’s Steuergelder veruntreute hat und sie nun noch bis Ende Februar 2019 vor Ort alles selbst regeln muss, verdient durch Unternehmensberatung via Sykpe etwas dazu.

Neues Jahr – neue Herausforderungen

Für 2019 hoffen Benedikt und Mel, dass sie erstmal einen neuen Manager oder eine neue Managerin in Malawi finden, der sie vertrauen können. „Dass uns unser Manager beklaut hat, konnte ich anfangs gar nicht glauben. Es hat auch lange gedauert, bis er es zugegeben hat“, erzählt Benedikt. Die verschiedenen kulturellen Dimensionen, was Offenheit und Direktheit angeht, sind bei den Deutschen und den Malawiern sehr unterschiedlich. Etwas, was die Arbeit oft schwieriger macht. In ihrem Atelier gibt es immer wieder Probleme mit der Zuverlässigkeit ihrer Mitarbeiter – trotz der guten Gehälter kommt es vor, dass jemand nicht mehr zur Arbeit erscheint. „Schneider ist ein typisch männlicher Beruf in Malawi. Wir wollen uns aber auch mal nach Schneiderinnen umschauen, weil wir glauben, dass da die Zuverlässigkeit etwas höher sein könnte“, meint Benedikt.

Neben den alltäglichen Herausforderungen in Malawi wird auch die Arbeit in Deutschland immer mehr. Denn durch die Schaltung von Werbung auf Facebook und die Arbeit auf den Festivals, sind auch die Anfragen mehr geworden. E-Mail müssen also beantwortet werden, Pakete verschickt, Bestellungen entgegengenommen und die Teilnahme an Festivals organisiert werden. „Es wäre toll, wenn ich dieses Jahr in meinen anderen Jobs zehn Stunden weniger machen könnte und dafür zehn Stunden Arbeit bei Khala bezahlt bekommen würde“, sagt Benedikt. Außerdem gibt es wahrscheinlich auch die Möglichkeit ihre Produkte in zwei Geschäften in der Schweiz zu verkaufen – eine große Entlastung. Es gibt auch einige Neuerungen im Sortiment, unter anderem Wendejacken, bei der die Käufer die Farben selber zusammenstellen können. Außerdem wird es neben den bekannten Produkten, wie Röcken und Shorts, in Zukunft auch Taschen und Jutebeutel geben. An Herausforderungen mangelt es dem Khala-Kollektiv definitiv nicht!


(c) Headerbild Christoph Barthold

treibgut – Ist das Kunst oder kann das weg?

Über Mut, Kunst und Kultur zwischen Raummangel und Gentrifizierung

treibgut – das ist eine Münchner Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ausgediente Materialien aus der Kunstszene vor dem Müllcontainer zu retten, sie aufzuarbeiten und aus ihrem Lager heraus, wieder Kunst- und Kulturschaffenden zukommen zu lassen. Treibgut will somit Raum schaffen für den persönlichen Austausch und der Beratung sowie Vernetzung Kunst- und Kulturschaffender. Das macht treibgut auch zu einem Fördertool, denn: Leute kommen, man unterhält sich darüber, was man vorhat und wie man es lösen kann, wie man welches Material verbauen könnte. Ein Fördertool ist treibgut auch deshalb, da Materialien zu einem weitaus geringeren Preis weitergegeben werden, als es auf dem Markt üblich wäre. Gut für eine kreative Szene also, die – anders als die großen Namen und Bühnen – keine riesen Budgets zur Verfügung hat und sich so trotzdem notwendige Utensilien zur Umsetzung eigener Projekte besorgen kann.

Das geht aber nur, wenn die eigenen Kosten so gering wie möglich gehalten werden. Wären die Kosten für Transport, Arbeitsaufwand und Lagerung der Materialien zu hoch, wäre das am Ende auch der Preis für Endabnehmer und der Vorteil zu neuen Materialien wäre dahin. Konkret wird ein großer Teil der Kosten – wie die Mietkosten für das Lager –  durch einen öffentlichen Träger übernommen. So kann treibgut, mit kommunaler Unterstützung, Räume frei nutzen, die in einem Wirtschaftszentrum wie München sonst kaum zu bezahlen sind. Diese Unterstützung ist überlebenswichtig für eine Initiative, deren Erlöse allein noch nicht das Leben ihrer Gründer finanzieren kann. Gut und wichtig ist sie trotzdem. Denn treibgut ist vor allem ein soziales Projekt, das sich nicht auf einen einzigen Schwerpunkt festlegen will und ökologische sowie gesellschaftlichen Interessen verbindet. Als nicht-kommerzielle Initiative ist es dennoch schwer sich in einem Umfeld zu behaupten in dem Raummangel und Gentrifizierung schon längst keine Schlagwörter, sondern reale Bedrohungen für das Leben und seine Kultur in der Großstadt geworden sind.

Wie kann also eine solche Initiative in einem Umfeld funktioniert, indem Wohnungsnot und Gentrifizierung auf der Tagesordnung stehen? Für Antworten sprachen wir mit den Gründern von treibgut Boris Maximowitz und Jonaid Khodabakhshi in ihrem Lager im Münchner Kreativquartier.

In Wirtschaftszentren wie München ist mietbarer Raum oft kaum bezahlbar. Wie seid ihr zu eurem Lager gekommen?

Jonaid: Wir hatten Glück. Die Räume wurden uns vom Kulturreferat kostenlos überlassen, nachdem wir dort bereits das Konzept unserer Lagerinitiative vorgestellt hatten.

Boris: Wir haben einfach versucht auszuarbeiten was wir hier vorhaben – über persönliche Gespräche und mithilfe einiger Leute, die uns unterstützt haben. Letztlich haben wir leerstehende, städtische Räume bekommen. Ich kannte die Räume bereits von einer Ausstellung, bei der ich mitgewirkt habe.

Würdet ihr das, was ihr macht, als einzigartig in einer Stadt wie München bezeichnen?

Jonaid: Bisher schon, also ich wüsste jetzt nicht, dass jemand das hier schon macht. Ich höre auch immer wieder: „Ah cool, dass ihr das macht, das hat hier noch gefehlt“.

Da kann man schon drauf stolz sein, oder?

Jonaid: Stolz in Details würde ich sagen. Ein Detail ist beispielsweise die Ausstellung die Boris alleine gestemmt hat und mir danach erzählt hat, dass er sie mit nur neun Euro umgesetzt hat.  

Boris: Das war auf jeden Fall ein Erfolgserlebnis. Eine komplette Ausstellung, vom Licht bis zur Ausstellungsarchitektur bei der fast keine Kosten angefallen sind.

Boris (links) und Jonaid (rechts) wollen mit treibgut ein fester Bestandteil der Münchner Kreativszene werden.

Was war die Idee eurer Ausstellung?

Boris: Es gab schon lange Gespräche darüber, eine Ausstellung zu machen, bei der unser Netzwerk an befreundeten Künstlern der hier ansässigen Kunstszene Raum zur Verfügung gestellt bekommt, um ihre Sachen zu präsentieren. Das Kreativquartier – also das Gelände auf dem wir uns befinden – hat sich dann an einem Stadtteilfest angeschlossen und direkt im Anschluss das Panama Plus Festival veranstaltet. Für letzteres wurden wir auch angefragt, etwas zu machen. Die Ausstellung ging über zehn Tage, hieß „White Cube. Not.“ und sollte einen Versuch darstellen mit den Räumlichkeiten eine Kreuzung, beziehungsweise Hybridform zwischen dem Lagerinventar und einer klassischen Kunstaustellung umzusetzen. Das hat erstaunlich gut geklappt. Wir haben versucht das Lagerinventar direkt zu nutzen um die Ausstellungsarchitektur hochzuziehen und ich habe das ganze eigentlich als installatives und skulpturales Gesamtpaket gesehen, in das ich dann die einzelnen Werke von insgesamt elf Künstlern eingebettet habe. Aus meiner Perspektive hat das sehr gut funktioniert. Das wurde auch vom Publikum so empfunden. Zudem sind wahnsinnig viele Leute vorbeigekommen, die sowohl die Ausstellung gesehen haben, als auch das Lager kennen gelernt haben. Das war für uns eine gute Art von direkter Öffentlichkeitsarbeit.

Wollt ihr mit solchen Aktionen euch auch ein zweites Standbein als Kulturplattform aufbauen?

Boris: Bis jetzt war die Ausstellung erstmal ein Versuch überhaupt den Raum anders zu nutzen. Ich glaube, wir müssen uns erst noch darüber klar werden, ob sowas wieder stattfindet oder ob das eine einmalige Geschichte war. Wir hatten jetzt auch wieder eine Anfrage für ein Konzert im kleinen Rahmen, wo wir bereits beschlossen haben, dass wir das eher nicht machen wollen. Auch aus dem Grund, dass der Fokus hier wirklich auf Lager, Lagerbestand und Aufarbeitung liegen soll.

Habt ihr euch schon Gedanken gemacht, wie ihr euch finanziell absichern könnt?

Boris: Da sind wir dann doch eher die pragmatischen Typen, die vor Ort versuchen den Laden am Laufen zu halten. Aber klar, Unterstützung bräuchten wir eigentlich schon. Wir sind am Überlegen noch Leute mit ins Boot zu holen, die Aufgaben, wie zum Beispiel Pressearbeit, übernehmen. Es ist schwer den Laden voranzubringen, wenn wir zu zweit alle Aufgaben übernehmen müssen, ohne dass das finanziell was abwirft. Unsere Jobs, mit denen wir unsere Leben bestreiten, fressen auch sehr viel Zeit. Da wird klar, dass die Dimension von realisierbaren Projekten immer auch an die finanzielle Situation geknüpft ist. Letztlich vergrößern wir aber auch die Möglichkeiten bei Leuten, die durch unsere Initiative in der Lage sind künstlerische Projekte umzusetzen. Wenn man hier für 100 Euro einkauft, kann man viel mehr künstlerisch umsetzen, als wenn man alle Materialien neu kaufen müsste. Das ist für mich schon auch stark Grundimpuls und Motivation zugleich. Das gibt dem Ganzen eine Sinnhaftigkeit.  

Mit eurer Unterstützer-Rolle seid ihr auch Gestalter der Kunstszene? 

Boris: Das versuchen wir. Wir wollen zu einem festen Bestandteil der freien Szene in München werden, indem wir als klarer Anlaufpunkt für Kunstschaffende und Kreative, die Projekte umsetzten wollen, agieren.

Eure Heimstätte – das Kreativquartier – soll in den nächsten Jahren mit viel Geld umgestaltet und ausgebaut werden, einige Gebäude sind der Abrissbirne schon zum Opfer gefallen. Wie sieht eure Zukunft hier aus? Müsst ihr hier irgendwann raus?

Jonaid: Wir haben auf jeden Fall ein Verfallsdatum. Wir haben die Ansage, dass dieser ganze Gebäudezug abgerissen wird, definitiv. Nicht das ganze Areal, aber der Rahmenbebauungsplan sieht vor, dass rundherum im Kreativquartier sehr viel abgerissen wird und neugebaut wird, was eben auch unser Lager betrifft. Das heißt, über kurz oder lang müssen wir uns neue Räume suchen

„Wir haben auf jeden Fall ein Verfallsdatum“ —  auch treibgut muss in absehbarer Zeit der Abrissbirne weichen. 

Und das habt ihr vor?

Jonaid: Das hängt davon ab, wie unser Projekt beim Kulturreferat gesehen wird und ob sie gemerkt haben, dass das, was wir machen, Hand und Fuß hat. Wir sind uns aber auch im Klaren darüber, dass wir mehr auf uns aufmerksam machen müssen, damit auch Außenstehende ein Gefühl dafür bekommen, wie ernst es uns damit ist.

Habt ihr Angst, dass eine freie, urbane Kunstszene der reichen „Hochkultur“ weichen muss?

Boris: Ja, momentan ist hier eines der letzten Gelände, dass ein bisschen Keimstätte sein kann, wo es einfach ein bisschen wilder zugeht und die Kreativszene noch nicht durchinstitutionalisiert ist.

Jonaid: … und nicht durchweg kreativwirtschaftlich ist. Kreativwirtschaft: dieser Begriff sagt schon aus, dass Kunst ökonomisch sinnvoll und funktional sein muss. Wenn es solche Vorgaben gibt, die du von vornherein erfüllen musst, dann kannst du dich gar nicht frei entfalten.

Sind Ökonomisierung und Institutionalisierung die typischen Charakteristika eures Umfelds?

Boris: Ja, Freiräume platt machen. Auch hier, diese Quadratmeter, die wir haben, die sind sehr teuer. Das ist Luxusboden hier – einfach zu zentral. Ich habe mitbekommen, dass Teile der Lokalpolitik versuchen so viel wie möglich zu erhalten. Anderen Teilen der Politik ist es aber völlig egal. Für die ist es wichtiger hier Wohnungen hinzustellen. Das kann man schon ein Stück nachvollziehen, da prallen verschiedene Welten und Interessen aufeinander. Aber ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass das Gelände hier wahrscheinlich in fünf oder zehn Jahren soweit umgemodelt ist, dass für eine freie Kreativszene nicht mehr viel Platz ist. Umso wichtiger ist es, dass gerade die Leute vom Gelände und die Leute aus der freien Szene sich dafür einsetzten und dafür kämpfen, dass Freiräume erhalten bleiben. Im Grunde geht es darum den MUT zu haben sich dafür einzusetzen und auch den Mut zu haben, von Seiten der Stadt diese Freiräume zuzulassen und nicht alles kontrollieren zu müssen.

Mit den Freiräumen wird es also ganz schön knapp. 

Jonaid: Man merkt, dass Kunst und Pragmatismus kaum nebeneinander existieren können. Warum auch immer. Klar, wenn hier Wohnungen entstehen, was auch wichtig ist, weil man bezahlbar wohnen muss, dann muss aber auch ein Supermarkt und dies und das und jenes rein und schon hast du als Nebeneffekt, dass alles andere verschwinden muss, weil es nicht effizient genug ist.

Für treibgut ist es wichtig den Mut zu haben sich für kreative Freiräume einzusetzen.

Woran liegt das?

Boris: Kunst wirft kein direktes Produkt ab. Das was es abwirft, das ist schlecht kalkulierbar. Aber so ist das mit kreativen Freiräumen: da kann was entstehen, muss aber nicht. Ebenso wenig ist Kunst planbar. Es kann sein, dass der kreative Output gering ist, es kann aber auch sein, dass Künstler hier zugange sind, die in zehn Jahren international ausstellen. Aber es kann nur und muss nicht – das ist anscheinend zu wenig. Das wird immer sofort weg argumentiert. Trotzdem, ich finde es sinnvoll hier zu bleiben und dann wird man sehen, wie es weitergeht.

Jonaid: Oder wir bauen selber.

Boris: Aus Pappkarton, haben wir ja alles draußen.


(c) Alle Bilder: Sebastian Preiß

Too Good To Go – Auf den Teller statt in die Tonne

Ein Start-Up zeigt, dass vom nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln alle profitieren.

Keine Hektik! Warum auch, denn egal wie lang der Tag im Büro oder in der Uni auch ist, die Theken und Töpfe von Restaurants, Cafés und Obstläden sind bis spät abends prall gefüllt. Einerseits, weil wir es so wollen und der Handel im Kampf um jeden Kunden mitspielt, andererseits, weil ein solches Überangebot einen Wettbewerbsvorteil bietet, den man als Konsument gerne annimmt. Was nun mehr stimmt, bleibt ungewiss. Sicher ist jedoch, dass durch diesen Überfluss eine ganze Menge Lebensmittel weggeworfen werden. So landet das meiste, das nach Laden- und Küchenschluss übrig bleibt, nicht auf dem Teller, sondern im Müll – allein in Deutschland jährlich knapp elf Millionen Tonnen.

Was also tun? Diese Frage stellten sich 2015 auch die drei Dänen Stian Olesen, Thomas Bjørn Momsen und Klaus Pedersen als sie zusehen mussten, wie am Ende eines Restaurantbesuchs noch gutes Essen einfach entsorgt wurde. Die Antwort war schnell gefunden: „Too Good To Go“. Entstanden ist damit eine App, die Anbieter überproduzierter Speisen und Lebensmittel mit hungrigen Interessenten vernetzen will, die bereit sind, nach Laden- oder Restaurantschließung die Reste für einen günstigeren Preis abzuholen. Wie genau das funktioniert, weiß Teresa Rath. Sie kümmert sich unter anderem um das Marketing des deutschen Ablegers der mobilen Anwendung: „Die App ist super unkompliziert aufgebaut. Auf der Startseite werden direkt alle Angebote in der näheren Umgebung angezeigt. Der Nutzer kann sich aussuchen, auf was er Lust hat und es nach Art des Essens und angebotener Uhrzeit filtern. Ist das Essen ausgesucht, wird direkt über die App bezahlt und das Essen muss zur angegeben Zeit nur noch abgeholt werden“, erklärt Teresa.

Aussuchen, bestellen, bezahlen — geregelt wird alles mithilfe der App. (C) To Good To Go

Ziel dahinter ist es eine Situation zu schaffen, von der letztendlich jeder etwas hat. Lebensmittelhändler und gastronomische Betriebe können ihr gutes Essen noch an Frau und Mann bringen, müssen es also nicht entsorgen und die Kunden profitieren vom reduzierten Preis und tragen gleichzeitig zum nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln bei. Das Start-Up selbst bekommt für jede verkaufte Mahlzeit einen Euro Provision – eine Win-Win-Win-Situation also. Dabei werden vor allem wertvolle Ressourcen geschont. „Darauf sind wir super stolz! Wir haben jetzt schon insgesamt vier Millionen Mahlzeiten vor der Tonne gerettet, womit 7.000 Tonnen C02 eingespart werden konnten“, erklärt Teresa. Um das zu erreichen, soll zudem das gesamte Konzept so nachhaltig wie möglich gestaltet werden. Dafür will das Start-Up auch eine Gemeinschaft entstehen lassen, deren Mitglieder sich nicht nur als effiziente Unternehmen und Schnäppchenjäger verstehen, sondern als Mitglieder einer Community von Lebensmittelrettern. Teresa betont dabei: „Für uns ist es wichtig, dass verschiedenen Akteure gemeinsam an einer Lösung mitwirken können. Man hat das ja oft, dass die Leute gegenseitig mit dem Finger auf sich zeigen: Die Politik schiebt es auf den Handel, der wiederrum schiebt es auf die Verbraucher. Selbst wenn das stimmt, es bewegt sich dabei nichts. Daher war uns wichtig, verschiedene gesellschaftliche Akteure miteinander zu vernetzen.“

Und die Community wächst schnell: Mittlerweile gibt es die App des Start-Ups in neun europäischen Ländern mit rund vier Millionen Nutzern. Allein in Deutschland sind es momentan eine Million. Hierzulande wird die App von einem Team von 20 Mitarbeitern gesteuert. Der fast gleichzeitig zum dänischen Pendant gegründete deutsche Ableger ist dabei in über hunderten Orten vertreten. Neben Städten mit der höchsten Nachfrage wie Berlin und Hamburg, gibt es das Angebot der App auch mehr und mehr in ländlichen Gebieten. Aber auch im großen Rahmen will das Start-up weiterhin wachsen. So soll die App in immer weiteren Ländern verfügbar sein. 

In Deutschland gibt es „Too Good To Go“ mittlerweile in über 300 Gemeinden und Städten. (C) To Good To Go

Auch neue Kundengruppen sollen erschlossen werden. So gibt es schon einige Supermärkte, die ihre übrig gebliebenen Lebensmittel über die App anbieten. Kritische Fragen, ob so ein Angebot anderen, bereits bestehenden Initiativen, wie der Tafel, schaden würden, weist Teresa zurück: „Man kann dort sehr gut in Kombination mit anderen Initiativen zusammenarbeiten. Sie funktionieren organisatorisch auch nochmal ganz anders. Das lässt sich gut kombinieren, da wir ganz andere Mengen vermitteln können. Bei uns kommen die Kunden etwa direkt in den Laden und holen sich ihre Bestellung einfach ab. Dabei lassen sich auch geringere Mengen retten, die sich etwa für die Tafel nicht lohnen würden abzuholen. Mit Too Good To Go können somit auch frisch zubereitete Lebensmittel mitgenommen werden. Da können wir einfach sehr gut Hand in Hand arbeiten und eine Lücke füllen.“


(C) Titelbild: To Good To Go

shoemates – Schritt für Schritt eine gute Sache

Wie ein Start-up mit dem Prinzip „Get One, Give One“ afghanischen Kindern den Zugang zur Schulbildung erleichtert

Der Wecker klingelt – wie immer viel zu früh. Was dann passiert ist jedem, der schon mal eine Schule besucht hat, vertraut: Es folgt ein Sprint vom Bett ins Klassenzimmer, begleitet von der Hoffnung, dass am Ende, dieses nicht ganz freiwilligen Workouts, keine Ex in Mathe wartet. Dann die Erleichterung, kein Test – Glück gehabt. Oder doch nicht? Denn was oft als Schrecken aus der Kindheit in Erinnerung bleibt, ist eigentlich ein Privileg und das hat einen Namen: Bildung. Sie ist ein Mittel, für unsere Selbstverwirklichung – beruflich wie privat.

Der Schulbesuch als Sprungbrett in ein selbstbestimmtes Leben ist im wohlhabenden Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Ganz anders in Afghanistan. In dem von Krieg und Terrorismus zerrüttenden Land, fehlt es an fast allem und ganz besonders an Geld. Tägliche Gewalt, Vertreibung und eine steigende Armutsrate von fast 40 Prozent hindern etwa jedes dritte afghanische Kind am regelmäßigen Schulbesuch. Wenn Bildung hier eines nicht ist dann selbstverständlich. Obaid Rahimi will das ändern. Dafür hat der 30-jährige Hamburger mit afghanischen Wurzeln das Projekt „Shoemates“, ein Online-Shop mit eigener Schuh-Kollektion, ins Leben gerufen.

Mit Schuhspenden sollen afghanische Schulkinder eine bessere Chance auf Bildung erhalten. (C) shoemates

Besonders ist daran, dass jedes Paar Schuhe nach dem Prinzip „Get One, Give One“ verkauft wird. Die Idee dahinter: Findet hierzulande etwa ein Paar Sneaker einen neuen Eigentümer, wird analog ein paar Schuhe an ein afghanisches Schulkind gespendet. Während das verkaufte Paar in Spanien oder Portugal produziert wird, wird das gespendete Paar wiederum dort produziert, wo es auch zum Einsatz kommen soll – also in Afghanistan. Fragt man warum, hat Obaid eine pragmatische Antwort parat: „Weil ich durch meine afghanischen Wurzeln direkten Kontakt in das Land habe und somit die richtigen Leute für das Unternehmen finden konnte. Mein Onkel ist dort in einer Menschenrechtsorganisation tätig und hat uns mit einem Produzenten und einer NGO zusammengebracht, die uns ganz genau sagen können, wer die Schuhe erhält und wann – das ist uns wichtig.“ Und zwar aus gutem Grund: So wird durch die lokale Produktion der Schuhe einerseits die Wirtschaft vor Ort angekurbelt, andererseits wird garantiert, dass die Spende auch dort ankommt, wo sie hin soll – nämlich bei den Schulkindern. Und die haben in gleich zweierlei Hinsicht etwas davon. Durch eine stärkere heimische Wirtschaft können sich mehr afghanische Familien die Mittel für den Schulbesuch ihrer Kinder leisten und die gespendeten Schuhe ermöglichen das Bestreiten des Schulweges durch unwegsames Terrain. Das ist nicht zu unterschätzen, in einem Land in dem Hochgebirge und Subtropen aufeinandertreffen.

Obaid hat Philosophie und BWL in Hamburg studiert und letzteres nochmal im Masterstudiengang an der Uni Passau. Dort ist in dieser Zeit auch die Idee zu shoemates entstanden. Zusammen mit seinen Kommilitonen Julia Jockwer und Marc Langener ist im Rahmen eines Gründungswettbewerbs und mit einem Startkapital von fünf Euro sowie der Gründung einer GbR das Projekt ins Rollen gekommen. „Wir hatten ein Semester Zeit um ein Unternehmen aufzubauen. Das lief viel besser, als gedacht. Wir haben es sogar geschafft Schuhe zu produzieren und zu verkaufen. Letztlich haben wir ein Preisgeld von circa 1.500 Euro gewonnen. Das haben wir reinvestiert, mehr Schuhe bestellt und 2015 eine GmbH gegründet. Alles ungefähr in einem Jahr,“ sagt Obaid. Ganz neu war die Idee nicht. Angelehnt ist Shoemates an Obaids weiterhin bestehendem Vorgängerprojekt „headmates„, bei dem aber keine Schuhe, sondern Mützen im Vordergrund stehen.

Obaid Rahimi — Mitbegründer von shoemates. (C) Barabara Lersch

Für den Wechsel von der Mütze zum Schuh gibt es zwei wesentliche Gründe. Neben der Möglichkeit sie auch in kleinen Mengen vergleichsweise günstig herzustellen, ist es vor allem der Mangel an qualitativ brauchbaren Schuhspenden. „Schuhe werden tendenziell kaum gespendet, beziehungsweiße sind die Spenden in einem so schlechten Zustand, dass die Menschen, die sie benötigen, nicht sehr viel davon haben. Da gibt es eine große Nachfrage“, sagt Obaid. Um diese zu stillen, wurde neben den online angebotenen Schuhen, ein Spendenschuh entwickelt, der nicht modisch, sondern in erster Linie funktional ist. Wäre der Schuh zu modisch, bestünde zu leicht die Gefahr, dass er, anstatt getragen zu werden, weiterverkauft wird – damit wäre die Arbeit des Start-ups wirkungslos.

Man muss überlegen, was ein afghanisches Kind denkt, wenn es einen neuen Schuh bekommt. Habe ich ein neues Paar Schuhe oder etwas, dass ich verkaufen kann. Damit das nicht passiert, haben wir einen Schuh gewählt, der nicht modisch ist. Ein simpler, robuster Schuh in schwarz, der den Fuß komplett umgibt und absolut funktional ist – aber ohne Weiterverkaufswert.

Obaid Rahimi – Gründer von Shoemates 

Anders sieht es bei der Produktion der Schuhe aus, die via Online-Shop vertrieben werden und die finanzielle Haupteinnahmequelle des Unternehmens sind. Wurden diese zu Beginn noch als White Label geordert und mit dem eigenen Markenemblem versehen, wird mittlerweile ein Designer beauftragt, mit dessen Zusammenarbeit bereits eine Vielzahl an Modellen entstanden sind. Dabei wird versucht einem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht zu werden, indem die Produktion 2017 vollständig von Asien nach Europa verlagert wurde und Rohstoffe wie Leder nur aus kontrollierter Herstellung bezogen werden. Um die dabei anfallenden Aufgaben bewältigen zu können, ist um shoemates ein fünfköpfiges Team entstanden.

Mit ihrem Angebot will shoemates weiter wachsen und den europäischen Markt erobern. (C) shoemates

In Zukunft hat das Team noch viel vor. Das nächste Ziel ist Eroberung des nordeuropäischen Marktes, bei dem die Niederlande den Anfang machen sollen. Auch das Team wird bald um zwei neue Mitarbeiterinnen wachsen. Langfristig sollen auch südeuropäische Länder zu Absatzmärkten werden. Vor allem im Online-Handel und seinen Prozessstrukturen sieht Obaid die Möglichkeit gegeben diese Ziele auch zu erreichen. „Damit kannst du Vieles mit wenig Aufwand erreichen“ –  und für die Bildung lohnt sich das allemal. 


(c) Titelbild: shoemates 

„Uns ist wichtig, wie man etwas macht und nicht nur was.“

Wie ein Startup die Arbeit von Fahrradkurieren sozialer gestaltet und mit einer Mitfahrzentrale für Dinge aller Art zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit beiträgt

Bequemer könnte es kaum sein. Beinahe alles lässt sich heutzutage mit einem einfachen Klick online bestellen und in Windeseile nach Hause liefern. Der Haken: besonders nachhaltig ist das nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn etwa eine nachhaltige Zahnbürste mit einem alten Dieselfahrzeug transportiert wird und der Fahrer dieses Gefährts mehr schlecht als recht bezahlt wird. Um das zu ändern, wurde TiMMi Tranport ins Leben gerufen. Entstanden ist damit ein Start-Up, das einerseits mit einer eigenen Online-Plattform deutschlandweit die Arbeit von Fahrradkurieren fair gestalten will und anderseits mehr Raum für Soziales und ein Beitrag zum Umweltschutz leisten soll. Dafür wurde außerdem eine Mitfahrzentrale für zu transportierende Dinge ins Leben gerufen. In Form einer Community-Plattform können mit dessen Hilfe Privatpersonen und ehrenamtliche Organisationen Lieferungen von A nach B transportieren lassen, indem sie von Menschen mitgenommen werden, die ohnehin auf der gefragten Strecke unterwegs sind. Das spart CO2 und bringt Menschen wieder näher zusammen. Wie es dazu kam und was hinter den Kulissen das Start-Ups passiert, hat uns die Gründerin des Start-Ups Christina Kleinau im relaio-Interview verraten.   

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Start-Up wie TiMMi Transport zu gründen?

Christina: Ich habe in Wirtschaftsethik promoviert. Dabei wurde immer wieder darüber gesprochen, dass nachhaltige Geschäftsideen dringende gesellschaftliche Probleme lösen sollen und somit die besseren Geschäfte sind. Aus Konsumentensicht hatte ich zudem beobachtet, dass es zwar nachhaltige Produkte gibt, sie meist aber nur online bestellbar sind. Da kommt eine Lieferkette zustande, in der schlecht bezahltes Personal in umweltschädlichen Fahrzeugen diese dann ausliefern – das ist total inkonsistent. Deswegen haben wir uns letztendlich dem Thema der nachhaltigen und fair bezahlten Lieferung angenommen. Gleichzeitig war Ende 2015 die Flüchtlingssituation sehr präsent. Viele Sachspenden waren nötig. Die gab es auch und man wusste, wo sie hinmüssen, jedoch gab es ein Transportproblem. Man wusste nicht, wie man die Spenden von einem zum anderen Ort bringen sollte. In diese Lücke sind wir gesprungen und haben gesagt: „Wir probieren es einfach aus!“ Indem wir mit einer Organisationsplattform online gehen und schauen wer sich da anmeldet, um etwas zu transportieren.

Als Mitgründerin von TiMMi Transport will Christina Kleinau (links) für mehr Nachhaltigkeit in der Mobilität kämpfen. (C) TiMMi 

Also war Flüchtlingsversorgung euer Startschuss?

Christina: Ja, die Idee war schon da, aber das war letztlich der Initialzünder um es auszuprobieren. Das hat auch gut funktioniert. Wir haben tausende Kilogramm an Sachen durch die Stadt bewegt, innerhalb von einem Tag. Dafür musste alles ziemlich zügig im Hintergrund ablaufen. Wir sind dadurch schnell mit unserer Plattform online gegangen – innerhalb von zwei Wochen. Wir versuchen also schon Lean-Methoden umzusetzen, indem wir erstmal etwas entwickeln und den Leuten in die Hand geben, bevor wir versuchen es zu perfektionieren. Klar, zu Beginn war es schon sehr rudimentär, aber es hat ausgereicht – jemand kann einen Auftrag aufgeben und jemand kann darauf antworten: „Ja, das mach ich.“

Mittlerweile nutzen auch andere Menschen eure Plattform?

Christina: Meistens sind es Lieferungen für gemeinnützige Organisationen, generell auch Sachen die irgendwo vergessen wurden. Oder Dinge von kleineren, nachhaltigen Produzenten, die ihre Produkte über unsere Plattform versenden. Es gab auch mal ein Projekt für nachhaltige Särge, die mit Hilfe einer Mitfahrgelegenheit transportiert wurden, dann aber mit einem Auto. Für die Lieferoption „Mitfahrgelegenheit“ gibt es keine Bindung an Fährräder.

Als Lieferoptionen bietet ihr professionelle Kurierdienste und private Mitfahrgelegenheiten an: Warum eigentlich beides?   

Christina: Professionelle Lieferoptionen mit einer Garantie, dass die Lieferung sicher und schnell ankommt, bilden einen großer Bestandteil der Nachfrage am Markt, den wir mit Mitfahrgelegenheiten allein nicht abdecken könnten. Am liebsten würden wir als Zentrale und Plattform für verschiedene Fahrrad-Kurierdienste gesehen werden. Das ganze aus dem Hintergrund, dass ein Unternehmen uns gefragt hatte, ob sie unsere Plattform für Mitfahrgelegenheiten nutzen können, um ihre Lieferungen ausfahren zu lassen – gegen Bezahlung. Das ist natürlich für professionelle Fahrradkuriere interessant. Und so sind wir immer mehr mit Kurieren ins Gespräch gekommen. Wir haben uns dann gedacht: „Ja klar, alles was umweltfreundlich ist, machen wir mit.“ So hat sich es entwickelt, dass wir die Software und ihre Funktionen weiterentwickelt und angepasst haben, damit sie auch für die Kurier-Profis gut funktioniert.   

Das TiMMi-Kernteam (v.l.n.r.): Alex, Christina, Petros & Sandra (C) TiMMi

Wir stemmt ihr das alles finanziell?

Christina: Die Software selbst, die die tagtägliche Arbeit der Kuriere digital abbildet und vereinfacht, wird vergütet. Wenn wir den Kurieren neue Aufträge bringen, bekommen wir auch eine Provision. Wichtig zu wissen ist: diese Softwarelösung, für die Profi-Kuriere, ist nicht dieselbe wie die Community-Plattform für die Mitfahrgelegenheiten. In der öffentlichen Plattform nehmen wir keine Gebühren, verdienen also nichts daran. Ursprünglich hatten wir schon gedacht, auch da eine Provision einzuführen, aber die Option der Mitfahrgelegenheit wird größtenteils für gemeinnützige und ehrenamtliche Lieferungen genutzt, die eh kostenfrei sind. Hinzu kommt, dass die Abwicklung sehr kompliziert ist. Wir arbeiten schon Vollzeit, sind jedoch noch förderungsgestützt. Unsere größte Förderung war bisher ein Technologie-Gründerstipendium der Sächsischen Aufbau Bank. Zudem sind zwei kleinere Seed-Investoren dabei, die uns finanziell helfen. Es soll aber darauf hinauslaufen, mit professionellen Lieferoptionen den Lebensunterhalt zu verdienen und die gemeinnützige Säule der Mitfahrgelegenheiten zu tragen.

Einfach ist das bestimmt nicht immer: Was ist momentan eure größte Herausforderung?

Christina: Momentan gibt es ein großes Wachstum im Same-Day-Delivery-Bereich durch Online-Shops. Andere Kurier-Plattformen, die daran verdienen wollen, werden meist mit viel Wagniskapital unterstützt und drücken die Preise. So gibt es Angebote für fünf Euro pro Lieferung innerhalb von 90 Minuten. Die 25 Euro die es eigentlich kostet, wird den Kurieren mit Hilfe des Wagniskapitals zwar bezahlt, aber die Kunden bekommen davon nichts mit und denken: „Ach toll, nur fünf Euro“. Das Problem der Kuriere ist, dass sie somit diesen Unternehmen helfen in den Markt einzusteigen und gleichzeitig zum Preisdumping der eigenen Arbeit beitragen. Das ist für uns natürlich eine riesen Herausforderung, weil wir für faire Preise und Arbeitsbedingungen kämpfen wollen.

Welches Ziel habt ihr vor Augen, wenn ihr solchen Unternehmen die Stirn bietet wollt?  

Christina: Ziel ist der Aufbau einer Community. Der Gedanke ist, dass die Person die deine Sachen liefert – egal ob über die Community Plattform oder über den Profibereich – weniger anonym ist und menschliche Interaktionen mehr im Vordergrund stehen. 

Gerade bei Online-Shops ist die Lieferung die einzige menschliche Interaktion, die noch stattfindet

Es ist das Gefühl, dass wir damit transportieren wollen, dass alle füreinander wirtschaften. Allgemein war es nie der Wunsch ein Start-Up zu gründen, was nur zum Geldverdienen da ist, sondern auch gesellschaftliche Probleme löst. Der Anspruch ist das System nachhaltiger zu gestalten. Uns ist wichtig, wie man etwas macht und nicht nur was.


(c) Titelbild: Timmi Transport

Khala Kolumna – Folge 6

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Über Sonne, Mut und mehr

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala hier bei uns.

“Ganz schön mutig, was ihr macht,” sagte das Mädchen mit dem netten Lächeln und dem halbvollen Plastikbecher, den sie in der Hand hielt. Mit der anderen Hand skippte sie sich gerade durch die verschiedenen Modelle unserer Bomberjacken, die an einer Kleiderstange baumelten. Von der nahe gelegenen Bühne wummerten Bässe zu uns herüber und die Sonne beschien wohlwollend das Festivaltreiben der Münchner Afrika Tage, auf denen wir uns befanden.

Der Sommer war seit Langem hier und zeigte, was er konnte. Die lähmende Hitze hatte auch den Betrieb bei Khala gedrosselt. Urlaube wollten gemacht werden, Reisen unternommen, Open Airs besucht, Seen bebadet und die sonderbar zahlreichen warmen Tage in diesem Jahr genutzt werden. In Anbetracht all dieser Optionen und der harten Arbeit der vorangegangenen Monate, rückte unser Business bisweilen ein wenig in den Hintergrund. Die Verkaufserlöse unseres Online Shops genügten, um den laufenden Betrieb in Malawi zu finanzieren. Vom Hustle am Anfang des Jahres hatten wir uns weitgehend verabschiedet. Wir mussten nicht mehr um Spenden werben oder eigene Gelder zuschießen. Khala trug sich selbst. Um unseren Lebensunterhalt zu finanzieren, hatten wir allerdings noch Jobs nebenher. Die machten zwar Spaß, gleichzeitig kosteten sie wertvolle Stunden und trugen dazu bei, dass unsere Zeiteinteilung manchen Tages zu Lasten des eigenen Unternehmens ausfiel.

Bei Khala selbst nahmen Verwaltungsarbeiten sehr viel Raum ein, allem voran die Koordinierung und Planung der Produktion in Malawi. Hinzu kamen Inventuren, Einkäufe, Besuche beim Zollamt, Vorträge, Fotoshootings, die leidige Buchhaltung und dergleichen mehr. Vertrieb und Marketing hatten wir hingegen etwas schleifen lassen.

So dauerte es nicht lange und die trügerische Sicherheit konstanter Absatzzahlen, in der wir uns selbstzufrieden gewähnt hatten, war plötzlich wieder passé. Geschluckt vom Sommerloch. Immer weniger Bestellungen kamen über unseren Online Shop rein. In der Postannahmestelle des kleinen Kiosks, wo ich alle paar Tage ein paar Päckchen über die Theke geschoben hatte, musste mich die Angestellte, die so angenehm unkonventionell das Porto berechnet, wohl schon vermissen.

Es galt also, über neue Vertriebswege die Verkäufe anzukurbeln. Soweit es sich zeitlich einrichten ließ, brachten Mel und ich daher auf Festivals unsere Ware unters Volk.

Während also von der unweit entfernten Bühne die Bässe zu unserem Stand wummerten und die Sonne wohlwollend das Festivaltreiben beschien, hatten wir dem Mädchen mit dem halbvollen Plastikbecher jede Menge Fragen zu Khala beantwortet. Etwa über die Bedeutungen des Wortes Khala in Chichewa, der Nationalsprache Malawis. Dass es so viel heiße wie sein, sich hinsetzen, bleiben, relaxen. Dass das zumindest ein gängiges Deutsch-Chichewa-Wörterbuch behaupte. Und dass wir mittlerweile herausgefunden hatten, dass khala auch Holzkohle heißt. Das Mädel hatte sanftmütig gelächelt und weiter Fragen gestellt. Und dann sagte sie, dass es so mutig sei, was wir machen. Irgendwann leerte sie ihr Getränk, probierte ein paar Sachen an und kaufte schließlich eine Jacke.

 

Der Khala-Alltag

Ich war indessen nachdenklich geworden. Ist es mutig, was wir machen? Ich erinnerte mich daran, wie ich den Khala-Stand einige Tage zuvor montiert hatte. Es war einer der vergessenen Regentage in diesem Jahr gewesen. Unter dem Dach eines halbaufgebauten Bierzeltes hatte ich die einzelnen Module des Standes frühmorgens zusammen geschraubt und, übertönt vom auf mich prasselnden Regen, laut fluchend nach draußen auf den uns zugeteilten Stellplatz getragen, wo ich sie, von einer Plane bedeckt, abgestellt hatte. Vollkommen durchnässt radelte ich danach in die andere Arbeit, meine Erwerbstätigkeit. Mutig kam ich mir dabei nicht vor. Höchstens fragte ich mich, warum ich mir das Ganze antue.

Das Mädchen auf dem Festival war nicht die erste, die unser Tun als mutig bezeichnet hatte. Aber was wirkt auf die Leute so mutig?

Ist es mutig, dass wir uns die Zeit nehmen für Khala? Dass wir so viele unwiederbringbare Stunden investieren? Oder, dass wir nicht in die Rentenkasse einzahlen? Dass wir Geld investiert haben? Dass wir Verantwortung für eine Hand voll Menschen in Malawi tragen, die auf ihre Löhne angewiesen sind? Dass wir ohne wirkliche Erfahrung ein internationales Unternehmen aufbauen? Ich hatte nie wirklich darüber nachgedacht. Und dass Mel bald wieder für ein halbes Jahr nach Malawi geht, ist das auch mutig?

Uns selbst kommt das alles gar nicht so mutig vor. Und würden wir es nicht spüren, wenn es Mut wäre? Was ist Mut überhaupt? Weil ich mir schwer tat, zu einer Definition zu kommen, begab ich mich auf Recherchereise ins Internet. Dort  erfuhr ich, Mut sei die “Fähigkeit, in einer riskanten Situation seine Angst zu überwinden”. Hmmm. Ängste müssen wir höchstens überwinden, wenn wir irgendwo einen Vortrag halten müssen. Die nächste Definition nannte Mut die “Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält”. Da lag der Hund schon eher begraben. Allerdings erwarten wir keine Nachteile. Auch wenn wir scheitern sollten, was soll denn schon passieren?

Schwierig also, das mit dem Mut. Dass wir uns mit Khala keiner leichten Aufgabe stellen und dass wir aus der Reihe tanzen, ist uns klar. Einen kleinen Dachschaden braucht man wohl. Aber Mut? Sind denn alle anderen feige, weil sie kein Modelabel in Afrika gründen?

Eine akzeptable Antwort darauf, warum viele uns für mutig halten, fand ich schließlich in einem alten Lied der Beginner. Der US-amerikanische Psychologe und Philosoph Rollo May wird darin zitiert: “Das Gegenteil von Mut in unserer Gesellschaft ist nicht Feigheit, sondern Anpassung.”

Aha!

Was in dem Beginner-Song keinen Platz gefunden hatte, war der Anfang des Zitats: “Viele Leute fühlen sich machtlos, etwas wirksames mit ihrem Leben anzustellen. Es erfordert Mut, neue Wege zu gehen, aber für viele ist Konformität bequemer.”

Wenn dieser Rollo recht hatte, dann ist es wohl doch mutig, was wir mit Khala machen. Wir müssen ständig unsere Komfortzone verlassen; oft stoßen wir an unsere eigenen Grenzen, wenn wir etwa Dinge tun müssen, die wir nicht können oder in Situationen geworfen werden, die uns überfordern. In der Rolle derer, die etwas anders machen als der Rest, sind wir in der Position, unser unstetes Leben zu rechtfertigen. Und sollten wir eines Tages doch scheitern, haben es alle bereits besser gewusst.

Insofern ist es auch vollkommen nachvollziehbar, warum viele Menschen ihre Träume verblassen lassen, nicht ausbrechen, ungeliebten Jobs nachgehen und letztlich womöglich in der gesellschaftlichen Konformität landen: den Mut aufzubringen, dagegen zu rebellieren, ist harte Arbeit.

Das soll nicht selbstgefällig klingen. Wir kommen uns trotzdem nicht mutig vor. Für uns ist es schlicht nicht denkbar, in irgendeinem Angestelltenverhältnis zu einer Wirtschaft ohne Ideale beizutragen. Unser Ausweg ist, mit Khala selbst etwas zu schaffen, wohinter wir stehen können.

Wir sind nicht die einzigen, die sich diesen Stress geben. Über viele Umwege hatte mich meine Recherche zu Mut auf eine Website geführt, die mich stutzig machte. Was ich dort las, klang ein wenig nach Bizarro-World: Es gibt ein faires Modelabel, das mit seinem kleinen Team in Malawi aus Chitenje-Stoffen Kleidung herstellt, unter anderem Bomberjacken. Der Name des Labels: Khama. Die Marke wurde vor einigen Jahren von einer Engländerin gegründet, hat einen sozialen Hintergrund und fußt auf der Idee, dass Handel eine nachhaltigere Veränderung erzielen kann, als Spendengelder.

Gerne hätte ich den Leuten von Khama ein paar Fragen gestellt, leider antwortete mir niemand auf meine Mails. Ich kann mir denken warum: vermutlich sind sie beschäftigt mit Verwaltungsarbeiten, der Koordinierung und Planung der Produktion in Malawi, Inventuren, Einkäufen, Besuchen beim Zollamt, Fotoshootings, der leidigen Buchhaltung und so weiter.

Was ‘Khama’ bedeutet, bekam ich aber auch so heraus. Es ist Chichewa und heißt soviel wie harte Arbeit. Würde uns irgendwie auch besser stehen als Kohle und Relaxen.

Khala Kolumna – Folge 5

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Unter Strom

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

Ein Vöglein, das irgendwo vor meinem offenen Fenster in der Sonne saß, zwitscherte mich sanft aus den Träumen.

Am Vorabend war es wieder spät geworden in dem Restaurant, in dem ich ein paar Mal pro Woche arbeite und ich war heute mal etwas länger liegen geblieben. Weil wir mit Khala selbst kein Geld verdienen, hatten Mel und ich Teilzeitjobs angenommen, um unsere Rechnungen bezahlen zu können. Nach diesen regulären Arbeitstagen trafen wir uns oft noch, um für Khala Zeugs zu erledigen, Pakete zu packen, Pläne zu schmieden und Strategien zu entwickeln. Zeit ist ein kostbares Gut geworden. Heute, an diesem warmen Frühlingstag aber, würde ich endlich wieder einmal genug davon haben, um all das zu erledigen, was sich in den letzten Wochen angesammelt hatte. Erst für heute Abend um fünf Uhr stand ein wichtiger Khala-Termin im Kalender.

Vor drei Wochen war ich umgezogen, hatte aber noch keine Zeit gefunden, mich in meinem neuen Zimmer anständig einzurichten. Auch das stand heute auf der Liste. Ich stieg aus dem Bett und bahnte mir einen Weg durch nicht ausgepackte Umzugskartons, kletterte über die Matratze meines Vormieters, die schon seit einiger Zeit den Flur meiner neuen WG blockierte, und ging ins Bad.

Benes Zimmer steht noch voller Umzugskisten.

Mel hatte gestern Hals über Kopf beschlossen, morgen früh nach Malawi zu fliegen. In den vorangegangenen Wochen hatten wir oft tagelang die Verbindung zu Patrick, unserem malawischen Projektkoordinator, verloren. Und Klaar, eine belgische Hobby-Designerin, die mit ihrer Familie in Malawis Hauptstadt Lilongwe wohnt und unser Team dort einmal in der Woche im Atelier besucht, hatte in ihren letzten Nachrichten ein recht desolates Bild von der aktuellen Situation und der Stimmung im Team gezeichnet. Wir fürchteten, dass unsere Leute überfordert waren mit der Verantwortung, die wir ihnen übertragen hatten. Ein neuer Motivationsschub war nötig. Also hatte Mel nach einer schlaflosen Nacht einen Entschluss gefasst. Ihr Chef hatte Verständnis gezeigt und ihr zwei Wochen freigegeben.

In den nächsten Tagen stand einiges bevor. Hubi würde ab kommender Woche eine mehrmonatige Auszeit nehmen und sich nach Südamerika absetzen. Dadurch, dass Mel in Malawi sein würde, würde ich die Organisation in Deutschland alleine übernehmen: Flyer entwerfen, einen Banner drucken lassen, Modenschauen organisieren, E-Mail-Anfragen beantworten, den Versand abwickeln, an unserer Verkaufsbude arbeiten, Freundinnen und Freunde gewinnen und koordinieren, die uns glücklicherweise immer wieder gerne unterstützen, Lieferanten in Afrika anschreiben und vieles mehr. Dazwischen drängten sich die Schichten meiner beiden Nebenjobs.

Um nach Malawi einzureisen, benötigte Mel noch US-Dollar. Da sie heute arbeiten musste, würde ich später zum Hauptbahnhof radeln und in einer Wechselstube die fürs Visum benötigten Dollars holen. Das markierte ich mir noch auf meiner imaginären To-Do-Liste, während ich einen Haufen Wäsche, der in einer Ecke meines Zimmers herangewachsen war, in die Waschmaschine stopfte. Mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand stieg ich über die Matratze im Flur und wanderte zurück in mein Zimmer, wo ich mich an das bunte Chaos meines Schreibtisches setzte. Lange war ich nun schon nicht mehr dazu gekommen, an einer neuen Khala Kolumna zu schreiben. Auch dem wollte ich mich heute widmen. Ich wusste noch nicht genau, worüber ich schreiben sollte. Jeden Tag passiert so wahnsinnig viel. Diese Flut aus Anekdoten und Erkenntnissen in geregelte Bahnen zu leiten, und möglichst unterhaltsam und informativ über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung zu schreiben, fällt nicht immer leicht. Zumal es dafür Muse braucht. Eigentlich wollte ich irgendwas über Geld schreiben – ein urfades Thema. Man müsste es in eine Geschichte verpacken, irgendwas mit menschlichem Scheitern, das würde das Ganze auflockern.

Das Khala-Atelier in Malawi.

Meine Überlegungen wurden vom Vibrieren meines Handys unterbrochen. Ein Whatsapp-Anruf aus Malawi. Es war Patrick. „Hello Mr B.“ begrüßte er mich.

Ich finde es witzig, dass er mich so nennt. Natürlich dürfte er mich ruhig Bene nennen. Aber das wäre gegen die malawischen Höflichkeitskonventionen.

Ich erinnere mich nicht mehr genau, worüber wir in den folgenden zwanzig Minuten sprachen. Vermutlich ging es um die Anmeldung bei der malawischen Steuerbehörde, die sich mit Händen und Füßen dagegen sträubte, unsere Zahlungen anzunehmen. Der zuständige Beamte wollte immer neue Dokumente vorgelegt bekommen. Einmal glaubte man uns nicht, dass da zwei Deutsche nach Malawi kommen und ein Unternehmen mit so wenig Kapital gründen. Dann mussten wir eine Briefkasten-Adresse vorweisen, die wir nicht hatten und für deren Einrichtung die malawische Post wiederum einige Monate Vorlaufzeit benötigte. Es war ein ewiges Hin und Her. Während ich mit Patrick telefonierte, schaufelte ich die nasse Wäsche aus der Waschmaschine. Das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt und den Wäschekorb in den Händen, überwand ich die Matratze im Gang. Mit dem rechten Ellenbogen öffnete ich die Wohnungstür, um auf den Dachboden zu steigen und die Wäsche aufzuhängen. Ich gab der Tür hinter mir mit dem Fuß einen Stups. Sie fiel ins Schloss.

„Oh Shit,“ entfuhr es mir. „What’s up, Mr B?“ Ich hatte keinen Wohnungsschlüssel eingesteckt. Jetzt stand ich ausgesperrt im Treppenhaus, barfuß, in Jogginghose und dem Shirt, in dem ich geschlafen hatte. Ich beendete das Gespräch mit Patrick, hängte meine Wäsche auf und überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, wieder in die Wohnung zu gelangen. Mit einem gebogenen Kleiderbügel fummelte ich ungeduldig durch den Briefschlitz in der Türe, um die Klinke von Innen  herunterzudrücken. Nach ein paar ungeduldigen Versuchen rutschte der Kleiderbügel durch den Schlitz und schepperte drinnen zu Boden. Zumindest hatte ich ein Handy dabei. Es dauerte eine halbe Stunde bis ich heraus bekam, wo mein Mitbewohner arbeitete. Dort würde ich seinen Wohnungsschlüssel ausleihen können. Sein Arbeitsplatz befand sich am anderen Ende der Stadt. Ich ging wieder auf den Dachboden und schlüpfte in ein nasses, aber zumindest frisches, T-Shirt von der Leine. In einer Ecke fand ich ein Paar zerlöcherte Schuhe, die mir eine Nummer zu klein waren. Nachdem ich meine nackten Füße hineingezwängt hatte, konnte es losgehen.

Der Schlüssel für das Schloss meines Fahrrads war dort, wo auch mein Wohnungsschlüssel war. Beim Schwarzfahren wollte ich ohne Geld und Ausweis lieber nicht erwischt werden. Also sprang ich hinaus in den Frühling und begann zu joggen.

Der wichtige Khala-Termin am Abend rückte nun doch bedenklich nahe. Es gab ja noch einiges zu erledigen.

Es war ein sehr heißer Tag für die Jahreszeit. An der Isar lagen zufriedene Menschen in der Sonne. Ich hastete vorüber. An die grüne Wand eines Transformatorenhäuschens hatten nachdenkliche Unbekannte in schmucklosen weißen Lettern gepinselt: KANN DiE WELT NICHT RETTEN ABER FiND DiE iDEE GUT. Ich hatte gerade andere Sorgen. Die Schilder verschiedener Stadtviertel zogen vorbei. Es ging bergauf und bergab, stadteinwärts und wieder hinaus. Meine To-Do-Liste für den heutigen Tag schrumpfte auf wenige Punkte zusammen. Mein Outfit erntete befremdete Blicke. Wie hatte Karl Lagerfeld, der andere Modezar, einst gesagt: „Wer in Jogginghose das Haus verlässt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

Irgendwann stand ich wieder vor meiner Wohnungstür. Diesmal mit dem Schlüssel meines Mitbewohners in der Hand. Drei Stunden waren vergangen, seit mir der Kleiderbügel durch den Briefschlitz gefallen war. Ich kletterte über die Matratze, duschte geschwind, zog mir eine Khala-Jacke an, sprang aufs Fahrrad und radelte zum Bahnhof, wo ich das Geld für Mel wechselte. Immerhin das konnte ich von der Liste streichen. Dann weiter zu dem wichtigen Termin – glücklicherweise ganz in der Nähe. Es war schon zwanzig nach fünf. Gehetzt betrat ich das große Gebäude. Ein Portier wies mir den Weg. Ich wand mich durch Trauben von Leuten in Abendgarderobe und Tracht. Ein kulanter Türsteher ließ mich noch hinein ins Studio des Bayerischen Rundfunks. „…Und wenn ihr euren Namen hört, dann kommt gleich auf die Bühne, wartet nicht darauf, was die anderen machen, das ist sonst tote Zeit. Da sagt keiner was und ich weiß auch nicht, was ich sagen soll und die Zuhörer denken sich ‚was ist da denn los?‘,“ instruierte ein Moderator Mel und ein paar andere Leute.

Khala bei der Preisverleihung zum „Guten Beispiel 2018“. (c) BR/Markus Konvalin

Die Preisverleihung zum „Guten Beispiel 2018“ würde in wenigen Minuten beginnen. Wir waren mit Khala im Finale. Es gab viel Geld zu gewinnen. Geld, das wir dringend benötigten, um neue Materialien für die Produktion zu kaufen, Mels Flug morgen zu bezahlen und überhaupt weitermachen zu können.

Wir gewannen den zweiten Platz. Und im Foyer gab es Schnittchen. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen.


(c) Bilder von Benedikt Habermann

Khala Kolumna – Folge 4

Über die Höhen und Tiefen einer Start-Up-Gründung: Das Haus, das verrückt macht

Im Juli 2017 hat das Start-Up Khala die Crowdfunding-Kampagne für ihre Slow-Fashion-Mode erfolgreich abgeschlossen. Daraufhin hätte eigentlich die Produktion in Malawi anlaufen sollen. Doch so einfach war es nicht. Es gab Probleme mit dem Stofflieferanten und die Zusammenarbeit mit der Designerin in Malawi musste beendet werden. Dadurch ging auch das Atelier für die Produktion verloren. Doch davon ließen sich Mel, Bene und Hubi nicht unterkriegen. Was sie alles erleben – vor allem in Malawi vor Ort – erzählt Bene von Khala ab sofort regelmäßig.

So ein Unternehmen gründet man nicht alle Tage. Khala ist nach diversen anderen Projekten unser erstes ernst zu nehmendes Start-Up. Vieles ist für uns neu. Die meisten Prozesse, die sich aus der Kontinente übergreifenden Zusammenarbeit mit unseren Schneidern ergeben, sind uns zunächst völlig unbekannt. Oft kommen unterschiedliche Herangehensweisen an eine neue Herausforderung in Frage und erst durch Trial and Error stellt sich die für uns richtige heraus. So bildet sich Stück für Stück die Basis für den späteren Erfolg. Das ist einerseits strapaziös, andererseits wird es auch nie langweilig; Khala ist ein einziges großes Abenteuer. Wir lernen täglich dazu, erleben tausend erste Male.

Zu den ersten Malen, die wir in den vergangenen Wochen erlebten, gehört die erste Überführung frisch gefertigter Kleidungsstücke von Malawi nach Deutschland. Da unsere kleine Manufaktur noch nicht genug produziert, um einen Schiffscontainer zu füllen, hatten wir beschlossen, den Transport der Ware mit einem malawischen Luftfrachtunternehmen abzuwickeln.

Im  Dezember,  als  ich  mich  in  Malawi  aufhielt,  war  ich  mit  Patrick,  unserem  malawischen Projektkoordinator, zum Flughafen eine halbe Stunde außerhalb Lilongwes gefahren. Der Anlass unseres Ausflugs war, den künftigen Ablauf des Versendens zu simulieren und Näheres über die gesetzlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen herauszufinden. Wir wurden damals sehr nett empfangen. Die gesamte Führungsriege des Frachtunternehmens legte ihre Arbeit nieder, um sich unser Projekt vorstellen zu lassen. Auch für sie war es ein erstes Mal, mit Deutschen Geschäfte zu machen. Patrick und ich bekamen die Informationen, die wir haben wollten, ein Mittagessen oben drauf, und fuhren nach einigen Stunden zufrieden zurück. Nach dieser Generalprobe lag es zwei Monate später an Patrick, denselben Prozess noch einmal zu durchlaufen. Diesmal mit tatsächlicher Ware im Gepäck.

Nachdem uns der einzige verfügbare Kartonhersteller Malawis unter einer Abnahmemenge von 1000  Stück  nicht  hatte  beliefern  wollen,  musste  sich  Patrick  zunächst  anderweitig  nach Verpackungsmaterial umsehen. Pappkartons sind in Lilongwe gar nicht so einfach zu bekommen.

Endlich ist die Bomberjacke von Khala verpackt.

Also klapperte Patrick verschiedene Geschäfte in der Stadt ab und kaufte zusammen, was er kriegen konnte. Die so zusammen gesammelten Kartons packte er bis zum Rand mit Jacken, Röcken und den anderen Khala-Teilen, die unser Team in den vorangegangenen Wochen geschneidert hatte. Endlich fuhr er damit zum Flughafen, von wo aus die Pakete die Reise nach Europa antreten sollten.

So  unkompliziert,  wie  uns  der  Versandprozess  im  Dezember  am  Konferenztisch  des Frachtunternehmens geschildert wurde, gestaltete er sich dann freilich nicht. Patrick wurde von den Frachtarbeitern zu den Zöllnern verwiesen und wieder zurück. Plötzlich fehlten Dokumente, von denen nie zuvor die Rede gewesen war und die unseren Recherchen zufolge auch gar nicht nötig waren für die Einfuhr nach Deutschland. Die Leute am Flughafen redeten Patrick aber ein, dass unsere Pakete vom deutschen Zoll verbrannt werden würden, würde man die geforderten Formulare nicht mitschicken. Und der malawische Zoll verlangte Geld für seine Arbeit, welches Patrick nicht dabei hatte. Nach langem Hin und Her, zähen Verhandlungen und tausend Sprachnachrichten, die zwischen Malawi und Deutschland durch den Äther wanderten, durften sich unsere Pakete zwei Tage später in die Lüfte erheben. Patrick war fix und fertig. Wir auch.

Das Bangen war damit aber nicht vorbei. Wenn bei dieser ersten Lieferung etwas nicht klappen sollte, eines der Pakete verloren gehen würde, dann könnten wir den Laden dicht machen. Wir würden  nicht  genug  Geld  haben,  die  Kleidungsstücke  noch  einmal  zu  produzieren.  Und  der deutsche Zoll, der verbrennt doch nicht wirklich einfach so Sachen, wenn Dokumente fehlen, oder?

Falschinformationen  von Angestellten,  undurchsichtige  Prozesse,  Hilfe  verweigernde  Beamte, unvorhergesehene  Mehrkosten  –  das  Bewerkstelligen  verwaltungstechnischer  Formalitäten  in diesem Staat kostet einen ungemein viel Zeit und Nerven. Warum macht man es uns nur so schwer? Wir sind doch die Guten.

Drei Tage später bekamen wir einen Anruf. Vier Pakete lägen für uns am Flughafen München und warteten darauf, abgeholt zu werden. Yeah.

Die Pakete sind da — aber nicht so einfach zu bekommen.

Mel  hatte  im  Vorhinein  mehrmals  mit  dem  deutschen  Zoll  telefoniert  und  die  Konditionen abgeklärt. Eine Einfuhranmeldung für die Kleidungsstücke sei nicht nötig, da unsere Ware unter dem dafür relevanten Mindestwert liege. Voll Vorfreude fuhren wir zum Flughafen und hielten dort gut gelaunt ein Pläuschchen mit den Frachtarbeitern, während sie unsere Pakete ausfindig machten. Nach wenigen Minuten war alles abgehandelt. „Ihr könnt die Pakete gleich mitnehmen,“ unterwies man uns, „sobald der Zoll eure Einfuhranmeldung bestätigt hat.

Na toll.

Wer schon einmal Asterix erobert Rom gesehen hat und sich an die Szene mit dem    Passierschein A38 im „Haus das Verrückte macht“ erinnert, kann den nächsten Absatz getrost überspringen. Das Pendant zum Passierschein A38 ist in unserer Geschichte das sogenannte Einheitspapier 0737.

Aber von vorne: Gespannt, was nun wieder auf uns zukommen würde, verließen wir das Büro des Luftfrachtunternehmens und begaben uns ins Haus, das Verrückte macht. Der erste Zöllner, dem wir unser Anliegen vortrugen, pampte uns in feinster Beamtenmanier an, dass man zur gewerblichen Einfuhr von Waren selbstverständlich eine Zollanmeldung brauche. Das, was man Mel am Telefon erzählt hatte, sei Unsinn. Wir hätten die Anmeldung im Voraus im Internet machen müssen. Es gebe noch  die  Möglichkeit,  die  Einfuhr  vor  Ort  anzumelden.  Dafür  müssten  wir  das  sogenannte Einheitspapier 0737 ausfüllen. Vergnügt riet uns der Zöllner aber davon ab. Es sei unmöglich das Einheitspapier 0737 zu verstehen. Alternativ, schlug er uns vor, könnten wir eine der im Haus ansässigen Speditionen mit unserer Einfuhranmeldung beauftragen. Wir stapften hinauf ins nächste Stockwerk, wo wir uns von einer Spedition zur nächsten verweisen ließen, bis uns schließlich eine Firma das Angebot machte,  die Einfuhranmeldung für  uns zu  übernehmen. „Das  würde dann zwischen 100 und 150 Euro kosten,“ informierte man uns. „Oh. Da müssen wir uns kurz beraten,“ entgegneten wir und dachten: „Auf keinen Fall. Soviel Kohle haben wir nicht übrig. Die dümmsten Menschen der Welt sind wir nun auch nicht. Füllen wir diesen popeligen Passierschein eben händisch aus.“

Wir stapften wieder zurück zu unserem Zöllner. Der zeigte sich höchst eingeschnappt darüber, dass wir  es,  entgegen  seiner  Empfehlung,  nun  doch  selbst  probieren  wollten,  das  Einheitspapier auszufüllen.

– „Ich sag’s Ihnen, es ist ausgeschlossen, das Formular beim ersten Mal richtig auszufüllen!“

– „Dann geben Sie uns am besten gleich zwei.“

Unser Kampfgeist war geweckt.

Wir  setzten  uns  an  einen  Tisch  und  beugten  uns  über  die Aufgabe,  die  sich  die  deutsche Zollverwaltung da für uns ausgedacht hatte. Das giftig grüne Formular bestand aus lediglich einer DinA4-Seite, zwei Durchschläge hefteten ihm an und… häh? Was? Ok, keine Ahnung, was die da von uns wollen. Aber wir leben im 21. Jahrhundert. Wir tragen das Wissen der Menschheit in unseren Hosentaschen herum. Irgendwer da Draußen wird sein Knowhow zum Einheitspapier 0737 sicherlich irgendwann einmal im Internet kundgetan haben. Wir griffen nach unseren Handys.

Während es draußen dunkler wurde und sich die Batterieanzeigen auf unseren Spiderappdisplays von grün zu rot verfärbten, brüteten wir über den blanken Kästchen der Einfuhranmeldung. Wir fanden heraus, dass es ein Merkblatt zu unserem einseitigen Formular gab. Unser Zöllner konnte uns  dieses  Merkblatt  mit  der  griffigen  Bezeichnung  GZD-Z  3455-2016.00006-DV.A.2 (201700249692)  leider nicht aushändigen: „Das gibt es nur noch online.“ Nach kurzem Suchen fanden wir das passende PDF. Es hatte 192 Seiten.

Nachdem wir innerhalb von zwei Stunden etwa drei Zeilen des Einheitspapiers 0737 vervollständigt hatten, kapitulierten wir vor dieser bürokratischen Ausgeburt des Teufels. Bei einem revitalisierenden Kaffee in der Zollkantine beschlossen wir, in die nächstgelegene Stadt zu  meinem  Bruder  zu  fahren  und  an  seinem  Laptop  die  Einfuhranmeldung  über  das menschenfreundlichere Onlineformular zu erledigen.

Endlich können die Pakete eingeladen werden.

Weitere  zweieinhalb  Stunden  später  betraten  wir  erneut  das  Haus,  das  Verrückte  macht,  die ausgefüllte Einfuhranmeldung ausgedruckt in der Hand. Glücklicherweise hatte in der Zwischenzeit ein Schichtwechsel stattgefunden. Ein frischer Sachbearbeiter besah gutmütig unsere Dokumente, korrigierte mit uns, was wir falsch ausgefüllt hatten, setzte schließlich den Stempel des Zolls darauf und schickte uns zurück zu dem Frachtunternehmen, bei dem unsere Odyssee sieben Stunden zuvor begonnen hatte.

Vier  Pakete  karrte  man  dort  heran.  Sie  hatten  unterschiedliche  Größen.  Leichte  Lädierungen zeugten von ihrem Tausende Kilometer langen Weg durch die Lüfte. Auf einer der Schachteln prangte das Logo einer Cornflakes-Marke – Patrick hatte bei seiner Suche nach Kartons keine Option ausgelassen. Wir luden ein und verließen den Flughafen so schnell wie möglich.

Falschinformationen  von Angestellten,  undurchsichtige  Prozesse,  Hilfe  verweigernde  Beamte, unvorhergesehene  Mehrkosten  –  das  Bewerkstelligen  verwaltungstechnischer  Formalitäten  in diesem Staat kostet einen ungemein viel Zeit und Nerven. Warum macht man es uns nur so schwer? Wir sind doch die Guten.

Wieder zu Hause öffneten wir unsere Cornflakes-Schachteln. Die Kleidungsstücke, die vor fünf Tagen Malawi verlassen hatten, sahen super aus. Unsere Leute hatten gute Arbeit geleistet. Darauf stießen wir erst einmal an. Die Strapazen auf dem Flughafen waren schnell vergessen. Wir hatten wieder eine Lektion gelernt, eine Herausforderung bewältigt und wichtige Grundlagen geschaffen. Und das Beste: von jetzt an würde es nur noch bergauf gehen. Wer einmal das Einheitspapier 0737 vor sich liegen hatte, hat das Schlimmste hinter sich. Oder?


(c) Bilder von Benedikt Habermann

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