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relaio.de

Die Plattform für nachhaltiges Unternehmertum

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Wo geht die Reise hin, relaio?

12. April 2019 By

relaio entwickelt sich weiter und wird die Onlineplattform für gesellschaftlichen Wandel.

relaio verändert sich und erscheint jetzt nicht nur in neuem Design, sondern stellt sich auch inhaltlich breiter auf. Bisher war nachhaltiges Unternehmertum das Hauptaugenmerk von relaio: Soziale Innovationen und nachhaltige Produkte, die eine Alternative zu gegenwärtigen Konsum- und Lebensweisen bieten und Aufmerksamkeit für Probleme und gesellschaftliche Missstände schaffen. Doch oft können sie nur einen kleinen Beitrag dazu leisten, das dahinterliegende Problem zu lösen. Nachhaltige Innovationen verbreiten sich in der Gesellschaft oft nicht weit genug, um sich als echter Gegenentwurf zu etablieren und alte, nicht nachhaltige Praktiken werden nicht abgelegt – die Probleme bleiben bestehen. Auch viele Gründer*innen, die eine Menge Herzblut in ihre Projekte stecken und den persönlichen Profit dahinter weit zurückstellen, stehen vor dieser Herausforderung. Ein gutes Beispiel hierfür sind Einwegkaffeebecher. Obwohl es nachhaltigere Alternativen gibt, nämlich den eigenen Becher mitzubringen oder Pfandsysteme mit Mehrwegbechern, ändert sich wenig an der Menge der weggeworfenen und schwer recyclebaren to-go Becher. Auch gehen die nachhaltigen Komponenten der Innovation oft in bestehenden technischen und ökonomischen Dynamiken unter: Produkte, die die Welt ein Stück besser machen sollen, gekauft aus den besten Absichten, mögen vielleicht ökologischer oder sozialer sein als konventionelle Massenware. Aber im bestehenden Wirtschaftssystem werden sie meist genauso nur konsumiert. Dies geschieht zum Beispiel oft mit nachhaltig und fair produzierten Klamotten, die dann genau wie die Fast Fashion nach einer Saison im Schrank hängen bleiben. Dabei hätten viele Innovationen sehr wohl das Potential, etwas zu ändern und Probleme nachhaltig zu lösen. Doch dafür müssten sich gewisse gesellschaftliche Grundvoraussetzungen ändern.

Warum brauchen wir gesellschaftlichen Wandel?

Das mag auf den ersten Blick zwar nicht als die oberste Priorität erscheinen, besonders wenn es sich um ökologische Probleme handelt, die vermeintlich nach einer technischen Herangehensweise verlangen. So wie das zum Beispiel CO2-Emissionen sind, die scheinbar gut durch Ausgleichsmaßnahmen kompensiert werden können. Um zu verstehen, warum gesellschaftliche Veränderungen notwendig sind, ist deshalb zunächst ein Blick zurück hilfreich. Wir befinden uns gerade in einem Epochenwechsel, dem Beginn des Anthropozäns, in dem die Menschheit erstmals in ihrer Geschichte dabei ist, globale geoökologische Prozesse selbst zu beeinflussen, während sie zuvor einseitig der Beeinflussung durch die natürliche Umwelt unterworfen war. Zwei große Transformationen haben die Menschheit dorthin geführt, wo sie jetzt ist: die neolithische Revolution und die industrielle Revolution. Der Wandel zur Agrargesellschaft und schließlich zur Industriegesellschaft hat die menschliche Existenz zunehmend von den Begrenzungen der Natur emanzipiert und weiten Teilen der Menschheit ein Leben jenseits des bloßen Überlebens ermöglicht. Diese beiden großen Umbrüche waren weitgehend ungesteuerte Ergebnisse evolutionären Wandels, in denen neue technologische und ökonomische Möglichkeiten den Takt vorgaben – mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaft. Im Kontext der industriellen Revolution kam es zu einem Prozess, den der ungarisch-österreichische Wirtschaftswissenschaftler Karl Polanyi bereits 1944 als „Die große Transformation“ bezeichnet hat. Damit bezeichnete er die stetig fortschreitende Verselbstständigung und Entbettung des Wirtschaftssystems gegenüber der Gesellschaft und den Regeln des sozialen Zusammenlebens. Dadurch, dass Geld, Arbeit und Boden als Waren kapitalistisch in Wert gesetzt und am Markt gehandelt werden, sind sie traditionellen sozialen Kontrollmechanismen entzogen. Die stetig voranschreitende technologische und wirtschaftliche Entwicklung wurde so mit einer wachsenden sozialen Ungleichheit und einem individuellen Gewinnstreben ohne Rücksicht auf den Rest der Gesellschaft oder die Umwelt verbunden. Die zeitgleich entstehenden Nationalstaaten haben es dabei nicht geschafft, diese Entwurzelung abzudämpfen, sondern eher sogar aktiv vorangetrieben, so dass am Ende dieser Entwicklung eine Marktgesellschaft steht, in der Wirtschafts- und Konsumweisen weltweit soziale und ökologische Probleme verursachen, aber nicht dem Wohl der Menschheit dienen. Dies bedeutet mitnichten, dass früher alles besser gewesen wäre oder es frühere soziale Kontrollmechanismen geschafft hätten, soziale Gerechtigkeit für die Bevölkerung zu bringen, aber sie hielten die Kräfte des Marktes im Griff. Um eine Wende in Richtung Nachhaltigkeit zu erzielen, ist es daher notwendig, die Leitidee in den Vordergrund zu stellen, ein gutes Leben für die gesamte Weltbevölkerung zu organisieren. Dazu müssten Wirtschaft und Technologie wieder in einen gesellschaftlichen Ordnungsrahmen eingebettet werden, der es aber ermöglicht, soziale Gerechtigkeit zu schaffen und einen gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.

 

relaio ist ein Projekt der Hans Sauer Stiftung

Doch wie kann eine Gesellschaft aussehen, die ein gerechtes Leben für alle schafft und dabei die Belastungsgrenzen unseres Planeten achtet? Welche Werte, Praktiken und Technologien müssen sich ändern, damit wir die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben, nachhaltig gestalten können? Und wer sind die Akteure, die dazu beitragen können, dass sich in unserer Gesellschaft ein Wandel in Richtung Nachhaltigkeit im ganzheitlichen Sinne vollzieht? relaio möchte mit der Erweiterung des Themenfeldes dazu beitragen, Antworten auf diese Fragen zu finden und einen gesellschaftlichen Wandel aktiv vorantreiben. Dazu vermitteln wir auf unserer Plattform nicht nur Wissen über gesellschaftliche Transformationen und Nachhaltigkeit, sondern liefern unter anderem auch Ansätze, wie Wohnen oder Bildung in Zukunft aussehen könnte, setzen uns mit alternativen Wirtschaftsweisen auseinander oder diskutieren politische Konzepte und demographische Entwicklungen. Außerdem stellen wir Akteure vor, die aktiv Gesellschaftlichen Wandel vorantreiben und zeigen Möglichkeiten, wie man selbst Wandel mitgestalten kann.

Betreiber und Initiator von relaio ist die Hans Sauer Stiftung, die im Jahr 1989 von dem Erfinder und Unternehmer Hans Sauer gegründet wurde. Die weitgehend operativ arbeitende Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, gezielt technische und soziale Innovationen zu fördern, ethische, ökologische und interkulturelle Fragestellungen in den Innovationsprozess zu integrieren und die Entwicklung von Kompetenzen für verantwortungsbewusstes Denken und Handeln zu fördern. Hans Sauer war der Meinung, dass Innovationen generell aus einer sozialen und ethischen Motivation heraus entstehen sollten und dabei von spürbaren gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen sein sollen. relaio will mit seiner inhaltlichen Entwicklung dieser Sichtweise Rechnung tragen.


(c) Alle Bilder Sebastian Preiß

Open Source

5. Dezember 2018 By

Eine Chance für nachhaltiges und soziales Unternehmertum

Den Begriff Open Source kennen die Meisten wohl in erster Linie aus dem Kontext der Open Source Software. Open Source ist aber viel mehr als das – und spielt nicht nur in der IT eine große Rolle. Besonders für nachhaltig und sozial agierende Unternehmen kann Open Source eine Lösung sein, um schnell und langfristig zu skalieren, Marktanteile zu gewinnen, Nutzer zu aktivieren oder Entwicklungskosten zu teilen.

Die Ursprünge von Open Source findet man nicht wie oft vermutet im Digitalen, sondern in der Do-It-Yourself (DIY) Bewegung, die ihre Anfänge im England der 50er Jahre hatte. Heute verbindet man damit vor allem handwerkliche und kreative Tätigkeiten. Damals aber ging es um Selbstermächtigung, Selbstorganisation sowie um die Kritik an Industrieprodukten und passivem Konsum. Themen, die auch heute noch durchaus aktuell sind. Erst in den 80er Jahren wurde der Begriff von der Freien-Software-Bewegung aufgriffen und neu geprägt. Anfangs handelte es sich nur um eine kleine Gruppe Programmierer, die sich gegen die Kommerzialisierung ihrer Arbeit sträubten – mittlerweile ist die Open Source Bewegung einer der größten sozialen Bewegungen weltweit.            

Oft wird Open Source mit „kostenloser“ Software in Verbindung gebracht, aber es handelt sich hierbei ganz grundsätzlich um Gemeingüter, die jedem zur freien Nutzung zur Verfügung stehen. Diese Güter dürfen benutzt, geteilt und verändert werden – der exklusive Besitz wird ausgeschlossen. Ein gutes, digitales Beispiel dafür ist Wikipedia: jeder hat die Möglichkeit auf die Enzyklopädie zuzugreifen, sie für eigene Zwecke zu nutzen, sich an ihr zu beteiligen, aber niemand kann sie exklusiv für sich beanspruchen oder anderen die Teilhabe verwehren. Aber trotz dieses gemeinwohlorientierten Ansatzes, kann man mit Open Source auch Geld verdienen. WordPress oder Linux etwa setzen Geschäftsmodelle erfolgreich um, die auf dem Prinzip der Beteiligung aller basieren.

Um digitale Gemeingüter zu schützen, gibt es „Open Source Lizenzen“ wie die GNU Public License, die dafür sorgt, dass eine Software „frei bleibt“. Das bedeutet konkret: Jeder darf die Software mitsamt ihrem Quellcode herunterladen, benutzen, weitergeben und sogar verändern; und wiederum diese veränderten Versionen weitergeben. Auch nach dem letzten Schritt schützt die Lizenz die veränderte Software, denn sie sagt auch, dass das Recht auf freie und gemeinsame Teilhabe niemand anderem verwehrt werden darf – auch nicht auf die Version einer Software, die die einzelne Nutzerin selbst verändert hat. Auch kreative Inhalte lassen sich schützen. Die Creative Commons License kümmert sich als gemeinnützige Organisation darum, dass Künstler selbst entscheiden, ob und wie weit sie Gebrauch von ihren Urheberrechten machen. Flickr arbeitet zum Beispiel mit der Creative Commons License und ermöglicht es so dem Nutzer schnell einzusehen, ob und wie umfassend ihre Bilder benutzt werden.

Durch die Schaffung von Standard-Lizenzverträgen, will Creative Commons den Schutz und die Verbreitung geistigen Eigentums erleichtern. (C) Creative Commons

Open Source beschränkt sich aber längst nicht mehr nur auf das Digitale. Ein guter Beweis hierfür sind die sogenanntenFabLab, die Raum und Material für gemeinnützige Kollaboration bereitstellen. Sie sind ein Teil der Open Source Bewegung, weil sie nicht nur einigen, sondern allen einen Zugang zu Werkstätten und industriellen Produktionsverfahren ermöglichen – sozusagen zur Hardware des Open Source Prinzips.  Als solch eine Art Hardware gelten etwa Anleitungen für den Bau eines Autos, eines 100-Dollar-Computers oder günstiger Selbstbau-Solarsysteme. Hier lässt sich nun wieder eine direkte Verbindung schlagen zum ursprünglichen Entstehen des Open Source Gedankens der DIY-Bewegung.

Open Source und soziales Unternehmertum

Vorteile von Open Source gibt es viele. Für Sozialunternehmen sind dabei die folgenden besonders interessant:

  • Märkte erkennen und testen:
    Eine umfassende Marktanalyse ist oft methodisch aufwendig und teuer. Teile des eigenen Produkts offen und online anzubieten hilft oft dabei, schnell herauszufinden, ob es einen Markt gibt und wie dieser auf das Angebot reagiert.       
  • Kreative Lösungsansätze durch die Ideen Vieler:
    Ist ein Produkt erst mal auf den Markt gebracht, kann man die Nutzer-Crowd dazu aktivieren schnelles Feedback zu geben und bei der Verbesserung des Produktes zu unterstützen. WordPress etwa profitiert bei der Weiterentwicklung ihres Angebots sehr stark von der Crowd, indem sie direkt Feedback von denjenigen bekommen, die das Angebot auch wirklich und tagtäglich nutzen.                  
  • Soziale Legitimität: 
    Ein Unternehmen, das sein Wissen oder Teile davon für alle zugänglich macht, kommuniziert eine transparente und soziale Haltung. Open Source kann von Anfang an Vertrauen schaffen. So genießen WordPress und Wikipedia im Vergleich zu kommerziellen Anbietern einen guten Ruf, weil alle Nutzer die dahinterliegenden Prozesse nachvollziehen sowie wirksam mitgestalten können. Der Einsatz von Open Source Methoden als Marketing-Tool, speziell in der Marktforschung ist durchaus legitim, denn auch hier werden Ressourcen eingespart was eine Win-Win-Situation für beide Seiten darstellt.         
  • Sicherheitslücken entdecken:           
    Besonders im Bereich der Software lassen sich durch das Open Source-Prinzip schnell Sicherheitslücken und Schwachstellen aufgrund der hohen Anzahl möglichen Feedbacks aufdecken und beheben – oft viel schneller als wenn die Software nur inhouse getestet wird.

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Wie aber kann man eigene Projekte ganz im Sinne des Open Source-Gedanken umsetzen – vielmehr noch: Wie kann man Open Source für sich, sein Unternehmen oder Projekt nutzen? Grundsätzlich gilt: Open Source ist nicht nur eine Methode, sondern es ist es vor allem eine Einstellung. Dabei ist eine ganzheitliche Analyse notwendig. Die folgenden fünf Fragen können dabei helfen, grundsätzlich zu klären, ob Open Source für ein Unternehmen oder Projekt in Frage kommt:

1. Warum ist Open Source wichtig für dich und dein Projekt?

  • Willst du dein Wissen mit anderen teilen und wenn ja warum?
  • Möchtest du eine Community aufbauen und wenn ja zu welchem Zweck?
  • Kann dir Open Source zu einer besseren Entwicklung deines Projektes verhelfen?

2. Was willst du öffnen?

  • Was kann und will ich weitergeben?
    Hier geht es nicht zwingend um das Prinzip ganz oder gar nicht. Es können auch nur Teile eines Unternehmens zugänglich gemacht werden.

3. Wer will deine Inhalte nutzen?

  • Wer ist die Zielgruppe deiner Inhalte?
  • Warum sollten sie deine Inhalte nutzen?
  • Gibt es Partner, Kunden, Communities, die Interesse an deinem Angebot haben könnten?

4. Wie sollen deine Inhalte genutzt werden?

  • Was dürfen User mit deinen Inhalten machen und was nicht?
  • Gibt es Einschränkungen in der Nutzung?
  • Welche Regeln sind mit der Nutzung verbunden?

5. Wie kannst du die Community in eine nachhaltige Entwicklung einbinden?

  • Wie kannst du Nutzerfeedback von der Community bekommen?
  • Wie (schnell) kannst du Nutzerfeedback integrieren?
  • Wie kannst du Nachhaltigkeit mit deinem Angebot gewährleisten?

Für die Beantwortung dieser Fragen hat sich der globale „Think- und Do-Tank Oui Share, die Verbreitung des Open Source Gedanken zur Unternehmensphilosophie gemacht. Dafür wurde ein Canvas zusammengestellt, der die Beantwortung dieser Fragen vereinfacht und den man hier  downloaden kann. Wer den Artikel aufmerksam gelesen hat, wird die Symbole der Creative Commons Lizenz am unteren Rand des Canvas wiedererkennen – der Canvas darf also nicht nur heruntergeladen, sondern auch gedruckt, benutzt und weitergegeben werden.

Der ausgefüllte Canvas soll dazu dienen, eine konkrete Strategie zu entwickeln und den Open Source Ansatz in die Mission und Vision eines Unternehmens mit einzubauen.

Es müssen natürlich nicht alle Bereiche des eigenen Projekts geöffnet werden. Es gilt nicht das Prinzip „ganz oder gar nicht“, sondern ist es vollkommen legitim im Einzelfall zu entscheiden, welche Inhalte zu einer Open Source werden und welche nicht. Oft ist es Teil der Vertriebsstrategie, nur bestimmte Inhalte bekannt zu geben, um potentielle Kunden erst recht zum Kauf zu motivieren. So lässt sich etwa die Software des fairphones komplett als Open Source herunterladen, die Hardware um diese zu nutzen, ist aber nur käuflich zu erwerben. Viele Nutzer motiviert jedoch die Einstellung des Unternehmens, was sie letztlich zum Kauf motiviert. Open Source lässt sich in diesem Fall auch als Marketinginstrument nutzen. Sowie ganz unabhängig von kommerziellen Zielen oder für den Einsatz von Softwarelösungen, kann das Open Source Prinzip nicht nur auf ein Produkt oder eine Dienstleistung angewandt werden, sondern kann es als Grundsatz einer ganzen Organisation dienen. So sollen etwa mit Formaten wie dem „SkillzBazaar“ Menschen dazu ermutigt werden ihr Wissen und Können mit anderen zu teilen. Dabei kann jeder seine eigenen Fähigkeiten anderen Interessierten vermitteln und beibringen. Ob man dabei lernt, das erste Stück auf dem Klavier zu spielen oder einen Schal zu häkeln, bleibt einen selbst überlassen.  

Oui Share versteht sich als internationales Netzwerk, dass sich dem Entstehen einer kooperativen Gesellschaft widmet. Dafür wurde auch der Skillzbazaar ins Leben gerufen. (C) Ulrich Bareth


Lesetipp //

http://www.ifross.org/welches-sind-wichtigsten-open-source-lizenzen-und-welchem-lizenztyp-gehoeren-sie

(C) Header Image by Alex Holyoake

System Entrepreneurship – Zeit umzudenken

14. November 2018 By

Wie sich gesellschaftliche Missstände nicht nur vermindern, sondern beheben lassen.

Es könnte alles so schön sein: Fossile Brennstoffe liefern uns die Energie für grenzenlose Mobilität, Konzerne mit neunstelligen Gewinnsummen schaffen, dank stetig steigender Produktion, mehr und mehr Arbeitsplätze und sorgen so für Wohlstand und unser tägliches Wohlergehen. Doch der Konjunktiv ist verräterisch: denn die Wahrheit – das heißt die Welt in der wir leben – sieht anders aus. Der Abbau von Braunkohle und Erdöl zerstört uralte Infrastrukturen von Mensch und Natur und der Aberglaube von der Notwendigkeit eines über allen Dingen stehendenden Wirtschaftswachstums bringt die ökologischen, ökonomischen und sozialen Strukturen, in denen wir leben, ins Schwanken.

Ein Fehler im System

Diese Strukturen bestehen aus wechselseitigen, voneinander abhängigen Beziehungen verschiedener Elemente, aus deren Art der Verknüpfung bestimmte Regeln, Normen und Prinzipien resultieren und letztlich ein System bilden. Systeme bergen also die Gefahr selbst fehlerhaft zu sein oder Fehlverhalten zu ermöglichen, was wiederum anderen Elementen des gleichen oder eines verknüpften Systems schadet. So wurden beispielsweise Finanzsysteme vermeintlich immer effizienter, was jedoch daran lag, dass sie sich durch Spekulationen immer mehr von der Realwirtschaft lösten und mittlerweile viel mehr eine Gefahr für unser Wirtschaftssystem darstellen, als zu dessen nachhaltiger Existenz beizutragen.

We can define systemic innovation as an interconnected set of innovations, where each influences the other, with innovation both in the parts of the system and in the ways in which they interconnect.

Geoff Mulgan & Charlie Leadbeater

Das große Ganze

Zugegeben, neu ist das nicht. Außerdem haben Social Entrepreneure bereits unzählige Tools und Konzepte entwickelt, die ein derartiges Fehlverhalten beheben sollen, indem sie etwa die Effizienz von Elektromotoren steigern, Altes zu Neuem upcyclen oder eben nachhaltige Banken gründen. Das ist wichtig und richtig, vor allem aber schwierig. Denn will ein Social-Start-Up innerhalb eines Systems eine soziale Wirkung erzeugen, gelingt das meist nur, indem man ein Projekt skaliert. Doch ein Skaleneffekt lässt oft lange auf sich warten, da das dazu nötige Kapital erstmal verdient werden muss und selbst danach der Einfluss des jeweiligen Produkts oder Dienstleistung sich oft auf das unmittelbare Umfeld des Start-Ups beschränkt. Das liegt mitunter daran, dass ein Blick für das große Ganze dem Fokus auf den Erfolg des eigenen Unternehmens zum Opfer fällt oder die soziale Wirkung nicht über die Unternehmensgrenzen hinausgeht, da es keine Strahlkraft auf andere Elemente eines Systems besitzt. Problematisch ist also: So gut ein Social-Start-Up auch agiert, es lindert oft nur die Folgen, heißt, die Symptome eines systembezogenen Fehlverhaltens, nicht aber dessen Ursachen.

Was also tun? Eine Antwort liegt in der Generierung eines „System Change“. Er umfasst eine Änderung oder Neuschaffung von Interaktionsmustern, also der Zusammensetzung des Systems an sich, sowie der Art und Weise wie seine einzelnen Bestandteile darin miteinander kommunizieren. Erreicht werden kann das vor allem mit einer Reihe von Innovationen, die sich auf alle Bestanteile eines Systems auswirken, sie gegenseitig beeinflussen und langfristig ihre Regeln, Normen und Werte so gestalten, dass sie mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit vereinbar und funktionstüchtig sind.

Ein System Change umfasst die Änderung oder Neuschaffung der Zusammensetzung eines Systems an sich. Fotocredit: William Bout

Eine neue Generation

Um dieses Ziel zu erreichen, kommt „System Entrepreneurship“ ins Spiel. Dafür arbeiten System Entrepreneure aktiv daran, Paradigmen in verschiedenen Bereichen sozialer Systeme – wie Politik, Kultur und Wirtschaft – so zu verändern, dass gesellschaftliche Innovationen langanhaltend und systemisch übergreifend etabliert werden. Vorweg: Das schließt die Entwicklungen von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen nicht aus, vor allem dann nicht, wenn sie ein Mittel zum systemischen Zweck sind, denn sie können einen umfassenden Impact auf andere Systemelemente erzielen und so grundlegende, normative Strukturen eines Systems zum Positiven verändern. Wie das ganz konkret in der Realität aussehen kann, zeigt das Münchener Start-Up Sono Motors. Begonnen als Bastler-Projekt in der eigenen Werkstatt zweier Schulfreunde, ist daraus innerhalb weniger Jahre ein Unternehmen entstanden, das mit dem Sion – ein marktreifes Elektroauto entwickelt hat. Das kann nicht nur zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes beitragen, sondern mithilfe einer zusätzlich integrierten und simplen Handy-App zum Mietwagen, zur Mitfahrgelegenheit oder sogar zu einer autarken Stromquelle werden. Das verändert die kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Interaktionen eines Systems, indem vorhandene Akteure ihre Rollen tauschen oder neue einnehmen und damit die Chance entsteht, fehlerhafte Systemstrukturen in Hinsicht auf Mobilität, Energiewirtschaft und deren politischen Gestaltung grundlegend neu zu gestalten.

Aber welche Qualitäten werden benötigt, um Schritt für Schritt gesellschaftliche Bereiche in einem Ausmaß zu verändern, das über die Reichweite einer einzigen Organisation hinausgeht? Die Bewegungen aufbauen können und alle betroffenen Stakeholder erfolgreich in kollaboratives Handeln einbinden?

Schritt für Schritt zum System Entrepreneur

Erstens: Die eigenen Potentiale kennen

Zugegeben, ressourcenverschlingende Industriesysteme oder ein komplexes Gesundheitssystem nachhaltig umzugestalten ist nicht leicht. Umso wichtiger ist es, von Beginn an zu klären, ob das eigene Vorhaben überhaupt das Potential besitzt, ein Türöffner für einen Systemwandel zu sein. Um das zu prüfen, sollte man sich folgende Fragen stellen:

  1. Kann mein Vorhaben einen echten Wandel initiieren, indem ich mit dem Status Quo eines Systems breche und nicht nur die vorherrschenden Gegebenheiten verbessere?

  2. Kann ich mit meinem Vorhaben aktiv einen Systemwandel mitgestalten und die für einen Wandel benötigten Ressourcen bündeln und steuern?

Dazu gehört auch, die Art des anvisierten Systems zu bestimmen. Nur so lässt sich erkennen, ob ein hypothetisches Potential auch in der Realität Bestand hat. Denn es ist nicht unwichtig, ob ein System komplex oder einfach, geschlossen oder offen, lebend oder mechanisch ist. So kann eine neue Technologie mit einer guten Idee in der Realität trotzdem scheitern, da sie aufgrund der Geschlossenheit eines Systems von außen keine innovative Wirkung entfaltet. So ist vielleicht die für den Systemeintritt oder -Anschluss benötigte Infrastruktur nicht vorhanden oder es fehlen die finanziellen Mittel um sie aufzubauen. Währenddessen können andere Ideen sich zwar an bestehenden Infrastrukturen bedienen, laufen aber dort möglicherweise Gefahr, aufgrund mangelnden Know-hows, die Situation eines komplexen Systems nicht ausreichend analysieren und steuern zu können und somit wichtige Faktoren wie eine Marktakzeptanz zu gering ausfallen.

Indikatoren für die Veränderungen eines Systems

Zweitens: Die Umwelt und sich selbst reflektieren

Ein System zu verändern oder neu zu etablieren bedeutet auch, eigene Denkmuster und die des Systemumfelds zu durchbrechen, um Platz zur Selbstreflexion und Toleranz für Neues zu schaffen. Kein leichtes Unterfangen. Wir werden in Systeme hineingeboren: Ganz gleich ob Kapitalismus oder parlamentarische Demokratie, Bildungssysteme und Industrien – sie werden über Generationen weitergegeben und ihr Narrativ nicht weiter hinterfragt. Nur, anthropogene Systemmechanismen sind keine in Stein gemeißelten Naturgesetze. Wer Denkmuster durchbrechen will, muss zunächst mit den eigenen beginnen. Das funktioniert indem System Entrepreneure mit dem geistigen Auge über die Grenzen eines Systems hinausgehen. Nur so lässt es sich auch als Ganzes sehen, als Ganzes verstehen und mit Alternativen vergleichen. Ein Blick in die Geschichte, also auf die Ursachen zur Entstehung von Systemstrukturen, ist ein geeignetes Mittel dafür. So eine Reflexion zeigt, dass Systeme endlich sind, indem sie auf den Beginn – folglich auf die Grenzen eines Systems –  schaut und somit ein Vorher-Nachher-Sichtweise ermöglicht, die Strukturen leichter nach Moral und Zweckmäßigkeit bewertbar macht.

Systematiken wie „Twelve Leverage Points“ nach Donella Meadows bieten besonders für komplexe Systeme eine gute Orientierung (Quelle: Donella H. Meadows: Thinking in Systems).

Nicht minder wichtig ist die Reflexion des eigenen Verhaltens in einem System. Nur wer bereit ist, seinen eigenen Ansichten den Spiegel vorzuhalten, ist auch bereit andere Sichtweisen zuzulassen und sie gemeinsam zu diskutieren. Eine tiefe, gemeinsame Reflexion ist ein entscheidender Schritt, um Gruppen oder einzelne Personen in die Lage zu versetzen, einen Standpunkt zu hören, der sich von ihrem eigenen unterscheidet. Das hilft letztlich die Realität des anderen emotional und kognitiv schätzen zu lernen. Das ist ein fundamentaler Weg, um Vertrauen aufzubauen, wo Misstrauen vorherrschte und um kollektive Kreativität zu fördern. Dabei ist es die Aufgabe von System Entrepreneuren aus vagen Absichten konkrete Ziele und Visionen zu formulieren und aus dem Spannungsverhältnis mit der Realität neue nachhaltige Ansätze zu schaffen.

Drittens: Einen gemeinsamen Raum schaffen

Sind nach Analyse und Reflexion die Ziele und Visionen des eigenen Vorhabens festgelegt, kommt es nun darauf an, einen Raum für dessen Umsetzung zu schaffen. Dafür ist der Aufbau einer Infrastruktur ein wesentlicher Bestandteil des System Entrepreneurships. Vor allem deshalb, da sie eines ermöglicht: Kollaborationen – die Zusammenarbeit aller Stakeholder eines Systemwandels zugunsten eines gemeinsamen, nachhaltigen Ziels. Es sollte klar sein, dass sich ein Systemwandel kaum alleine bewältigen lässt. Das liegt im Wesentlichen daran, dass ein einzelner Akteur – wie etwa ein Social Startup – kaum in der Lage ist, das dazu notwendige Spektrum an Fähigkeiten und Mitteln abzudecken. System Entrepreneurship beinhaltet demnach immer Allianzen aus verschieden Co-Innovatoren und Distributoren, die eine gemeinsam entwickelte Innovation systemisch etablieren. Ein Merkmal für ein erfolgreiches System Entrepreneurships ist demnach die Schaffung einer optimalen Konstellation der am Wandel beteiligten Akteure. Dazu benötigt es Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit, branchen-, kulturen- und perspektivübergreifend zu übersetzen, Beziehungen aufzubauen und Workshops und Veranstaltungen zur Unterstützung des Veränderungsprozesses zu konzipieren und zu moderieren. Das alles mit dem Ziel ein möglichst breites Publikum in den Wandel einzubinden.

Viertens: Mit den richtigen Tools ein Systemwandel steuern

Soweit so gut, doch geht es um die konkrete Umsetzung, stellt sich leicht die Frage: Welche Tools eignen sich am besten? Und nach welchem sollte vorgegangen werden? Eine einheitliche Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Die Wahl einer der unzähligen Methoden und Ansätze ist abhängig von Merkmalen wie Art, Alter und Größe eines Systems. Etabliert haben sich aber unter anderem: Theory U, Collective Impact oder Change Labs. Ein Werkzeug, das oft sehr hilfreich ist, ist zudem das sogenannte Mapping. Hierbei werden die Hauptakteure eines Systems und ihrer Beziehungen zueinander illustriert. Das kann helfen, Systeme besser zu verstehen, indem sie in einfacher Form dargestellt, beschrieben und, für weitere Überlegungen, dokumentiert werden. Letztlich bildet der Prozess des Mappings, durch seinen kollaborativen Gestaltungsprozess an sich, eine Plattform zur gemeinsamen Reflexion und Analyse.

Die Methodik des Mappings kann Startpunkt, von Analyse, Reflexion und Koalitionsbildung sein. (Hier nach dem Panarchy-Modell).

Beim Steuern, das heißt dem Anwenden von Tools und Werkzeugen, gibt es zwei essentielle Herausforderungen. Zum einem ist der Ausgang eines Systemwandels, aufgrund mangelnder Erfahrungswerte, oft ungewiss, zum anderen sind Lern -und Steuerungsprozesse oft verschieden und komplex. Für den Bruch mit dem Status Quo eignet sich etwa eine Führungspersönlichkeit, die wie ein Pirat eine Crew anführt und Schlachtzüge von den Seitenrändern eines Systems startet, während der Aufbau von Allianzen jedoch eine Führungspersönlichkeit erfordert, die eher einem Gemeinschaftsorganisator gleicht.

Fünftens: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein

Systeme sind immer mehrdimensional. Unabhängig davon, ob es sich um abstrakte oder konkret greifbare Strukturen handelt: Raum und Zeit spielen bei ihrer Zusammensetzung eine wesentliche Rolle. Umso einleuchtender scheint es, diese beiden Parameter in das eigene Handeln einzubeziehen. Kurzum: Wer einen Systemwandel erfolgreich umsetzen will, muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Dafür identifizierte die einflussreiche Systemtheoretikerin Donella Meadowskonkrete Punkte, die eine größtmögliche Hebelwirkung versprechen – die sogenannten Leverage Points (eng.: „leverage“= deutsch: Hebelwirkung)Das Prinzip dahinter ist es, Orte in einem System zu definieren, deren minimale Veränderung zu einem größtmöglichen Wandel im Systemverhalten führt.

Systematiken wie „Twelve Leverage Points“ nach Donella Meadows bieten besonders für komplexe Systeme eine gute Orientierung. (Quelle: Donella H. Meadows: Thinking in Systems).

Ein Wirkungsmaximum wird am besten erzielt, sobald sich ein System im Umschwung befindet. Vollzieht ein System beispielsweise den Übergang von Aufschwang zu Abschwung, werden feste und resistente Strukturen durch deren Umorientierung elastischer und offener für neue Ansätze. Demnach ist die Aufgabe eines System Entrepreneurs herauszufinden, wann sich Bedürfnisse und Wünsche in einem System ändern, um dann adäquate Vorschläge zu deren Erfüllung vorschlagen zu können. Wo ein Hebel die größte Wirkung erzielt, ist abhängig vom eigenen Vorhaben. Die Möglichkeiten sind also vielseitig. So krempeln nicht nur smarte Elektroautos festgefahrenen Systeme um, sondern kann ein Systemwandel auch durch Dienstleistungen oder durch reine non-profit Initiativen bewirkt werden. So versorgt etwa das Projekt Child & Youth Finance International (CYFI) Kinder und Jugendliche aus prekären Lebensverhältnissen mit Bildungsinhalten zu Finanz -und Wirtschaftssystem. Die Idee: Jungen Menschen wird eine bessere Lebensgrundlage gewährt, indem sie lernen, wie sie Zugang zu finanziellen Mitteln bekommen, eigenes Geld sparen und es in ihre Zukunft investieren können. Um das zu erreichen, sollen langfristig bildungs- und finanzpolitische Systemstrukturen, gemeinsam mit relevanten Systemakteuren, nachhaltig verändert werden. Das Projekt übernimmt dabei die Rolle des Change Leaders und ist damit Befürworter, Experte und Netzwerker zugleich. Operativ erfordert das besonders: die Schaffung eines Problembewusstseins, das Generieren und Teilen von relevantem Wissen, sowie der Aufbau von Allianzen. Letztlich ist dies nur ein Beispiel von vielen, aber es zeigt, dass ein Systemwandel mit den richtigen Schritten machbar ist und das für ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt.


Lesetipp //

Donella Meadows: Thinking in Systems – A primer.

(c) Titelbild: Deva Darshan

Soziales Unternehmertum und Blockchain: Das Beispiel Trustlines

13. November 2018 By

Wie lokale Währungen in kurzlebigen Noteinrichtungen faire Transaktionen ermöglichen können.

Bei den vielen technologischen Entwicklungen, die man über Wochen und Monate durch die Medien vorgetragen bekommt, ist es schwierig Nutzbares von Produktivitätszerstörern und unbrauchbarem Kram zu unterscheiden. Technologische Entwicklungen sind unter anderem Spekulationsblasen, die viel versprechen: Man denke beispielsweise an Apples iPhone 4 Werbeslogan, der sinnbildlich lautete: „Das ändert alles. Wieder einmal“. Und neben der x-ten App, die irgendwelche Notifications an das Display schickt oder irgendwelchen Kaffeemaschinen, die sich vom Esstisch aus bedienen lassen, gibt es dann doch wieder die eine oder andere Entwicklung, die es schaffen kann, Technikerphantasien zu transzendieren und eine globalisierte Gesellschaft verändert. Genau, es geht um die Blockchain, bisher schon bezeichnet als die „digitale Magna Carta“.

Die Kryptoketten digitaler Objekte

Die Macht der Blockchain liegt in ihrer Fähigkeit digitale Objekte, die Dinge in der analogen Welt repräsentieren, mit der Sicherheit mathematischer Gnadenlosigkeit, festhalten zu können. Eine Datenbank, an der man nicht rumfummeln kann, schon allein deswegen, weil die gesamte Datenbank dezentralisiert ist. Meine Facebook-Daten liegen auf Facebook Servern und sonst nirgendwo. Daten, die in die Blockchain geschrieben werden, liegen auf jedem Computer, der an diesem Netzwerk teilnimmt (mittlerweile mehr als 200.000): klassisches Peer-to-Peer also. Um Daten zu manipulieren, müsste man das zu manipulierende Datum auf jedem einzelnen Rechner, der Teil des Netzwerkes ist, manipulieren. Das ist geradezu unmöglich, auch Dank der Verschlüsselung, die die Blockchain nutzt. Die Blockchain ist eine wachsende Kette aus Datenelementen, wobei jedes Datenelement verschlüsselt ist und zudem mit einem Zeiger auf das nächste (zeitlich) folgende Datenelement zeigt (daher Kette). Die Crux: Wenn ich einen Schreibvorgang (eine Manipulation) über ein Datum erreichen will, muss ich alle vorherigen Kettenelemente entschlüsseln.

Ich speicher’ dir die Welt

Die Frage ist nun, was man damit macht. Ist die Blockchain an sich eine herausragende technische Innovation oder eher ein Lösungsansatz, für den wir jetzt nur noch das richtige Probleme finden müssen? Jedes digitale Objekt kann ohne irgendeinen Mittler verteilt gespeichert werden. Aha. Nehmen wir mal das Beispiel Wissenschaft: Wissenschaftler könnten ihre neusten Entdeckungen einfach in die Blockchain schreiben. Somit gibt es keine Möglichkeit Ideen zu klauen, das geistige Eigentum der Entdeckung ist unwiderruflich geklärt. Es kann niemand danach kommen und heimlich das gleiche Objekt nochmal in die Datenbank einschleusen. Und so funktioniert das natürlich auch mit künstlerischen Objekten aller Art, Ideen, oder auch Gesundheitsakten und natürlich Verträgen (Smart Contracts) genau wie jedem anderem Finanzobjekt: Überweisungen, Transaktionen, Bonds, Aktien und Kredite. Es sind eher die letzteren Objekte, die die Blockchain bisher so bekannt gemacht haben.

Das Banksystem von heute

Soziale Graphen als Geldverkehr: Eine Sache des Vertrauens.

„Unser Ziel ist das sogenannte ‚People-Powered Money‘, wodurch Menschen wie Du und Ich lokale Währungen schaffen können, die unabhängig sind von Staaten, Zentralbanken oder auch normalen Banken. Es ist ein alternatives System zu dem Geldschöpfungssystem, wie wir es heute haben”, sagt Dominik Schmid. Wir treffen den ehemaligen Mathematik- und Philosophiestudenten in einem Co-Working Space in München. Von dort arbeitet er für das Start-Up Brainbot aus Mainz. Brainbot definiert sich über die zwei Hauptprojekte Raiden und Trustlines, die beide auf der Blockchaintechnologie von Ethereum aufbauen. Das Ziel von Trustlines ist es, lokale und effiziente Währungen aufzubauen. Mittels einer App versendet und empfängt man dann Geldbeträge.

Es ist ein eisiger Morgen und Dominik ist bisher fast alleine in dem hippen Co-Working Office in der Münchener Maxvorstadt. „Büros in München sind einfach sehr teuer, wir bleiben erst mal hier, auf längere Sicht werden wir sicherlich irgendwo was bekommen.“ Mittlerweile arbeiten mehr als 20 Entwickler bei Brainbot, viele verteilt in Deutschland und auf der Welt, eben genau wie Dominik. „Ich habe gestern einen interessanten Artikel über eine Studie im Guardian entdeckt“, sagt er gleich zu Beginn. „85 Prozent der britischen Parlamentarier wissen nicht, dass Banken Geld einfach so erschaffen können. Aber das ist so. Banken erschaffen einfach Geld, zum Beispiel, wenn wir einen Kredit aufnehmen. Das ist schon ziemlich abgefahren, oder? Trustlines und ganz allgemein dezentralisierte Geldsysteme können ähnliche Mechanismen nutzen, um Alternativen zu entwickeln. Ein Schlagwort, das man immer wieder hört ist ‚Banking the unbanked‘.“ Ich wusste das selbst nicht und vergewissere mich nach dem Interview mit Dominik nochmal selbst über einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dort steht auch: „Wenn Banken uns Geld geben, haben sie dieses Geld in der Regel gar nicht. Die Macht Geld zu schöpfen und zu verteilen liegt damit bei der Handvoll von Banken, die wir alle kennen.“

Trustlines ist somit der Versuch, Geldverkehrsströme unabhängig von den kommerziellen Banken zu ermöglichen. Dabei setzt das System auf die technologische Sicherheit der Blockchain einerseits und die Bindung sozialer Normen anderseits. Trustlines sind hier wirklich Vertrauenslinien, wie sie im echten Leben bestehen. Das Vertrauen realisiert sich in diesem Kontext darin, dass man Freunden, Bekannten oder Familienmitgliedern einen bestimmten Geldbetrag als Kreditlinie einräumen kann. Beidseitig eingeräumte Kreditlinien bilden dann Trustlines. Innerhalb dieser Trustlines können sich nun zwei Freunde Geld senden.

„Sagen wir einfach mal wir beide sind Nachbarn und kennen uns gut. Ich gebe dir eine Kreditlinie von zehn Euro und du mir auch. Diese zwei gegenläufigen Kreditlinien sind unsere Trustline, jeder hat zehn Euro zur Verfügung. Ich kann dir jetzt fünf Euro über diese Trustline schicken. Dann hast du fünfzehn Euro zur Verfügung, die du mir irgendwann ganz oder in Teilen schicken kannst. Ich habe aber nur noch fünf Euro zur Verfügung. Das klappt gut und macht Sinn, weil wir uns kennen. Nun möchte ich aber Barbara 5 Euro zahlen, aber ich habe keine Trustline mit ihr, sondern nur du. Über dich gibt es also jetzt einen Pfad von Trustlines, den ich für meine Bezahlung an Barbara nutzen kann. Dafür muss ich nur die jeweiligen Kontostände der Trustlines verschieben, unsere Trustline verschiebt sich um fünf Euro zu deinen Gunsten und deine Trustline mit Barbara verschiebt sich um fünf Euro zu Ihren Gunsten. Für dich bleibt alles gleich, nur ich habe fünf Euro weniger und Barbara fünf Euro mehr, “ erklärt Dominik.

Und weiter: „Nehmen wir an, Barbara ist mit dir unterwegs und möchte jetzt abends einen Cocktail für fünf Euro kaufen. Sie kann dann einfach eure Trustline schließen und da sie dort ja im Plus ist, fordert Sie von Dir fünf ‚echte‘ Euro in bar. Eure Trustline ist damit ausgeglichen und geschlossen, aber unsere weißt ein Plus von fünf Euro auf deiner Seite auf. Aber nachdem du mir ja vertraust, Stichwort soziale Normen, weißt du, dass ich dir die fünf Euro jederzeit geben würde, wenn du wolltest. Daher hast du kein Problem damit Barbara auszuzahlen. Die Idee ist, dass jeder über geeignete Pfade – Trustlines – jeden bezahlen kann. Werden Trustlines geschlossen, wird der Nettobetrag der Trustline in echtem Geld oder Dienstleistungen ausgeglichen, von dir oder deinen Freunden und Bekannten.“ Das Besondere an diesem System ist, dass das Geld ohne klassische Geldschöpfung geschaffen werden kann und dass dieses Geld mit Fremden über Vertrauenslinien ausgetauscht werden kann.

 

Das System Trustlines

Aha, jetzt verstehe ich das schon besser. Also wenn ich Barbara eine zehn Euro Kreditlinie einräume und Barbara würde Dominik eine für 20 Euro einräumen, dann könnte ich ihm maximal zehn Euro schicken, weil ich praktisch nur die Brücke zwischen mir und Barbara nutzen kann. Wenn ich Dominik nun 20 Euro schicken möchte, dann findet die App eine entsprechende Kreditlinie zwischen uns, da können dann viele Leute dazwischen sein, die diesen Betrag zulässt – dieses Feature nennt sich Pathfinding. Dieser Graph verläuft dann nicht mehr nur über Barbara, sondern über andere Knoten, die auch einen Maximalbetrag von zehn Euro haben. Führt man beide Kreditlinien zusammen, kann ich Dominik also insgesamt 20 Euro schicken. Es geht nicht darum, dass er den oder den kennen musst. Aber im Endeffekt bekommt man immer nur von denjenigen Geld, den man auch wirklich kennt. Die direkte Linie zählt. Soziale Normen garantieren damit die Sicherheit, dass ich beim Ausstieg aus dem Netz meinen Geldbetrag bekomme und zwar ausschließlich von meinen direkten sozialen Bekanntschaften, meinem sozialen Netzwerk. Das heißt, dass der Intermediär des klassischen Zahlungsverkehrs, zum Beispiel die Deutsche Bank, durch technologische Faktoren und soziale Normen ersetzt wird.

 

Dominik Schmid von Trustlines

Das bedeutet natürlich auch, dass man seine Freunde in Vertrauenskredite einteilen muss. Man sieht genau, welchen Betrag man einem Freund anvertrauen würde. Die Vertrauensbeziehung lässt sich in einem expliziten, diskreten Wert darstellen. Die App ist derzeit in ihrer Betaversion, es wird sich zeigen, wie Nutzer mit diesem Faktor umgehen werden. Für den einen oder anderen wird es sicherlich nicht ganz so einfach sein, Freunde in unterschiedliche Vertrauensbeträge einzuteilen, vor allem, wenn diese Beträge im System offengelegt werden und für alle sichtbar sind.

Chancen für soziales Unternehmertum

In der Idee von Trustlines manifestiert sich auch das Potential von Blockchain-Anwendungen für soziales Unternehmertum. Denn der soziale Graph, auf dem das System beruht, kann für die Verwaltung von allen möglichen Transaktionen verwendet werden. Laut Dominik funktionieren Trustlines besonders gut in klar abgegrenzten Kommunen oder Gemeinschaften, die eine Lokalwährung benötigen. Wie etwa die Milliarden von Menschen, die in ländlichen Gegenden in Entwicklungsländern leben und kein Bankkonto haben. Sie können gar nicht am kommerziellen Geldverkehr der Banken teilnehmen. Lokalwährungen sind Währungen die nicht an einen Nationalstaat gebunden sind (wie etwa der Euro). Oder in ephemeren Kommunen, wie zum Beispiel Flüchtlingslagern, in denen sehr viele Menschen aus verschiedenen Gegenden in kurzer Zeit auf kleinem Raum leben. Er fügt an: „In großen Flüchtlingslagern kannst du dadurch schnell und effizient Geld verteilen, ohne das man ein Bargeldsystem brauchst. Diese Währungen haben in ihrem Währungsraum echten Wert und müssten dann wiederum umgetauscht werden, wenn sich der Wert über diese Grenzen hinaus erhalten soll. In Jordanien gibt es ein Flüchtlingslager, das bereits eine Blockchain-basierte Währungslösung innerhalb eines Lagers aufbaut. Das Projekt heißt Building Blocks. Die Idee von Trustlines ist dann eben auch, dass man viele kleine Währungskreise miteinander verbindet. Dadurch kann man letztendlich sogar über die Grenze des eigenen Währungskreises mit Hilfe der Blockchain Geld in andere Währungskreise überweisen.“

Die Blockchain wird einiges ändern, auch im sozialen Unternehmertum. Es ließe sich schon mal debattieren, ob die Abzweigung des Geldverkehrs in eigene Geldnetzwerke – wie etwa Trustlines – nicht bereits eine Demokratisierung der Geldschöpfungs- und Verteilungsinfrastrukturen darstellt. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn rechtlich betrachtet befinden sich diese innovativen Finanzierungstechnologien noch in der Schwebe. Steuern fallen hier eben auch an. Bis dahin führen die Kreditlinien wohl in alle erste Linie noch zur Bank um die Ecke.

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