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Über den Sinn und Unsinn von Zwischennutzungen

24. September 2019 By

Zwischennutzungen ermöglichen Neues an ungewöhnlichen Orten und können so Teilhabe und Innovation in der Stadt stärken. Oft dienen sie aber kommerziellen Interessen.

Was machen wir in unseren Städten? Wo finden wir Raum dafür? Gerade in dicht besiedelten Städten wie München fehlt dieser zum Wohnen, zum Arbeiten, zum Lernen und Probieren. Der Lebensraum Stadt ist durchökonomisiert – für Lebensqualität und eine Diversität in der Umgebung sorgt die nach dem Ideal der ökonomischen Effizienz funktionierende Raumvergabe nicht unbedingt. Wo sollen sie hin, die guten Ideen, Kulturschaffenden und Initiativgruppen?

Zwischennutzungen sind zeitlich beschränkte Nutzungen von Gebäuden und Flächen. Häufig sind diese Übergangsnutzungen nicht rein ökonomisch orientiert und funktionieren nach dem Prinzip „Günstiger Raum gegen befristete Nutzung“ beziehungsweise „Bewachung durch Bewohnung“.

Der Begriff der Zwischennutzung  hat sich dabei in den letzten Jahren einem Imagewandel unterzogen. Noch in den 90er Jahren verwendeten Zwischennutzende oft halblegal die jeweiligen Räumlichkeiten. Die temporäre Nutzung von Gebäuden wurde oft als Hausbesetzung praktiziert. Dieser Eindruck haftete der Praxis länger an. Inzwischen haben sich Zwischennutzungen aus der Nische des alternativen, informellen Raums zu bauplanerischen Instrumenten im Umgang mit Brachflächen und in der Wirtschaftsförderung entwickelt – und oft auch zu einem profitablen Geschäft.

Zwischennutzungen als Experimentierfläche

In Berlin sind Künstler*innen und junge Gewerbe nach einem rasanten Anstieg der Mietpreise in den letzten Jahren einem Verdrängungsprozess ausgeliefert. (c) unsplash, Fotograf: Marvin Meyer

Zwischennutzungen können dazu dienen, Projekten und Initiativen im Prozess den notwendigen Freiraum zu geben, sich auszuprobieren. Oft fallen dabei nur die Betriebskosten als Miete an. In Städten wie München, Berlin, Köln oder Hamburg ist das eine entscheidende Startbedingung für junge Projekte: Flächen in zentraler Lage sind dort quasi unerschwinglich. Die gemeinschaftliche Nutzung von Bauten und Räumen bietet Möglichkeit für Vernetzung und Synergieeffekte. Auch die oft ungewöhnliche Lage der Orte für deren Nutzer*innen birgt innovatives Potential: Junge oder ökonomisch unprofitable Projekte und Initiativen werden an sonst unerschwinglichen, zentralen Orten mit ihrem jeweiligen Publikum sichtbar.

Zugleich reduziert die Praxis des Zwischennutzens die Leerstandskosten für den Eigentümer und kann durch die gesteigerte Aufmerksamkeit für den temporär genutzten Raum für eine Imageaufwertung sorgen. Entscheidend ist dabei auch, wo die Zwischennutzungen stattfinden: In Städten wie Berlin, München oder Hamburg ist Raum umkämpft, während in Regionen wie dem Ruhrgebiet viel Leerstand herrscht.

Die Praxis des Zwischen-Nutzens kann so Verfall vorbeugen und vergessene Flächen wieder aufwerten. Dabei bietet sie hohes partizipatives Potential: Durch einen ständigen Prozess an Aushandlung und Anpassung können unterschiedliche Interessensgruppen wie Anwohner*innen, interessierte Bürger*innen und Initiativen an unterschiedlichen Punkten mit einsteigen und den weiteren Verlauf beeinflussen. Beispielsweise wird der Zenettiplatz in München schon das zweite Jahr in Folge zum „Piazza Zenetti“ – durch Bepflanzung und Sitzgelegenheiten wird der verwaiste Zwischenort, der als Parkplatz wenig Raum für lebendige Nutzung lässt,  zur interessanten Anlaufstelle für unterschiedlichste Nutzungsmöglichkeiten. Die Anwohner*innen und Passant*innen sorgen dabei durch die Art, wie sie den Platz nutzen, für neue soziale Begegnungen und Synergieeffekte. Durch das Angebot an die Anwohner*innen, den Platz dadurch an ihre gewünschte Nutzung anzupassen, entfaltet der Ort sein Potential als Fläche zum Austausch und Generieren von Ideen und zur Freizeitgestaltung.

Der vormalige Parkplatz lädt als Piazza Zenetti zum Verweilen ein. (c) raumzeug, Fotograf: Johann-Christian Hannemann

Zwischen-Nutzen bietet Raum für Innovation und Partizipation

Die Möglichkeit, an der Gestaltung mitzuwirken, weckt oft eine starke Identifikation mit dem Ort und fördert das Bewusstsein, sein Umfeld mitgestalten zu können. Das kann gerade in Nachbarschaften, die keine Möglichkeiten für Austausch und Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung bieten, die ungenutzten Potentiale des Raums aufzeigen und damit neue Möglichkeiten schaffen. Die Praxis des Zwischen-Nutzens kann so weiteren Innovationen den Weg ebnen und als neue Form der Bürgerbeteiligung verstanden werden. Dabei werden Akteure sichtbar, die ansonsten weniger Einfluss auf die Gestaltung ihres Lebensraums haben, so zum Beispiel Kinder, ältere Menschen oder Geflüchtete.

Aber wo gibt es eigentlich in dicht besiedelten Städten noch Raum? Wenn Umbauvorhaben von kulturellen Zwischennutzungen begleitet werden, bringt das diese Orte oft erst in den Fokus der Öffentlichkeit und erzeugt so Aufmerksamkeit für einen leerstehenden Raum, der sich im Wandel befindet. So können diese Experimente den Diskurs öffnen und die Aufmerksamkeit auf die Potentiale der Orte, die uns umgeben, lenken. Im Rahmen des Zwischennutzungsprojekts Z Common Ground eröffnete die Hans Sauer Stiftung in Kooperation mit Guerilla Architects das temporäre Fitnessstudio Fit&Fun. Dabei wurde ein kostenloses Sportangebot geschaffen, das durch die ungezwungene, gemeinsame Tätigkeit Raum für neue Begegnungen schaffen konnte. Dadurch, dass der Ort zum Sport machen anregte, konnte im Gegensatz zu vielen als partizipativ deklarierten Angeboten tatsächlich eine breitere Gesellschaft teilnehmen und wurde von dem Angebot angesprochen. Für die kostenlose Teilnahme wurden die Besucher*innen gebeten, an einer Befragung teilzunehmen. So konnten auch Bedürfnisse von Menschen erfasst werden, die nicht die Zeit, den Zugang oder das Interesse daran haben, an anderen Plattformen zur Bürgerbeteiligung wie beispielsweise Nachbarschaftstreffs teilzunehmen.

Im Idealfall können Projekte wie diese auch längerfristig neue Räume für eine anwohner- und anwenderorientierte Nutzung öffnen und damit dem Gesetz des Höchstprofitablen etwas entgegensetzen.

Das temporäre Fitnessstudio „Fit and Fun“ öffnete den Raum für ungezwungenen Austausch beim Sport. (c) Hans Sauer Stiftung

Selbstausbeutung zugunsten der befristeten Möglichkeit auf Raum

Doch was passiert mit den Zwischennutzer*innen selbst nach dem Ablauf der befristeten Zeit in ihren Räumlichkeiten? Eine Zwischennutzung bietet die Chance zu experimentieren, die auch das Scheitern eines Projektes erlaubt, ohne dass ruinöse Folgen daraus entstehen.  Projekte, die in ihren temporär verfügbaren Räumen Erfolge verzeichnen, können im Idealfall auf sich aufmerksam machen und daraus bessere Chancen für ein längerfristiges Mietverhältnis ausmachen, denn: Auch nach der Zwischennutzung wird Raum benötigt.

Problematisch ist bei der temporären Vermietung, dass die ständige Suche nach einem Ort zum Bleiben für Betroffene nervenaufreibend und zermürbend ist. Diese Planungsunsicherheit kann zum Scheitern von Projekten und zu einer regelrechten Selbstausbeutung führen. Gerade für künstlerisch-kulturell Beschäftigte und deren Projekte wird Raum benötigt – der in dicht besiedelten Städten meist Mangelware ist. Kunst und Kultur sieht gut aus und wird gerne genossen, zahlen will da aber niemand so richtig dafür.

„Es gibt scheinbar keine anderen Möglichkeiten, um an Räume zu kommen“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Simone Egger im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk, „Oft hat man den Eindruck, das ist in München eher ein Feigenblatt. Das heißt, ein Bauunternehmen kann sich offen präsentieren und sagen, wir stellen unsere Räume zu Verfügung. Auf der anderen Seite, wenn eine Stadt, so dicht belegt ist wie München, ist das die oft einzige Möglichkeit an Räume und große Flächen zu kommen, die auch zentral liegen.“

In vielen Innenstädten ist die gewerbliche Nutzung von Flächen die lukrativste für Grundstücksbesitzer – die hohen Kosten verdrängen zahlreiche Akteure der Stadtgesellschaft von zentralen Orten. (c) unsplash, Fotografin: Erin Doering

Zwischennutzungen führen nicht selten zu Gentrifizierung

Für diejenigen, die Flächen für Zwischennutzungen großzügig ausschreiben, bietet die Zwischennutzung eine gesellschaftlich positiv konnotierte Form der Aufschiebung von Entscheidungen, was mit dem Raum langfristig passieren könnte. In nicht wenigen Fällen führt das wiederum zu einer Privatisierung und Ökonomisierung von Flächen – zudem manchmal zu untragbaren Bedingungen.

Ein Beispiel: In der Münchener Innenstadt steht das ehemalige Gesundheitshaus in der Dachauer Straße für eine Zwischennutzung von fünf Jahren zur Ausschreibung. Bedenklich ist allerdings der Zustand, in dem die Stadt möglichen Interessenten die Räume übergibt: In dem Exposé des Gebäudes heißt es unter anderem, dass Asbest selbständig zu entsorgen sei, kein Brandschutz vorliege und die Wasserleitungen von Legionellen befallen sind. Eine Zwischennutzung klingt so nach einer günstigen Gelegenheit, das Gebäude wieder in Schuss zu bringen und aufzuwerten – aber das auf Kosten derjenigen, die eigentlich nicht dafür verantwortlich sind.

Sind Zwischennutzungsprojekte erfolgreich, steigert die Immobilie ihren Wert und die Nutzer müssen nicht selten weichen. Ein Zusammenhang zwischen Zwischennutzungen und Gentrifizierung ist dabei in jedem Fall zu ziehen. In strukturschwächeren Regionen kann dies zu einer Aufwertung und Belebung von ungenutzten Flächen führen, in dicht besiedelten, teuren Stadtgebieten verdrängt dies unkommerzielle, experimentelle Initiativen und deren Betreiber*innen.

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Das könnte ein ewiger Fluch der Zwischennutzer bleiben: Ist ein Konzept erfolgreich, stürzen sich sofort vielfältige Verwertungs- und Vermarktungsinteressen auf die Orte und Räume. Allerdings kann die Kritik zu Erneuerungen des Verfahrens führen, die wir dann als Prozessinnovationen einordnen können. So geschehen im Ruffinihaus in München: War in dem geschichtsträchtigen Haus mitten in der Innenstadt nur eine vorübergehende Zwischennutzung von drei Monaten für Künstler*innen, experimentelle Start-Ups und soziale Initiativen vorgesehen, werden in dem unteren Stockwerk nach dem Umbau des Hauses nochmals für zwei Jahre oder mehr Raum für die vormaligen Zwischenmieter*innen angeboten.

Es kommt also auch hier darauf an, wie der Prozess der Zwischennutzung und die Auswahl der Nutzer*innen von statten geht und wer die Konditionen beeinflusst. Längerfristig bleibt das Problem, dass auch kreative, engagierte, diverse Personen und Konzepte voller Elan Raum jenseits des Prekären brauchen – der in einer Stadt auch sichtbar sein sollte. Gesellschaftlicher Wandel braucht Raum um auszuprobieren, gesehen zu werden und unterschiedliche Einflüsse einzubauen. Für gegenwärtige Herausforderungen gibt es oft nicht eine ideale Lösung, sie anzugehen, bedeutet, scheitern und danach weitermachen zu können. Dafür braucht es immer wieder neue Möglichkeiten und eine gewisse Konsistenz, dass es Raum gibt und geben wird – so kann die Stadt vom vielfältigen Potential ihrer Gesellschaft profitieren, anstatt einen Wegzug eben dieser zu erleben.

Die nicht-kommerzielle Nutzung von beliebten, frequentierten Flächen sowie von unentdeckten, schlummernden Kleinoden ist keine Verschwendung. Für einen Städtebau des Gebrauchs sollten Zwischennutzungen nicht als Verwertungslücke im Lebenszyklus einer Immobilie fungieren. Sie bieten das Potential, Menschen an für sie ungewöhnlichen Orten zusammen zu bringen, Engagement für die Gestaltung von Raum zu fördern und Projekte, Personen und Initiativen sichtbar zu machen, die wir sicher gern öfter sehen wollen.


(c) Beitragsbild: Hans Sauer Stiftung

Urbane Dörfer – Eine Studie zeigt wieviel digitales Potential im Land steckt

24. September 2019 By

Mittlerweile dürfte es bis in die letzte Ecke der Bundesrepublik hervorgedrungen sein, dass auch hierzulande Großstädte aus allen Nähten platzen. Warum also nicht einfach aufs Land ziehen – Digitalität macht es jedenfalls möglich.

Als ich mit der Hälfte meiner Familie weggezogen bin, war ich das, was man einen pubertären Teenie nennen kann. Mittlerweile wohne ich fast so lange in meiner neuen Heimat, wie jemand von dessen Geburt an braucht, um das Abitur zu bestehen und um den Führerschein zu machen. Dort wo ich ursprünglich herkomme, ist der Führerschein essentiell. Denn ich komme vom Land. Wer dort versucht sein Leben ohne motorisierten Untersatz zu meistern, wird aller Voraussicht nach kläglich scheitern. Aber dort wo ich herkomme, kann man auch aus anderen Gründen scheitern. Ich komme aus einer Kleinstadt im – sagen wir mal – Dreiländereck zwischen Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Eine Gegend die nicht wirklich bekannt ist für ihre wirtschaftliche Stärke, die sie aber durchaus hatte.

Nach der deutschen Wiedervereinigung  sollten es die blühenden Landschaften regeln. Zunächst haben aber erstmal viele Menschen in dieser und anderen Gegenden in den nun mehr 30 Jahre alt gewordenen „neuen“ Bundesländern oft vergebens um ihre Identität und soziale Absicherung gekämpft. Meist haben sie diese gegen Treuhand, Ignoranz und nicht selten Arroganz verloren. Aber genug mit der Schwarz-Weiß-Malerei: denn der „Osten“ kann mehr als jammern oder rechte Parolen rufen – was in einigen Gegenden erschreckend normal geworden ist und ein riesen Problem ist. Dass in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern vielleicht bald wieder mehr geht, liegt am Land-Joker der jetzt durch einen fortschreitenden digitalen Wandel ins Spiel kommt. Dort wo Industrien und Lebenspläne zerbrochen sind, bietet günstiger Raum und digitale Kopfarbeit wieder Potentiale für ein Comeback der Provinz.

Menschen wandern, Dörfer werden urban    

Um herauszufinden, was sich da auf dem Land zwischen sächsischem Vogtland und Rügen so tut, welche Potentiale einer digitalen Zukunft dort liegen, muss zunächst mal ein subjektives Ich einem objektiven Faktencheck Platz machen. Solche Fakten haben vor nicht allzu langer Zeit das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung gemeinsam mit dem gemeinnütziger Think & Do Tank neuland21 anhand der Studie „Urbane Dörfer – Wie digitales Arbeiten Städter aufs Land bringen kann“, geliefert. Was dort mit einem besonderen Blick auf die besagten Bundesländer erörtert wird, sind erstmal die Folgen, die sich aus dem demografischen Wandel innerhalb unserer Gesellschaft beobachten lassen und wie sich diese auf die Lebensbedingungen und -chancen in der Stadt und auf dem Land auswirken.

Laut Studie konnten von 2012 bis 2017 Großstädte wie Leipzig, Dresden und Berlin einen stetigen Bevölkerungszuwachs verzeichnen. Ländliche Regionen müssen dagegen einen großen Bevölkerungsschwund verzeichnen. (c) Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, neuland21 (optimierte Darstellung)

Das Verhältnis von Stadt und Land wird sich dabei wohl neu definieren. Im Wandel ist jedenfalls so einiges. So zieht es laut Studie sogenannte „Bildungswanderer“ zwischen 18 und 24 Jahren in die größeren Städte wie Potsdam, Dresden, Leipzig, Erfurt, Rostock oder Jena. Andere und vor allem großstadtferne Regionen jedoch, verzeichnen auch weiterhin einen massiven Bevölkerungsschwund. Wohnten etwa 1990 in Sachsen-Anhalt noch rund 2.9 Millionen Menschen, sind es heute nur noch 1.9 Millionen. Gründe für eine derartige Entwicklung bestehen laut Studie vor allem darin, dass viele der untersuchten ländlichen Regionen keine ausreichende Infrastruktur für die Ausbildungsversorgung einer modernen Wissensgesellschaft liefern. So gibt es kaum Universitäten und höhere Schulen im ländlichen Raum. Gleichwohl ist es die Attraktivität des kulturellen Angebots, aber auch das an Arbeitsplätzen, was vor allem junge Menschen in Großstädte wie Leipzig, Berlin und Dresden zieht. Das Land, sofern es nicht unmittelbar an urbane Zentren angeschlossen ist, bleibt also der große Verlierer.

Der digitale Wandel zum Guten

Aber laut der Studie gibt es ebenso Grund für ein ländliches Hoffen. Das nicht nur deshalb, da immer mehr Familien aufgrund von explodierenden, städtischen Immobilienpreisen nach günstigen Alternativen auf dem Land Ausschau halten, sondern weil – im Wortlaut der Studie – „kreative, digital affine Stadtbewohner“ in virtuellen und realen Gruppen zusammenfinden, um zu diskutieren, wie ein Leben auf dem Land für sie attraktiv sein kann. Solche digitalen Pioniere die rein theoretisch von überall auf der Welt ihrer Arbeit nachgehen können, bringen eine Arbeitsweise aufs Land, die bereits in vielen Teilen unseres Arbeitsalltags selbstverständlich geworden ist. So arbeiten wir laut Studie mittlerweile fast schon wie selbstverständlich unterwegs im Zug und verschicken unserer Mails bequem aus unserer, als Home-Office umfunktionierten Küche heraus. Warum also nicht auch auf dem Land arbeiten?

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Wie funktioniert digitales Leben auf dem Land? Einige Menschen gehen dieser Frage mit eigenen kreativen Projekten nach. (c) Tagesschau vom 12.08.2019, ARD/RBB

Diese Frage stellen sich, laut Studie, immer mehr Menschen. Das interessante: Ein paar Menschen von denen, die den Schritt von der Großstadt aufs Land wagen, nehmen nicht einfach ihre Arbeit mit, indem sie einfach ein neues, ländliches Home-Office-Quartier aufschlagen oder indem sie sich beispielsweise  als Lehrer oder Ärztin eine neue Anstellung suchen. Vielmehr versuchen einige der neuen Landbewohner*innen nach ihrem Umzug raus aus der Stadt nicht nur wohnlich, sondern auch beruflich neue Wege zu gehen. Das ist oftmals verbunden mit der Organisation in Gemeinschaftsprojekten und Unternehmensgründungen. Ein positiver Effekt: Diese Geschäftigkeit beinhaltet nicht selten die Umsetzung kreativer Ideen: So werden Hofläden konzipiert, Cafés betrieben, Galerien eröffnet oder Kulturfestivals ins Leben gerufen.  Positiv sind solche Vorhaben vor allem deshalb, da so abgeschriebene Landstriche zu neuem Leben erweckt werden und letztlich so ein kultureller Austausch stattfinden kann.

Einzelfälle mit strahlender Wirkung 

Bilden Projekte und Unternehmen, die solche Ideen in die Realität umsetzen, zwar eher eine Ausnahme statt die Regel, wird ihnen innerhalb der Studie doch aber das Potential zugesprochen, als „Digitale Inseln“ bisher strukturschwachen Dörfern den Weg in die Zukunft zu ebenen. 19 solcher ganz konkreten Projekte hat die Studie näher unter die Lupe genommen. Darunter etwa die Genossenschaft „Uferwerk“ im brandenburgischen Werder an der Havel, deren Mitglieder ein altes Fabrikgelände zu einem Mehrgenerationenwohnort umgebaut haben und nebenbei ein Lebensmittelkooperative ins Leben gerufen. Ein anderes Beispiel ist etwa der Verein „Kultur- und Bildungsstätte Kloster – Posa e.V.“ vor den Toren der einst blühenden Industriestadt Zeitz. Inmitten des Mitteldeutschen Braunkohlereviers hat sich ein Gemeinschaftsprojekt angesiedelt, dass auf dem Gelände eines ehemaligen, gleichnamigen Klosters ein breites Veranstaltungsangebot in Kultur und Bildung schafft, um – wie es auf der eigenen Website heißt – „die Vernetzung und den Austausch in diesen Disziplinen zeitgenössisch und nachhaltig zu fördern sowie Aspekte des gemeinschaftlichen Lebens miteinander zu vereinen.“

Die Studie hat exemplarisch 19 Projekte und Initiativen untersucht, die ländliche Regionen mit neuen und kreativen Ideen wiederbeleben wollen. (c) Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, neuland21 (optimierte Darstellung)

So oder so ähnlich begreifen fast alle Projekte ihren Auftrag. Das Land sozial wiederbeleben. Die Menschen hinter diesen Projekten sind laut Studie meist Akademiker*innen die vor allem kreative und wissensbasierte Berufe ausüben. Ansonsten könnten die Unterschiede der einzelnen Projekte teilweise kaum größer sein. So gibt es unter ihnen solche, die nur von einer Handvoll umgesetzt werden, während andere „einen der größten Viehhöfe Brandenburgs“ wieder zu neuen Leben erwecken. Eines haben aber alle Projekt gemeinsam: Sie setzen neue Impulse und zeigen vor allem eines: Es geht auch anders.

 

CO2 Kompensation

15. September 2019 By

Warum ein wirklich nachhaltiger Treibhausgas-Ausgleich ein Fall für einen Social Entrepreneur ist.

Du ernährst dich regional, saisonal und isst sehr wenig Fleisch. Du hast kein eigenes Auto, sondern fährst fast alles mit dem Rad. Statt die Heizung aufzudrehen, ziehst du den dicken Wollpullover von der letzten Kleidertauschparty drüber. Dein CO2-Fußabdruck ist trotzdem alles andere als klein. Woran mag das liegen? In deinem Alltag achtest du auf Nachhaltigkeit, bist sogar ein Vorbild für viele andere – aber jeder macht mal Urlaub und das bedeutet oft eine Auszeit vom nachhaltigen Lebensstil. Denn Tourismus ist auf vielschichtige Weise eine große Herausforderung auf dem Weg in Richtung Nachhaltigkeit.

Tourismus kann Anreize schaffen, Natur zu bewahren und Umweltschutz zu fördern, um so auch in Zukunft noch Reisende anzulocken. Urlauber schaffen Erwerbsmöglichkeiten in Regionen, in denen es keine ausdifferenzierten Wirtschaftszweige gibt. Und Reisen können Vorbild- und Austauschfunktion haben, die positiven Effekte in Richtung Nachhaltigkeit erzielen. Oft herrscht aber das genaue Gegenteil vor. Tourismus führt zu erhöhten Flächenverbrauch und Umweltverschmutzung, es gibt hohe Sickerraten und die erzielten Gewinne kommen nicht bei der lokalen Bevölkerung an. Darüber hinaus bleibt ein respektvoller Umgang zwischen Reisenden und der lokalen Bevölkerung ebenfalls oft eine Wunschvorstellung.

Global betrachtet sind fast zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen auf den Tourismus zurückzuführen. Der Großteil davon stammt vom Anreiseverkehr: Dieser macht beim Inlandstourismus bis zu 50 Prozent aus, im internationalen Tourismus sogar bis zu 80 Prozent. Besonders Flugreisen stellen dabei eine hohe Belastung für Klima und Umwelt dar. Ein Beispiel: Pro Person werden bei einem Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Sydney etwa zwölf Tonnen CO2 ausgestoßen. Der Durchschnittliche CO2 Ausstoß eines Deutschen beträgt dabei 9,3 Tonnen CO2  – pro Jahr, wohlgemerkt. Ein Interkontinentalflug kann also schnell dazu führen, dass sich der CO2 Ausstoß einer Person verdoppelt. Flugreisen stehen daher im Zentrum von Debatten um die Auswirkungen von Tourismus. Fliegen oder nicht – das ist für viele die zentrale Frage, der Knackpunkt, der entscheidet, ob eine Reise nachhaltig ist oder nicht. Ein Dilemma: mit schlechtem Gewissen wegfliegen oder wehmütig verzichten und einen weniger aufwändigen Urlaub in der Nähe machen. Es gibt aber auch eine andere Lösung: Man steigt in den Flieger, aber kompensiert freiwillig die anfallenden Emissionen.

Der Ausgleich der Treibhausgase klingt erst einmal nach einer direkten und logischen Möglichkeit, das Problem anzugehen. Man zahlt für die Menge an Kohlenstoffdioxid, die durch den eigenen Flug ausgestoßen wird einen gewissen Geldbetrag an eine Organisation, die mit diesem Geld Emissionen an anderen Stellen einspart. Der Flug ist somit klimaneutral und die absolute Menge an CO2 in der Atmosphäre steigt nicht an – weniger wird sie aber auch nicht. Doch das Thema ist sehr komplex und vor allem auch hoch umstritten. Denn sowohl die Art und Weise der Kompensation, als auch die dahinterliegende Logik bietet Anlass zur Kritik.

Wie, wann und wo wird kompensiert?

Im Prinzip gibt es zwei verbreitete Arten, um Treibhausgase auszugleichen: Die erste Möglichkeit besteht darin, den Ausstoß an einer anderen Stelle zu vermeiden. Während es mit einem erheblichen technologischen und finanziellen Aufwand verbunden ist, Treibstoffverbrauch und Emissionswerte von Flugzeugen und anderen Hochtechnologieträgern zu reduzieren, lassen sich andere Emissionsquellen leichter reduzieren. Besonders verbreitet bei den Anbietern von CO2 Kompensationen sind hier die Investition in erneuerbare Energie-Projekte in Entwicklungsländern. Ein Beispiel hierfür wäre der Aufbau von kleinen Biogasanlagen in ländlichen Regionen, wo oftmals besonders schmutzige Energiequellen, wie Holz oder Kerosin, zum Kochen verwendet werden. In den Projekten werden dann aus lokalen Baumaterialien Biogasanlagen errichtet, Familien in deren Benutzung und Instandhaltung eingewiesen. Das daraus gewonnene brennbare Gas wird zum Kochen verwendet. Im Laufe von einigen Jahren werden so mehrere Tonnen CO2 eingespart. Die zweite Möglichkeit Treibhausgase zu kompensieren, liegt darin, sie in Pflanzen zu speichern. Diese nehmen während des Prozesses der Photosynthese Kohlenstoffdioxid (und Wasser) auf und wandeln es in Glucose (und Sauerstoff) um, welches für das Wachstum der Pflanze verwendet wird. Solange die Pflanze lebt und weiterwächst, speichert diese also konstant Kohlenstoffdioxid. Für die CO2 Kompensation eigenen sich dabei besonders das Anpflanzen von Bäumen. Sie speichern viel CO2, leben lang und wenn deren Holz anschließend weiterverwendet wird, geben sie das CO2 auch nicht mehr frei. Aber auch die Revitalisierung von vormals trockengelegten Mooren hat sich als effektive Möglichkeit erwiesen, CO2 zu speichern. Denn Moorpflanzen werden nach ihrem Absterben vom Wasser konserviert und wandeln sich in Torf um, anstatt das CO2 beim Verrotten wieder freizugeben.

Moore sind effektive CO2 Speicher. 

Beide Ausgleichsarten bieten noch andere Vorteile: sie reduzieren Abhängigkeiten, stellen eine Rohstoffquelle dar oder schaffen Biodiversitätsflächen. Aber es drängen sich Fragen auf: Wird wirklich genau so viel CO2 eingespart, wie ausgestoßen wird? Wie lange dauert es, bis das CO2 kompensiert wird, das bei einem Flug innerhalb von Stunden in die Atmosphäre geblasen wird? Wird darauf geachtet, dass die Sparmaßnahmen dauerhaft sind, wenn etwa eine Biogasanlage kaputt geht? Wer verhindert, dass Bäume gefällt und anschließend verheizt werden? Mit diesen Einwänden sind die Anbieter von CO2 Kompensation häufig konfrontiert – und die Seriösen unter ihnen achten auch darauf, dass diese Probleme nicht auftreten. Aber neben dieser Kritik in der Umsetzung gibt es auch Einwände gegen das Prinzip Kompensation an sich.

CO2 Emissionen als Ware

Kritiker bezeichnen die freiwillige CO2 Kompensation oftmals als einen modernen Ablasshandel, mit dem man sich von seinem schlechten Gewissen freikaufen kann – weswegen man dann womöglich ohne Reue weiter sündigt und noch mehr fliegt. Dies mag sein, allerdings geht es hier nicht nur um das eigene Seelenheil, in diesem Fall den persönlichen CO2-Fußabdruck, sondern um die global aufsummierte Menge an schädlichen Treibhausgasen in unserer Atmosphäre. Das Problem daran ist die monetäre Bewertung dieser Umweltzerstörung. Wenn man einer Tonne CO2 einen gewissen Geldbetrag zuschreibt, der den Kosten von Wiederaufforstungsmaßnahmen, Verwaltungs- und Personalkosten und vielleicht einer kleinen Gewinnspanne entspricht, dann schreibt man der Umwelt und ihrer Zerstörungen einen gewissen monetären Wert zu. Die Umwelt, ihr Schutz und ihre Zerstörung kann ausgetauscht und gehandelt werden, sie wird zu einer Ware. Und die Kompensation von CO2 unterliegt damit einem marktwirtschaftlichen Mechanismus. Für die eigenen Umwelt-Verfehlungen bekommen dann Dorfbewohner eines Entwicklungslandes eine Biogasanlage vorgesetzt, um die sie sich dann kümmern sollen. Sie sparen zu den günstigsten Produktionsbedingungen für jemanden CO2 ein, der es sich leisten kann, es zu emittieren.

Bau einer Biogasanlage. Darin wird durch Vergärung von Biomasse Gas erzeugt. 

 

Viele Anbieter von CO2 Kompensationen achten darauf, dass die Projekte dem Wohl der lokalen Bevölkerung dienen. Doch wenn die Nachfrage nach der „Ware-CO2-Einsparung“ steigt, kann es auch passieren, dass die Produktionsbedingungen schlechter werden. Der Ausgleich von CO2 für Privatpersonen ist aktuell rein freiwillig, deswegen werden die guten Produktionsbedingungen und die weiteren positiven Folgen betont, um es als rundum nachhaltiges Produkt anzupreisen. Wird der Markt aber größer oder aber Kompensationszahlungen irgendwann einmal verpflichtend, so kann davon ausgegangen werden, dass wie bei anderen Märkten auch hier die sozialen Probleme mitwachsen.

Die Zielsetzung ändern: Nachhaltigkeit aus einem Guss

Nachhaltigkeit bedeutet mehr als Umweltzerstörungen zu vermeiden oder auszugleichen, die nicht nur aus CO2 Emissionen bestehen. Auch die soziale und wirtschaftliche Dimension spielt eine Rolle. Geld kann dabei nicht das alleinige Instrument sein, um diese Probleme zu lösen. Und CO2 Emissionen sind auch nicht das einzige Problem im Flugverkehr und im Tourismus. Anstatt CO2 Kompensation zu externalisieren, sie an einen Dienstleister zu übergeben, der es wieder weiterleitet, könnte es ein Ansatz sein, den Ausgleich im lokalen Tourismus zu integrieren. Anstatt in ein Land zu fliegen, dort die Umwelt zu belasten und dafür Geld an eine Organisation zu überweisen, die Projekte in einem ganz anderen Teil der Welt finanziert, sollte man lieber versuchen Nachhaltigkeit aus einem Guss zu schaffen. Die Projekte müssten dort stattfinden, wo man Urlaub macht und Teil der einheimischen Infrastruktur sein – so könnten sie auch zu einer lokalen Wertschöpfung und einem lokalen Naturschutz beitragen. Dies wäre aber dafür um einiges teurer, da die „Ware-CO2-Einsparung“ eben nicht mehr dort produziert wird, wo es am günstigsten oder am leichtesten möglich ist, sondern dort, wo durch Tourismus über den Flugverkehr hinausgehende Belastungen entstehen.

Aktuell gibt es so etwas noch nicht. Aber die Nachfrage nach CO2 Kompensationen steigt, da immer mehr Menschen ein Bewusstsein für die Schädlichkeit des Flugverkehrs entwickeln. Umso wichtiger wird es sein, dass es dann wirklich nachhaltige CO2-Ausgleichsmethoden für Flugreisen und im Tourismus allgemein gibt. Nachhaltigkeit lässt sich dabei aber schwer durch rein marktwirtschaftliche Mechanismen erreichen – diese Aufgabe verlangt vielmehr nach einem Sozialunternehmer, der die Verbesserung des Status Quo in den Mittelpunkt stellt und nicht die Gewinnmaximierung.

 

 


(c) Alle Bilder Wikimedia Commons

Der Preis des Klimawandels – Die CO2-Steuer

14. August 2019 By

Der Klimawandel ist längst alltäglich spürbar. Höchste Zeit also richtige Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Eine davon könnte die CO2-Steuer sein. Ob sie funktionieren kann oder scheitert, hängt auch von politischen Entscheidungen ab.

Rekord! In kaum einem Sommer zuvor ist die Temperaturanzeige vieler Außenthermometer öfters über die 30 Grad-Marke gestiegen als in diesem. Dabei leuchtete aber nicht nur ihre gut sichtbare Signalfarbe rot auf, sondern ganze Landstriche. So war bereits der Sommer 2018 ein Rekordsommer der Waldbrände und es scheint nicht unwahrscheinlich zu sein, dass sich auch 2019 dieser verheerende Trend weiter fortsetzen wird. Alarmstufe Rot also. Aber wer jetzt denkt, das alles sei nur das Ergebnis von natürlichen Zufällen wie Blitzschlägen oder Ergebnis unachtsam weggeworfener Kippenstummel der oder die irrt. Denn als Ursache lässt sich durchaus ein weiterer Bekannter anführen: der Klimawandel. Er lässt die Polkappen schmelzen und somit wichtige Wetteraktivitäten, wie die Starkwindbänder des globalen Jetstreams versiegen. Verschwinden diese Winde, bleibt ein Wetterhoch länger bestehen als sonst, was eben letztlich zu Dürren und zu einem erhöhten Waldbrandrisiko führt.

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CO2-Steuer: Was ist das?

Das Entscheidende dabei ist, dass solche Umweltkatastrophen zu einem Großteil menschengemacht sind. Es liegt demnach nahe, dass der Mensch dafür auch aufkommen muss. Und der Preis ist dafür ziemlich hoch. Die ökonomischen und ökologischen Kosten, die durch Waldbrände entstehen, sind dabei nur ein Beispiel von vielen. Man könnte also die Rechnung beliebig weiterführen. Wer kommt aber dafür auf? Die Antwort scheint klar zu sein: Wir. Bezahlt werden soll dabei in Form einer Steuer, genauer gesagt mit Hilfe einer sogenannten CO2-Steuer. Denn schließlich ist es der übermäßige Ausstoß von Kohlenstoffdioxid (CO2) der als Ausgang des Klimawandels verantwortlich gemacht werden kann. Die CO2-Steuer lässt sich dabei als Abgabe verstehen, die dann an den Fiskus entrichtet werden muss, sobald Kohlenstoffdioxid ausgestoßen wird. Konkret heißt das, dass der Staat einen bestimmten Preis festlegt, der pro Tonne CO2 anfällt und dann in Form erhöhter Steuerbeiträge auf fossile Heiz- und Kraftstoffe  von Industrie und Konsumenten entrichtet werden muss. Offiziell spricht dabei die Bundesregierung und allen voran Bundesumweltministerin Svenja Schulze von einer „CO2-Bepreisung“ .

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Wie so eine Bepreisung für Unternehmen und Privathaushalte funktionieren kann, steht noch nicht endgültig fest, mehrere Gutachten verraten aber, welche offiziellen Absichten und Ziele hinter der Maßnahme stecken. So etwa das vom Sachverständigenrat für Wirtschaftsfragen ausgearbeitete Sondergutachten „Aufbruch in eine neue Klimapolitik“.  Auf dessen Grundlage will die Bundesregierung mit Hilfe des neu geschaffenen Klimakabinetts bis zum 20. September ein umfangreiches und konkretes Klimaschutzgesetz vorlegen. Ziel einer solchen CO2-Bepreisung soll es sein, stärkere Anreize für Unternehmen zu schaffen, mehr Investitionen in umweltfreundlichere emissionsärmere Geräte und Anlagen zu tätigen. Auch für Privathaushalte soll die CO2-Steuer vor allem ein Mittel darstellen, das Ressourcennutzungsverhalten so zu verändern, dass diese weniger verschwenderisch mit Kraft- und Heizstoffen umgehen. Ganz offiziell soll die CO2-Steuer also „eine effiziente Lenkungswirkung erzielen, um die Treibhausgase über Verhaltensanpassungen zu reduzieren.“

Ist eine CO2-Steuer überhaupt möglich?

Ob so eine CO2-Steuer letztlich eine gute Idee ist oder nicht, hängt auch davon ab, ob sie gerecht und somit sozialverträglich ist. Das ließe sich erstmal anzweifeln. Denn wird Benzin und Heizöl teurer, werden vor allem diejenigen unfair behandelt, die für ihren Job täglich in deutsche Großstädte pendeln müssen oder generell auf dem Land auf ihr Auto angewiesen sind. Nicht ganz fair dürfte es auch für die zugehen, die in schlecht isolierten Altbauten die Heizung auf Fünf drehen müssen. Aber stimmt das? Nicht ganz. Denn mag zwar noch nicht endgültig feststehen, wie so eine Bepreisung konkret zu realisieren ist, doch aber, dass durch eine CO2-Bepreisung keine Mehreinnahmen für den staatlichen Geldbeutel geschaffen werden sollen. Vielmehr sollen die erzielten Einnahmen zur Entlastung von Bürger*innen und Unternehmen verwendet werden.

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Laut einem weiteren Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung funktioniert das so: Bei einem einheitlichen anfänglichen Steuersatz (2020) von 35 Euro pro Tonne CO2 steigt dieser jährlich bis 2030 um 14,50 Euro auf insgesamt 180 Euro pro Tonne. Die ohnehin anfälligen Energiesteuern werden anteilig um diesen steigenden Betrag erhöht. Gleichzeitig soll aus diesen erhöhten Steuereinnahmen ein Klimabonus von 80 Euro pro Kopf und Jahr ausgezahlt werden, um somit Privathaushalte fair zu entlasten. Zudem sollen die aus der CO2-Steuer gewonnenen Mehreinnahmen eine Senkung der Stromsteuer bewirken und somit für weitere Entlastungen sorgen. Aber neben der verfolgten Sozialverträglichkeit steckt dahinter noch eine weitere Absicht. Denn so sollen höhere Kosten für fossile Brennstoffe und gleichzeitig niedrigere Strompreise die Menschen zum Umstieg auf alternative Mobilitäts- und Energiekonzepte bewegen. Aber auch zur Sparsamkeit soll angeregt werden. Denn wer am Ende weniger verbraucht, hat mehr von seinem Klimabonus.

Ob es dieses oder ein anderes Modell in den endgültigen Gesetzesentwurf schaffen wird, bleibt abzuwarten– auf allzu große Akzeptanz dürfte es aber so oder so nicht stoßen. So gaben zwar in einer Umfrage von ARD und Infratest dimap 81 Prozent der Befragten an, dass sie der Meinung sind, dass es hinsichtlich des Klimaschutzes einen großen oder sehr großen Handlungsbedarf gibt. Außerdem sind 85 auch Prozent der Befragten der Ansicht, dass dieser Handlungsbedarf nicht ohne persönliche Einschränkungen möglich sei. Zugleich sind jedoch 34 Prozent der Befragten gegen die Einführung von konkreten Maßnahmen wie der Realisierung einer CO2-Steuer. Es gibt also noch so einigen Diskussionsbedarf.

Bücher über… | Stadtentwicklung

7. August 2019 By

Spannende und lesenswerte Bücher zum Thema Stadtentwicklung in Richtung Nachhaltigkeit

Die Zukunft der Menschheit wird in Städten liegen: Die Stadtbevölkerung könnte sich bis 2050 weltweit von heute knapp 4 Milliarden auf dann 6,5 Milliarden Menschen vergrößern – und mit ihr die urbanen Infrastrukturen. Etwa zwei Drittel der Menschheit wird dann in Städten wohnen. Ob der Menschheit ein gesellschaftlicher Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit gelingt, wird sich daher maßgeblich in Städten entscheiden: Wird es gelingen, die steigenden Bauaktivitäten mit mehr Klimaschutz zu vereinbaren? Können umweltfreundliche Verkehrsmittel eine gute Anbindung für alle Bewohner bieten und die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs überwinden? Ist es möglich, soziale Ungleichheiten abzubauen und bisher marginalisierte Bevölkerungsteile in einer lebenswerten Stadt zu integrieren? Wie kann eine nachhaltige Versorgung mit Energie und Ressourcen für eine steigende Bevölkerung aussehen?

Zu diesen Fragen können wir fünf spannende Bücher empfehlen:

„Nachhaltige Stadtplanung. Konzepte für nachhaltige Quartiere“ von Helmut Bott, Gregor C. Grassl und Stephan Anders erschienen im DETAIL Verlag ist DAS Grundlagenwerk für nachhaltige Stadtplanung. Es beschäftigt sich mit den grundsätzlichen Herausforderungen der heutigen Stadtplanung und liefert Umsetzungsstrategien.

https://www.instagram.com/p/Bw9Aoqglzol/


Das „Handbuch Stadtkonzepte“  herausgegeben von Dieter Rink und Annegret Haase erschienen im utb Verlag, zeigt aktuell gängige Stadtkonzepte auf und liefert einen Einblick in die Rolle von Städten in Politik und Wissenschaft.

https://www.instagram.com/p/BzutIcuCWnO/


Aktuell sind Städte oft von sozialer Ungleichheit, schädlichen Umwelteinflüssen und Vulnerabilität gegenüber Extremwetterereignissen gekennzeichnet. „Critical Care. Architecture for a broken planet“ von Angelika Fitz, Elke Krasny und dem Architekturzentrum Wien erschienen im The MIT Press Verlag, stellt Vorschläge zur Verfügung, wie Städte stattdessen zu einer nachhaltigeren Lebensweise für Menschen beitragen können.

https://www.instagram.com/p/ByCd0ZPiQMG/


Wer entscheidet, in welche Richtung sich eine Stadt entwickelt?  „Make City . A Compendium of Urban Alternatives. Stadt anders machen“ herausgegeben von Francesca Ferguson im Jovis Verlag, versammelt unterschiedliche Perspektiven auf den urbanen Wandel und lässt Akteure aus den Bereichen Architektur, Stadtplanung und Landschaftsgestaltung, aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und der Zivilgesellschaft zu Wort kommen. 

https://www.instagram.com/p/ByAFLrOiUm6/


Wie kann der klassische Charakter einer gewachsenen Stadt bewahrt werden und die Stadt gleichzeitig erneuert und weiterentwickelt werden? „Humane Städte: Stadtraum und Bebauung“ von Karsten Palsson erschienen bei dompublishers, zeigt anhand anhand von Beispielen aus europäischen Großstädten, wie eine menschliche und sozial offene Stadtentwicklung aussehen kann. 

https://www.instagram.com/p/BvbqrhmHFXg/


Weitere spannende Buchtipps rund um die Themen Social Design, Stadtentwicklung, Circular Economy und vieles mehr findet man auf dem Instagram-Kanal der Hans Sauer Stiftung. 

(c) Beitragsbild: Sebastian Preiß

Deckel drauf und ausgebremst – Der Kampf gegen hohe Mieten

25. Juni 2019 By

Die Mietpreise in Boom-Regionen explodieren. Die Mietpreisbremse soll dagegenhalten. Städten wie Berlin geht das noch nicht weit genug.

Eigentlich gibt’s nicht viel zu sagen, außer eines: Es ist zum Heulen! Das jedenfalls beschreibt so ziemlich genau die allgemeine Gemütslage, wenn es um die Wohnungssuche in deutschen Großstädten geht. Es ist völlig egal, ob in Hamburg oder in München, in Köln oder Berlin – wer nach einer einigermaßen zentral gelegenen Wohnung zum Leben sucht, wird meist erst nach zahlreichen Besichtigungen, mehreren geschalteten Anzeigen oder über Tipps von Freunden und Bekannten fündig. Gerade Städte wie München und neuerdings auch Berlin zeigen, dass günstiger Wohnraum mehr und mehr zur Mangelware wird. So fehlen in Berlin leistbare Wohnungen im sechsstelligen Bereich. Das tragische: dabei trifft der Wohnungsmangel vor allem diejenigen, die sowieso schon nicht in Saus und Braus leben, sondern die, die ihr Leben eh schon an der Armutsgrenze bewältigen müssen. So können in Köln, Berlin und München etwa nur rund 40 Prozent der Menschen mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze eine leistbare Wohnung finden. Die Lage ist also ziemlich ernst und Besserung ist nicht in Sicht. Die Mietpreise steigen unaufhörlich weiter. In Berlin etwa um 5,6 Prozent im letzten Jahr. Das ist sogar fast doppelt soviel wie im teuren München.

Mit  Halbgas auf die Mietpreisbremse

Die Probleme sind nicht neu und deshalb gibt es bereits seit 2015 die sogenannte Mitpreisbremse. Damals vom deutschen Bundestag beschlossen, wurde dafür eine neues Gesetz verabschiedet, dass eine maximale Mietpreiserhöhung bei Neuvermietungen von zehn Prozent vorsieht. Gedacht ist das Gesetz vor allem für Gebiete „mit einem angespannten Wohnungsmarkt“. Wenn also die Mieten stärker wachsen als der Bundesdurchschnitt und die Nachfrage an Wohnungen das vorhandene Angebot wesentlich übersteigt, können die einzelnen Landesregierungen seitdem die Preisexplosion drosseln – mit mäßigen Erfolg. So fallen Neubauten oder umfassend modernisierte Wohnungen nicht unter dieser Regelung und genauso wenig bereits bestehende Mietverträge, deren Mietpreise bereits mit mehr als zehn Prozent die örtliche Vergleichsmiete übersteigen. Die wird durch den örtlichen Mietspiegel angegeben und der ist umstritten. Denn in dem werden vor allem auch die gestiegenen Preise für Neuvermietungen berücksichtigt, was dazu führt, dass dieser Mietspiegel auch stetig steigt, mit oftmals nicht ausreichender Berücksichtigung gebotener Verhältnismäßigkeit.  

Mit Mitteln wie der gesetzlichen Mietpreisbremse sollen Mietwohnungen auch in Großstädten erschwinglich bleiben – der Erfolg ist mäßig.

Zu Beginn 2019 wurden die Regelungen zu Mietpreisbremse nochmals verschärft, sozusagen als Antwort auf die oftmals angeführte Meinung, die Mietpreisbremse würde kaum Wirkung zeigen, nicht zuletzt da Mieter*innen kaum wüssten, ob Vermieter*innen sich auch an die örtlich vorgegeben Höchstpreise pro Quadratmeter halten. Deshalb müssen Vermieter*innen nun, in den besagten Gebieten, vor der Unterzeichnung neuer Mietverträge, den neuen Mieter*innen nun schriftlich und unaufgefordert mitteilen „wie hoch die Vormiete ein Jahr vor Beendigung des Vormietverhältnisses war“. Zudem darf in Zukunft nur noch eine acht- anstatt elfprozentige Mietumlage auf bestehende Mietpreise draufgeschlagen werden und in jeden Fall aber nicht mehr als drei Euro pro Quadratmeter und das mindestens für sechs Jahre.

Der Berliner Mietdeckel

Was die Mietpreisbremse seit Jahren versucht zu erreichen – nämlich bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu erhalten – soll jetzt zumindest an der Spree mit dem Berliner Mietendeckel erfolgreicher und strikter umgesetzt werden. Bis jetzt handelt es sich dabei um ein Eckpunkteprogramm, das vor kurzem vom Berliner Senat beschlossen wurde. Im originalen Wortlaut beinhalten diese unter anderem:

  • Für alle bestehenden Mietverhältnisse soll künftig ein gesetzlich festgelegter Mietenstopp für einen Zeitraum von fünf Jahren gelten. Es werden Mietobergrenzen festgelegt, auf die bereits sehr hohe Mieten auf Antrag abgesenkt werden können.
  • Bei Vermietung von Wohnungen (im Zeitraum des Mietstopps) darf höchstens die zuletzt vereinbarte Miete aus dem vorherigen Mietverhältnis vertraglich vereinbart werden, sofern diese die jeweils festgelegte Mietobergrenze nicht übersteigt.
  • Für Modernisierungsumlagen werden besondere Genehmigungs- und Anzeigepflichten für Vermieterinnen und Vermieter eingeführt.
  • Wirtschaftliche Härtefälle der Vermieterinnen und Vermieter sind auf Antrag zu genehmigen, wenn eine wirtschaftliche Unterdeckung nachgewiesen wird.
  • Verstöße gegen die Anforderungen des Berliner Mietengesetzes sollen als Ordnungswidrigkeit und mit Geldbuße geahndet werden können.

(aus der Pressemitteilung vom 18.06. 2019 der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen)

Aber auch hier gibt es Ausnahmen. So sollen Wohnungsneubauten von dem Gesetz ausgenommen werden. Grundsätzlich soll der Berliner Mietendeckel aber für alle nicht preisgebundenen rund 1,5 Millionen Berliner Mietwohnungen in Mehrfamilienhäusern gelten. Auf diesen Eckpunkten soll dann ein konkretes Berliner Mietengesetz entstehen, dass zu Beginn 2020 in Kraft treten soll.

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Ob es gelingen wird, die Preisexplosionen am Mietmarkt damit einzudämmen und ein Schritt Richtung nachhaltige Wohnungswirtschaft getan werden kann, wird die Zukunft zeigen. Schon jetzt sagen Stimmen, so ein Projekt sei ein Bürokratiemonster und verhindere, dass neuer Wohnraum entsteht und bestehender erhalten wird. Vermutlich kann man mit starken Argumenten diesen Stimmen entgegentreten und letztlich muss man sich auch fragen, welchen Zweck Wohnen haben sollte. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: In erster Linie sollte eine Wohnung Menschen ein sicheres Dach über den Kopf bieten und nicht bloß als Renditequelle missbraucht werden. Wenn Mietbremse und -deckel dazu beitragen können, umso besser.

Ein bisschen mehr Chance bitte! – Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommen

12. Juni 2019 By

Chancengleichheit darf nicht nur ein Phrase sein, sondern muss gelebt werden. Damit das klappt, wird immer wieder ein bedingungsloses Grundeinkommen gefordert. Doch das ist eine ziemlich anspruchsvolle Idee.

Man kann es ruhig angehen oder richtig krachen lassen. Die Tage können am Schreibtisch vorbeiziehen oder im Zechenschacht nicht einmal zum Vorschein kommen. Egal jedoch wie das eigene Leben auch aussieht, eines haben wohl alle gemeinsam: sie sind voll von Entscheidungen. Einige davon sind einfach, andere riskant und gewiss mitunter schon längst überfällig. Ins Gewicht fallen dürften wohl auch gerade diejenigen, bei denen es um die Weichenstellung zur eigenen und gelungenen Selbstverwirklichung geht. Ganz konkret heißt es dann: Abitur oder nicht? Die Lehre zur Klavierbauerin machen oder doch die Bürokarriere durchziehen? Oder warum nicht gleich den alten, schnöden Job an den Nagel hängen und mit dem eigenen Café endlich das machen, was schon immer der eigene Traum wahr? Ja, warum eigentlich nicht? Die Antwort kommt prompt: Weil es oft nicht ums Wollen, sondern ums Können geht. So braucht es zur Café-Gründung oder zum nachgeholten Bildungsabschluss meist ein gewisses Finanzpolster, das aber viele nicht haben. Und so bleibt alles wie es ist und eine Entscheidung nicht mehr als ein unerfüllbarer Wunsch. So ein Dilemma wollen viele Menschen zur Recht nicht hinnehmen und haben sich deswegen Gedanken gemacht, wie es auch anders funktionieren könnte. Eines der bekanntesten Ergebnisse solcher Überlegungen  ist das bedingungslose Grundeinkommen. Die Idee dahinter ist einfach, stellt aber das gewohnte System aus Sozialstaat und Arbeit ziemlich auf den Kopf.

Gerechtigkeit als Gleichheit

Ganz grundsätzlich würde dabei jede Bürgerin und jeder Bürger eines Landes eine bestimmte und regelmäßige Geldsumme vom Staat ausgezahlt bekommen, die jedem wiederum zur freien Verfügung steht. Keine Bedingungen und keine Unterschiede also. Dabei geht es natürlich nicht bloß um ein paar Euro pro Monat, sondern soll der Betrag des Grundeinkommens so hoch sein, dass eine ganzwertige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben oder zumindest die Chance dazu, möglich ist. Ohne jetzt gleich den geistigen Taschenrechner anzuwerfen, könnte das bedeuten, dass Armut und Obdachlosigkeit ein für alle Mal der Vergangenheit angehören und der Mensch seine Abhängigkeit von der Lohnarbeit ein Stück weit aufgeben kann. Zumindest dürfte es ziemlich schwer sein Menschen auszubeuten, die nicht jeden einzelnen Euro zweimal umdrehen müssen und sich somit in einer besseren Verhandlungsposition befinden. Die Selbstbestimmung rückt also in den Mittelpunkt. Das bedeutet in beruflicher Hinsicht auch, dass man es sich leisten kann die Dinge zu verfolgen, die den eigenen Zielen und Wünschen entsprechen. Denn wer sich Aufgrund seiner Herkunft sich die Privat-Uni nicht leisten konnte, kann es jetzt vielleicht. Eine Andere kann durch den Rückgriff auf ihr Grundeinkommen vielleicht ihre Arbeitsstunden reduzieren und sich endlich den Plänen der eigenen Unternehmensgründung widmen. Man muss also nicht Karl Marx heißen, um zu verstehen, dass ein Grundeinkommen dazu dienen kann, Menschen aus einem Abhängigkeitsverhältnis zu befreien, in dem sie nicht das bekommen, was ihnen eigentlich zusteht.

Beim bedingungslosen Grundeinkommen scheiden sich die Geister. Aber warum eigentlich? (c) DIW Berlin, Wochenbericht 15/2019

Bleibt nur die Frage: Warum gibt es hierzulande kein Grundeinkommen, wenn dessen Vorteile doch so klar auf der Hand liegen? Die typischen Antworten auf diese Frage klingen meistens  ungefähr so: Das Grundeinkommen könne unmöglich öffentlich finanziert werden! Oder: In einem Sozialstaat wie Deutschland braucht es gar keine Mittel wie das des bedingungslosen Grundeinkommens!

Die Finnen machen es ein bisschen vor

Aber stimmt das? Nicht ganz – das beweist ein Blick über die eigenen Ländergrenzen hinaus. So testete Finnland in einem zweijährigen Experiment, 2017 und 2018, ob sich mithilfe eines bedingungslosen Grundeinkommens vorhandene soziale Sicherungsmechanismen verschlanken lassen und das bedingungslose Grundeinkommen möglicherweise ein geeignetes Mittel darstellt, den geänderten Arbeitsbedingungen im Informationszeitalter zu begegnen. Letztlich versprach man sich mehr Jobanreize zu schaffen, unnötige Bürokratie zu reduzieren und vor allem eine Kultur des Experimentierens zu etablieren.  Dafür bekamen 2.000 arbeitslose Personen im Alter zwischen 28 und 57 Jahren monatlich 560 Euro ausgezahlt, was ungefähr der Summe des ohnehin ausgezahlten Arbeitslosengeld in Finnland entspricht. Zugegeben, eigentlich handelt es sich hier eher um ein bedingungsloses Arbeitslosengeld als um ein Grundeinkommen. Aber noch eine weitere Erkenntnis ist entscheidend: Laut einer offiziellen und vorläufigen Auswertung der Daten, hatten die Personen  mit bedingungslosen Grundeinkommen zwar keine größeren oder geringeren  Chancen auf dem Arbeitsmarkt als die Personen ohne Grundeinkommen, aber – und das ist vielleicht viel wichtiger – sie waren glücklicher. Der Auswertung zu Folge war das allgemeine Wohlbefinden der Personen mit Grundeinkommen deutlich besser als bei den Personen ohne. So wiesen erstere in der Testphase deutlich weniger gesundheitliche Probleme auf, hatten weniger Stress und waren deutlich zuversichtlicher über die eigene Zukunft und die eigene Fähigkeit auf gesellschaftliche Probleme einwirken zu können.

Die Chancen auf dem finnischen Arbeitsmarkt konnte das bedingungslose Grundeinkommen kaum erhöhen, dafür aber das Wohlbefinden der Testpersonen. Quelle: The basic income experiment 2017–2018 in Finland: Preliminary results

1:0 für das Grundeinkommen also, oder doch nicht? So einfach ist es leider nicht. Denn mag das finnische Experiment bisher zwar einzigartig und vielversprechend sein, sagt es über die flächendeckende Umsetzung in einem ganzen Land nur wenig aus. So bleibt auch weiterhin das stärkste Argument gegen das Grundeinkommen die damit verbundene Unsicherheit. Niemand weiß, wie sich eine landesweite Umsetzung auf die sozialen Sicherungsnetze auswirken wird. Denn ein Grundeinkommen ist nur dann möglich, wenn es durch vorherige Wirtschaftsleistungen finanziert werden kann und wer kann schon versichern, dass Menschen nicht nur auf der faulen Haut liegen, sobald sie über ein Grundeinkommen verfügen? Zugegeben, so ein Gegenargument ist ganz schön schief. Denn lässt sich wirklich ein derart negatives Bild vom Menschen zeichnen? Und sind Arbeitsverhältnisse, die auf Ausbeutung beruhen in ihren Auswirkungen nicht sogar gefährlicher?  

Eine zu einfache Rechnung

Aber Unsicherheit hin oder her – am Ende kann sich das bedingungslose Grundeinkommen eh kein Land der Welt so richtig leisten. Diese Argument hört man oft und es existiert in den verschiedensten Varianten. Die Rechnung dabei ist immer die gleiche: In Deutschland leben rund 83 Millionen Bürger*innen, davon erhält jede*r im Monat 1.000 Euro. Das macht monatlich 83 Milliarden- und jährlich rund eine Billionen Euro, die der Staat ausgebeben müsste. Geld das er nicht hat, so die Gegner. Denn dieser Summe stünden nur rund 356 Milliarden Euro Budget aus dem Bundeshaushalt gegenüber – unmöglich also ein bedingungsloses Grundeinkommen zu finanzieren. Solche Rechnungen haben aber einen ausgemachten Schönheitsfehler. Hierbei wird nämlich vergessen, dass der Staat jährlich weitaus mehr für Sozialleistungen ausgeben kann, als die sogenannte Rechnung suggerieren will. So kommen zu den, für Sozialausgaben veranschlagten und steuerfinanzierten Anteil des Bundeshaushalts – im übrigen rund 181 Milliarden Euro –  aktuell noch rund 965 Milliarden Euro an Ausgaben aus den Sozialversicherungssystemen, etwa für Rente und Kindergeld, dazu. Klar, dieser Anteil kommt nur zustande, sofern er aus erarbeitenden Löhnen oder Unternehmensgewinnen eingefordert werden kann. Ganz grundsätzlich scheint es aber doch möglich zu sein, die notwendigen finanziellen Summen für ein bedingungsloses Grundeinkommen aufzubringen.

Modelle, die beschreiben, wie aus diesen Geldern ein Grundeinkommen bedingungslos ausgezahlt werden kann und gleichzeitig niemand deshalb unnötig mehr belastet wird, gibt es dabei zuhauf. Ob die sich wirklich umsetzen lassen, muss wahrscheinlich an anderer Stelle entschieden werden, ganz unrealistisch erscheint es jedoch nicht.

Der Bundeshaushalt wird oft benutzt. um gegen das bedingungslose Grundeinkommen zu wettern. Das Problem dabei: die Rechnung geht nicht ganz auf. Quelle: Bundesministerium der Finanzen

Der ungerechte Wolf im sozialen Schafspelz?  

Ein Grundeinkommen ist also grundsätzlich möglich aber nicht ganz bedingungslos. Denn die Beiträge, aus denen es sich ergibt, müssen schlichtweg erarbeitet werden. Aber noch eine ganze andere Frage drängt sich auf: Braucht ein Gesellschaft überhaupt ein bedingungsloses Grundeinkommen um sozial gerecht zu sein, schließlich leben wir doch in einem intakten Sozialstaat? Befürworter des Grundeinkommens würden jetzt argumentieren, dass damit die Bürokratie in einem Sozialstaat verschlankt werden würde und somit ein Menge Geld eingespart werden kann. Aber für was eigentlich?  Für eines schon mal nicht: mehr Gerechtigkeit. Klar, so ein bedingungsloses Grundeinkommen hat den großen Vorteil, dass es sich nicht um gesellschaftlichen Status und Ansehen schert – jeden also gleichbehandelt. Leider kommt jetzt doch eine großes Aber: Chancengleichheit garantiert diese blinde Verteilung von Geldern noch lange nicht.

Das bedingungslose Grundeinkommen will mehr Gerechtigkeit schaffen – genau daran könnte es jedoch scheitern.

Denn Menschen sind verschieden und brauchen manchmal mehr Unterstützung als andere, um die gleichen Chancen zu erhalten, wie diejenigen, die vielleicht bessere Startbedingungen im Leben haben. Chancengleichheit heißt dann, dass Ungleiches verschieden behandelt werden muss, um letztlich wieder Gleich zu sein. Zumindest dann, wenn es um die faire Verteilung von Chancen geht. Beim bedingungslosen Grundeinkommensrechner leuchtet spätestens jetzt die Alarmglocke hellrot auf, denn jedem 1.000 Euro im Monat auszuzahlen und dann noch bedarfsgerecht Transferleistungen obendrauf zu legen, scheint ein ziemlich ehrgeiziges Vorhaben zu sein, vielleicht zu ehrgeizig. Selbst wenn etwa Steuererhöhungen eine Finanzierung stemmen könnten, wäre es immer noch ziemlich schwer Menschen in Pflegeberufen samt Schichtdienst zu erklären, warum sie mehr Steuern zahlen sollen, damit auch der letzte Multimillionär seine 1.000 Euro im Monat bekommt. Vielleicht liegt hier ja der größte Widerspruch im bedingungslosen Grundeinkommen: Es will mehr Gerechtigkeit, fordert sie aber zugleich ziemlich heraus. Vielleicht wäre es wichtiger die eigentlichen Probleme direkt anzugehen, indem man für faire Mindestlöhne kämpft und Geld gerechter von oben nach unten weitergibt. Und hey! Vielleicht gibt es auch einen goldenen Mittelweg, auf dem man sich mehr trauen kann und darf; auf dem die richtigen Weichen für ein bisschen mehr Chancen fair und gerecht gestellt werden – wir werden ihn finden müssen.


// Lesetipp

  • The basic income experiment 2017–2018 in Finland. Preliminary results 
  • Die Struktur des Bundeshaushalts 

 

Der Social Impact – Nachhaltigkeit messbar machen

22. Mai 2019 By

Soziale Unternehmen und Initiativen wollen mit ihren Ideen die Welt ein Stück besser machen. Ob das letzten Endes gelingt, können konkrete Fakten verraten. 

Wer einen echten sozialen Mehrwert schaffen will, sollte mit echten sozialen Absichten beginnen. Man muss es also wollen, gesellschaftliche Ungleichgewichte wieder ins Lot zu bringen oder Schützenswertes zu erhalten. Aber ein Wollen allein reicht oft nicht aus, zumindest dann nicht, wenn es um die Begründung und Rechtfertigung des eigenen Vorhabens geht – was dann zählt, sind konkrete Fakten. Für Start-Ups und Non-Profit Organisationen, die das Wort „sozial“ in ihrer Beschreibung tragen, zählt am Ende des Tages, ob die gesetzten Ziele Früchte tragen, also ganz real und ganz konkret Wirkung zeigen. Ist von einer solchen Wirkung die Rede, fällt oft der Begriff  des „Social Impact“.

Zielkriterien des Nachhaltigkeitsmanagements. (c) in Anlehnung an Stefan Schaltegger: Nachhaltigkeitsmanagement im Unternehmen.

So ein Social Impact lässt sich an vielen Stellen messen, denn soziale Veränderungen sind meist an ökonomischen und ökologischen Kennzahlen gekoppelt und andersherum. So ist es nicht schwer zu erkennen, dass beispielsweise die Förderung von nachhaltigen Mobilitätskonzepten vorhandene Schadstoffwerte in der Luft minimiert und damit die Lebensqualität in Großstädten verbessert. Gleichzeitig können mit neuen Mobilitätskonzepten neue Jobs geschaffen und reduzierte Unterhaltskosten erzielt werden, was wiederum einen besseren Zugang zu Mobilität ganz allgemein bedeuten kann. Ein Hersteller von Elektroautomobilen kann so etwa seinen Social Impact in geschaffenen Arbeitsplätzen, reduzierten Rohstoffverbräuchen oder erhöhten Verkaufszahlen konkret messbar machen.

Ein Social Impact lässt sich an vielen Stellen messen, denn soziale Veränderungen sind meist an ökonomischen und ökologischen Kennzahlen gekoppelt und andersherum. (c) Mike Bird

Welchen Nutzen hat die soziale Impact-Messung?        
Impact- oder Wirkungsmessungen helfen Social Entrepreneuren auf dem richtigen Pfad zu bleiben. Das ist im Grunde nicht neu. So gehört es zu den Grundlagen jeder erfolgreichen Unternehmensführung, regelmäßig relevante Finanzkennzahlen zu analysieren, um etwa den eigenen Gewinn maximieren zu können.

Sozialunternehmen und -initiativen verfolgen ihre Ziele auf ganz ähnliche Weise – nur eben mit einem Blick auf nachhaltige Ziele. Aber warum eigentlich? Das eigene Handeln kann so besser reflektiert werden und  das Verhältnis von Kosten und Nutzen besser abgeschätzt werden. Das gilt im Besonderen für die Kommunikation mit bestimmten Stakeholdern. So bietet die Messung und Darstellung des eigenen Social Impacts folgende Vorteile:

  1. Mitarbeiter*innen und Teilhaber*innen können mit Hilfe konkreter Fakten besser über strategische Entscheidungen informiert werden.
  2. Gegenüber Förder*innen und Geldgeber*innen können konkrete Fakten helfen, die eigene Ziele und Entscheidung besser zu argumentieren.
  3. Die Öffentlichkeit kann besser für bestimmte Themen sensibilisiert werden.

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Aber Achtung! Mag der beschriebene Nutzen auch groß sein, hat die Sinnhaftigkeit der Social Impact-Messung auch ihre Grenzen. Eine bloße Fokussierung von geleisteter Wirkung und erzieltem Ergebnis sagt über die Sinnhaftigkeit und Wert der geleisteten Arbeit an sich nichts aus. Wichtige interne Faktoren, wie die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz oder faire Arbeitsbedingungen im Allgemeinen können so bei der Ergebnismessung kaum berücksichtigt werden.

Auf die Methode kommt es an

Um den eigenen Social Impact messbar zu machen, werden – je nach Sachverhalt – sogenannte quantitative und qualitative Indikatoren benötigt, die eine soziale Wirkung in konkreten Zahlen und Aussagen „anzeigen“ können. Zudem gilt: Unternehmen und Initiativen sind in ihrer Arbeit und Ausrichtung sehr vielseitig. Somit ist auch die Komplexität möglicher Indikatoren nicht zu unterschätzen. Und während einige Wirkungen geplant und gewollt sind, können sich auch unvorhersehbare, oftmals unerwünschte Nebenwirkungen ergeben. Eine gute Methode Ordnung ins Chaos zu bringen, ist der Ansatz des Social Return on Investment oder kurz: SROI. Hierbei handelt es sich um einen  Ansatz, der darauf abzielt, gesellschaftliche Missstände zu minimieren und gleichzeitig Nachhaltigkeitsziele zu maximieren, indem soziale und ökologische Aspekte in wirtschaftliche Kosten und Nutzen integriert werden. Monetäre Ziele werden hier zum Mittel statt Zweck und dienen im besten Falle zur Umsetzung sozialer Absichten.

Unternehmen und Initiativen sind in ihrer Arbeit und Ausrichtung sehr vielseitig. Somit ist auch die Komplexität möglicher Indikatoren nicht zu unterschätzen. (c) Pixabay

Die Analyse selbst kann dabei viele verschiedenen Formen annehmen. Sie kann rückwirkend oder zukunftsbezogen ausgerichtet sein, genauso kann die soziale Wirkung eines gesamten Unternehmens oder aber die sozialen Aspekte eines einzelnen Projektes bewertet werden. Hinzu kommen noch Einschränkungen und Faktoren wie das sogenannte „Deadweight“,  das als den Teil des Social Impacts begriffen werden kann, der sowieso, auch ohne eigenes Handeln existiert. Der besagte Hersteller von Elektroautomobilen muss beispielsweise ebenso berücksichtigen, dass auch ohne dem eigens produziertem Gefährt sich der Anteil regenerativer Energie am bestehenden Energiemix erhöht. Doch der Wandel zu mehr Nachhaltigkeit durch neue Mobilitätskonzepte ist nur ein Beispiel von vielen. In jedem Fall aber muss eine Impact-Messung anhand einer internen und externen Perspektive erfolgen. Denn die soziale Wirksamkeit des eigenen Vorhabens zu messen, bedeutet letztlich den eigenen Erfolg oder Misserfolg gesteckter Zielsetzungen herauszufinden.

Soziale Akteure sollte zudem darauf achten, bei der Durchführung der SROI-Methode transparent vorzugehen, um intern wie extern die eigenen Rechtfertigungsstrategien glaubhaft und nachvollziehbar gestalten zu können. Auch sollten alle wichtige Stakeholder in die Analysen einbezogen werden und das eigene Bemühen auf die wesentlichen Dinge beschränkt werden. Wer diese Grundvoraussetzungen erfüllt, kann sich bei der eigenen Analyse an den folgenden Schritten orientieren:

Schritt 1: Lege fest,  für wen du was untersuchen willst

Zu Beginn sollte natürlich klar sein, was eigentlich analysiert werden soll und welche Personen oder Interessengruppen dabei eine wesentliche Rolle spielen und deshalb mit ins Boot geholt werden sollten. So können vor allem Investoren eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, genügend finanzielle Mittel zur Durchführung der Analyse zur Verfügung zu stellen. Um auch wirklich alle wichtiger Interessensvertreter*innen zu erfassen, sollte eine Liste mit allen Personen und Institutionen erstellt werden, die aktive und passiv vom eigenen Handeln betroffen sind. Der Umfang sowie die Zielsetzung der SROI-Analyse können anhand der Beantwortung der folgenden Fragen bestimmt werden:

  • Was will ich mit der SROI-Analyse bezwecken?
  • Warum will ich den Analyse-Prozess eigentlich beginnen?
  • Wen möchte ich mit meiner Impactmessung erreichen?
  • Welche grundsätzliche Vision hat die eigene Organisation oder Projekt?
  • Welche internen Ressourcen, wie etwa Personal oder Geld, benötige ich?

Was auch immer der eigene Plan ist, folgende Bereiche sollten immer und bei jeder SROI-Methode beachtet werden. (c) SROI Primer 2004

Schritt 2: Erstelle eine Impact Map

Im nächsten Schritt soll mithilfe der ermittelten Stakeholder eine sogenannte Impact Map erstellt werden. Sie beschreibt, welche Ressourcen durch das eigene Start-up oder Projekt beansprucht (Input) und welche Resultate dabei erzielt werden (Output). Ziel dabei ist vor allem den hervorgerufenen sozialen Wandel anhand der eingesetzten Mittel (Outcome) bestimmen zu können. Eine hilfreiche Vorlage mit zusätzlichen Erklärungen zur Erstellung einer Impact Map gibt es hier zum Download

Schritt 3: Bestimme die richtigen Indikatoren

Grundsätzlich dürfte gelten: Social Impact bewirkt sozialen Wandel. Dabei stellt sich vor allem die Frage: Wie lässt sich herausfinden, ob auch wirklich ein Wandel entstanden ist?  Für die Antwort kommen hier nun die besagten Indikatoren ins Spiel. Dabei gilt grundsätzlich: Ein guter Indikator sollte immer anzeigen, ob überhaupt eine Wandel stattgefunden hat und in welchem Ausmaß. Aber Vorsicht! Der richtige Indikator muss nicht zwangsläufig dort gefunden werden, wo bereits Daten vorhanden sind. Das heißt: Etwas, das leicht zu messen ist,  liefert nicht zwangsläufig wichtig Informationen über die erzielte Wirkung des eigenen Vorhabens. Geeignete Daten müssen oft erst noch ermittelt werden. Dabei ist zu beachten, ob die eigenen Impact-Messung rückwirkend oder vorhersagend sein soll. Das ist nicht unwesentlich, denn davon ist abhängig, ob die benötigte Datenquelle externer oder interner Natur ist. Soll etwa der Impact eines in Zukunft geplanten Projektes gemessen werden, ist es hilfreich auf Erfahrungen und Auswertungen ähnlicher Projekte zurückzugreifen oder Daten über öffentlichen Rahmenbedingungen zu sammeln. Geeignete Quellen findet man etwa bei:

  • Regierungsorganisationen (z. B. Umweltbundesamt, statistischen Bundesamt)
  • Nahstehende Interessensverbänden (z. B. SEND e.V.)
  • Veröffentlichungen von Bildungseinrichtungen (z. B. Universitäten, Fachhochschulen)

Soll dagegen mit der Impact-Messung rückwirkend, das heißt, der Erfolg oder Misserfolg bereits getaner Arbeit gemessen werden, dann ist es sinnvoll die eigene Datenrecherche intern zu starten. Gewöhnlich lassen sich diese im eigenen direkten Umfeld finden. Geeignete Methoden dafür sind dafür etwa:   

  • die Durchführung persönlicher Interviews
  • das Abhalten von Workshops und Seminaren
  • die Informationsbeschaffung durch Fragebögen

Die Impact-Messung muss anhand einer internen und externen Perspektive erfolgen. Denn die soziale Wirksamkeit des eigenen Vorhabens zu messen, bedeutet letztlich den eigenen Erfolg oder Misserfolg gesteckter Zielsetzungen herauszufinden. (c) Pixabay

Ob intern oder extern – die Bewertung der nun ermittelten Ergebnisse muss anhand der in Schritt 1 gestellten Fragen erfolgen. Wichtig dabei ist zu berücksichtigen, dass manche Indikatoren länger brauchen um Erfolge anzuzeigen, als andere.

Schritt 4: Präsentiere deine Ergebnisse

Am Ende der Analyse steht die Kommunikation der eigenen Ziele im Vordergrund und somit die des Einflusses, der auf die Lösung eines gesellschaftlichen Problems ausgeübt wird. Kurzum: Man kann der Welt zeigen, was mit dem eigenen Projekt erreicht wurde oder erreicht werden soll. Zu welchen Zweck das eigene Reporting auch genutzt wird, ein Reporting sollte immer aus qualitativer und quantitativer Perspektive erfolgen. Darüber hinaus sollte es die Geschichte der eigenen Entscheidungen und den damit bezweckten Wandel erzählen können – aussagekräftig und transparent.

Du willst dich gleich an die Arbeit machen, hast aber noch offene Fragen? Kein Problem – alle hier beschriebenen Schritte entstammen aus dem Guide to Social Return on Investment. Dieser ist frei zugänglich und bietet zusätzliche Praxisbeispiele, Tipps und Hinweise, wie du den Social Impact deines eigenen Vorhabens erfolgreich messen und kommunizieren kannst. Außerdem findest du weitere Information und Anleitungen zur Steigerung deines Social Impacts hier.

Keine Tragik der Allmende

15. April 2019 By

Wie ein Wissenschaftsthriller unser Denken über Gemeinressourcen veränderte.

Kaum eine naturwissenschaftliche Veröffentlichung der letzten 50 Jahre verhalf einer wissenschaftlichen Karriere derart schnell in die Höhen des wissenschaftlichen Olymps, wie der 1968 veröffentlichte Artikel „The Tragedy of the Commons“. Dessen Autor, der amerikanische Biologe Garrett Hardin, hatte für den Beitrag keine langjährigen Feldstudien präsentiert, er hatte keine methodisch-komplizierten Experimente entworfen, Hardin hatte einfach nur beobachtet und postuliert: dass die Nutzung von natürlichen Ressourcen ohne staatliche oder privatisierte Verwaltung letztendlich zu deren nichtregenerierbarer Vernichtung führen würde. Zu einer Zeit, in der die Thematik der Commons nicht einmal in der wissenschaftlichen Literatur vorhanden war, brachte Hardin mit seinem Beitrag im Fachmagazin „Science“ Ökonomen, Politiker, ja ganze Gesellschaften dazu, über Ressourcenmanagement zu diskutieren.

Aber der Reihe nach. Was ist nun die Tragik der Allmende (wie der Titel auf Deutsch übersetzt lautet)? Das folgende Beispiel der Commons kennt vielleicht der eine oder andere, es ist sozusagen Hardins „Klassiker“: Man stelle sich ein frei zugängliches Feld vor, dass über eine begrenzte Fläche zum Grasen verfügt. Ein Feld eben, wie es in ländlichen Regionen tausendfach vorkommt. Nun gibt es eine Gruppe von Menschen, für die das Feld eine Ressource ist. Jeder Hirte, so Hardin, will so viele seiner Schafe wie möglich auf einem räumlich begrenzten Feld weiden lassen. Mit jedem zusätzlichen Schaf bringt der individuelle Hirte die Ressource „Feld“ in Bedrängnis – bis sie schließlich so überbewirtschaftet wird, dass kein einziges Schaf mehr auf ihr weiden kann. Der finale Akt der Tragödie ist, dass alle Hirten somit ihre lebenswichtige Ressource (Schaf) verloren haben, weil niemand sich verantwortlich für den Erhalt des Feldes sieht. Die Logik hinter dieser Tragödie lässt sich auf andere Ressourcen, zu denen theoretisch alle Zugang haben, erweitern: Edelmetale, Klima oder Trinkwasser.

Rationale Tragik

Hardin folgte in diesen Szenarien strikt dem etablierten Menschenbild des Homo oeconomicus’: Die einzelnen Hirten handeln genau dann rational, wenn sie es verstehen, sich einen tatsächlichen Mehrwert mit den begrenzten und verfügbaren Ressourcen zu verschaffen. Jedes weitere Schaf, das ein Hirte durchbringt, hat somit einen echten zusätzlichen Nutzwert. Handeln aber alle Beteiligten rational, stirbt die Ressource. Daher sprach Hardin auch explizit von einer „Tragik“. Denn gerade weil (ökonomisch) rational gehandelt wird, ist die Ressource ja in Gefahr: Ihr Ende ist besiegelt, es ist unausweichlich.

Hardin ging davon aus, dass Menschen ohne die Intervention des Staates beziehungsweise ohne das Regelwerk der Privatisierung eine frei öffentlich-zugängliche Ressource über einem nachhaltigen Gleichgewicht hinaus bewirtschaften. Die Privatisierung würde im Fall der Hirten eine Aufteilung der Ressource in gleichwertige Teile bedeuten. So gibt es nicht mehr das gemeinschaftlich-öffentliche Feld, sondern Peters, Pauls, oder Paulinas privates Feld. Eine gemeinschaftliche Einigung der Hirten untereinander, meinte Hardin, ohne eine privatisierende Aufteilung der Ressource oder eine staatliche Intervention kann es nicht geben.

Ohne einer geeigneten Ordnung lässt sich kaum nachhaltig wirtschaften. (c) Samuel Zeller

Doch wie es ein echter wissenschaftlicher Thriller so will, lag Hardin spektakulär falsch. Seine Theorie der Tragik der Allmende wurde über Jahrzehnte hinweg empirisch falsifiziert und zwar von der Amerikanerin Elinor Ostrom. Für ihre Arbeit zu den Commons erhielt sie 2009 als erste Frau den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Ostrom führte auf der ganzen Welt Feldstudien über das Verhalten von Menschen gegenüber frei zugänglichen Ressourcen durch. Egal ob die Fischereien von Maine, die Bergdörfer der Schweiz oder Japan, nepalesische Wälder oder spanische Bewässerungssysteme, Menschen schaffen es überall, sich dezentralisiert und unabhängig externen Kontrollsysteme Regeln zu geben, um ihre Ressourcen nachhaltig zu bewirtschaften.

Grundlegende Eigenschaften des Commoning

Aber was macht erfolgreiches Commoning aus? Das Commoning ist eine bestimmte Art des Wirtschaftens, die weder die „für-jeden-das-Gleiche“-Utopien des Kommunismus abbilden noch in irgendeiner anderen Art und Weise exotisch-archaischen Gesellschaftsformen zugeordnet werden können. Es gibt aber ein paar grundlegende Unterschiede zur Wirtschaftslogik der Privatisierung.

Erstens gibt es im Commoning niemals einen Exklusivbesitz auf eine Ressource, sondern immer einen Mitbesitz. Ich kann also nicht einfach mit einem Teil der Ressource machen, was ich will – wie das zum Beispiel in gewisser Weise mit meinem exklusiven Eigentum möglich ist, sondern ich bin für den Teil des Mitbesitzes der Ressource verantwortlich. Die Verantwortung ist meistens, nicht immer, proportional nach der Nutzung gegenüber der Ressource geregelt.

Zweitens ist ein ganz entscheidender Faktor bei jeder Form der Allmende der Prozess, in dem die Regeln der Nutzung festgelegt werden. Die Privatisierung ermöglicht es, demjenigen, der die Ressource besitzt – meistens und im gewissen Maße – die Nutzungsregeln dieser Ressource zu bestimmen. Dies ist fundamental anders in Allmenden. Der Regelkanon muss von allen Beteiligten, also allen Mitnutzern der Allmende, partizipativ und in mehreren Schritten erstellt werden. Entscheidend ist hierbei auch nicht, sogenannte „Best-Case-Szenarien“ heranzuziehen und möglichst getreu zu kopieren und zu implementieren. Entscheidend ist, dass es für die Ressourcenverwaltung des Commoning kein Patentrezept gibt und auch nicht geben soll. Die Regeln zur Verwaltung der Ressource muss immer an den Ort mit seinen Eigenartigkeiten, seinen natürlichen Gegebenheiten, seiner Historie angepasst werden. Daher hat Ostrom auch nie versucht, einen Regelkanon für Allmenden zu entwerfen, sondern prinzipielle Bausteine, die die fundamentalen Bedingungen spezifizieren.

Die Hochgebirgsweiden im schweizerischen Törbel

Einer der ersten Gemeinschaften, die Ostrom in ihren Feldstudien analysierte, waren die Bewohner des Hochgebirgsdorfs Törbel im Kanton Wallis der Schweiz. Der niedrigste Punkt des Dorfes befindet sich auf etwa 700, der höchste auf knapp 3.000 Meter. Das Dorf hat also eine spezielle topologische Anbaustruktur – entlang des Bergstiegs zwischen Vor- und Hochalpen.

Im schweizerischen Tröbl gilt auch heute noch die sogenannte „Winterregel“. (c) Ivan Louis

Ostrom untersucht zunächst das soziale Gefüge der Dorfgemeinschaft. Auffallend ist die Übereinstimmung der einzelnen Bewohner hinsichtlich der Zukunft des Dorfes: es besteht ein allgemein großes Interesse, das Dorf für die nächsten Generationen lebenswert zu konservieren. Die meisten Bewohner leben von der Viehzucht und versorgen sich heute noch teilweise selbst. Ab etwa 2.000 Metern beginnen die Hochalpen, dessen Weiden in der heißen Jahreszeit für den Weidegang des Viehs genutzt werden können. Dieser Teil des Dorfes ist nicht privatisiert und somit das Fundament der Allmende in Törbel. Hier würde sich nach Hardin nun die Tragik entfalten, denn jeder Bewohner würde nun versuchen, das Maximum an Weidefläche für sich herauszuschlagen. Nicht in Törbel. Denn Dank der 1517 festgelegten „Winterregel“ von Törbel ist die Anzahl des Viehs, die jeder Bauer auf die Alm bringen darf, auf die Anzahl reglementiert, die er selbstständig durch den Winter bringen kann. Der Schweizer Ethnograph Gottfried Stebler, der bereits in Tröbel geforscht hatte, berichtet 1922 von zusätzlichen Verpflichtungen, derer sich ein Bauer bei einer bestimmten Zahl Vieh annehmen muss: Ab der siebten Milchkuh ist eine Abgabe pro Kuh zu Zahlen sowie einen Tag Arbeit pro zusätzlicher Kuh für die Restaurierung und Instandhaltung der Weide-Infrastruktur zu leisten. Törbel hat heute auch noch eine Alpenkommission, die sich um die regelmäßigen Verwaltungsaufgaben kümmert, wie zum Beispiel die Kostenverteilung der Allmende, die Messung der Milchquantität pro Kuh oder die Verteilung des Käses pro Milchmenge einer Kuh.

Ostroms Grundprinzipien einer Allmende

Am Beispiel Törbels kann man auch die polyzentrischen Strukturen der Organisation der Allmende erkennen, die Ostrom als Grundprinzip der Gemeingüterverwaltung sieht. Eine Allmende wird über verschiedene – dem kulturellen und sozialen Gegebenheiten des Ortes entsprechenden – hierarchischen Strukturen aufgebaut. In Törbel zum Beispiel wählt jeder Nutzer die Alpkommission als eine Regulierungsinstanz, entledigt sich damit aber nicht jeglicher Verantwortung gegenüber der Allmende. Wie Ostrom in ihren anderen Studien immer wieder feststellte, ist eine Allmende alles andere als ein „free-for-all“-Ressourcenraum. Im Gegenteil: Sie ist von den Beteiligten sehr stark reglementiert. Ostrom formulierte insgesamt elf Grundprinzipien der Allmende:

  1. Bedeutung: Die Allmende ist der dritte Weg zwischen Privatisierung und Verstaatlichung.
  2. Grenzen: Eine Allmende ist kein Selbstbedienungsladen. Es gibt eine Grenze zwischen denen, die sie nutzen können, und den Ausgeschlossenen.
  3. Regeln: Es gibt kein allgemeines Gesetz der Allmende. Sie sind an den Ort der Allmende angepasst.
  4. Anerkennung: Die Allmende funktioniert, wenn staatliche Institutionen sie und ihre Regeln anerkennen.
  5. Ressourcen: Die Allmende baut Ressourcen für die geteilte Nutzung auf.
  6. Nutzen: Gemeinressourcen ermöglichen den Nutzern mehr Auswahl, Information und Verfügungsmacht.
  7. Kosten: Gratis ist eine Lüge. Die Allmende kostet. Sie muss aufgebaut, unterhalten, geregelt, und überwacht werden. Die Kosten werden proportional zur Verteilung des Nutzens aufgeteilt. Keiner nimmt kostenlos beliebig viel mit.
  8. Überwachen: Die Einhaltung der Regeln und der Zustand der Ressourcen müssen kontinuierlich überwacht werden.
  9. Konflikt: Streit und Auseinandersetzungen werden schnell, günstig und direkt gelöst. Die Regeln werden gemeinsam abgemacht.
  10. Strafe: Wer Regeln verletzt, wird bestraft. Die Strafen reichen bis zum Ausschluss aus der Allmende.
  11. Ende: Für den, der nicht mitwirken kann oder will, muss der Ausstieg geregelt sein.

(Aus der 2017 herausgegebenen Sonderausgabe der „Hochparterre“  zum Thema „Sharing“)

Grenzen der Allmende

Ist die Allmende nun eine Wirtschaftsform, die unseren Planeten besser und nachhaltiger macht als die Privatisierung – und das grundsätzlich? Nein. Für eine erfolgreiche Allmende müssen bestimmte Faktoren zusammenkommen. Da wäre zum Beispiel die überschaubare Anzahl an Akteuren. Zwar sagt Ostrom explizit, dass die Nutznießer einer Allmende allein durch ihr gegenseitiges Interesse an der Ressource verbunden sein müssen, es wird aber auch immer wieder die Bedeutung der sozialen Beziehungen, das Vertrauen untereinander, hervorgehoben. In einer Welt der technologischen Infrastrukturen, die Menschen die Möglichkeit geben spontan wegzuziehen oder sich global und digital auszutauschen, ist es fraglich, ob die Allmende sich festigen und ihre Stärke ewahren kann. Grundsätzlich zeigt sie aber eines ganz sicher: der Mensch ist nicht notwendigerweise ein Homo oeconomicus, sondern ein kooperatives Wesen, dass eine Ressource nachhaltig und balanciert für die künftigen Generationen konservieren kann.


(c) Titelbild: Rod Long

Wo geht die Reise hin, relaio?

12. April 2019 By

relaio entwickelt sich weiter und wird die Onlineplattform für gesellschaftlichen Wandel.

relaio verändert sich und erscheint jetzt nicht nur in neuem Design, sondern stellt sich auch inhaltlich breiter auf. Bisher war nachhaltiges Unternehmertum das Hauptaugenmerk von relaio: Soziale Innovationen und nachhaltige Produkte, die eine Alternative zu gegenwärtigen Konsum- und Lebensweisen bieten und Aufmerksamkeit für Probleme und gesellschaftliche Missstände schaffen. Doch oft können sie nur einen kleinen Beitrag dazu leisten, das dahinterliegende Problem zu lösen. Nachhaltige Innovationen verbreiten sich in der Gesellschaft oft nicht weit genug, um sich als echter Gegenentwurf zu etablieren und alte, nicht nachhaltige Praktiken werden nicht abgelegt – die Probleme bleiben bestehen. Auch viele Gründer*innen, die eine Menge Herzblut in ihre Projekte stecken und den persönlichen Profit dahinter weit zurückstellen, stehen vor dieser Herausforderung. Ein gutes Beispiel hierfür sind Einwegkaffeebecher. Obwohl es nachhaltigere Alternativen gibt, nämlich den eigenen Becher mitzubringen oder Pfandsysteme mit Mehrwegbechern, ändert sich wenig an der Menge der weggeworfenen und schwer recyclebaren to-go Becher. Auch gehen die nachhaltigen Komponenten der Innovation oft in bestehenden technischen und ökonomischen Dynamiken unter: Produkte, die die Welt ein Stück besser machen sollen, gekauft aus den besten Absichten, mögen vielleicht ökologischer oder sozialer sein als konventionelle Massenware. Aber im bestehenden Wirtschaftssystem werden sie meist genauso nur konsumiert. Dies geschieht zum Beispiel oft mit nachhaltig und fair produzierten Klamotten, die dann genau wie die Fast Fashion nach einer Saison im Schrank hängen bleiben. Dabei hätten viele Innovationen sehr wohl das Potential, etwas zu ändern und Probleme nachhaltig zu lösen. Doch dafür müssten sich gewisse gesellschaftliche Grundvoraussetzungen ändern.

Warum brauchen wir gesellschaftlichen Wandel?

Das mag auf den ersten Blick zwar nicht als die oberste Priorität erscheinen, besonders wenn es sich um ökologische Probleme handelt, die vermeintlich nach einer technischen Herangehensweise verlangen. So wie das zum Beispiel CO2-Emissionen sind, die scheinbar gut durch Ausgleichsmaßnahmen kompensiert werden können. Um zu verstehen, warum gesellschaftliche Veränderungen notwendig sind, ist deshalb zunächst ein Blick zurück hilfreich. Wir befinden uns gerade in einem Epochenwechsel, dem Beginn des Anthropozäns, in dem die Menschheit erstmals in ihrer Geschichte dabei ist, globale geoökologische Prozesse selbst zu beeinflussen, während sie zuvor einseitig der Beeinflussung durch die natürliche Umwelt unterworfen war. Zwei große Transformationen haben die Menschheit dorthin geführt, wo sie jetzt ist: die neolithische Revolution und die industrielle Revolution. Der Wandel zur Agrargesellschaft und schließlich zur Industriegesellschaft hat die menschliche Existenz zunehmend von den Begrenzungen der Natur emanzipiert und weiten Teilen der Menschheit ein Leben jenseits des bloßen Überlebens ermöglicht. Diese beiden großen Umbrüche waren weitgehend ungesteuerte Ergebnisse evolutionären Wandels, in denen neue technologische und ökonomische Möglichkeiten den Takt vorgaben – mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaft. Im Kontext der industriellen Revolution kam es zu einem Prozess, den der ungarisch-österreichische Wirtschaftswissenschaftler Karl Polanyi bereits 1944 als „Die große Transformation“ bezeichnet hat. Damit bezeichnete er die stetig fortschreitende Verselbstständigung und Entbettung des Wirtschaftssystems gegenüber der Gesellschaft und den Regeln des sozialen Zusammenlebens. Dadurch, dass Geld, Arbeit und Boden als Waren kapitalistisch in Wert gesetzt und am Markt gehandelt werden, sind sie traditionellen sozialen Kontrollmechanismen entzogen. Die stetig voranschreitende technologische und wirtschaftliche Entwicklung wurde so mit einer wachsenden sozialen Ungleichheit und einem individuellen Gewinnstreben ohne Rücksicht auf den Rest der Gesellschaft oder die Umwelt verbunden. Die zeitgleich entstehenden Nationalstaaten haben es dabei nicht geschafft, diese Entwurzelung abzudämpfen, sondern eher sogar aktiv vorangetrieben, so dass am Ende dieser Entwicklung eine Marktgesellschaft steht, in der Wirtschafts- und Konsumweisen weltweit soziale und ökologische Probleme verursachen, aber nicht dem Wohl der Menschheit dienen. Dies bedeutet mitnichten, dass früher alles besser gewesen wäre oder es frühere soziale Kontrollmechanismen geschafft hätten, soziale Gerechtigkeit für die Bevölkerung zu bringen, aber sie hielten die Kräfte des Marktes im Griff. Um eine Wende in Richtung Nachhaltigkeit zu erzielen, ist es daher notwendig, die Leitidee in den Vordergrund zu stellen, ein gutes Leben für die gesamte Weltbevölkerung zu organisieren. Dazu müssten Wirtschaft und Technologie wieder in einen gesellschaftlichen Ordnungsrahmen eingebettet werden, der es aber ermöglicht, soziale Gerechtigkeit zu schaffen und einen gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.

 

relaio ist ein Projekt der Hans Sauer Stiftung

Doch wie kann eine Gesellschaft aussehen, die ein gerechtes Leben für alle schafft und dabei die Belastungsgrenzen unseres Planeten achtet? Welche Werte, Praktiken und Technologien müssen sich ändern, damit wir die Welt und die Gesellschaft, in der wir leben, nachhaltig gestalten können? Und wer sind die Akteure, die dazu beitragen können, dass sich in unserer Gesellschaft ein Wandel in Richtung Nachhaltigkeit im ganzheitlichen Sinne vollzieht? relaio möchte mit der Erweiterung des Themenfeldes dazu beitragen, Antworten auf diese Fragen zu finden und einen gesellschaftlichen Wandel aktiv vorantreiben. Dazu vermitteln wir auf unserer Plattform nicht nur Wissen über gesellschaftliche Transformationen und Nachhaltigkeit, sondern liefern unter anderem auch Ansätze, wie Wohnen oder Bildung in Zukunft aussehen könnte, setzen uns mit alternativen Wirtschaftsweisen auseinander oder diskutieren politische Konzepte und demographische Entwicklungen. Außerdem stellen wir Akteure vor, die aktiv Gesellschaftlichen Wandel vorantreiben und zeigen Möglichkeiten, wie man selbst Wandel mitgestalten kann.

Betreiber und Initiator von relaio ist die Hans Sauer Stiftung, die im Jahr 1989 von dem Erfinder und Unternehmer Hans Sauer gegründet wurde. Die weitgehend operativ arbeitende Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, gezielt technische und soziale Innovationen zu fördern, ethische, ökologische und interkulturelle Fragestellungen in den Innovationsprozess zu integrieren und die Entwicklung von Kompetenzen für verantwortungsbewusstes Denken und Handeln zu fördern. Hans Sauer war der Meinung, dass Innovationen generell aus einer sozialen und ethischen Motivation heraus entstehen sollten und dabei von spürbaren gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen sein sollen. relaio will mit seiner inhaltlichen Entwicklung dieser Sichtweise Rechnung tragen.


(c) Alle Bilder Sebastian Preiß

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