Wir alle, die Gesellschaft, sind derzeit unter Quarantäne gestellt. Vielleicht ist das genau die richtige Zeit, um sich mal ein paar grundlegende Fragen zu stellen.
Zur Eindämmung der Corona-Pandemie hat Angela Merkel zu mehr Solidarität ermahnt. Aber was genau meint sie eigentlich damit? Ein Blick in die Medien, Max Weber und der aktuelle Umgang mit tausenden Geflüchteten verraten schnell: Wir müssen hinterfragen, was es bedeutet solidarisch zu sein und dabei an diejenigen erinnern, die an den Grenzen Europas allein gelassen werden.
Gemeinsinn vs. Krieg
„Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.“ Mit diesen Worten mahnte die Bundeskanzlerin Angela Merkel zu mehr Solidarität, um „alle in unserer Gemeinschaft zu schützen und den ökonomischen, sozialen, kulturellen Schaden zu begrenzen.“ Gemeint ist damit ihr Appell an die Bevölkerung zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2. Den hielt Merkel in einer TV-Ansprache im März diesen Jahres. Der Münchner Merkur bezeichnete ihre Worte dabei als „historisch“, und für die Süddeutsche Zeitung war es fast schon der „letzte Versuch, die Menschen wachzurütteln“. Wie auch immer: ihre direkte Rede an die Nation war – wie es ZEIT Online treffend beschreibt – „ein Novum“, von der sie nicht einmal auf den Höhepunkt der Flüchtlingskrise Gebrauch gemacht hat und wie er sonst nur allerhöchstens zum Jahreswechsel stattfindet.
Vielleicht kein Novum, aber ein Alleinstellungsmerkmal war hingegen die Rhetorik in Merkels Ansprache – zumindest im internationalen Vergleich. Denn während Emmanuel Macron in Frankreich seinen Zuhörer*innen verkündete: „Ja wir sind im Krieg“ und Donald Trump twitterte „The world is at war with a hidden enemy“, ist von Krieg und Feinden im Bundeskanzleramt keine Rede. Dort ist alles auf Solidarität gestellt. Auch Stephan Hebel, der bereits mehrere Bücher über Merkel geschrieben hat, hat darauf in der Wochenzeitung der Freitag hingewiesen und sich zugleich gefragt: Was könnte Merkels „Solidarität“ über den Tag hinaus bedeuten? Ja, was könnte sie eigentlich?
(K)ein grundsätzliches Problem
Ganz formal verkörpert Solidarität „die freiwillige (nicht zwangsläufig verpflichtende) Bereitschaft, anderen, denen man sich verbunden fühlt und die in Not geraten sind, zu helfen (ohne dass sie ein Recht auf Hilfe hätten)“. So schreibt es zumindest der Philosoph Martin Hartmann. Demnach benötigt Solidarität keinen Herkunftsnachweis und auch keine Aufenthaltserlaubnis, um bestehen zu können. Die für ihre Existenz notwendigen Bedingungen sind zunächst einmal die Not anderer und der eigene Wille, dieser Not ein Ende zu setzen. Solidarität lässt sich also unabhängig von politischen Konventionen und rechtlichen Legitimationen und Restriktionen denken. Das heißt auch: Solidarisch sein ist auch dann möglich, wenn Regierungen oder staatliche Verfassungen Menschenrechte – nicht selten im wahrsten Sinne des Wortes – mit Füßen treten. Solidarität kann also zeigen, dass auch Menschen unabhängig von irgendeiner Staatsbürgerschaft Hilfe brauchen und es keinen Unterschied machen darf, ob man das Leben eines Menschen vor einem Virus in München oder auf Lesbos schützt.
[#Solidarität]
„ … die freiwillige (nicht zwangsläufig verpflichtende) Bereitschaft, anderen, denen man sich verbunden fühlt und die in Not geraten sind, zu helfen (ohne dass sie ein Recht auf Hilfe hätten).“ Martin Hartmann
Aber die Sache hat einen Haken: ausrichten kann Solidarität deshalb noch lange nichts. Denn allein die Bereitschaft zu etwas reicht noch nicht aus, um tatsächlich die Not und das Leid anderer zu beseitigen. Oder anders formuliert: Es genügt nicht, es einfach nur zu wollen, vielmehr muss man dafür auch handeln. Ist Solidarität aber eher als Einstellung in Form einer Bereitschaft und nicht als eine Tat zu verstehen, bleibt die Frage, welchen Wert sie überhaupt besitzt und welchen Beitrag sie zur Bekämpfung menschlicher Katastrophen in dieser Welt beitragen kann?
Ohne Innen keine Außen
Mit dieser Frage soll jedoch keineswegs der Wert des eigenen Willens bestritten werden. So ist Solidarität als bloßer Ausdruck eines Helfen-Wollens, eines Dazu-Bereit-Seins ganz und gar nicht wertlos. Vielmehr wird sie so zur Grundlage moralischen Handelns. Aber der Reihe nach: Wer etwas will oder eben zu etwas bereit ist, hat sich in aller Regel dazu frei entschieden. Das Motiv und der Wille zum Solidarisch-Sein bleibt also meist nicht dem Zufall oder Affekten überlassen, sondern ergibt sich aus einer bestimmter Haltung heraus. Formal lässt sich so eine Haltung als ein Ausdruck des „Standpunkteinnehmens“ beschreiben. So steht es auch etwa in der „Europäischen Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften“. Dort steht auch: im Sinne einer moralischen und somit sozialen Einstellung bedeutet „Standpunkteinehmen“ soviel wie „individuelle Kognitionen, Bewertungen und Bereitschaften, bestimmte soziale Objekte in bestimmter Weise wahrzunehmen und sich gegenüber ihnen zu verhalten.“
Kein Zweifel, das trifft auch auf die Solidarität zu. Denn auch sie kann nicht bestehen, ohne dass die Einen die Anderen in einer bestimmten Weise werten und infolgedessen wahrnehmen. Denn wer andere aus ihrer Not retten und somit vor weiteren Leid bewahren will, muss dieses Leid als solches zuerst einmal wahrnehmen und die Notleidenden als solche anerkennen. Das geht nicht ohne bestimmte Bausteine der Moral. So braucht es dazu Empathie, um sich in die Situation der anderen einzufühlen, aber auch eine moralische Achtung gegenüber den eigenen Mitmenschen. Achtung bedeutet dabei so viel wie die eigenen Mitmenschen als Gleiche unter Gleichen zu erachten. Oder wie es die Philosophin Susanne Schmetkamp treffend beschreibt – ihren „moralischen Status anzuerkennen welcher sich aus ihrer Würde und ihrem Anspruch, in grundlegenden Hinsichten ernstgenommen und angemessen berücksichtigt zu werden, konstituiert“. Ohne diese moralische Achtung geht es nicht. Denn in einem Weltbild, indem das Leben anderer weniger oder gar nichts wert ist, wird auch das Leid anderer egal und nicht selten sogar zur Rechtfertigungsgrundlage der eigenen Unmoral. Die Bereitschaft zur Nothilfe wäre damit verschwunden und somit am Ende auch die Solidarität.
Der Wert der Solidarität als Wille besteht also darin, dass dieses Wollen ein Bekenntnis zu grundlegenden moralischen Werten ist, ohne die ein gerechtes und gleichberechtigtes Miteinander nicht möglich wäre. 1984 hat der Philosoph Ronald Dworkin diese Gleichheit als Anspruch formuliert und zwar in Form auf „das Recht auf gleiche Behandlung“ und auf „das Recht, als ein*e gleiche*r behandelt zu werden“. Ob Angela Merkel das in ihrer Ansprache vor kurzem auch so gemeint hat, lässt sich höchstens vermuten.
Der Zweck ist entscheidend
Sicher ist aber, dass sie Solidarität als eine Art des Handelns versteht, zumindest komme es für sie schließlich „auf unser gemeinsames solidarisches Handeln“ an. Kann man Solidarität auch als Handlung verstehen, wäre ihr Ruf gänzlich gerettet. Sie wäre dann nicht nur eine Bereitschaft, sondern tatsächlich etwas, dass Menschen aus ihrem Leid befreien kann. Will Solidarität also nicht nur, sondern kann sie auch etwas?
Um das zu beantworten, sollte klar sein, was es heißt, sich nicht einfach nur irgendwie zu verhalten, sondern tatsächlich auch zu handeln. Was damit gemeint ist, hat bereits vor gut einhundert Jahren der Soziologe Max Weber erklärt. Menschliches Verhalten definiert er als „äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden“. Handeln hingegen „soll [..] ein menschliches Verhalten […] heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden“. Was der alte Wahlmünchner damit meint, ist, dass beim Handeln das eigene Tun nicht nur reaktiv wie ein Reflex ist, sondern ein Tun darstellt, dass eine sogenannte „Evidenz“ im Sinne einer rational oder durch Einfühlung erkennbare und somit nachvollziehbare (evidente) Ausrichtung zur Erfüllung bestimmter „Zwecke“ oder „Werte“ aufweist.
Sozial wird so ein Handeln für Weber wiederum dann, wenn dessen Sinn und somit dessen beabsichtigter Zweck „auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“ Genau genommen orientiert sich soziales Handeln demnach am „gegenwärtigen oder für künftig erwarteten Verhalten anderer“. Wer also etwa ökonomisch handelt, aber nicht „beim Konsum den künftigen Begehr Dritter mitberücksichtigt“ handelt noch lange nicht sozial. Soziales Handeln hat außerdem nichts mit Naturgesetzen zu tun. Weber erklärt es sportlich: „Ein Zusammenprall zweier Radfahrer [..] ist ein bloßes Ereignis wie ein Naturgeschehen. Wohl aber wären ihr Versuch, dem andern auszuweichen, und die auf den Zusammenprall folgende Schimpferei, Prügelei oder friedliche Erörterung »soziales Handeln»“ Was er damit sagen will, ist das Folgende: es liegt in unserer Verantwortung, wie wir uns in bestimmten Situationen entscheiden zu handeln und damit eine eigene und gemeinsame; eine soziale Wirklichkeit schaffen.
Das passt ziemlich gut zur Solidarität. Denn wer sich bereit erklärt, anderen zu helfen, entscheidet sich letztlich zu einer Art des sozialen Handelns, als Antwort auf ein bestimmtes Geschehen und schafft damit eine soziale Wirklichkeit, in der Not reduziert und beseitigt oder zumindest der Versuch dazu unternommen wird.
Taugt die Solidarität also nicht nur als Wille, sondern auch zur Handlung, ist damit aber noch lange nicht beantwortet, was Solidarität auch tatsächlich bewirken kann. Denn damit sich auch frei nach dem eigenen solidarischen Willen handeln lässt, muss man das auch dürfen. Denn nur wer darf, der kann, oder?
Man darf nicht nur, man muss sogar
Das zu beantworten ist in Zeiten von Corona nicht leichter geworden. Denn zum Wollen, Können und Dürfen ist in den letzten Wochen noch ein Müssen hinzugekommen. So werden diejenigen, die auf Social-Distancing pfeifen und somit das Leid anderer eher vergrößern als es zu reduzieren, öffentlich verwarnt und mit teilweise hohen Bußgeldern bestraft. Im Umkehrschluss könnte man also auch sagen: wer nicht solidarisch ist, wird eben dazu gezwungen. Aber ist so ein Zwang zur Rücksichtnahme noch Solidarität, wenn der solidarische Wille dazu fehlt? Darüber kann man streiten: für den Soziologen und Ethnologen Émile Durkheim etwa ist Solidarität ohne Zwang erst gar nicht denkbar – jedenfalls nicht als ein Ausdruck der Moral. Denn „moralisch ist […] alles, was den Menschen zwingt, mit dem anderen zu rechnen, seine Regungen auf etwas anderes abzustimmen als die Triebe des Egoismus“. Dem lässt sich aber entgegnen, dass eine Gesellschaft, doch vor allem die Summe eines und einer jeden einzelnen ist und letztlich kein System sie zur Solidarität zwingt, sondern sich eine Mehrheit der einzelnen eben frei dazu entscheidet. Die Antwort liegt wohl irgendwo dazwischen – schlagen sie dafür doch einfach mal unter „Freiheit“ bei Jean-Paul Sartre, Henri Bergson, dem alten Hegel oder Jürgen Habermas nach. Unterm Strich könnte man doch aber sagen: wer solidarisch sein will, kann es auch, weil er oder sie es darf, ja sogar muss. Darüber hinaus ist solidarisch sein gerade sogar ein Leichtes. Das klappt nämlich schon, indem man einfach mal zu Hause bleibt, ein paar Wochen auf Kneipen, Geburtstagspartys und Tinder-Dates verzichtet.
Solidarität ja, aber bitte nicht für alle!
Das war es aber auch schon wieder mit all der Einfachheit. Denn einfach umzusetzen ist solidarisches Handeln im beste Falle nur innerhalb bestimmter Ländergrenzen. Anderswo ist es dagegen mehr als schwierig, überhaupt an Solidarität zu denken. Die Rede ist von Orten wie dem Flüchtlingslager Moria im Landesinneren der griechischen Insel Lesbos. Die Frage, ob man sich aus freien Stücken zur Solidarität verpflichtet fühlt, oder sich – vielleicht sogar bereitwillig? – aufzwängen lässt, stellt sich dort erst gar nicht. Denn an den Außengrenzen Europas ist Solidarität nicht erwünscht. So werden vehement die wenigen Nothelfenden vor Ort bei ihrer Arbeit bedroht oder gar nicht erst Raum zur Hilfe geboten. So befindet sich das Camp von Moria auf einem stillgelegten Militärkomplex, das ursprünglich für 3.000 Menschen konzipiert wurde und nun jedoch bereits über 20.000 Geflüchtete aufgenommen hat. Helfer*innen vor Ort berichten zudem von weiteren, wilden Camps, in denen die Geflüchteten ohne medizinische Hilfe ausharren müssen.
Die gesundheitlichen Folgen sind gravierend. So berichtete etwa das ZDF von Unterkünften aus Plastikplanen und Pappe sowie von verheerenden hygienischen Bedingungen durch fehlende Sanitäranlagen. So müssen sich in einigen Teilen des Lagers bis zu 200 Personen eine Toilette teilen und bis zu 500 Geflüchtete eine einzige Dusche. Das etwa erfuhren die Reporter von der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen e.V.“ Sie ist eine der wenigen die vor Ort Hilfe leisten , staatliche Ärzte sucht man dagegen vergebens. Masern, Krätze und andere Infektionskrankheiten sind eine Folge dieser Zustände, die andere ist Gewalt: So erzählte erst vor kurzem der Kapitän des Seenotrettungsschiffes „Mare Liberum“, Dariush Beigui, in einem bekannten Podcast von weiblichen Geflüchteten des Camps, die immer wieder Bedrohungen, Missbräuchen und Vergewaltigungen zum Opfer fallen. Er sowie Ärzte ohne Grenzen e.V. berichten zudem davon, dass Behörden wie die europäische Grenzschutzagentur Frontex oder die griechische Küstenwache systematisch und tatenlos vor Menschenrechtsverletzungen auf offener See die Augen verschließen.
In den nächsten Tagen und Wochen wird sich diese jetzt schon menschenverachtende Situation nochmals um ein Vielfaches verschlimmern, denn der Coronavirus macht auch dort nicht halt. Social Distancing ist jedoch in überfüllten Zeltbehausungen nicht möglich, genauso wenig wie die Einhaltung überlebenswichtiger Hygienestandards. Denn dazu bräuchte es fließend Wasser und Seife – einfachste Dinge, die es in Moria nicht gibt.
Solidarität, die keine ist
Moria ist eine moralische Bankrotterklärung. Wer es mit der Menschlichkeit genau nimmt, kann nicht widersprechen, dass es solche Zustände, wie sie dort herrschen, zu keiner Zeit geben darf. Auch – oder gerade deshalb – ist all das ebenso wenig mit hier geltenden Rechtsgrundsätzen zu vereinen. So ist nach Artikel 1 des Grundgesetzes die Würde des Menschen unantastbar. Mehr noch: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Verwendet das deutsche Grundgesetz in keiner einzigen Zeile den Begriff Solidarität, macht es jedoch ebenso wie sie keinen Unterschied in der Würde von Menschen. So heißt es im zweiten Satz desselben Artikels: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“. Jede*r also und über die Grenzen hinaus.
„In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität.“
Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Auch rechtsstaatlich kann man sich also nicht vor der eigenen humanistischen Verantwortung drücken. Wer das nicht glaubt, da Moria kein eigenes, sondern ein griechisches Problem sei, der oder die irrt. Denn letztlich ist es ein europäisches. Spätestens jetzt wird Solidarität wieder auf den Plan gerufen. Denn laut Präambel der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ ist Solidarität neben der Würde, Freiheit und Gleichheit der Menschen, einer der „unteilbaren und universellen Werte“ der Staatengemeinschaft. Das heißt auch, dass nicht nur Griechenland, sondern alle Gemeinschaften innerhalb dieser Wertegemeinschaft solidarisch zeigen sollten. Zumindest dann, wenn sie sich an die selbstgesetzten europäischen Werte auch tatsächlich halten wollen und im Artikel 80 des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ eingefordert wird.
Das zuvor entdeckte Dürfen und Müssen der Solidarität wird hier also zur greifbaren und verpflichtenden Realität. Dass das Gleiche für ein organisatorisches wie ökonomisches Können von Solidarität gilt, muss an dieser Stelle nicht mehr diskutiert werden. Ein in diesem Text entdeckter Aspekt der Solidarität scheint hier jedoch zu fehlen – nämlich ihr Wollen. Denn wenn die Regierung eines der reichsten Länder dieser Erde nicht mehr als 50 Minderjährige aus den Lagern am Mittelmeer aufnimmt, gleichzeitig aber weiterhin Tausenden jede Hilfe verwehrt, ist das nicht solidarisch, sondern im besten Fall zynisch. Um das zu verdeutlichen, muss man eigentliche keine Vergleiche zu staatlichen Solidaritätsbemühungen mit der heimischen Edel-Gemüse-Industrie bemühen. Letztlich scheint doch aber Spargel gegenwärtig einen höheren Stellenwert zu besitzen, als so manches Menschenleben (reine Vermutung!).
Bezieht man das alles in die hier gemachten Überlegungen zur Solidarität mit ein, muss man Angela Merkel doch noch einmal fragen, was sie in ihrer Ansprache tatsächlich mit dem Begriff Solidarität zum Ausdruck bringen wollte. Einen Akt der Bereitschaft und Umsetzung der Beseitigung von Not und Leid anderer kann sie nicht gemeint haben. Zumindest nicht in dem Sinn, wie ihn dieser Text erkundet hat. Denn wie deutlich wurde, schert sich Solidarität ganz formal nicht um den rechtlichen Status von Personen, sondern um ihre Situation. Dass die hiesige Regierung aber auch viele andere in Europas politischen Spitzenpositionen nicht dieser Auffassung folgen, macht das Geschehen um Moria deutlich. Eine Solidarität, die einer solchen Politik entspricht, ist eine, die Menschen in ihrem Mensch-Sein einen unterschiedlichen Wert zuspricht und dabei ihrer eigenen Maxime der Gleichheit widerspricht. Solidarität wird dann zu etwas, dass das Leid von Menschen ignoriert und sie im Vergleich zu anderen diskriminiert. Dann ist die Rede von einer Solidarität, die keine ist.
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