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Social-Bee – Integration durch soziale Zeitarbeit

Ein Sozialunternehmen beweist, dass Zeitarbeit nicht zwangsläufig Ausbeutung, sondern erfolgreiche Integration bedeuten kann.

In seinem Heimatland war Hamid (Name von der Redaktion geändert) ITler, doch die Umstände zwangen ihn zur Flucht. In Deutschland angekommen, suchte er drei Jahre lang einen passenden Job – vergebens. Das änderte sich jedoch, als er auf die soziale Zeitarbeitsfirma Social-Bee gestoßen ist. Dort bekam er eine Anstellung und wurde zunächst für einige Monate als Hilfsarbeiter in einem Münchner Unternehmen beschäftigt. Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Das Team von Social-Bee nutze diese Zeit um Hamid weiter beruflich zu fördern, was ihm letztlich eine Festanstellung in einem IT-Unternehmen einbrachte. Die Idee, dass Integration durch so etwas wie Zeitarbeit möglich ist, scheint also aufzugehen.

Das in Deutschland bisher einzigartige Projekt versteht sich hauptsächlich als Integrationskonzept für Geflüchtete: Während ihres Einsatzes in verschiedenen Partnerunternehmen werden die Geflüchteten sozialpädagogisch begleitet, machen Sprachkurse und nehmen an Personalentwicklungsmaßnahmen teil. Das Ziel ist die Vermittlung in eine qualifizierte Festanstellung oder Ausbildung nach spätestens eineinhalb Jahren.       

Zarah Bruhn und Max Felsner haben Social-Bee 2016 ins Leben gerufen. (c) Frank Bluemler

Zarah Bruhn und Maximilian Felsner, das Gründerteam von Social-Bee, kennen sich aus Studienzeiten. Maximilian hat Volkswirtschaftslehre studiert und sich schon damals nebenbei sozial engagiert. Die Betriebswirtin Zarah wurde durch eine Freundin mit Fluchthintergrund mit den Themen Flucht und Migration konfrontiert. Nachdem sie sich mehrere Monate ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe tätig war, ging sie mit der Idee, eine eigene Initiative zu gründen, auf Maximilian zu. Gemeinsam entwickelten sie das Konzept von Social-Bee. Was dann folgte, war vor allem eines: harte Arbeit. Beide kündigten ihre Jobs, nahmen ein Darlehen auf und tüftelten weiter an ihrem Konzept im Entrepreneurship Center der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das hat sich ausgezahlt: Seit der Gründung 2016 ist das Team auf etwa 30 Personen angewachsen, und neben den Standorten in München und Stuttgart kommen gerade neue Büros in Hamburg und Köln dazu. Zu dem Erfolg gehören auch etwa 100 Flüchtlinge, die in Zeitarbeit beschäftigt sind und somit eine Möglichkeit zum Broterwerb gefunden haben. Das selbst gesteckte Ziel erfolgreicher „Integrationsdienstleister“ zu sein, ist also geglückt. Das wissen die Social-Entrepreneure auch aus persönlicher Erfahrung. „Wir bekommen ziemlich oft emotionale Danksagungen, Ehemaliger, in denen es heißt: Danke, dass ihr mir geholfen habt, ohne euch hätte ich es nicht geschafft!“, weiß Maximilian zu berichten.

Die Einsatzgebiete der angestellten Flüchtlinge sind insbesondere die Lagerlogistik- und Produktionsbranche. Bei diesen eher niedrigqualifizierten Tätigkeiten sind die Einstiegshürden, gerade für Flüchtlinge ohne jegliche Ausbildung, geringer. Gleichzeitig stehen Weiterbildungsmaßnahmen, wie etwa Sprachkurse und EDV-Schulungen, zur Verfügung. Die Hürden für Social-Bee selbst scheinen jedoch dagegen höher zu werden. „Tendenziell sind die politischen Rahmenbedingungen schlechter geworden, etwa bei der Vergabe von Arbeitserlaubnissen – da gab es früher weniger Probleme. Zudem sind die gestellten Anforderungen an die geflüchteten Arbeitssuchenden völlig überzogen, während gleichzeitig benötigte Fachkräfte grundlos abgeschoben werden. Das heißt, Politik geht dann doch oft am eigentlichen Ziel vorbei“, erzählt Maximilian.

Etwa 100 Flüchtlinge werden momentan über Zeitarbeit beschäftigt. (c) Frank Bluemler

Aber es bleibt dabei – nicht die Flexibilität der Unternehmen steht im Mittelpunkt, sondern die Begleitung der Geflüchteten auf dem Weg ihrer Integration. Unternehmen verpflichten sich zum Beispiel von Vornherein, Social-Bee-Zeitarbeiter für mindestens neun bis zwölf Monate zu beschäftigen. Trotzdem arbeiten Unternehmen gerne mit Social-Bee zusammen. Denn einer der Vorteile ist die Vermittlung von sehr motivierten und gut betreuten Mitarbeitern, die sie im Anschluss an das Social-Bee Programm fest übernehmen können. Und das letztlich mit einer Erfolgsquote von 70 Prozent. Zudem ist diese Variante der Zeitarbeit eine Möglichkeit für Unternehmen, sich über eine Dienstleistung sozial zu engagieren, die sie ohnehin in Anspruch nehmen. All das zahlt sich auch für die Gründerin Zarah schon jetzt aus: „Alle Mitarbeiter, die bei uns waren, haben sich sehr entwickelt und ich freue mich drauf, wenn wir sie in 20 Jahren sehen und sie mir sagen, dass Social-Bee ihnen wirklich etwas gebracht hat. Dafür haben wir jetzt die Verantwortung. Die Mitarbeiter vertrauen uns genauso wie wir ihnen, dem muss man auch gerecht werden.“


(c) Titelbild: Photogenika

Grüne Pause – Wie ein Bauernhof für Bildung sorgt

Über ein Thema gibt es mehr Unklarheit als gedacht: ökologischer Landbau. Grund genug, sich ein Projekt anzusehen, das genau das ändern will.

Ob über die Gefahr von Pestiziden wie Glyphosat oder über die Überzüchtung und die schlechten Lebensbedingungen in der Massentierhaltung – geht es um das Thema Landwirtschaft, gibt es einiges zu diskutieren. Unbestritten ist jedoch: sollen zukünftige Generationen von einer lebenswerten Tier- und Umwelt profitieren, ist ein verantwortungsbewusster und ressourcenschonender Umgang mit ihnen unausweichlich. Konkret gehört dazu etwa der Verzicht von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln sowie eine artgerechte Tierhaltung mit Auslauf statt Käfig und Vielfalt statt Billigfleisch. Für solch einen ökologischen Landbau braucht es ein Bewusstsein, ein Umdenken in der Gesellschaft. Leichter gesagt als getan, denn schon die jüngsten unter uns wissen oftmals nicht, wo das Schnitzel auf ihrem Teller eigentlich herkommt.

Genau dagegen wollen Daniel Wack und Marius Bastuck etwas unternehmen und haben dafür den gemeinnützigen Verein „Grüne Pause“ ins Leben gerufen. Die Gründer haben es sich dabei zur Aufgabe gemacht, mithilfe von erlebnispädagogisch begleiteten Freizeitangeboten, ein größeres Bewusstsein für die Entstehung von Lebensmitteln, Natur- und Umweltschutz entstehen zu lassen – kurzum: einen nachhaltigen Lebensstil zu vermitteln. Dafür bietet der Verein für Kindergartengruppen und Schulklassen mitunter ein Angebot aus Ferienprogrammen, Übernachtungen im Zeltlager und tiergestützter Pädagogik an und die sollen vor allem eines sein: Mitmachprogramme. „Es wichtig, dass wir nicht nur zeigen, wie eine Kuh aussieht und wie sie Milch gibt, sondern dass die Kinder wirklich die Abläufe, die auf dem Bauernhof passieren, auch selbst ausprobieren, miterleben und erfahren können“, erklärt Daniel.

Die Gründer von Grüne Pause: Marius Bastuck (links) und Daniel Wack (rechts). (c) Christoph Eipert

Meist im Rahmen von schulischen Wander- und Projekttagen heißt es dann für die Kinder bereits morgens um sieben Uhr: mit anpacken im Stall. Dabei werden sie von mindestens zwei Teammitgliedern pädagogisch begleitet. Dazu gehört auch das ganze Team vom Biolandhof Wack. Die von Daniel zusammen mit seinen Eltern und Bruder geführte Hofgemeinschaft, liegt inmitten des saarländischen Bliesgau und wird seit 1984 nach Bioland-Richtlinien geführt. Dort hat auch Grüne Pause seit seiner Gründung eine Heimat gefunden. Das war im Jahr 2016, nach ein paar beruflichen Umwegen von Daniel und Marius.

Denn ursprünglich wollte Daniel Kinder -und Jugendpastor werden, merkte aber bereits am Ende des dafür notwendigen Theologiestudiums, dass ein Leben als kirchlicher „Schäfchenhüter“ nicht zu ihm passt. Der Wunsch mit Kindern- und Jugendlichen zu arbeiten aber blieb und führte ihn für ein weiteres Studium der Sozialen Arbeit nach München. Da aber ebenso klar war, danach zum Bauernhof der Familie zurückzukehren, lag es nahe, einen Weg zu finden, pädagogische Arbeit mit der Arbeit auf dem Hof zu verbinden. Die Idee um Grüne Pause war geboren. Bis zur konkreten Gründung vergingen aber nochmals zwei Jahre, bis dahin lief ein erstes Angebot unter dem Namen des Familienbetriebs. Auch Marius – Daniels bester Freund – kam über Umwege zum Projekt. Der gelernte Polizist war jedoch von Beginn an von Daniels Idee begeistert, was ihm letztlich zur Mitgründung bewegt hat. Mittlerweile hat er dafür eine zusätzliche Ausbildung zum Natur- und Wildnispädagogen absolviert.

Ob auf dem Hof oder im Zeltlager — die Programme sollen vor allem zum Mitmachen animieren. (c) Grüne Pause

Auch sonst ist seitdem ist viel passiert, denn das zweite Jahr nach der Gründung des Vereins war gleichzeitig auch das bisher erfolgreichste. Ein Grund dafür ist, dass es bundesweit zwar einige ähnliche Projekte gibt, im Saarland sowie im benachbarten Rheinland-Pfalz man nach ihnen jedoch fast vergeblich sucht. Für Grüne Pause bedeutet das Fluch und Segen zugleich, denn einerseits ist das Projekt so explosionsartig bekannt geworden, anderseits ist die Nachfrage, vor allem als kleiner Verein, kaum zu managen. Ein weiterer Grund für den Erfolg des Projekts ist: es kommt gut an. „Die Erfahrung, die die Kinder machen, ist durchweg positiv. Ich kann mich an keine Gruppe erinnern, die aus irgendeinem Grund unzufrieden oder unglücklich war“ lautet Daniels Antwort auf die Frage der Resonanz ihrer Arbeit. Dass ihre Arbeit aber nur ein Anfang sein kann, weiß er auch: „Wenn ich Kinder auf dem Hof habe, die nicht einmal wissen, warum ein Huhn ein Ei legt, dann brauche ich nichts von den Grundsätzen ökologischer Landwirtschaft erzählen, das wäre zwei Schritte zu weit. Was wir auf dem Hof machen, ist erstmal Basics zu schaffen. Die Kinder nehmen auch was davon mit, aber ich habe nicht die Illusion, dass sie dann alle plötzlich überzeugte Bio-Konsumenten sind.“

Neben Grüne Pause will Daniel auch in Zukunft weiterhin andere Aufgabe am Familienhof übernehmen. (c) Christoph Eipert

Um das Projekt zu finanzieren erhält der Verein, neben den Einnahmen der Gruppen, Fördergelder einer Stiftung. Diese Geldern bieten zudem den Vorteil, die Preise so niedrig wie möglich zu halten um so auch zugänglich für Kinder aus Familien zu bleiben, die sich einen Aufenthalt nicht leisten können oder wollen. Vom Projekt allein leben, kann aber noch keines der Teammitglieder. Was Daniel angeht, ist das auch nicht das Ziel. Für ihn ist die gleiche Aufteilung zwischen den Aufgaben bei Grüne Pause und den laufenden Aufgaben am Hof genau richtig. Ausschließen will er jedoch nicht, dass etwa Marius noch stärker in die Arbeit involviert und Grüne Pause noch intensiver betrieben wird. Langweilig wird es in Zukunft jedenfalls nicht. So sind Daniel und Marius gerade auf der Suche nach einem Zirkuszelt, sozusagen als mobile Räumlichkeit für die Grüne Pause. „Das ist einfach die sinnvollste Lösung für uns – so ein Zelt macht optisch viel her, ist stabil und wir können damit Aufwand und Kosten am niedrigsten halten“, sagt Daniel. Geplant ist außerdem der Aufbau einer eigenen Website. Die war aufgrund des bisherigen Erfolgs noch gar nicht nötig. Wer kann das schon von sich behaupten?


Titelbild: (c) Grüne Pause

„Das Thema Wasser haben die Leute nicht auf dem Schirm.“

Blue Ben, das ist ein Modelabel, das vor allem Mittel zum Zweck sein will. Und der hat einen Namen: Wasser.

Es hilft kein Stapeln und kein Stopfen – der Kleiderschrank ist einfach zu voll. Aber was soll man machen. Schließlich kann man kann doch nicht das schöne Oberteil der Frühlingskollektion auch noch im Sommer tragen! Aber alles ganz easy: Die neuesten Trends gibt es schließlich zum Dumpingpreis in den Regalen der Fast-Fashion-Ketten. Doch so einfach ist es nicht. Eine immer größer werdende Nachfrage nach Kleidung zum immer kleineren Preis funktioniert nur auf Kosten anderer, tausende Kilometer weit weg – etwa in Bangladesch. Das weiß auch Ali Azimi. Nachdem der Wahlberliner 2016 durch einen Dokumentarfilm auf die prekäre Situation der dortigen Textilarbeiter aufmerksam wurde, begann er zu recherchieren – auch vor Ort. Schnell war klar: Ein großes Problem ist der enorme Wasserverbrauch bei der Herstellung von Baumwollstoffen. Gerade den Ärmsten der Armen wird damit eine überlebenswichtige Ressource entzogen. Um dagegen etwas zu unternehmen wurde „BlueBen“ ins Leben gerufen. Dahinter steckt ein Modelabel, das vor allem eines will: Wasser geben, anstatt nehmen. Um mehr darüber zu erfahren, haben wir mit Ali Azimi, dem Gründer des Start-Up gesprochen.

 

Ali, ihr schreibt auf eurer Website: “Water is more important than clothing.“ Wie lässt sich das verstehen?

Als ich erfahren habe, wieviel Wasser in Baumwolle steckt und wie die Ressource Wasser in der Textilbranche genutzt wird, war ich ziemlich schockiert. Daraufhin reiste ich nach Bangladesch, habe mir die Industrie angeguckt und mit Bauern gesprochen. Die dort produzierte Kleidung ist zu 90 Prozent für den Export bestimmt. Man fragt sich dann, welchen Nutzen die Menschen vor Ort davon haben. Zudem sind es meist nur Großgrundbesitzer oder Fabrikanten, die wirklich etwas dabei verdienen. Daraufhin ist die Aussage entstanden, dass Wasser wichtiger für den Lebensmittelanbau, als Lebensgrundlage vor Ort, ist, als dafür, dass wir T-Shirts für drei, vier Euro kaufen können.

Nach eigenen Recherchen in Bangladesch hat Ali Azimi 2017 Blue Ben ins Leben gerufen. (c) Jonas Nellissen

Wieso ist die Nutzung von Wasser zur Textilherstellung so kritisch? 

Zwischen 7.000 und 29.000 Liter Wasser werden für ein Kilo Baumwolle benötigt – vom Anbau bis zur Endproduktion. Ich diskutiere oft mit Leuten, die meinen, dass man für Kaffee und Fleisch ebenfalls eine Menge Wasser benötigt. Klar, stimmt, aber das sind Lebensmittel. Das ist etwas anderes als Kleidung. Die liegt erstmal überall in Massen rum, die im Gegensatz zu Lebensmitteln, weniger zwingend gebraucht werden. Das Problem ist, dass in den Gebieten – in denen der Baumwollanbau und die Textilindustrie angesiedelt sind – es entweder sehr trocken ist oder es dort von vornherein gravierende Versorgungsprobleme mit Wasser gibt. Das heißt, wir begünstigen durch die Produktion und Anbau von Baumwolle noch mehr Probleme, als es ohnehin schon gibt. Zudem ist erstaunlich: Das Thema ist völlig unterrepräsentiert. Keiner redet darüber. Das Thema Wasser haben die Leute nicht auf dem Schirm.

Aber ihr wollt Wasser nicht nur einsparen, sondern auch geben: Wie wollt ihr das schaffen?

Der erste Schritt liegt natürlich im Wassersparen. Das heißt aber nicht Bio-Baumwolle aus Indien zu verwenden. Wir produzieren überhaupt nicht in diesen Ländern, denn diese Länder brauchen das Wasser für den Lebensmittelanbau. Daher produzieren wir nur in Europa. Der wesentliche Punkt ist jedoch, dass wir überhaupt keine Baumwolle verwenden. Wir wollen hierbei Verantwortung übernehmen, aber wir können uns nicht vor den Schäden drücken, die wir in den letzten 40 Jahren in diesen Ländern verursacht haben. Wir zahlen deswegen eine Art Reparationen, indem wir Wasserprojekte finanzieren. Das ist der nächste Schritt. Wir versuchen das Wasser, das durch die Textilindustrie verschmutzt wurde, wiederaufzubereiten, also den Leuten wieder zugänglich zu machen.

Aber Privatpersonen sollen euch auch direkt unterstützen, oder? 

Genau. Wir wollen erreichen, dass du genau wie einen Co2-Ausgleich beim Fliegen, einen Wasser-Ausgleich machen kannst. Das planen wir mit unserem Verein, den wir gegründet haben und der unsere Wasserprojekte kuratiert. Den gibt es auch deswegen, da wir die Zwischenschritte verkürzen wollen und somit keine überflüssigen Mittelsmänner haben, damit am Ende dort mehr ankommt, wo es gebraucht wird. Ein Beispiel: In Bangladesch gibt es Superarme, Arme und Normale. Die Superarmen können es sich nicht einmal leisten, für 20 US-Cent im Monat, Wasser zu kaufen. Mit dem Wasserausgleich hat man die Möglichkeit, diese 20 Cent pro Familie zu spenden. Zusammengefasst hat man mit zehn Euro einen Monat lang 50 Familien mit Wasser versorgt. Aber das ist ein langfristiges Projekt, deswegen haben wir es nicht in den Mittelpunkt gesetzt. Wir versuchen eher durch größere Wasserprojekte etwas Nachhaltigeres zu implementieren.

Der hohe Wasserverbrauch beim Anbau und der Verarbeitung von Baumwolle erschwert vielen Menschen den Zugang zu sauberen Trinkwasser. (c) Benedikt Fuhrmann

Eure Ziele wollt ihr mit dem Verkauf eines baumwollfreien Sweaters erreichen: Wie kam es dazu?

Wir hatten gar nicht vor ein Modelabel zu gründen – denn es stand die Frage im Raum, ob man eigentlich noch ein weiteres Modelabel braucht. Aber die Tatsache, dass wir das mit dem Sweater machen, interessiert die Leute. Darüber kommen wir mit ihnen ins Gespräch und nicht, weil wir ein Wasserausgleich anbieten oder einen Verein gegründet haben. Das ist schade, aber einfach Tatsache.

Der Pullover ist also Mittel zum Zweck?

Absolut! Er ist die Grundlage, um über unsere Themen zu sprechen. Dazu gehört auch, dass wir einen Schritt weitergehen, indem wir uns gefragt haben, was in Zukunft sein wird. Baumwolle wird nicht dazugehören. Da bin ich mir ziemlich sicher, weil wir die Agrarfläche und das Wasser für den Lebensmittelanbau brauchen werden. Deswegen wird es zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass wir andere Fasern nutzen.            
Dafür haben wir selbst einen Stoff zu hundert Prozent aus Buchenholz geschaffen. Aber es hat schon eine ganze Weile gedauert, bis wir das erreicht haben. Wir mussten beim Stoff viel nachjustieren, etwa beim Material für die Bündchen. Wir wollten ein Garn das biologisch abbaubar ist und eben nicht aus Polyester besteht. Das war ziemlich schwierig. Das hat alles ein bisschen länger gedauert als geplant, aber jetzt da die Pullover da sind, ist es echt cool zu sehen was wir in den letzten Monaten geschaffen haben. Da sind wir stolz drauf. Und die Leute sind echt begeistert. Wir hätten natürlich auf schon Vorhandenes zurückgreifen können, aber wir haben uns für diesen Weg entschieden. Dann dauert es eben alles manchmal länger als geplant – in unserem Fall drei Monate.   

Dann geht es also jetzt los mit dem Verkauf? 

Genau. Die Pullover in unseren Basic-Farben sind bereits erhältlich. Die erste Auslieferung war im Dezember 2018.

Ihr hattet bereits in Vergangenheit eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne durchgeführt. Gerade habt ihr nochmal eine gewagt. Wie lief die?

Wir wollten schon immer eine internationale Kampagne auf Kickstarter machen. Das war jedoch schwieriger als gedacht, was vielleicht auch daran lag, dass wir die Kampagne zum Ende des Jahres gemacht haben. Das heißt, die Kampagne ging nicht so durch die Decke, wie wir es bei der letzten erlebt hatten. Einerseits, weil wir unterschätzt haben wieviel Zeit und Kraft so etwas benötigt. Anderseits hatten wir auch schon unser Netzwerk erschöpft. Deshalb mussten wir komplett neue Leute erreichen. Das war echt eine Herausforderung. Dafür haben wir in drei Städten Öffentlichkeitsarbeit gemacht – in Amsterdam, London und Berlin. Zudem haben wir eine tolle PR-Mitarbeiterin an Bord, die einen richtig guten Job macht. Gott sei Dank haben wir dann das Ziel der Kampagne erreicht und sie erfolgreich beendet. Der Erfolg war dann sogar ein bisschen international. Es gab ein paar Kunden aus Asien. Auch in Europa verteilt und aus den USA sind Bestellungen eingegangen. Aber trotzdem, man darf das alles nicht unterschätzen. 

Was wollt ihr mit dem Geld anstellen?

Wir brauchen viel Geld für die Produktion selbst. Aber auch für Dinge wie einen biologischen Abbaubarkeitstest. Der ist echt teuer und kostest allein schon etwa 5.000 Euro. Das wollen wir nicht machen, um es als Alleinstellungsmerkmal zu kommunizieren, sondern damit wir uns selber sicher sein zu können, dass wir etwas geschaffen haben, das biologisch abbaubar ist.

Produziert werden die Sweater ausschließlich in Europa. (c) Blue Ben

Neben all euren Bemühungen: Wen siehst du mehr in der Verantwortung, die Produzenten oder die Verbraucher? 

Ich persönlich bin nicht der nachhaltigste Konsument, um ehrlich zu sein. Worauf ich eher achte ist Qualität. Ich kaufe einfach wenig. Ich bin da eher unbewusst nachhaltig. Ich lege die Verantwortung nicht auf die Konsumenten, sondern auf die Produzenten. Da in ihnen die Ursache des Übels liegt. Das was Konsumenten machen, ist nur Symptombekämpfung. Das heißt, wenn wir unseren Konsum runterschrauben, bedeutet das nicht, dass Modelabels weniger produzieren. Das müssten dann schon alle oder zumindest ein sehr großer Teil tun und das wird nicht passieren. Da müssen wir realistisch sein. Es wird nicht passieren, es sei denn, die Politik würde eingreifen, das tut sie aber nicht. Warum: Es geht um Steuergelder, um globalen Austausch und letztlich um ökonomische Vorteile der Modelabels. Was wir als Produzenten machen können, ist das Ganze anzustoßen. Ich glaube, kein Label, das jemals angefangen hat Fair-Fashion zu machen, war ein Systemwandler. Vielmehr haben sie dazu beigetragen, dass sich andere daran orientieren. Ich glaube, dass die Intensität eines Wandels davon abhängt, wie groß und wie bekannt wir werden. Um zu zeigen, dass man es wirklich radikal anders machen kann.

Euer Pullover ist ja Mittel statt Zweck. Der Steckt in  euren Wasserprojekten. Was hat sich da getan?

Ursprünglich hatten wir uns auf reine Trinkwasserprojekte fokussiert. Das hat sich in wenig geändert. Das heißt, wir arbeiten gerade an einer Lösung, die das Abwasser von Textilmanufakturen, Färberein etc. filtert. An so einem Filtersystem arbeiten wir gerade mit verschiedenen Partnern zusammen. Wir wollen etwas machen, was ein bisschen mehr zu uns passt. Wenn wir Textilien herstellen, macht es auch mehr Sinn etwas mit Textilabwässern zu machen. Brunnenbau würde uns vielleicht die bessere PR bringen, aber wir wollen an der Ursache arbeiten, das ist uns wichtiger. Wir wollen uns mit den Verursachern des Wasserproblems generell, etwa in den Großstädten Bangladeschs, befassen – mit Textilbetrieben etwa, die sich Filteranlagen und ein Waste-Water-Managemernt nicht leisten können. Dort wollen wir Abhilfe schaffen. Wie das aussehen kann, daran arbeiten wir geraden. Da steckt jede Menge Arbeit drin, die wir bald öffentlich kommunizieren werden.

Euer Sweater verfügt über eine ziemlich auffällige Armbinde am Ärmel. Das hat ein wenig einen Siegelcharakter: Meinst du, eine Siegel für nachhaltige Textilien bräuchte es?  

Wir als Unternehmen verwenden keine Siegel. Weil sie nur Symptome bekämpfen, indem sie versuchen Vertrauen zu schaffen, wo gar keine Glaubwürdigkeit da ist. Aber dem ist nicht so. Denn viele Menschen können nicht nachvollziehen, wie Rohstoffe angebaut werden. Da gibt es extrem viele Schwierigkeiten und das ist den Leuten nicht bewusst. Das wollen wir nicht. Wir wollen unabhängig davon zu 100 Prozent transparent sein. Dann braucht es auch kein Siegel mehr. Das Label am Arm ist vielmehr etwas, worüber sich die Leute identifizieren und reden. Also ein Conversation-Starter, mit dem Ziel, ein gemeinsames Symbol entstehen zu lassen. 

Eine Armbinde als Conversation-Starter für nachhaltigen Konsum. (c) BlueBen


(c) Titelbild: Benedikt Fuhrmann

piqd – handverlesene Onlinemedien

piqd möchte einen Gegenentwurf zur Reichweiten-optimierten Online-Berichterstattung liefern, indem ausgewiesene Experten Artikel empfehlen.

Bio statt Fast-Food. Handverlesen statt Massenware. Kritische Reflexion statt gedankenloser Konsum: Die Rede ist keineswegs von gesunder Ernährung. Es geht um Medien, um genau zu sein: um unseren Umgang mit Online-Berichterstattung. piqd statt Informationsflut. Von Experten empfohlen statt vom Algorithmus vorgesetzt.

Internet und Smartphone haben unseren Zugang zu Informationen radikal verändert. Früher dauerte es Tage oder Wochen, bis eine Nachricht um den Erdball wanderte und den Zeitungsleser am Frühstückstisch erreichte. Heute vergehen nur ein paar Augenblicke zwischen einem Ereignis und dem Aufpoppen der ersten Push-Message auf unserem Handy. Das Internet hat Menschen auf der ganzen Welt die Möglichkeit gegeben, sich zu jeder Zeit Informationen und Nachrichten zu einem beliebigen Thema zu besorgen und dadurch einen bestehenden Markt umgewälzt. Etablierte Medienkonzerne und neue Akteure liefern sich einen Wettlauf auf diesem Markt, in dem generierter Traffic und erzielte Reichweite die neue Währung geworden sind. Bestehende Konventionen des Journalismus wurden überworfen und Schlagwörter wie „Fake News“ oder „Lügenpresse“ prägen die Debatte um die Informationskultur.

piqd Geschäftsführer Marcus von Jordan

Die Macher von piqd sehen im Umgang mit Informationen aus dem Web ein soziales Problem, zu deren Lösung sie beitragen möchten. Sie möchten den NutzerInnen Artikel präsentieren, die lesenswert sind. Eine Programmzeitung, die nicht auf Reichweite und Traffic ausgerichtet ist und danach ihre Inhalte kuratiert, sondern Journalismus mit relevanten Inhalten bietet. Ein Gegenvorschlag also zu den aktuellen Entwicklungen in der Online Berichterstattung, betont Geschäftsführer Marcus von Jordan: „Es gibt nicht die perfekte Vision davon, wie Informationsbeschaffung funktionieren sollte. Es gibt nur eine Annäherung, durch inspirierte journalistische Arbeit und durch Quellenvielfalt.“

Marcus von Jordan zieht den Vergleich mit Bio-Lebensmitteln: „Du bist, was du isst, genauso wie du bist, was du liest.“ Dafür werden Artikel aus der Masse heraus handverlesen, oder eben „gepiqd“. Die Aufgabe des „Rosinenpickens“ übernehmen Experten. piqd greift dafür auf einen Pool von mittlerweile über 130 KuratorInnen, genannt „piqer“, zurück. Diese Experten wählen in ihren Augen relevante Online-Artikel aus, kommentieren diese in einer kurzen Zusammenfassung und ordnen sie einem bestimmten Kanal zu. Diese decken Themen von „Volk und Wirtschaft“ bis hin zu „Kopf und Körper“ ab. KuratorInnen und Kanäle werden von der piqd-Redaktion bestimmt, aber in ihrer Arbeit sind die piqer unabhängig. Bezahlt werden sie pro piq, mit einer monatlichen Obergrenze. Einige machen auch unentgeltlich mehr oder verzichten komplett auf eine Bezahlung – aus Überzeugung. Gemeinsam ist allen, dass sie der piqd-Redaktion gegenüber Sachverstand und einen breit gefächerten digitalen Medienkonsum vorweisen müssen, bevor sie für piqd empfehlen dürfen.

Gegründet wurde piqd von Konrad Schwingenstein und Marcus von Jordan. Die Verbindung zum Journalismus liegt bei Konrad Schwingenstein sozusagen in der Familie – er ist Enkel des Mitgründers der Süddeutschen Zeitung August Schwingenstein und Teilerbe des Unternehmens. 2010 kehrte er aber den bestehenden Strukturen der Medienwelt den Rücken und verkaufte zusammen mit anderen Erben seine Anteile. Seitdem fördert er Projekte, von denen er hofft, dass sie dabei helfen, neue Strukturen für den Journalismus mitzugestalten. Im Moment wird der Großteil der Kosten von piqd noch von ihm getragen. Diese Finanzierung erlaubt es piqd, sich für eine gewisse Zeit der Dynamik um Traffic und Reichweite zu entziehen. In Fachkreisen und der Szene haben sie deswegen bereits mit Qualität überzeugt. Aber damit sich der journalistische Gegenentwurf etablieren und selbst tragen kann, muss er natürlich auch eine gewisse Zahl an Lesern erreichen, die bereit sind, für Qualität angemessen zu zahlen. Und dies stellt das Team um Marcus von Jordan vor eine große Herausforderung. Anfangs war die Idee, dass die NutzerInnen nach einer kostenlosen Testphase dazu angehalten werden, jeden Monat einen kleinen Betrag für den Service des „piqens“ zu entrichten. Doch es haben sich nicht genügend zahlende Kunden gefunden, damit das Projekt schwarze Zahlen schreiben kann. Damit steht piqd vor demselben Problem wie viele andere Redaktionen: Es scheint bereits gängiger Konsens zu sein, dass Journalismus im Internet kostenlos zu sein hat.

Die Macher von piqd möchten einen Gegenentwurf zur Reichweiten-optimierten Berichterstattung im Internet liefern.

Die Macher von piqd haben sich daher entschieden, erst einmal einen anderen Weg zu gehen und zu versuchen, mehr Nutzer zu erreichen. Dies gleicht einer Gratwanderung: Auf der einen Seite möchte man sich nicht der Dynamik um Klicks und Traffic unterwerfen, auf der anderen Seite muss man eine gewisse Reichweite haben, um sich als Alternative etablieren zu können. Darum hat das Team einige „Qualitätspartner“ mit ins Boot geholt, die ebenfalls journalistische Gegenentwürfe liefern und ihre eigenen Inhalte empfehlen – und so piqd einem Teil ihrer Leserschaft näherbringen. Zu diesen Partnern zählen unter anderem Perspective Daily, The Buzzard, Übermedien und Zündfunk. Und auch die User haben jetzt die Möglichkeit, Empfehlungen abzugeben und zu bewerten. Piqd wird also interaktiver und entwickelt sich in Richtung eines sozialen Netzwerks. Mit der so gestärkten Community stehen dem Team dann, so die Hoffnung, alternative Finanzierungsformen offen, zum Beispiel in Form eines jährlichen Crowdfundings.

 


(c) Alle Bilder Sebastian Preiß

ProjectTogether – gemeinsam Ideen verwirklichen

Pro­ject­To­ge­ther hilft Men­schen ihre Ideen zur Lö­sung ge­sell­schaft­li­che­r Pro­ble­me in die Tat um­zu­set­zen

Probleme und Ideen zu ihrer Lösung gibt es viele. Doch ein großer Teil wird nie umgesetzt. Vielleicht, weil man nicht weiß, wo man anfangen soll, weil einem als Start-Up das Geld fehlt oder man es sich alleine nicht zutraut. Genau hier setzt ProjectTogether an. „Für uns ist jede Idee wertvoll“, sagt Maximilian Schlereth, Mitgründer und ehrenamtlicher Mitarbeiter von ProjectTogether.

Daher ist der Weg Unterstützung von ProjectTogether zu bekommen auch sehr niedrigschwellig: Es bedarf keinem zehn Seiten langen Antrag, sondern einfach zwei Klicks und einer kurze Beschreibung zur Idee auf ihrer Webseite. Anschließend wird überlegt, welche Unterstützung sinnvoll ist und dem Projekt wird ein passender Coach zur Seite gestellt. Diese Phase läuft mittlerweile automatisiert ab. Mithilfe eines Logarithmus und der Abfrage nach Interesse und Herausforderungen der Gründer, werden diese mit einem passenden Coach gematcht. Das spart dem größtenteils ehrenamtlichen Team von ProjectTogether viel Arbeitszeit, die sie so ins Coaching oder ins Akquirieren neuer Partner stecken können.  Nicht zwangsläufig ist der Coach jemand, der inhaltlich etwas mit dem Thema zu tun hat, sondern er soll jemand sein, der Struktur gibt, die richtigen Fragen stellt und auch immer wieder nachhakt, wie es voran geht – das geht auch oft über Telefon.

Motivation und Struktur

Die Coaches sind ganz unterschiedlich – vom Studenten, über Professoren, bis hin zum CEO eines Unternehmens. Bevor diese Personen aber selber coachen dürfen, durchlaufen sie ein methodisches Seminar, in dem sie vor allem lernen, dass sie keine Berater sind, die Lösungen anbieten, sondern den Hilfesuchenden strukturell anleiten. „Wir sagen ihnen immer wieder: Ihr gebt Struktur, ihr gebt Motivation und dabei ist es wichtig, dass ihr die Ideen spiegelt und nicht die Lösungen entwerft“, erklärt Maximilian.

Mitgründer von ProjectTogether Maximilian Schlereth. (c) Caroline Deidenbach

Die Idee, anderen bei der Verwirklichung ihrer Projekte zu helfen, begleitet den Jurastudenten schon lange. Bereits mit 17 Jahren ging er mit einem Stipendium an das United World College in die USA, um sein IB, ein International Baccalaureate Diploma (Weltabitur) zu machen. Bereits hier lernte er Probleme systemisch zu betrachten und Community-Projekte umzusetzen. Anschließend ging er an das University College London (UCL) um englisches und deutsches Recht zu studieren.

Als Mitglied der German Society lernte er Philipp von der Wippel, seinen Mitgründer, kennen, der als Schüler in Oxford auch bei der German Society war. Beide haben die Erfahrung gemacht, dass ihnen viele Möglichkeiten in ihrem Leben gegeben wurden, ihre eigenen Ideen umzusetzen. Gleichzeitig haben sie gesehen, dass für andere die Hürden manchmal sehr hoch sind und daher gute Ideen nicht realisiert werden. Mit der Gründung von ProjectTogether 2014 wollten sie das ändern.

Jede Idee hat ihre Berechtigung

Mittlerweile haben sie über 700 Projekte, Initiativen und Start-Ups begleitet – eins davon ist der Aias e.V., ein von Studierenden gegründeter Verein in München, der Mitstudierende dazu anregt, sich als potenzielle Stammzellenspender registrieren zu lassen. Sie haben es geschafft, dass sich 2.300 Menschen an der Hochschule in München registrierten und wollten die Idee auch in anderen Städten und Universitäten umsetzen. Da haben sie sich an ProjectTogether gewandt und mit ihrer Hilfe sind sie nun in 28 deutschen Städten vertreten und haben 30.000 potenzielle Spender registriert. Maximilian gefiel das Projekt persönlich so gut, dass er sich bis heute für den Verein engagiert. Neben solchen Non-Profit-Ideen, werden auch andere Projekte unterstützt wie die App SitEinander, die es Eltern ermöglichen soll sich das Babysitten mit Freunden oder Arbeitskollegen kostenlos zu teilen. Oder ein Student, der die Noten eines verstorbenen Komponisten digitalisieren wollte. Dabei ging es nur darum, diese Musik der Nachwelt zugänglich zu machen – ein Geschäftsmodell spielte hier natürlich keine Rolle. Es gibt keine Idee, die für ProjectTogether wertlos wäre oder, die sie nicht ernsthaft prüfen. Denn jeder soll die Möglichkeit und die Unterstützung bekommen, seine Ideen umsetzten, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht sinnvoll oder lebensfähig erscheinen.

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Viele Projekte und Anfragen bedeuten viel Arbeit – finanziert wird das Start-Up von Stiftungen und öffentlichen Geldern. Bezahlt werden davon vier Vollzeitangestellte. 25 weitere aus dem Team und auch die 400 Coaches, Mentoren und Experten, arbeiten ehrenamtlich. Um in Zukunft noch mehr Unterstützung leisten – auch finanziell – schließt sich ProjectTogether mit größeren Partnern zusammen. So zum Beispiel in 2018 mit dem Automobilhersteller Mini Deutschland zum Thema Urbanität. Fortgeschrittenen Gründern soll so die Möglichkeit gegeben werden, die nächste Entwicklungsstufe zu erreichen. Dabei könnte ProjectTogether den Weg eines Inkubator einschlagen, denn es geht vor allem auch darum, das Wissen und die Ideen dieser Projekte zu bündeln und für Veränderung zu nutzen – politisch, wie wirtschaftlich.  Der Gewinn des Europäischen Unternehmerförderpreises 2018 der Europäischen Kommission, lenkte auf jeden Fall einiges an Aufmerksamkeit auf sie. „Wir sehen uns als Schnittstelle“, sagt Maximilian: „Engagement ist für mich die neue Form der Demokratie. Wir müssen anpacken und nicht die Schuld auf das System abwälzen – sondern das System durch gesellschaftliche Partizipation umwandeln.“

Ökoesel – Gemeinsam mehr Bio

Bei dem Münchener Projekt werden regionale und Bio-Lebensmittel bezahlbar und normale Kunden zu solidarischen Mitgliedern.

Gründe für den Griff ins Bio-Sortiment gibt es genug. Ob Dioxin in Fisch und Ei oder Tierquälerei – viele Konsumenten wollen das nicht mehr hinnehmen und bevorzugen vermehrt Produkte mit einem Bio-Siegel, denn sie versprechen eine nachhaltige Herstellung und Beschaffenheit von Produkten. Das belegen auch konkrete Zahlen: Der Bio-Anteil am Lebensmittelumsatz hat sich so in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt und liegt bei einem Marktanteil von etwa 5,9 Prozent. Trotz allem Anstiegs bleibt der Gesamtanteil gering. Warum eigentlich? Glaubt man den Ergebnissen repräsentativer Studien, liegt ein Hauptgrund in der Tatsache, dass fast die Hälfte aller Lebensmittel-Konsumenten, aufgrund der höheren Preise, nicht „bio“ kaufen, gleichzeitig aber zum Kauf bereit wären, würden die Produkte mit dem Siegel günstiger sein.

Um etwas gegen dieses Problem zu unternehmen und so den nachhaltigen Verbrauch von Lebensmittel zu stärken, betreiben Hannes Schmidt und Katharina Deininger in München den Mitgliederladen „Ökoesel“. Von der Butter bis zur Weinflasche werden dort nur biologische, nachhaltige und im besten Fall regionale Produkte verkauft. Wie der Name bereits verrät, werden Konsumenten in so einem Laden zu Mitgliedern einer Gemeinschaft, indem sie einen monatlichen Beitrag von höchstens 15 Euro zahlen. Im Gegenzug erhält man die gewünschten Waren bis zu 30 Prozent günstiger – fast zum Einkaufpreis. Möglich wird das, da durch die Mitgliederbeiträge anfallende Betriebskosten gedeckt werden und so auf hohe Profitmargen verzichtet werden kann. Bleibt die Frage: Warum das Ganze?      

Das Ökoesel-Team Hannes Schmidt und Katharina Deininger

Ziel ist es damit auch die Menschen zu erreichen, die sich aus finanziellen Gründen keine hochwertigen Lebensmittel leisten können. Konkret sollen die Mitgliederbeiträge hier nach einem solidarischen Prinzip helfen, auch sozial Benachteiligten eine gesunde und nachhaltige Ernährung zu ermöglichen. So kann der monatliche Beitrag für Menschen, in besonders prekären Situationen, symbolisch kleiner ausfallen, in dem er von den Beiträgen der Anderen mitgetragen wird. So soll ein Raum entstehen, der „nicht wie alle anderen Supermärkte so sehr auf Profitgenerierung, sondern auf eine gute Versorgung fokussiert ist“, meint Hannes.

Begonnen hat alles im Herbst 2016 mit dem Angebot eines Lieferservices, bei dem Mitglieder zunächst ihre Bestellung online aufgegeben und per Rad nach Hause geliefert bekommen haben. Damals war auch noch Katharinas Bruder Konstantin mit dabei. Es folgte bald der erste Laden, damals noch im Keller des Elternhauses der beiden Geschwister. „Richtig los ging es, als wir dann zwei Mal pro Woche unseren Laden geöffnet hatten. „Da ging die Nachfragekurve steil nach oben“, erklärt Hannes. Die gute Nachricht war jedoch Herausforderung zugleich. So sind Hannes und Konstantin neben der Arbeit im Laden auch noch mit ihrer akademischen Laufbahn beschäftigt. Konkret bedeutet das für Hannes, seinen Soziologie-Master zu absolvieren und für Konstantin erfolgreich zu promovieren. „Es ist schwierig, hier im Laden und gleichzeitig in der Uni alles so zu schaffen, wie man es sich vorstellt – da muss man ein Kompromiss eingehen“, weiß Hannes. Letztlich war für Konstantin aber dieser Kompromiss zu groß, weswegen er aus dem operativen Geschehen im Laden aussteigen musste.

Auch einkommensschwache Menschen sollen sich nachhaltige Lebensmittel leisten können. Ermöglicht werden soll das mithilfe monatlicher Mitgliedsbeiträge.

Eine neue Unterstützung ist jedoch schon in Sicht. Außerdem gibt es jede Menge Hilfe von den Mitgliedern des Ladens selbst. Die packen schon mal am Morgen mit an. Reine Konsumenten sind sie also wirklich nicht. Und genau das ist ja auch das Ziel des Ökoesels: „Mehr Verantwortung abgeben, mehr Leute ins Boot holen, mehr gemeinschaftlich gestalten“, so Hannes. Damit das auch in die Tat umgesetzt werden kann, musste bald eine neue Ladenfläche her. Der Umzug aus dem ersten Verkaufsraum im Elternhaus von Katharina und Konstantin gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht und brachte allmählich das ganze Projekt ins Straucheln. Ende 2018 war es aber dann soweit. Dem Umsatz hat der Umzug nicht geschadet, ganz im Gegenteil. So erklärt Hannes: „Zum einen haben wir einige neue Mitglieder aus der Nachbarschaft hinzubekommen, für die wir eine Lücke im Einkaufsangebot füllen, zum anderen sind uns unsere alten Kunden treu geblieben.  Am Ende ist es schön zu sehen, was wir in den letzten zwei Jahren geschafft haben“.
Auch in Zukunft wird es sicherlich nicht langweilig. Mittlerweile können die Mitglieder an drei Tagen in der Woche zum Einkaufen kommen.  Auch soll der neue Laden weiter ausgebaut werden, eine Käsetheke wartet noch darauf angeschlossen zu werden, zudem soll ein vergrößertes Angebot seinen Weg in die Regale finden. Schritt für Schritt – also alle beim Alten.

Mittlerweile hat der Ökoesel drei Mal pro Woche geöffnet.


(c) Alle Bilder: Christoph Eipert

forStory – Filmen fürs Miteinander

Mit der richtigen Geschichte Chancen stärken und Vorurteile abbauen.

Dem Alltag entfliehen, wer wünscht sich das nicht ab und zu? Glücklicherweise reicht hierfür manchmal schon Popcorn, Cola und ein guter Streifen Made in Hollywood, um die Welt um sich herum für eine Weile zu vergessen. Ob Herzschmerz oder heroische Heldentaten, der Einfallsreichtum der Traumfabriken scheint dabei schier grenzenlos zu sein. Aber wer erzählt eigentlich die Geschichten der Menschen, für die kein roter Teppich ausgerollt wird und die sich trotzdem tagtäglich für andere einsetzen? Diesen Helden des Alltags widmet sich das Münchner Unternehmen forStory und das mit der Idee, genau ihre Geschichten in bewegten Bildern festzuhalten.

 „Wir wollen die Geschichte von gemeinnützigen Organisationen erzählen und ihnen damit helfen, auf sich aufmerksam zu machen und Unterstützer zu bekommen. Unsere eigene Vision ist es, zu zeigen, wie man sich persönlich engagieren kann und wie das Engagement von jedem Einzelnen auch etwas bewirken kann“, erklärt Alexander Conrad. Zusammen mit Philipp Exler und David Hahn ist er einer der Gründer von forStory. Ins Leben gerufen wurde das Projekt auch aus einer bestimmten Not heraus.

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Moe‘ s Story – Die Erfolgsgeschichte eines Flüchtlings aus Sierra Leone in München ist das Erstlingswerk der Filmemacher von forStory.

So fehlt es kleinen sozialen Vereinen, Projekten und Start-Ups oft an den notwendigen finanziellen Mitteln sowie am nötigen kommunikativen Know-how, um erfolgreich auf sich aufmerksam zu machen.  Genau hier soll forStory ansetzen und ein Sprachrohr bieten. Dafür dreht das Team Filmbeiträge, die im Gegensatz zu reinen Imagefilmen nicht bloß ein Projekt ins rechte Licht rücken, sondern dessen gesellschaftlichen Impact und somit die Wirkung ihres gesellschaftlichen Engagements festhalten wollen.  Damit das möglich ist, werden die Kosten für solche Impactfilme so niedrig wie möglich gehalten. Klar, auch das Drehteam muss sich das leisten können. Deshalb wird auch mit größeren Unternehmen und NGO´S zusammengearbeitet um mithilfe des damit erzielten Gewinns auch die Geschichten sozialer Initiativen einzufangen.

„Es ist wichtig, dass wir Organisation vorstellen, aber viel wichtiger ist es sich zu fragen: Was passiert dadurch, dass sie das machen, was sie machen? Was verändert sich für die Gesellschaft?“ sagt Philipp. Seit der Gründung 2016 wurden bereits in über 100 Beträgen Antworten auf diese Fragen filmisch festgehalten. Auch sonst ist viel passiert: Das Team hat sich zu einer GmbH firmiert, ist nach einigen Stopps zur Zwischenmiete in die ersten eigenen Büros gezogen und auch das Team selbst ist gewachsen. So gibt es neben den drei Gründern noch Praktikanten und Werkstudenten, die dabei helfen das Unternehmen am Laufen zu halten. Außerdem sollen bald weitere Festangestellte das Team vergrößern.

Die forStory-Gründer David Hahn (zweiter von links), Philipp Exler (Mitte) und Alexander Conrad (rechts) mit ihrem gesamten Team auf dem Impactfilm Festival 2018.

Auch neue Formate und Finanzierungsmodelle entstehen gerade. „Aktuell arbeiten wir zusammen mit dem SEND e.V. und dem RKW Kompetenzzentrum an einer Videoreihe über Social-Start-Up-Gründer und Gründerinnen. Ermöglicht wird das Projekt aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft. Wir versuchen also verstärkt die Umsetzung von Projekten mit kleineren Initiativen zu sichern, indem wir Partner finden, die das auch finanziell ermöglichen“, sagt Philipp. So soll auch in Zukunft, die Mission von forStory gesichert werden: Sichtbarkeit schaffen.

Für alle anderen Stories, die es verdient haben, gedreht zu werden, sich das aber nicht leisten können, wurde 2017 das Impactfilm Festival ins Leben gerufen.  Hier wird kleinen, aber nicht unwichtigen, Initiativen die Chance gegeben, sich mit engagierten Filmemachern zu vernetzen und Teil eines Wettbewerbsbeitrags zu werden. Die Idee ging auf – und das mit so großem Erfolg, dass das Festival nach zwei erfolgreichen Durchführungen ein Jahr pausieren wird, um die gestiegenen Nachfrage auch bewältigen zu können und ein passenderes Konzept auszuarbeiten. In Zukunft wird es also wohl noch einiges zu bestaunen geben. Schon jetzt sieht Philipp in forStory gar nicht mehr so sehr ein Start-Up, sondern vielmehr eine Filmagentur, die nicht mehr oder weniger die führende Filmagentur im Bereich Nachhaltigkeit werden will. Und das für Philipp aus gutem Grund: „Dieses Ziel treibt uns an, jeden Tag ein bisschen mehr zu machen.“


(c) Alle Bilder: forStory

treibgut – Ist das Kunst oder kann das weg?

Über Mut, Kunst und Kultur zwischen Raummangel und Gentrifizierung

treibgut – das ist eine Münchner Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ausgediente Materialien aus der Kunstszene vor dem Müllcontainer zu retten, sie aufzuarbeiten und aus ihrem Lager heraus, wieder Kunst- und Kulturschaffenden zukommen zu lassen. Treibgut will somit Raum schaffen für den persönlichen Austausch und der Beratung sowie Vernetzung Kunst- und Kulturschaffender. Das macht treibgut auch zu einem Fördertool, denn: Leute kommen, man unterhält sich darüber, was man vorhat und wie man es lösen kann, wie man welches Material verbauen könnte. Ein Fördertool ist treibgut auch deshalb, da Materialien zu einem weitaus geringeren Preis weitergegeben werden, als es auf dem Markt üblich wäre. Gut für eine kreative Szene also, die – anders als die großen Namen und Bühnen – keine riesen Budgets zur Verfügung hat und sich so trotzdem notwendige Utensilien zur Umsetzung eigener Projekte besorgen kann.

Das geht aber nur, wenn die eigenen Kosten so gering wie möglich gehalten werden. Wären die Kosten für Transport, Arbeitsaufwand und Lagerung der Materialien zu hoch, wäre das am Ende auch der Preis für Endabnehmer und der Vorteil zu neuen Materialien wäre dahin. Konkret wird ein großer Teil der Kosten – wie die Mietkosten für das Lager –  durch einen öffentlichen Träger übernommen. So kann treibgut, mit kommunaler Unterstützung, Räume frei nutzen, die in einem Wirtschaftszentrum wie München sonst kaum zu bezahlen sind. Diese Unterstützung ist überlebenswichtig für eine Initiative, deren Erlöse allein noch nicht das Leben ihrer Gründer finanzieren kann. Gut und wichtig ist sie trotzdem. Denn treibgut ist vor allem ein soziales Projekt, das sich nicht auf einen einzigen Schwerpunkt festlegen will und ökologische sowie gesellschaftlichen Interessen verbindet. Als nicht-kommerzielle Initiative ist es dennoch schwer sich in einem Umfeld zu behaupten in dem Raummangel und Gentrifizierung schon längst keine Schlagwörter, sondern reale Bedrohungen für das Leben und seine Kultur in der Großstadt geworden sind.

Wie kann also eine solche Initiative in einem Umfeld funktioniert, indem Wohnungsnot und Gentrifizierung auf der Tagesordnung stehen? Für Antworten sprachen wir mit den Gründern von treibgut Boris Maximowitz und Jonaid Khodabakhshi in ihrem Lager im Münchner Kreativquartier.

In Wirtschaftszentren wie München ist mietbarer Raum oft kaum bezahlbar. Wie seid ihr zu eurem Lager gekommen?

Jonaid: Wir hatten Glück. Die Räume wurden uns vom Kulturreferat kostenlos überlassen, nachdem wir dort bereits das Konzept unserer Lagerinitiative vorgestellt hatten.

Boris: Wir haben einfach versucht auszuarbeiten was wir hier vorhaben – über persönliche Gespräche und mithilfe einiger Leute, die uns unterstützt haben. Letztlich haben wir leerstehende, städtische Räume bekommen. Ich kannte die Räume bereits von einer Ausstellung, bei der ich mitgewirkt habe.

Würdet ihr das, was ihr macht, als einzigartig in einer Stadt wie München bezeichnen?

Jonaid: Bisher schon, also ich wüsste jetzt nicht, dass jemand das hier schon macht. Ich höre auch immer wieder: „Ah cool, dass ihr das macht, das hat hier noch gefehlt“.

Da kann man schon drauf stolz sein, oder?

Jonaid: Stolz in Details würde ich sagen. Ein Detail ist beispielsweise die Ausstellung die Boris alleine gestemmt hat und mir danach erzählt hat, dass er sie mit nur neun Euro umgesetzt hat.  

Boris: Das war auf jeden Fall ein Erfolgserlebnis. Eine komplette Ausstellung, vom Licht bis zur Ausstellungsarchitektur bei der fast keine Kosten angefallen sind.

Boris (links) und Jonaid (rechts) wollen mit treibgut ein fester Bestandteil der Münchner Kreativszene werden.

Was war die Idee eurer Ausstellung?

Boris: Es gab schon lange Gespräche darüber, eine Ausstellung zu machen, bei der unser Netzwerk an befreundeten Künstlern der hier ansässigen Kunstszene Raum zur Verfügung gestellt bekommt, um ihre Sachen zu präsentieren. Das Kreativquartier – also das Gelände auf dem wir uns befinden – hat sich dann an einem Stadtteilfest angeschlossen und direkt im Anschluss das Panama Plus Festival veranstaltet. Für letzteres wurden wir auch angefragt, etwas zu machen. Die Ausstellung ging über zehn Tage, hieß „White Cube. Not.“ und sollte einen Versuch darstellen mit den Räumlichkeiten eine Kreuzung, beziehungsweise Hybridform zwischen dem Lagerinventar und einer klassischen Kunstaustellung umzusetzen. Das hat erstaunlich gut geklappt. Wir haben versucht das Lagerinventar direkt zu nutzen um die Ausstellungsarchitektur hochzuziehen und ich habe das ganze eigentlich als installatives und skulpturales Gesamtpaket gesehen, in das ich dann die einzelnen Werke von insgesamt elf Künstlern eingebettet habe. Aus meiner Perspektive hat das sehr gut funktioniert. Das wurde auch vom Publikum so empfunden. Zudem sind wahnsinnig viele Leute vorbeigekommen, die sowohl die Ausstellung gesehen haben, als auch das Lager kennen gelernt haben. Das war für uns eine gute Art von direkter Öffentlichkeitsarbeit.

Wollt ihr mit solchen Aktionen euch auch ein zweites Standbein als Kulturplattform aufbauen?

Boris: Bis jetzt war die Ausstellung erstmal ein Versuch überhaupt den Raum anders zu nutzen. Ich glaube, wir müssen uns erst noch darüber klar werden, ob sowas wieder stattfindet oder ob das eine einmalige Geschichte war. Wir hatten jetzt auch wieder eine Anfrage für ein Konzert im kleinen Rahmen, wo wir bereits beschlossen haben, dass wir das eher nicht machen wollen. Auch aus dem Grund, dass der Fokus hier wirklich auf Lager, Lagerbestand und Aufarbeitung liegen soll.

Habt ihr euch schon Gedanken gemacht, wie ihr euch finanziell absichern könnt?

Boris: Da sind wir dann doch eher die pragmatischen Typen, die vor Ort versuchen den Laden am Laufen zu halten. Aber klar, Unterstützung bräuchten wir eigentlich schon. Wir sind am Überlegen noch Leute mit ins Boot zu holen, die Aufgaben, wie zum Beispiel Pressearbeit, übernehmen. Es ist schwer den Laden voranzubringen, wenn wir zu zweit alle Aufgaben übernehmen müssen, ohne dass das finanziell was abwirft. Unsere Jobs, mit denen wir unsere Leben bestreiten, fressen auch sehr viel Zeit. Da wird klar, dass die Dimension von realisierbaren Projekten immer auch an die finanzielle Situation geknüpft ist. Letztlich vergrößern wir aber auch die Möglichkeiten bei Leuten, die durch unsere Initiative in der Lage sind künstlerische Projekte umzusetzen. Wenn man hier für 100 Euro einkauft, kann man viel mehr künstlerisch umsetzen, als wenn man alle Materialien neu kaufen müsste. Das ist für mich schon auch stark Grundimpuls und Motivation zugleich. Das gibt dem Ganzen eine Sinnhaftigkeit.  

Mit eurer Unterstützer-Rolle seid ihr auch Gestalter der Kunstszene? 

Boris: Das versuchen wir. Wir wollen zu einem festen Bestandteil der freien Szene in München werden, indem wir als klarer Anlaufpunkt für Kunstschaffende und Kreative, die Projekte umsetzten wollen, agieren.

Eure Heimstätte – das Kreativquartier – soll in den nächsten Jahren mit viel Geld umgestaltet und ausgebaut werden, einige Gebäude sind der Abrissbirne schon zum Opfer gefallen. Wie sieht eure Zukunft hier aus? Müsst ihr hier irgendwann raus?

Jonaid: Wir haben auf jeden Fall ein Verfallsdatum. Wir haben die Ansage, dass dieser ganze Gebäudezug abgerissen wird, definitiv. Nicht das ganze Areal, aber der Rahmenbebauungsplan sieht vor, dass rundherum im Kreativquartier sehr viel abgerissen wird und neugebaut wird, was eben auch unser Lager betrifft. Das heißt, über kurz oder lang müssen wir uns neue Räume suchen

„Wir haben auf jeden Fall ein Verfallsdatum“ —  auch treibgut muss in absehbarer Zeit der Abrissbirne weichen. 

Und das habt ihr vor?

Jonaid: Das hängt davon ab, wie unser Projekt beim Kulturreferat gesehen wird und ob sie gemerkt haben, dass das, was wir machen, Hand und Fuß hat. Wir sind uns aber auch im Klaren darüber, dass wir mehr auf uns aufmerksam machen müssen, damit auch Außenstehende ein Gefühl dafür bekommen, wie ernst es uns damit ist.

Habt ihr Angst, dass eine freie, urbane Kunstszene der reichen „Hochkultur“ weichen muss?

Boris: Ja, momentan ist hier eines der letzten Gelände, dass ein bisschen Keimstätte sein kann, wo es einfach ein bisschen wilder zugeht und die Kreativszene noch nicht durchinstitutionalisiert ist.

Jonaid: … und nicht durchweg kreativwirtschaftlich ist. Kreativwirtschaft: dieser Begriff sagt schon aus, dass Kunst ökonomisch sinnvoll und funktional sein muss. Wenn es solche Vorgaben gibt, die du von vornherein erfüllen musst, dann kannst du dich gar nicht frei entfalten.

Sind Ökonomisierung und Institutionalisierung die typischen Charakteristika eures Umfelds?

Boris: Ja, Freiräume platt machen. Auch hier, diese Quadratmeter, die wir haben, die sind sehr teuer. Das ist Luxusboden hier – einfach zu zentral. Ich habe mitbekommen, dass Teile der Lokalpolitik versuchen so viel wie möglich zu erhalten. Anderen Teilen der Politik ist es aber völlig egal. Für die ist es wichtiger hier Wohnungen hinzustellen. Das kann man schon ein Stück nachvollziehen, da prallen verschiedene Welten und Interessen aufeinander. Aber ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass das Gelände hier wahrscheinlich in fünf oder zehn Jahren soweit umgemodelt ist, dass für eine freie Kreativszene nicht mehr viel Platz ist. Umso wichtiger ist es, dass gerade die Leute vom Gelände und die Leute aus der freien Szene sich dafür einsetzten und dafür kämpfen, dass Freiräume erhalten bleiben. Im Grunde geht es darum den MUT zu haben sich dafür einzusetzen und auch den Mut zu haben, von Seiten der Stadt diese Freiräume zuzulassen und nicht alles kontrollieren zu müssen.

Mit den Freiräumen wird es also ganz schön knapp. 

Jonaid: Man merkt, dass Kunst und Pragmatismus kaum nebeneinander existieren können. Warum auch immer. Klar, wenn hier Wohnungen entstehen, was auch wichtig ist, weil man bezahlbar wohnen muss, dann muss aber auch ein Supermarkt und dies und das und jenes rein und schon hast du als Nebeneffekt, dass alles andere verschwinden muss, weil es nicht effizient genug ist.

Für treibgut ist es wichtig den Mut zu haben sich für kreative Freiräume einzusetzen.

Woran liegt das?

Boris: Kunst wirft kein direktes Produkt ab. Das was es abwirft, das ist schlecht kalkulierbar. Aber so ist das mit kreativen Freiräumen: da kann was entstehen, muss aber nicht. Ebenso wenig ist Kunst planbar. Es kann sein, dass der kreative Output gering ist, es kann aber auch sein, dass Künstler hier zugange sind, die in zehn Jahren international ausstellen. Aber es kann nur und muss nicht – das ist anscheinend zu wenig. Das wird immer sofort weg argumentiert. Trotzdem, ich finde es sinnvoll hier zu bleiben und dann wird man sehen, wie es weitergeht.

Jonaid: Oder wir bauen selber.

Boris: Aus Pappkarton, haben wir ja alles draußen.


(c) Alle Bilder: Sebastian Preiß

Experience Design Kolumne – Folge 2

Prototypen

Nils Enders-Brenner ist Designer und hat einen Kommunikationshelfer entwickelt, der vor allem hörgeschädigte Menschen in der Kommunikation mit hörenden Personen unterstützen soll. Für relaio schreibt er über seine Erfahrungen, seine Projekte und die Herausforderungen, auf die er bei seiner Arbeit stößt.

In letzter Zeit habe ich mich sehr wenig mit dem Kommunikationshelfer beschäftigt. Das passiert, wenn man einen Vollzeitjob, freiberufliche Arbeiten und zusätzlich noch einige Projekte am Laufen hat. Trotzdem werde ich euch berichten, was ich bis jetzt mit dem Kommunikationshelfer gemacht habe. Außerdem habe ich mit dem Gerät schon einiges erreichen können. 

Der Kommunikationshelfer, oder auch „Kommunikationsstörer“ genannt, ist ein Gerät, das die Kommunikation zwischen den Menschen verbessern soll. Es sendet immer wieder ein Feedback, welches den Menschen an einfache Kommunikationsregeln erinnern soll. Das war ein Masterprojekt an der Technischen Universität München beim Lehrstuhl Industrial Design. Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, dann könnt ihr bei der ersten Kolumne einiges darüber lesen.

Seit der ersten Kolumne habe ich den zweiten Prototyp stabiler gemacht, damit ich ihn einer Testgruppe zur Verfügung stellen kann. Die Testgruppe befindet sich an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut. Sie ist bereit, das Gerät für einen längeren Zeitraum zu testen. Sie werden das Gerät überwiegend in Besprechungen und Vorlesungen einsetzen und auf die Funktionalität überprüfen. Es wird ebenfalls beobachtet, welche Auswirkung das Gerät auf die Gesprächsteilnehmer hat. Sie werden den zweiten Prototyp so lange testen, bis ich den dritten genauer und besser ausgearbeitet habe.

Welche Pläne habe ich nun mit dem dritten Prototyp?

Der dritte Prototyp sollte auf jeden Fall dem Benutzer die Möglichkeit geben, die Einstellungen direkt am Gerät vorzunehmen. Damit kann der Benutzer das Gerät so genau wie möglich einstellen, bis es ziemlich perfektioniert ist. Das heißt, das Gerät muss bestimmte Kommunikationsfehlverhalten erkennen, bevor es ein Feedback abgeben darf. Ich versuchte das damals schon im zweiten Störer einzubauen, aber da fehlten mir die Zeit und Erfahrungen. Jetzt werde ich dafür sorgen, dass ich es schaffe.

Gleichzeitig mache ich auch weitere Recherchearbeit. Ich bin gerade dabei herauszufinden, welche Art von Filter für den Störer am bestens geeignet ist, um unerwünschte Geräusche, wie Echos, herauszufiltern. Zudem bin ich auf der Suche nach einem feineren Mikrofon und auch nach einem geeigneten Programmierer, der sich in Kleinelektronik auskennt und C-Dialekt beherrscht. Natürlich könnte ich auch selbst programmieren, aber das dauert bei mir zu lange. Der Code muss allgemein genauer, effektiver und effizienter sein, wenn das Gerät auf dem Markt kommen soll. Solltet ihr Leser jemanden kennen, der sich mit sowas auskennt, meldet euch bei mir! Ich würde mich sehr freuen!

Ich habe mir inzwischen gebrauchte gute Lötkolben gekauft, da ich keinen Zugang zu den Werkstätten mehr habe, die ich damals als Student der TU München immer und gerne besucht habe. Jetzt löte ich ab und zu mal abends, wenn ich von der Arbeit heimkomme, an dem Mikrokontroller und seinen Bauelementen in der Wohnung. Während meiner Arbeiten habe ich es sogar höchstwahrscheinlich geschafft, den Mikrokontroller kaputt zu machen. Ich bezeichne es nicht als ein herber Rückschlag, sondern als einen kleinen Fortschritt, weil ich aus Fehlern lerne.

Erinnert ihr euch noch, dass ich in der vorigen Kolumne geschrieben habe, dass ich immer noch keinen Namen für den Störer gefunden habe, welches aber noch Zeit bis zur endgültigen Marktreife hat? Ende Mai ist mir ein Geistesblitz gekommen, und habe den Namen gefunden. Doch das werde ich euch noch nicht verraten, da ich noch nicht 100-prozentig sicher bin, ob es überhaupt klappt! Den Namen werdet ihr erst in der nächsten oder übernächsten Kolumne erfahren.

Dafür werde ich euch jetzt eine gute Nachricht überbringen. In der vorigen Kolumne habe ich ebenfalls erwähnt, dass der Störer einen Auftritt bei der Munich Creative Business Week, MCBW 2018 im Oskar-von-Miller-Forum hatte. Dort war gleichzeitig auch ein Wettbewerb von Universal Design, wo ich auch das Gerät vor der Jury und den Besuchern präsentiert beziehungsweise vorgestellt habe. Anfang Mai bekam ich eine E-Mail von dem Universal Design Institut, dass ich mit meiner Einreichung erfolgreich war. Einige Wochen später hat T. Bade, der Geschäftsführer des Universal Design Instituts, mir ein Zertifikat im Lehrstuhl Industrial Design überreicht. Ich war sehr begeistert von dem Zertifikat, das zwei Siegel von Universal Design Winner Consumer 2018 und Expert 2018 trägt. Es ist das erste Mal, dass eins meiner Designprodukte eine Auszeichnung erhielt. Zwar bin ich nicht der Gold Winner, aber das ist nur der Anfang meiner Designkarriere. Mit der Auszeichnung habe ich bewiesen, dass ich es geschafft habe Design, für alle zu kreieren, da der Kommunikationshelfer bei jeder Diskussion der versteckte Mittelpunkt ist und den Menschen hilft.

Jetzt, liebe Leser, endet die schriftliche Kommunikation langsam. Hoffentlich hat euch die Kolumne gefallen! Zudem möchte ich mich herzlich bei allen Mitwirkenden für die Unterstützung meiner Masterarbeit und der Realisierung des Gerätes bedanken! Falls ihr irgendwelche Anregungen habt oder an einer Zusammenarbeit interessiert seid, könnt ihr mich sehr gerne anschreiben!


(c) Alle Bilder: Daria Stakhovska 

Experience Design Kolumne – Folge 1

Kommunikationshelfer

Nils Enders-Brenner ist Designer und hat einen Kommunikationshelfer entwickelt, der vor allem hörgeschädigte Menschen in der Kommunikation mit hörenden Personen unterstützen soll. Für relaio schreibt er über seine Erfahrungen, seine Projekte und die Herausforderungen, auf die er bei seiner Arbeit stößt.

Jedes Mal, wenn ich den Störer präsentieren will, fange ich mit den zwei Fragen an: „Können Sie mich hören? Können Sie mich sehen?” Sobald die Zuhörer und Zuschauer zweimal bejaht haben, schließe ich dann mit: „Wunderbar, das ist Kommunikation und die funktioniert, weil wir uns verstehen können.” In dieser Kolumne könnt ihr mich aber nicht hören, sondern nur lesen. Also muss ich in diesem Fall folgendes schreiben: „Können Sie mich lesen?” Hoffentlich habt ihr es verstehen können, ich weiß es nicht, da ich eure Reaktion nicht sehen kann. Ihr seht, wie hochkompliziert die Kommunikation ist, denn sie ist immer mit Störungen verbunden. Diese sind sehr vielfältig:

Es gibt technische Störungen, zum Beispiel wenn wir uns in einem Funkloch befinden und unser Taschentelefon kein Empfang mehr hat. Dann können wir nicht kommunizieren. Es passiert ebenfalls, wenn wir von Informationen überflutet werden, sodass wir nicht mehr zwischen wichtigen und unwichtigen unterscheiden können. Natürlich gibt es auch die Störung durch die Sprache, das kann passieren, wenn die Menschen keinen gemeinsamen Sprachcode haben, wie beispielsweise ein Gespräch zwischen einem Norddeutschen und einem Bayern.

Als ich noch ein Masterstudent der Technische Universität München am Lehrstuhl Industriedesign war, habe ich das Thema Kommunikation ausgesucht, da ich mich damit sehr gut auskenne. Erstens habe ich mich in meiner Bachelorarbeit intensiv mit Kommunikation beschäftigt. Zweitens bin ich von Geburt an hochgradig schwerhörig, das heißt, dass ich so gut wie taub bin. Und drittens musste ich während meiner ganzen Lebenszeit  mit unterschiedlichen Kommunikationsbarrieren zurechtkommen, diesen ausweichen oder sie vermeiden.

Bei meiner Masterarbeit ist mir bei der Recherche aufgefallen, dass die meisten, wenn nicht alle, hörgeschädigten Studierende in ganz Deutschland vom Staat unzureichend gefördert werden. Der Staat unterschätzt nicht die wirklichen Probleme der Hörschädigung. Es ist ein großes Thema und darüber wird noch viel diskutiert.

Hörschädigung ist eine unsichtbare “Behinderung” (manche sprechen gar nicht von einer Behinderung, weil sie ein Teil der Gehörlosenkultur mit ihrer eigenen Sprache, der Gebärdensprache ist). Die Bürger können die Hörschädigung nicht sehen im Vergleich zu einem Rollstuhlfahrer oder einem Blinden. Diese Art von Behinderungen sind sichtbar und ihnen wird sofort Aufmerksamkeit geschenkt. Doch diese Aufmerksamkeit erhalten die Hörgeschädigten nicht, obwohl sie besonders viel davon brauchen, wenn sie sich in der Gesellschaft wohl fühlen wollen.

Bei meiner Masterarbeit habe ich versucht, die Kommunikation zwischen den hörenden und hörgeschädigten Studierende an den deutschen Universitäten wieder auf Augenhöhe zu bringen. Dabei habe ich die Methoden der Designforschung verwendet. Das heißt, ich habe zuerst viel über die Gehörlosenkultur und Schwierigkeiten der Hörschädigung in der hörenden Gesellschaft recherchiert. Erst als ich das erweiterte Grundwissen erlangt habe, habe ich 14 betroffene Studierende aus München und Hamburg interviewt. Nebenbei machte ich auch zwei Workshops mit insgesamt 30 Teilnehmern in Bayern. Am Ende ist durch intensive Recherche ein „Kommunikationsstörer“ entstanden.

Die Masterarbeit hat mir unglaublich viel Spaß gemacht und ich habe jeden Tag ungefähr zehn Stunden über sechs Monate hinweg dafür gearbeitet. Ich habe recherchiert, dokumentiert und am Ende einen Prototypen gebaut. Jetzt fragt ihr bestimmt, was ein Störer ist und was er macht?

Bei der Recherche habe ich herausgefunden, dass die meisten der hörgeschädigten Studierenden oft lieber alleine lernen oder zu zweit, da sie die Diskussionen mehrerer Kommilitonen nicht verfolgen können. Zudem sind die meisten der Universitätsleute sehr schlecht über Gehörlosigkeit aufgeklärt.

Außerdem habe ich auch noch die interessante Sache herausgefunden, dass es sich oft nicht lohnt, das Problem einfach weiterzuverfolgen. Am Ende entsteht zwar eine Lösung, aber mit neuen  Problemen. Also habe ich mich dann in die entgegensetze Richtung bewegt, indem ich die Kommunikationsstörungen nicht reduziere, sondern sie verstärke. Ihr wisst ja, dass die Störungen nicht zu vermeiden, sondern nur reduzierbar sind. Auf diese Weise bleibt das Problem nicht nur an einem Hörgeschädigten hängen, sondern das Problem wird allen in der Gruppe bewusst.

Und wie funktioniert nun eigentlich der Störer?

Er funktioniert folgendermaßen: Das Gerät liegt unauffällig auf dem Tisch, während die Studenten ihre Gruppenarbeit machen. Der Störer kommt erst zum Einsatz, sobald einer der Gesprächspartner zu laut oder zu schnell spricht. Er stört den Sprecher durch ein lautes Feedback mit einem hohen primitiven Pfeifton. Das passiert ebenfalls, wenn die Sprecher sich gegenseitig unterbrechen. In diesem Fall muss der Hörgeschädigte den anderen nicht andauernd bitten, langsamer oder deutlicher zu sprechen. Das muss er nun nicht mehr machen, sondern das macht der Störer, der nun im Mittelpunkt steht und nicht der Mensch. Eine erfolgreiche Kommunikation funktioniert nur, wenn sie alle gegenseitig Rücksicht nehmen.

Ich erzähle den anderen gerne, dass die Menschen sich an den Störer anpassen müssen, wenn sie sich unterhalten wollen. Ihr wisst ja, dass die meisten Gegenstände so entworfen sind, dass sie sich an den Benutzer anpassen müssen.

Der Störer kann aber auch für andere Menschen sehr interessant sein. Es gibt unglaublich viele Anwendungsgebiete, wo das Gerät eingesetzt werden kann. Seine Hauptaufgabe ist, den Menschen wieder qualitatives Kommunizieren beizubringen. Er kann bei der Sprachtherapie eingesetzt werden, um den Menschen gegen das Stottern zu helfen, oder um eine Fremdsprache noch fließender zu beherrschen mit dem richtigen Rhythmus. Auch beim Präsentationstraining kann er verwendet werden, da er den Sprecher dazu erzieht, dass dieser im richtigen Sprechtempo und und der richtigen Lautstärke spricht. Das Gerät hat einen weiteren  Pluspunkt, der heute immer wichtiger wird: Es sammelt keine Daten und es funktioniert in Eigenregie, das heißt, es wird kein Internetanschluss benötigt.

Ich habe zu diesem Thema bereits mehrere Präsentationen gehalten, wie ich am Anfang schon erwähnt habe. Bei einem Vortrag an der HAW Landshut wollten die Zuschauer mir gleich den  Prototyp abkaufen wollten. Das ging leider nicht, da der Störer sich  noch einem Entwicklungsstatus befindet und noch etwas unausgereift ist. Ich war jedoch bereit, den Prototyp für Testversuche zur Verfügung zu stellen und mir selber einen Neuen zubauen.

Das Gerät hatte auch einen Auftritt bei der Munich Creative Business Week, MCBW 2018 im Oskar-von-Miller Forum gehabt. Es hat zwar den Wettbewerb nicht gewonnen, aber es hat für Aufmerksamkeit gesorgt und die Besucher haben mich immer wieder ermuntert, es weiter zu verbessern.

Und was passiert als nächstes?

Wichtig ist für mich, den Prototypen zu einem marktfähigen Produkt zu machen. Um das zu erreichen, müssen die Funktionen noch besser werden. Natürlich muss weiter fleißig Feedback eingesammelt werden, indem er Testversuche durchläuft. Und das Patent muss noch eingereicht werden. Am Ende erfolgt dann die Werbung, die ich eigentlich jetzt schon mache, damit der Störer die erforderliche öffentliche Aufmerksamkeit bekommt.

Und ich habe immer noch keinen Namen für den Störer gefunden, aber das hat noch Zeit bis zur endgültigen Marktreife.

Schließlich möchte ich erwähnen, dass die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht einen stärkeren Eindruck hinterlässt, als die Kommunikation über technische Geräte oder soziale Medien.

Wie sich das Kommunikationsgerät weiterentwickelt und ob es vielleicht auch bald einen Namen gibt, erfahrt ihr in der nächsten Kolumne.


(c) Alle Bilder: Daria Stakhovska 

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