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relaio.de

Die Plattform für nachhaltiges Unternehmertum

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Mach´s gut, relaio!

relaio, die Plattform für gesellschaftlichen Wandel stellt den Betrieb ein. Aber auf anderen Websites der Hans Sauer Stiftung geht es weiter… 

Wie soll eine Gesellschaft aussehen, die ein gutes und gerechtes Leben für alle schafft und dabei die Belastungsgrenzen unseres Planeten achtet? Welche Werte, Praktiken und Technologien müssen sich ändern, damit wir die Welt und die Gesellschaft in der wir leben, nachhaltig gestalten können? Und wer sind diejenigen, die dazu beitragen können?  

Mit diesen Fragen beschäftigte sich relaio zuletzt. Und hat versucht Antworten darauf finden: relaio hat Wissen geliefert, wie gesellschaftlicher Wandel funktionieren kann und dabei Hintergründe und Konzepte zu aktuellen Themen aus Forschung und Gesellschaft beleuchtet. Wie sich Innovationen in der Gesellschaft verbreiten wurde dabei ebenso thematisiert, wie die Probleme der kapitalistischen Produktionsweise oder die Unzulänglichkeiten einer Circular Economy. relaio hat aber auch Lösungsansätze vorgestellt und Vorbilder interviewt, die demonstrieren, wie gesellschaftlicher Wandel gelingen kann. Sowohl Nischenakteur*innen wie das „Penthaus à la Parasit“ als auch renommierte Wissenschaftler wie Volker Quaschning kamen hier zu Wort. relaio wollte so auch seine Leser*innen dazu ermutigt, sich selbst als Gestalter*innen des Wandels miteinzubringen. 

Menschen dazu zu bewegen, sich einzusetzen und ihnen das hierfür nötige Wissen mitzugeben, war seit jeher das Ziel dieses operativen Projekts der Hans Sauer Stiftung. Es steht damit in der gedanklichen Tradition des Erfinders, Unternehmers und Stifters Hans Sauer, der bereits 1987 das „DABEI-Handbuch für Erfinder und Unternehmer“ erarbeitet hat, um Menschen einen Leitfaden für die Umsetzung von Innovationen an die Hand zu geben. Der Stifter beschäftigte sich daraufhin in den 1990er Jahren mit dem Thema der erfinderischen Kreativität und deren Beitrag zu einer funktionierenden „Ko-Evolution“ von Mensch und Natur. Seine Tochter Monika Sachtleben veröffentlichte 1999, drei Jahre nach dem Tod des Stifters, zu diesem Thema das Buch „Kooperation mit der Evolution“. Diese Veröffentlichungen lieferten die Wertedimension, die die Arbeit von relaio prägten: Die Förderung von technischen und sozialen Innovationen, bei denen der gesellschaftliche Nutzen im Vordergrund steht.  Eine digital erneuerte Version des „DABEI-Handbuch“ entstand 2009, die sich noch stark am Aufbau des ursprünglichen Handbuchs orientierte. Zeitweise wurde das Projekt dann am LMU Entrepreneurship Center in München weiterbearbeitet, wobei vor allem der aktuelle Wissensstand rund um das Thema „Nachhaltig Wirtschaften“ erarbeitet wurde. 2012 wurde dann das DABEI-Handbuch „digitalisiert“ und thematisch grundlegend ergänzt und für eine breitere Zielgruppe zugänglich gemacht.  Dies legte den Grundstein für das Projekt relaio, das als „Ideengarage“ gestartet wurde und dann 2015 als Plattform für nachhaltiges Unternehmertum online ging.  

Im Laufe der Zeit gewannen dabei aktuelle Themen der Stiftungsarbeit wie Social Design, Stadtentwicklung und Cirular Society immer mehr an Bedeutung. Diese Themen sind aktuell die Schwerpunkte der Stiftungsarbeit geworden und werden nun auch redaktionell auf- und beabeitet. Wer die Stiftungsarbeit also weiterhin verfolgen möchte, ist herzlich eingeladen dies auf www.socialdesign.de zu tun.  Die Seite relaio.de wird daher nicht weiter aktualisiert, bleibt aber in ihrer aktuellen Form erhalten. Die Plattform hat viele angehende Sozialunternehmer*innen und Pioniere des Wandels begleitet, ihnen Wissen zur Verfügung gestellt und versucht, ihnen neue Richtungen aufzuzeigen, die hierfür erarbeiteten Inhalte sollen daher auch anderen noch zur Verfügung stehen.  
An dieser Stelle möchte sich relaio zudem bei allen Leser*innen, Interviewpartner*innen und ehemaligen Mitarbeiter*innen bedanken – ohne euch wäre diese Plattform nicht so bunt, vielseitig und spannend geworden.  

Für uns heißt es jetzt aber Abschied nehmen, mach´s  gut relaio! 

KORA MIKINO – Sustainable Femcare

Ein Interview mit Julia Rittereiser über die Tabuisierung der Menstruation und einen nachhaltigeren Umgang mit entsprechenden Hygieneprodukten 

Ein menstruierender Mensch verbraucht in seinem Leben durchschnittlich über 10.000 Monatshygieneprodukte – wenn Einwegprodukte wie Tampons und Binden verwendet werden. Mehrere Kilogramm Müll kommen so pro Person und Jahr zusammen. Einweg-Menstruationsprodukte beinhalten dabei häufig Plastik und Kunststoffverbindungen und verursachen bei der Entsorgung große Umweltbelastungen, insbesondere wenn sie einfach über die Toilette entsorgt werden. Doch nicht nur aufgrund der Entsorgungsproblematik ist es wichtig, sich genauer mit der Periode auseinanderzusetzen. Denn auch der gesellschaftliche Umgang damit hat weitreichende Folgen für Menschen mit Menstruation. Wir haben mit Julia Rittereiser, der Gründerin von KORA MIKINO über die Folgen der gesellschaftlichen Tabuisierung der Menstruation und über Möglichkeiten, die Periode mit Menstruationspanties nachhaltiger zu managen, gesprochen. 

relaio: Die Periode ist gesellschaftlich tabuisiert, viele Menschen mit Menstruation behandeln sie möglichst diskret oder sogar schamhaft. Warum ist das so? 

Julia Rittereiser : Das betrifft nicht nur das Thema Periode, sondern fast alles was den weiblichen Körper angeht: Körperflüssigkeiten und alles „dort unten“ wird bestenfalls mystifiziert, aber meistens doch eher tabuisiert, was ganz stark auf unsere doch sehr patriarchalen Gesellschaftsstrukturen zurückzuführen ist. Das ist teilweise auch industriebedingt. Uns wurden die letzten 30 Jahre Hygieneprodukte mit blauen Blut vermarket. Sauber und diskret ist der Slogan, Hauptsache keiner sieht etwas oder bekommt etwas davon mit. Das hat natürlich zum Tabu beigetragen.

Julia Rittereiser von KORA MIKINO (c) KORA MIKINO/Nora Tabel

Was macht es mit Menschen mit Menstruation, dass die Periode so tabuisiert ist? 

Zum einen limitiert es einen Menschen natürlich, wenn über einen so zentralen und auch gesundheitlich bedeutungsvollen Vorgang im Körper nicht offen gesprochen werden kann. Dadurch wird einfach nicht vermittelt, dass die Periode etwas ganz Natürliches ist und auch zeigt, dass der Körper normal funktioniert. Das Tabu hat aber auch den Aspekt, dass sowohl auf persönlichem als auch auf gesellschaftlichen Niveau wenig Wissen zu dem Thema vorhanden ist. Es gibt zum Beispiel sehr wenig medizinische Forschung dazu: Für uns war es eine Herausforderung, überhaupt einmal nur herauszufinden, wieviel Menstruationsblut eigentlich im Schnitt verloren geht – dazu gibt es kaum belastbare Fakten. Und auch zu Krankheiten wie Endometriose, unter der sehr viele menstruierende Menschen leiden, gibt es kaum medizinische Studien. Häufig werden Frauen vom Gynäkologen nach Hause geschickt nach dem Motto, sie haben einfach Periodenschmerzen, das ist eben ganz normal. Und oft kommt dann erst, wenn man Schwierigkeiten hat, schwanger zu werden, heraus, dass man Zysten im Unterleib hat. Aber je nach Gesellschaft und Land hängen da noch sehr viel weitreichendere Probleme daran. Denn je nachdem wie die Versorgung mit Hygieneartikeln aussieht, kann das Einschnitte für das ganze Leben eines Menschen nach sich ziehen. Laut einer Studie von UNICEF haben von 1,8 Milliarden Menschen mit Menstruation weltweit 1,2 Milliarden keinen ausreichenden Zugang zu Menstruationsprodukten. Besonders Jugendliche im globalen Süden verpassen dann oft während ihrer Periode die Schule oder müssen diese ganz abbrechen. Und das ist dann eine Kettenreaktion, die sich durchs ganze Leben zieht. Ein Mensch mit Menstruation hat so einfach nicht die gleichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten wie jemand, der nicht menstruiert. Oder es gibt Gesellschaften, da werden menstruierende Menschen während der Periode sogar des eigenen Hauses verbannt. Aufgrund dieser weitreichenden Verflechtungen tut man ganz viel für das Empowerment der Hälfte der Weltbevölkerung, wenn man sich mit dem Thema Periode auseinandersetzt.  

Was tut ihr gegen diese Tabuisierung der Periode?   
Wir arbeiten da auf ganz vielen Ebenen – zum einen ist das die Art wie wir kommunizieren, bei uns ist das Periodenblut rot und wir reden offen und ehrlich darüber – einfach um dem Thema Aufmerksamkeit und einen Raum zu geben und es so zu normalisieren. Wir unterhalten dazu einen Blog und machen auch sehr viel auf Social Media. Dabei wollen wir einen Austausch fördern und auch ein Gespräch provozieren. Damit wollen wir die Auseinandersetzung mit der Periode anregen und auch Möglichkeiten, wie man diese alternativ und nachhaltig managen kann, in die Medien und Massenmedien bringen. So möchten wir zu einem Umdenken und auch zu einer Enttabuisierung beitragen. Dieses Ziel verfolgen wir auch mit unserem Produkt, den Menstruationspanties. Auch hier wird das Thema nicht mehr versteckt, sondern die Auseinandersetzung mit der Periode und dem Körper findet auf einer anderen Ebene statt. 

Das Team um Julia Rittereiser möchte mit einer offene Kommunikation zur Enttabuisierung der Menstruation beitragen (c) KORA MIKINO/Nora Tabel

 Wie genau funktioniert die Menstruationspant? 
 
Im Prinzip ist es eine Unterhose, die man während der Periode trägt. In deren Schritt ist eine unsichtbare Sauglage eingearbeitet, die nur wenige Millimeter dick ist. Der erste Layer unserer Sauglage besteht dabei aus einem grobporigen Wabenstoff, der das Blut sekundenschnell weitertransportiert und so für ein trockenes Tragegefühl sorgt. Das Blut wird anschließend vom SmartLayer eingeschlossen. Dieser ist besonders saugstark, geruchsneutralisierend und atmungsaktiv. Nach unten hin ist der SmartLayer wasserfest versiegelt, was den Auslaufschutz der Panty garantiert. So kann die Panty bis zu 30 Milliliter Periodenblut aufnehmen, das reicht bei den meisten Menschen den ganzen Tag oder die ganze Nacht. Abends ziehst du das Ding einfach wieder aus. Und das macht es super einfach – man trägt die Panty anstatt einer Unterhose und kann  Tampons und Binden  weglassen – die Menstruationspanty erledigt den ganzen Job. Und abends wäscht du sie am Waschbecken aus – dabei siehst du auch das Blut. Anschließend kommt die Panty zusammen mit der Wäsche in die Waschmaschine. Wenn du deine ganze Periode nur mit den Panties managen willst, brauchst du ungefähr drei bis fünf Panties, je nachdem wie lange und stark die Periode ist. Ich selbst habe fünf Menstruationspanties und das reicht mir vollkommen.  

Was ändert sich durch die Nutzung der Panty am Umgang mit der Periode?  

Gerade wenn man von einem Tampon umsteigt, kann es das erste Mal seit langem sein, das man wieder sein eigenes Periodenblut sieht. Und man merkt auch, wie es herausfließt. Das kann am Anfang ein ziemlicher Mindfuck sein, weil viele Menschen darauf trainiert sind, dieses Gefühl als Alarmstufe Rot zu sehen –jetzt versagt das Hygieneprodukt. Du musst dich erstmal mental drauf einstellen, dass die Panty das auffängt. Aber nach einer Gewöhnung empfinden tatsächlich viele dieses Gefühl als sehr angenehm, was dabei helfen kann, eine andere Verbindung zum Körper aufzubauen. Viele unserer Kund*Innen, mit denen wir darüber gesprochen haben, verwenden das Wort „natürlicher“ um uns ihren Umgang damit widerzuspiegeln. Oft hören wir auch, dass die Nutzer*Innen weniger Krämpfe und dadurch weniger Schmerzen bei der Periode haben. Aber das ist natürlich individuell. 

  Tampons stehen seit geraumer Zeit in der Kritik, da sie als Einwegprodukte viel Müll produzieren, ungerecht besteuert sind und auch zu vaginaler Trockenheit und zum toxischen Schocksyndrom führen können. Menstruationstassen gelten in der Hinsicht oft als nachhaltiger. Aber welche Vorteile bietet euer Produkt im Vergleich zur Tasse? 

 Wir haben super viele Nutzer*Innen, die beide Produkte in Kombination benutzen, da sie sich wirklich großartig ergänzen. Wenn man unterwegs ist und die Tasse auf einer öffentlichen Toilette wechselt, kann das ein bisschen eine Herausforderung sein, da nutzen einige dann die Panty als Backup. Oder es gibt auch Menschen, die einen super starken Flow haben und deswegen beide Produkte verwenden, damit sie nicht pausenlos auf die Toilette müssen. 

Die Tasse ist ein super Produkt, aber sie passt anatomisch einfach nicht für jeden gleich gut. Deswegen nutzen manche die Panty als Backup oder als Alternative. Denn die sitzt wie eine Unterhose und ist dadurch in der Anwendung deutlich einfacher. 

Die Panties werden auf der Schwäbischen Alb und in Rumänien unter fairen Bedingungen hergestellt. (c) KORA MIKINO/Nora Tabel

Wie bist du selbst auf die Idee gekommen, dich mit dem Thema zu beschäftigen und ein Unternehmen zu gründen? 
 
Meine erste Motivation war, keinen Müll mehr zu produzieren und deswegen keine Wegwerfprodukte mehr zu kaufen. Deswegen habe ich die Menstruationstasse ausprobiert, aber das hat bei mir leider überhaupt nicht funktioniert. Bei vielen funktioniert das ganz toll – aber bei mir hat es einfach nicht gepasst. Ich bin dann auf eine Menstruationspanty von einem anderen Hersteller gestoßen und fand die nur ok – aber die Idee total geil. Ich habe dann ein paar Nachforschungen angestellt und festgestellt, dass das eigentlich ein sehr altes Produkt ist. Im Dresdner Hygienemuseum gibt es Menstruationspanties aus den 1960er und 1970er Jahren. Und das ist einfach vom Markt verschwunden, genau wie viele andere nachhaltige Produkte – die Menstruationstasse gibt es seit den 1930er Jahren. Alle diese nachhaltigen Produkte wurden vorm Markt gedrängt, sie galten als unrein und dreckig und wurden als rückständig gebrandet. Denn mit einem langlebigen und wiederverwendbaren Produkt kann viel weniger Geld verdient werden, als wenn eine Abhängigkeit kreiert wird und die Menschen jeden Monat das Produkt neu kaufen müssen. 
Ich selbst habe lange für ein Tech-Unternehmen gearbeitet und hatte den Wunsch, etwas Eigenes zu gründen und dabei etwas zu machen, was sozial und ökologisch einzahlt. Ich wollte nicht mehr CO2 und Müll produzieren, sondern etwas schaffen, das einen Sinn über das eigentliche Wirtschaften hinaus hat. Und Ich habe also nach einer Möglichkeit gesucht, mich unternehmerisch zu betätigen und dann bin ich auf dieses Thema gestoßen, bei dem ich gemerkt habe, da kann man noch richtig etwas verbessern und jeden Monat viel Müll vermeiden. Aber nicht nur das macht unser Produkt nachhaltig, wir kaufen unsere Materialien nur in Europa und produzieren auch nur in Europa, um die Wege kurz zu halten und Sozialstandards gewährleisten zu können. In der Textilindustrie arbeiten fast nur Frauen. Unsere Arbeiter*Innen auf der Schwäbischen Alb und in Rumänien werden alle fair behandelt und bezahlt. Gerade wenn es um das Thema Female Empowerment geht, kann es aber nicht sein, dass ein Mensch für einen Hungerlohn das Produkt zusammennäht. Unsere Wertschöpfung findet deswegen aber auch nur in der westlichen Hemisphäre statt. Deswegen open-sourcen wir unsere Schnittmuster und Technologien für Organisationen im globalen Süden. Diese Initiative nennen wir „Period Pledge„. Wir wollen auch hier Menschen empowern, sich selbst zu versorgen. Und das ohne Abhängigkeiten von uns zu schaffen, also verlangen wir dafür kein Geld. Im Gegenteil, wir sind dabei Starter-Packages, mit Schnittmustern, Nähmaschinen uns so weiter zusammen zu stellen, um so diese riesige Versorgungslücke global zu schließen. 


Alle Bilder (c) KORA MIKINO/ Nora Tabel

„Das Fatalste, was man machen kann, ist, einfach nichts zu tun“

Wer erfolgreich etwas gegen den Klimawandel unternehmen will, sollte vor allem eines tun: handeln – Im Interview mit Volker Quaschning. 

Junge, demonstrierende Schüler*innen, die unter dem Motto Fridays for Future auf die Straße gehen, gehören mittlerweile zum gewohnten Bild vieler Städte – weltweit. Vor allem eine Forderung wird dabei immer wieder laut: Tut endlich etwas gegen die Zerstörung unserer Erde! Es ist ein dringender Appell und der scheint keineswegs unbegründet zu sein. Denn Industrialisierung und Globalisierung, brachten nicht nur Wohlstand, sondern auch Feinstaub, Klimaerwärmung und Artensterben. Grund zu handeln also. Das weiß auch Volker Quaschning, Professor für das Fachgebiet Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Wir haben mit dem Unterstützer der Schüler*innen-Proteste und Mitinitiator von Scientists for Future über fehlenden Mut in der Politik, das richtige Setzen von Prioritäten sowie über die Bedeutung aktueller Klimaschutzbewegungen gesprochen.

relaio: Herr Quaschning, wenn man Sie auf der Straße fragen würde, was denn das Problem sei mit dem Klimawandel: Was würden Sie entgegnen?

Volker Quaschning: Das Problem ist so groß, dass man es kaum in wenige Sätze packen kann. Aber was würde man sagen? Das Problem ist, dass unsere Kinder in der zweiten Hälfte ihres Lebens vor unlösbaren Existenzschwierigkeiten stehen, wenn wir so weiter machen wie bisher und dass wir sehr schnell handeln müssen. Man kann dann natürlich nochmal anfangen, die wissenschaftlichen Ursachen für den Klimawandel zu erläutern, dass wir also enorme Mengen an Treibhausgasen ausstoßen, die nachweislich das Klima bereits verändern. Dadurch gibt es bereits einen Temperaturanstieg um ein Grad Celsius, was ungefähr ein Drittel des Temperaturanstiegs seit der letzten Eiszeit bedeutet. Der Unterschied: damals dauerte das Jahrtausende, nun geschieht das gleiche im Expresstempo in nur einhundert Jahren. Diesen dramatischen Temperaturveränderungen werden die Ökosysteme unseres Planeten nicht folgen können.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe des „Münchner Klimaherbst“ haben Sie vor vollen Rängen des Audimax der technischen Universität München einen Vortrag über die gegenwärtige Klimapolitik gehalten. Das öffentliche Interesse zu Klimafragen ist also da.

Das ist ja das Schöne! Da sind wir schon mal viel weiter als vor einem Jahr. Da wären bei dem gleichen Vortrag vielleicht ein Zehntel der Leute gekommen.

Sie haben dort gesagt: „Wenn ein nachhaltige Klimapolitik zukünftig scheitert, dann kommen die Niederländer nach Bayern.“ Wie muss man das verstehen?

Durch den Klimawandel gibt es verschiedene Veränderungen. Die muss man versuchen bildlich darzustellen. Eine der Veränderungen wird es sein, dass der Meeresspiegel ansteigt. Langfristig sind bis zu 70 Meter möglich. Das wird natürlich nicht in den nächsten zehn Jahren passieren, sondern sich über Jahrhunderte hinstrecken. Aber es gibt Veröffentlichungen, die besagen, dass wir gegen Ende des jetzigen Jahrhunderts durchaus einen Anstieg von einem oder zwei Metern erreichen können. Einen Meter werden die Niederländer mit Deichen noch hinkriegen, aber bei bei drei bis vier Meter plus sind diese Gebiete einfach weg. Die Menschen, die dort wohnen, werden sich dann einen anderen Lebensraum suchen müssen. Niederländer in Bayern wären dann wohl noch das kleinere Problem. Durch den Anstieg des Meeresspiegel werden aber generell sehr viele Lebensräume zerstört werden und die Menschen, die dort wohnen, müssen sich eine neue Heimat suchen.

„Das Problem ist, dass unsere Kinder in der zweiten Hälfte ihres Lebens vor unlösbaren Existenzschwierigkeiten stehen“, sagt Volker Quaschning.  (c) Silke Reents

In Ihrem Vortrag haben Sie noch von dem Problem der Nahrungsmittelknappheit gesprochen.  

Genau! Nahrungsmittelknappheit ist auch für mich insofern spannend, da mir erst im letzen Sommer bewusst geworden ist, um welches Problem es sich hierbei handelt. In diesem Sommer hatten wir in Deutschland eine extreme Dürre inklusive 30 Prozent Ernterückgang. Vor einigen Jahrhunderten hätte das eine Hungersnot zur Folge gehabt. Man konnte damals nur regional Nahrungsmittelengpässe ausgleichen. Das heißt, unter diesen Umständen hätten wir ein massives Problem gehabt. Wenn das Szenario eintritt, dass global, gleichzeitig mehrere Regionen von so einer Dürre betroffen sind, dann kann es auch heutzutage eng werden. Dann geht ein Kampf um knappe Lebensmittelressourcen los. Das sind Szenarien, die man sich dann doch lieber nicht vorstellen möchte. Unwahrscheinlich ist es aber eben nicht, dass so etwas in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts passiert.

Aber sind die Folgen des Klimawandels nicht auch schon heute bemerkbar? Oder wollen wir sie vielleicht erst gar nicht bemerken?

Es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten, wie man auf diese Folgen reagiert. Man erstarrt beispielsweise vor Angst und verfällt in Steinzeitreflexe. Es ist, als käme der Säbelzahntiger und man fühlt sich zu schwach, um gegen ihn zu kämpfen. Dann lässt man entweder alles über sich ergehen oder man bildet sich einfach ein, es gäbe gar keinen Säbelzahntiger und hofft, dass alles irgendwie gut ausgeht. Die andere Möglichkeit ist aber, einen Versuch des Handelns zu unternehmen. Die meisten bleiben jedoch bei den Varianten eins oder zwei. Genauso trifft das auf den Klimawandel zu und das, indem man versucht, das Problem einfach klein zu reden. Wir befinden uns aber nicht mehr in der Steinzeit. Das heißt, wir sind mit der Wissenschaft in der Lage Probleme zu bewerten und zu analysieren. Die Wissenschaft kommt dabei zu einem ganz klaren Urteil: Der Säbelzahntiger ist tödlich.

Können wir diesen Säbelzahntiger überhaupt noch bezwingen?

Wenn wir noch ewig diskutieren, ob der Klimawandel wirklich ein Problem ist, dann ist es halt irgendwann zu spät. Das ist das Problem, das wir haben. Anderseits wissen wir, was wir machen müssen. Das heißt: unser Hauptproblem ist die Nutzung fossiler Energieträger – also Öl, Kohle und Gas. Wir wissen aber auch, dass wir das mit erneuerbaren Energien lösen können. Die Technologien dazu sind  bezahlbar, das heißt, wir könnten uns den Umstieg auch leisten. Das ist eigentlich das Fatale: es gibt eine rettende Strickleiter auf den Baum, aber wir bleiben einfach sitzen. Sie nicht zu erklimmen ist zwar bequemer, aber langfristig gesehen nicht besser. Es fehlt also am Handeln. Ich hoffe aber immer noch, dass der Mensch intellektuell in der Lage ist, dieses Problem zu erkennen und demnach zu handeln. Gerade in der Wissenschaft ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen und zu kämpfen.

Wie würden Sie als Wissenschaftler so eine Strickleiter beschreiben?

Wir sagen: bis 1,5 Grad Temperaturanstieg haben wir zwar auch schon Klimaveränderungen, jedoch lassen sich diese noch ausgleichen. Das heißt: der Klimawandel ist schon da, aber in einem Maße, in dem er beherrschbar ist. Über einem Anstieg von 1,5 Grad hinaus wird es aber schon bei jedem zehntel Grad Temperaturanstieg bedeutend schlimmer werden. Wann genau so ein Anstieg für die Menschheit unbeherrschbar wird, ist nur schwer zu sagen. Manche meinen, dass es schon ab diesen 1,5 Grad schwierig wird. Andere hingegen sagen, dass man ab einen Temperaturanstieg von zwei Grad große Teile des Planeten noch einigermaßen gut beherrschen könne. Bei zwei Grad verschwinden aber bereits einige Inselstaaten. Davon abgesehen, werden dann die Probleme größer. Das muss man ganz klar sagen. Meine Empfehlung ist es, Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen und jedes Jahr, in dem wir warten, macht das Problem nur größer. Das Fatalste was man machen kann, ist, einfach nichts zu tun. Man sollte lieber nicht ganz die richtigen Maßnahmen treffen, als einfach nichts zu tun und auf zukünftige Innovationen zu hoffen.

„Wenn wir noch ewig diskutieren, ob der Klimawandel wirklich ein Problem ist, dann ist es halt irgendwann zu spät.“ (c) Silke Reents

Unter den erneuerbaren Energien sind vor allem Solar- und Windenergie am günstigsten. In Sachen des Erssetzens gibt es nur ein Motto: bauen. Dabei kann man eigentlich nichts falsch machen. Andere Baustellen, die es zu lösen gilt, sind dann noch etwa die Abholzung von Regenwäldern oder die nachhaltige Ernährung der Bevölkerung. Bei diesen Problemen tragen auch wir ein Mitschuld. Etwa indem wir die Futtermittel für unsere Schweine und Co. von dort beziehen. Das heißt, wir müssen unser Konsumverhalten ändern. Das wäre sogar relativ einfach. Etwa, indem man Fleisch nur noch am Sonntag und möglichst hochwertig isst.

Das Motto muss also lauten: Verantwortung und Verzicht?

Meine Familie und ich sind erst auf eine vegane Ernährung umgestiegen. Ich empfinde diesen Umstieg aber nicht als Verzicht. Sich vegan zu ernähren ist viel leichter, als ich gedacht habe. Es gibt einfach ein paar andere Rezepte und man probiert einfach Neues aus. Momentan ist es eher spannend. Man muss es aber eben machen. Das gilt auch beim Fliegen. Da habe ich einfach für mich entschieden, dass ich nicht mehr fliege. Es gibt trotzdem weiterhin super Urlaubsziele. Ich weiß gar nicht mal, ob man verzichten muss, sondern vielmehr nur seine Lebensgewohnheiten verändern sollte. Ich erwarte ja nicht, dass man wieder zurück in die Steinzeithöhle geht. Die Lebensgewohnheiten sollen sich ja nicht verschlechtern, aber man muss schon an gewissen Punkten, gewisse Prioritäten ändern.

Prioritäten ist ein gutes Stichwort: In der deutschen Klimapolitik scheinen diese ja nicht allzu gut verteilt zu sein. Zumindest war das Fazit Ihres Vortrags: „deutsche Klimapolitik nicht besser als bei Trump“: Sind wir zu langsam?

Genau, das sind wir eindeutig! Wenn wir weiter machen wie bisher, brauchen wir 200 Jahre für die Energiewende – uns bleiben aber nur noch 20. Im Prinzip ist das, was wir hier machen richtig, nur das Tempo stimmt eben nicht. Unser Handeln ist also in einer gewissen Art und Weise schizophren. Es ist fast so, als würde man sagen: Naja, dann machen wir jetzt bisschen weniger Klimaschutz, dann ist die Welt eben ein wenig später gerettet. Aber so funktioniert Klimaschutz nicht. Es ist wie bei einem brennenden Haus: Will man es löschen und schüttet zu wenig Wasser hinein, ist der Schaden zum Schluss viel größer, als würde man von Vornherein einen ordentlichen Löschversuch unternehmen.

In einem YouTube-Post finden Sie das im September vorgeschlagene Klimaschutzprogramm der Bundesregierung „zum Kotzen“. Prägnante Eckpunkte darin sind etwa eine CO2-Bepreisung bei gleichzeitiger „Entlastung von Bürgern und Wirtschaft“: Was ist daran so problematisch?

Naja, eine CO2-Bepreisung ist schon sinnvoll. Das allein reicht aber nicht aus, um das Klima zu retten. Zudem wäre ein Begriff wie die Schweizer Lenkungsabgabe der bessere Ausdruck. Denn so eine Bepreisung soll die Leute so lenken, dass sie von einer CO2-intensiven zu einer CO2-ärmeren Lebensweise gehen. Dazu muss es erst einmal Alternativen geben, zu denen man hinlenken kann. Die Hauptalternative, die wir brauchen, ist die Windenergie, im Klimapaket steht jedoch, dass der Abstand von Windrädern zu Gebäuden erhöht werden soll –  was de facto dazu führen wird, dass weniger Windräder gebaut und in Betrieb genommen werden. Das heißt: Die Alternativen, die wir brauchen, finden in diesem Klimapaket gar nicht statt. Die vorgeschlagene CO2-Bepreisung ist zudem viel zu günstig. Experten sagen: erst ab 50 bis 60 Euro pro Tonne CO2 ist diese in Ansätzen sinnvoll.

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Schweden ist bereits bei über 100 Euro pro Tonne angekommen und selbst die sind noch nicht auf dem Weg, den wir bräuchten, um Klimaschutz erfolgreich umsetzen zu können. Wir fangen mit zehn Euro pro Tonne an und wollen damit unsere Verfehlungen der letzten Jahre im Expresstempo aufholen – da kann man nur müde lächeln. Da geht es einfach nur darum, zu zeigen, dass man etwas unternimmt. Auf der anderen Seite gibt es die Populisten, die das Thema ausschlachten. Die AfD etwa bietet eine sehr einfache Wahrheit an. Demzufolge gibt es gar keinen Klimawandel. Man bräuchte gar nichts tun, alles andere wäre Irrsinn und Abzocke. Diese „Wahrheit“ verfängt sich bei einigen und die regierenden Parteien haben anscheinend viel mehr Angst vor diesen Menschen als vor dem Klimawandel selbst. Das finde ich fatal: Ein Schiff geht unter und man hat mehr Angst vor dem pöbelnden Koch als vor dem Untergang des Schiffes. Daran sieht man, dass die Prioritäten völlig falsch gesetzt sind und dass die verantwortlichen Politiker das Problem offensichtlich gar nicht verstanden haben.

Aber wie entgegnet man solchen einfachen Wahrheiten?

Wichtig ist erst einmal, dass dieses Hin und Her aufhört. Man hat ja gar kein schlüssiges Konzept. Ein Beispiel ist etwa Bayern. Ich war in München bei der bayerischen Landesregierung und habe mir das bayerische Energiekonzept angeschaut. Das ist nicht viel besser als das der AfD. Im Gegensatz dazu leugnet die CSU vielleicht nicht den Klimawandel als Problem, aber gleichzeitig soll es damit gelöst werden, dass keine weiteren Windräder gebaut werden. Zudem wird versprochen, dass aus der Atomenergie ausgestiegen wird, gleichzeitig sollen aber keine Stromtrassen durch das Land gehen. Das ist reiner Populismus. Das merken die Leute auch. Deswegen wäre es einfach gut, wenn man einen überparteilichen, nationalen Konsens schafft, und sagt: diese bestimmte Anzahl an Windrädern muss gebaut werden und zwar aus klimagerechter Hinsicht, überall und nicht nur vereinzelt. Dann kann man durchaus diskutieren, wo Windräder in einer Kommune stehen, aber nicht, ob sie überhaupt stehen sollen. Das muss man entsprechend kommunizieren. Ein anderes Beispiel ist etwa Thüringen. Da hat nicht nur die AfD, sondern auch die CDU gegen Windenergie plakatiert. Noch absurder ist, dass dabei oftmals zu hören ist, dass Windrädern etwa den schönen Thüringer Wald zerstören. Kommen aber diese Windräder nicht, ist in ein paar Jahrzehnten der komplette Thüringer Wald sowieso im Eimer. Dann gibts da gar keinen Wald mehr.

Man könnte das dann ja schon fast als Selbstzerstörung begreifen?

Das ist ein bisschen fatalistisch. Ich denke einfach, dass vielen Leuten vor Ort die Folgen des Klimawandels nicht bewusst sind. Was auch dadurch zustande kommt, das auch online viele Pseudowahrheiten verbreitet werden. Da muss man einfach mehr aufklären. Es ist unsere Aufgabe, das in der Wissenschaft zu tun.

Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung beinhaltet einen Masterplan Ladesäuleninfrastruktur, der die Schaffung von insgesamt einer Millionen Ladepunkten bis 2030 vorsieht. Für dessen Umsetzung soll auch mit den „Automobilherstellern und der Energiewirtschaft“ gesprochen werden. Ist das eine gute Idee?

Das ist immer die Frage: Will man das oder will man das nicht? Im Falle der Ladesäulen steigen jetzt Unternehmen ein und versuchen damit, maximalen Profit zu erzielen. Vielleicht muss man sich aber auch wieder von dieser Wirtschaftsdominanz lösen. Vielleicht auch deshalb, da sonst etwa Ladesäulen, ähnlich wie beim Handynetz geschehen, wieder nur an stark frequentierten Stellen zu finden sind und die Leute auf dem Land das Nachsehen haben. Zudem wird mit viel zu hohen Preisen abgezockt. Sowas müsste die Politik komplett unterbinden. Infrastruktur ist Staatsaufgabe, dann muss man auch mal bereit sein, Steuern für eine bessere Infrastruktur zu erhöhen. Auch als Gesellschaft muss man dann vielleicht mal über die eigenen Prioritäten reden. Ob man eben nochmal ein paar Euro mehr für den Urlaubsflug bekommt oder ob man sagt: bessere Schulen und die Energiewende sind dann auch Sachen von denen ich irgendwie profitiere.

„Die Hauptalternative, die wir brauchen, ist die Windenergie.“ (c) Mika Baumeister

Der Staat übernimmt also nicht genug Verantwortung, wie er eigentlich übernehmen sollte und die Industrie investiert zu wenig?

Die Industrie versucht das zu machen, was maximal ökonomisch ist. Das sind einfach die Grundbedingungen. Man rechnet durch und was am meisten Rendite bringt, das wird getan. Der Staat trägt hier eine sehr große Verantwortung, indem er regulierend eingreift. Und zwar indem man eben Umweltbelastungen mit Abgaben belegt. Das traut man sich momentan aber einfach nicht – in allen Bereichen.

Und verbaut sich so die eigene Zukunft?

Genau! Man erkennt zwar das Problem, aber handelt nicht. Das sehe ich auch bei meiner Arbeit. Im öffentlichen Bereich irgendetwas durchzusetzen, ist so unendlich langwierig, dass man meist nach einem Jahr aufgibt. Das liegt vielleicht auch an unserer alternden Gesellschaft. Das heißt, je älter eine Gesellschaft ist, desto mehr Beharrungskräfte hat man und die junge Aufbruchstimmung geht komplett verloren. Man kann auch sagen, die Jungen wollten das Handynetz und die alten müssen den Mast ertragen. Man hat einfach einen Generationenkonflikt. Digitalisierung und mehr Klimaschutz sind Themen, die vor allem die junge Generation betrifft, während die Älteren eher konservative Werte bewahren wollen. Das ging früher vielleicht gut, weil die Welt sich nur langsam veränderte. Aber momentan finden alle geostrategischen und politischen Veränderungen in einem Expresstempo statt und wenn man sich dabei nicht anpasst, ist man weg vom Fenster. Das droht Deutschland demzufolge langfristig auch.

Sie sind einer der Initiatoren und Initiatorinnen von „Scientists for Future“ und unterstützen auch die Fridays for Future-Demonstrationen. Was konnte bisher damit erreicht werden?

Wenn sich alle so mit dem Klimawandel auseinandersetzen würden, wie diejenigen, die derzeit auf die Straße gehen, dann müssten alle panikartig versuchen, eine Veränderung voranzutreiben. Viele Leute blenden das Thema aber einfach aus oder informieren sich bei Klimaleugnern mit ihren alternativen Fakten. Deswegen ist unserer Arbeit so wichtig. Denn ich kann ja erst handeln, sofern ich das Problem verstanden habe. Und so mühselig es auch ist, wir haben eine Demokratie und deswegen müssen wir es eben ausdiskutieren und Bereitschaft sowie Mehrheiten erzeugen. Wir stehen damit leider noch am Anfang und müssen erstmal ein Bewusstsein über die Themen des Klimawandels schaffen. Ohne Fridays for Future hätten wir gar keine Chance dazu, auch weil man die Umweltfrage immer in Lagerdenken verhandelt hat. Das heißt, wer für Umwelt war, war eher so links und grün und dann gab es noch die Konservativen, die sich davon klar abgrenzen wollten. Das schöne bei Fridays for Future aber ist, dass dort einfach unverbrauchte Jugendliche mitmachen, die noch gar nicht in solche Lager einzusortieren sind. Klar, die Bewegung ist schon irgendwie links zu verorten, aber dieses Gesamtgesellschaftliche, dieses politisch Unsortierte hat den Schub gebracht.

„Und so mühselig es auch ist, wir haben eine Demokratie und deswegen müssen wir es eben ausdiskutieren und Bereitschaft sowie Mehrheiten erzeugen.“ (c) Fridays for Future Deutschland

Gleichzeitig versucht man aber, immer wieder Schüler als dumm und irregeleitet darzustellen. Deswegen ist unsere Arbeit sehr wichtig, indem wir zeigen, dass ihre Anliegen berechtigt sind und dass es einfach ganz klare wissenschaftliche Belege dafür gibt, auf denen sich die Forderungen von Fridays for Future stützen. Wir haben also angefangen, über Probleme zu diskutieren und das ist ein riesen Erfolg der jungen Generation. Auch beim heute-Journal ist jetzt mal der Klimawandel häufiger Thema. Man kann sich also selbst auf dem Sofa dem Klimawandel nicht mehr entziehen. Aber nun den zweiten Schritt zu unternehmen und die Bereitschaft für Handeln und Veränderung zu erzeugen, ist wahrscheinlich noch ein bisschen mühseliger. Diesen Schritt müssen wir mit dem gleichen Elan und mit dem gleichen Mut weitergehen. Das wird natürlich noch ein steiniger Weg. Leider. Vor allem ist es aber ein Kampf gegen die Zeit.


(c) Titelfoto: Janine Escher 

Non Water Sanitation e.V.

Fäkalien, Kot, Scheiße: für viele ein Tabuthema – außer für den Verein Non-Water Sanitation, der sich für nachhaltige Sanitärlösungen einsetzt.

Über den Toilettengang spricht man nicht. Muss man auch nicht, denn wenig ist hierzulande so selbstverständlich wie auf die Toilette zu gehen, wenn es mal drückt. Aber dass Toiletten meist nicht der Rede wert sind ist ein Privileg der westlichen Industrienationen: Denn weltweit haben über 40 Prozent aller Menschen, insbesondere in Entwicklungsländern, keinen hinreichenden Zugang zu sanitären Einrichtungen. Sie sind gezwungen, ihr Geschäft in aller Öffentlichkeit, am Straßenrand, an Bahngleisen, im Feld oder am Fluss zu verrichten – die sogenannte Open Defication. Keime, Bakterien und Parasiten aus den Fäkalien gelangen so in die Nahrungskette, verbreiten sich über Fliegen und kontaminieren das Grundwasser. Durchfallerkrankungen sind eine häufige Folge, welche jährlich mehr als 1,8 Millionen Menschen das Leben kosten. Aber auch Unterernährung, Hautkrankheiten und Organschäden gehören zu den Folgen. Über 90 Prozent der Opfer sind dabei im Kindesalter.

Johann Angermann engagiert sich mit dem Verein Non Water Sanitation für nachhaltige Sanitärlösungen.

Kein Wunder also, dass von den Vereinten Nationen „Wasser und Sanitärversorgung für alle“ als eines von 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung formuliert wurde, gleichgestellt unter anderem mit der Forderung nach Bildung für alle und der Beendigung von Armut weltweit. Denn wenn Kinder mit Darmerkrankungen die Schule nicht mehr besuchen können, untergräbt dies auch Bildungsmaßnahmen und Armutsbekämpfungsstrategien. Doch gegen die Open Defication vorzugehen ist komplex, denn die offensichtliche Maßnahme, Toiletten für die betroffenen Bevölkerungsteile zu bauen, reicht alleine meist nicht aus, um das Problem in den Griff zu kriegen.

Mit Sozialwissenschaftler*innen und Student*innen der Savitribai Phule Universität in Pune hat der Verein eine Umfrage zur Sanitärversorgung durchgeführt.

So sind es zum Beispiel in vielen Teilen von Indien soziale und kulturelle Dynamiken, die ausschlaggebend für die Open Defication sind: „Manchmal haben die reichsten Familien in einem Dorf, die mehrere Motorräder und eine Satellitenschüssel haben, keine Toiletten. Vielleicht weil sie es schon immer so machen.“ sagt Johann Angermann von Non Water Sanitation. Zusammen mit dem Verein engagiert er sich für eine Welt, in der Alle Zugang zu sauberen Toiletten und Trinkwasser haben und setzt dabei auf eine ganzheitliche Herangehensweise. Zentral ist dabei das Verstehen der soziokulturellen Einbettung des Themas. Zusammen mit Sozialwissenschaftler*innen und Student*innen der Savitribai Phule Universität in Pune, Indien hat der Verein eine große Umfrage zum Thema Zugang zu sanitären Einrichtungen durchgeführt. Denn obwohl von der indischen Regierung im großen Stil öffentliche und private Toiletten in ländlichen Gegenden gebaut wurden und so nach deren Angaben die Verfügbarkeit von Toiletten von 38 Prozent im Jahr 2014 auf 96 Prozent im Jahr 2018 gesteigert wurde, werden diese oftmals nicht genutzt. Für manche Bevölkerungsteile sind die Toiletten etwa zu weit entfernt und zu unkomfortabel, um alte Muster zu verdrängen. Anderen Teilen der Gesellschaft wird hingegen der Zugang zu Toiletten verwehrt: So gelten Frauen während ihrer Menstruation als unrein und dürfen in dieser Zeit oftmals die Toiletten nicht benutzen. Sie sind dann gezwungen, ihr Geschäft im Dunklen vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang im Freien zu erledigen. Und wenn es in Schulen keine Toiletten gibt, brechen Mädchen im Alter von 11 bis 13 diese oft ab, weil sie sich nicht zurückziehen können. Oft werden aber auch einfach die Toiletten nicht genutzt, weil diese nur unzureichend funktionieren, nicht abgeschlossen werden können oder kein elektrisches Licht haben. Und oftmals wird das Abwasser der neu errichteten Toiletten nicht aufbereitet, sondern versickert ungeklärt im Grundwasser. Die Probleme der Open Defication und einer unvollständigen Sanitärversorgung bleiben somit bestehen.

 

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Non Water Sanitation versucht in seinen Projekten vor Ort nachhaltige Lösungen für diese sanitäre Krise zu finden. So werden zusammen mit Partnern in Indien Toiletten gebaut, die auch wirklich genutzt werden und so die Praxis der Open Defication ablösen sollen. Neben einem Verständnis für die Hintergründe setzt Non Water Sanitation hier auf die Einbeziehung und Aufklärung der lokalen Bevölkerung. In Gesprächen werden individuelle Bedarfe ermittelt und Partnerschaften aufgebaut, so dass eine langfristige Nutzung garantiert werden kann. In seiner Arbeit setzt der Verein dabei auf Trockentoiletten: „Gerade im Hochsommer gibt es manchmal kaum genug Wasser, geschweige denn Trinkwasser, um Fäkalien runter zu spülen. Es hat nicht jeder den Luxus wie wir in Europa, dass wir unsere Fäkalien mit Trinkwasser transportieren“ erklärt Johann Angermann. Bei den Trockentoiletten werden die Fäkalien mit Asche oder Stroh abgedeckt und so getrocknet. Dieses Gemisch wird dann kompostiert, wodurch alle Krankheitserreger abgetötet werden. So wird nicht nur das Trinkwasser geschützt, sondern es entsteht auch ein idealer Dünger, der als Ressource in der Landwirtschaft genutzt werden kann. Die Trockentoilette bietet in solchen Regionen also einen klaren Vorteil gegenüber Toiletten mit Wasserspülung – allerdings setzt ihre Nutzung auch mehr Kenntnisse voraus. Non Water Sanitation unterweist daher die Nutzer*innen in Schulungen im Umgang mit den Toiletten und sensibilisiert gleichzeitig für das Thema Hygiene. Diese Aufklärungsarbeit ist dabei nicht nur in den Projektländern wichtig: Auch in Deutschland informiert der Verein Non Water Sanitation zur Sanitärproblematik. Denn auch wenn hierzulande Toiletten Teil des täglichen Lebens sind, wird das Thema Sanitärversorgung und Hygiene oft noch als Tabuthema behandelt.


(c) Alle Fotos: Johann Angermann

überkochen – Teilhabe durch Kochen

Das Start-Up überkochen trägt mit seinem mobilen Kochwagen zur Umwelt- und Ernährungsbildung, aber auch zur Integration und Inklusion im Klassenzimmer bei.

Eifrig stecken die Schülerinnen und Schüler des Werner-von-Siemens-Gymnasiums in München ihre Köpfe über den Rezeptkarten zusammen. Schon werden die Aufgaben verteilt, Schneidebretter und Messer aus den Schubladen gezogen, Wasser aufgesetzt – kurz nachgefragt: „Was heißt denn ‚siedendes Wasser‘?“ – und nach den nächsten Schritten geschaut. Nach kürzester Zeit riecht es im Klassenzimmer nach leckerem Essen, es wird gelacht, sich beraten und konzentriert zugeschaut. Am Ende dieser zwei Schulstunden wird gemeinsam gegessen – ganz ohne Besteck und ohne „Das kenne ich nicht. Das mag ich nicht“, – wird alles mal probiert. Die Gründer von überkochen sind zufrieden – Lehrer und Klasse auch. So hatten sie sich das vorgestellt.

Englisches Porridge – hört sich für die Schüler*innen doch irgendwie besser an als Haferschleim.

Biologie, Mathe, Geschichte und Integration – Kochen und Essen kann so viel mehr sein als bloße Nahrungszubereitung und -aufnahme. Dies zu vermitteln und Zusammenhänge zu den Lebenswelten der Schüler*innen herzustellen, hat sich der Münchner Verein überkochen e.V. zur Aufgabe gemacht.

Inklusion durch Kochen

Entstanden ist die Idee während des ersten Mastersemesters von Constanze Buckenlei und Marco Kellhammer am Lehrstuhl für Industrial Design der TU München. In Kooperation mit der Hans Sauer Stiftung wurde unter dem Thema „Schule designen“ an der Südschule in Bad Tölz recherchiert. Zu diesem Zeitpunkt gab es an der Schule zwei Willkommensklassen, die aus Geflüchteten bestanden und nur wenig Kontakt zu den einheimischen Schüler*innen hatten. Die Gruppe von Constanze und Marco beschäftigte sich mit dem Thema Ernährung und entwickelte ein Konzept, wie man durch Essen Integration und Inklusion schaffen kann: gemeinsam kochen. „In der Schule ist die Pause und das Essen immer der Zeitrahmen für die Schüler, in dem sie ihre Freunde treffen, wo sie Verbindungen schaffen und sich austauschen. Genau dieses Erlebnis wollten wir auch im Unterricht erzielen“, sagt Constanze.

Statt dem klassischen Frontalunterricht, sollte ihr Konzept offener und partizipativer werden. Daher entwickelten sie eine mobile, unabhängige Kochstelle, die in jeder Klasse genutzt werden kann. Am Ende des Semesters entstand der erste selbst gebaute Prototyp. Dass das Projekt weiter verfolgt werden konnte, lag vor allem auch an dem Interesse der Stiftung und des Referats für Bildung und Sport der Stadt München. So entwickelten Constanze und Marco die Idee im zweiten Semester weiter und konnten es auch unter unternehmerischen Gesichtspunkten ausarbeiten.

Das Team von überkochen (von li nach re): Marco, Constanze und Vasiliki   (c) Christoph Eipert

Damit der Kochwagen auch ohne große Anleitung genutzt werden kann, erdachten sich Constanze und Marco ein Kartenset mit Rezepten, Aufgabenverteilung, Informationen über Nahrungsmittel und Aktionskarten, die sie in Kooperation mit der Hochschule Albstadt-Sigmaringen und dem Studiengang Lebensmittel, Ernährung und Hygiene entwickelten. Die dritte im Bunde, Vasiliki Mitropoulou, Lehrerin für Informatik und Wirtschaft, hatte das Projekt als Mitarbeiterin der Hans Sauer Stiftung in der Entstehung beobachtet und stieg in das Projekt ein, als es an die Entwicklung einer Modellphase mit der Stadt München ging. Sie unterstützte bei dem didaktischen Teil der Entwicklung des Kartensets und ergänzender Workshops. So hat sich der Kochwagen von überkochen weiterentwickelt, von einem Integrations- und Inklusionsmittel zu einem Unterrichtstool, das in jedem Fach miteingebunden werden kann.

Die verwendeten Materialen für den Kochwagen sind robust, funktional und einfach wiederzubeschaffen. Gefertigt wird in der Justizvollzugsanstalt in Niederschönenfeld.  „Wir haben von Anfang an gesagt, dass sie in einer sozialen Einrichtung gefertigt werden sollen und das hat schließlich auch funktioniert. Trotz kleiner Herausforderungen, ist es insgesamt sehr positiv und wir erfahren eine umfangreiche Unterstützung seitens der Werkstätten“, sagt Marco.

Vielseitige Einsatzmöglichkeiten

Auch eine Entscheidung zum Thema Unternehmensgründung mussten die drei treffen – eine Form, die mehr der ideellen Idee als der eines Business entsprechen sollte und außerdem wenig Investitionskosten fordert. So wurde im März 2018 mit vier weiteren Freunden der überkochen e.V. gegründet. Damit stand den weiteren Plänen nichts mehr im Wege. Nach einem Stadtratsbeschluss Münchens gab es eine öffentliche Ausschreibung eines Ernährungskonzepts – den Zuschlag bekam überkochen und somit zehn weitere Schulen die Möglichkeit, sich für die Kochwagen zu bewerben, die nun jedes Jahr rotieren sollen. Dementsprechend gefragt war das Team Anfang September an den Schulen, um Einführungsworkshops an Gymnasien, Grund-, Mittel-, Real- und Berufsschulen zu halten. Die Wägen werden vielseitig eingesetzt, zum Beispiel als erste Möglichkeit der Interaktion in Grundschulen mit vielen fremdsprachigen Kindern oder fachspezifisch an den höheren Schulen – die Lehrer sind jedenfalls hoch motiviert und arbeiten auch unabhängig von den Lernkarten.

Der Wagen von überkochen ist mit allem ausgestattet, das man zum Kochen braucht.

Nicht nur das Angebot, sondern auch das Team von überkochen hat sich erweitert. Neben den unterstützenden Vereinsmitgliedern, gibt es nun zwei Ökotrophologinnen  – darunter auch eine mit der Zusatzausbildung zur Stressbewältigung – die das Workshopangebot ergänzen.

2018 – das Jahr der Auszeichnungen

Mit ihrer Idee haben sie sich außerdem bei vielen Wettbewerben für Social Entrepreneure beworben und waren mehr als erfolgreich: 1. Preis beim Social Business Wettbewerb der Joblinge und Hogan Lovells, eine Auszeichnung als Kultur- und Kreativpiloten der Bundesregierung mit umfangreichen Workshopprogramm und Einladung ins Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sowie unter den 100 Stipendiaten des Start Social Programms. Die Preise machten auch einige Organisationen auf überkochen aufmerksam, wie die Sarah Wiener Stiftung, die sich den Wagen von überkochen nach Berlin für ein Projekt auslieh.

Bisher war überkochen – wie der Name schon sagt – mehr auf das Bindeglied Kochen fokussiert und wie dadurch etwas vermittelt werden kann. Durch die Arbeit an den Schulen hat das Team aber gemerkt, dass der Wagen noch viel mehr Möglichkeiten bietet. Der Fachraummangel an Schulen könnte so zum Beispiel durch spezielle Chemie- und Physikwagen teilweise abgefangen werden. Ideen gibt es noch viele – und langweilig wird dem überkochen-Team auch 2019 definitiv nicht.


(c) Alle Bilder überkochen

LegionellEX – Bakterien bekämpfen ohne Chemie

Für das bloße Auge nicht sichtbar, aber trotzdem gefährlich: Legionellen. Das Start-Up LegionellEX hat einen Weg gefunden, diese nachhaltig zu bekämpfen.

Jährlich werden 6.000 Infektionen mit Legionellen in Deutschland gemeldet – die Dunkelziffer liegt laut Experten jedoch wesentlich höher. Die Schätzungen reichen von 15.000 bis zu 30.000 pro Jahr. Gerade ältere und schwächere Menschen können an der dadurch ausgelösten Lungenentzündung – der sogenannten Legionärskrankheit – sterben. Bisherige Methoden sind aufwendig, kostenintensiv und nicht besonders nachhaltig. Die Masterstudierenden Maximilian Hechtl,  Alexander Straßer und Stefan Hauers haben einen Prototyp entwickelt, der das ändern soll.

Den Grundbaustein legte bereits viele Jahre zuvor Maximilians Vater – ein emeritierter Professor der Priceton University. Maximilian setzt nun, zusammen mit seinem Freund Alexander und Stefan, die theoretischen Überlegungen seines Vaters in die Tat um. Den Prototypen wirklich zu testen, war für die zwei Bauingenieur- und dem TUM-BWL Studenten jedoch schwieriger als erwartet, sagte Alex: „Es hat wahnsinnig lange gedauert, ein zertifiziertes Labor zu finden, das der Sicherheitsstufe für die Arbeit mit Legionellen entspricht. Als pathogene Keime, muss man mit der Handhabung sehr vorsichtig sein.“ Nach häufigem Rumtelefonieren, sind sie nach einem halben Jahr im Klinikum Rechts der Isar in München fündig geworden. Der Vorteil dabei war auch, dass dort bereits mit Legionellen gearbeitet wird. „Die darf man natürlich nicht einfach bestellen, sondern muss genau angeben, warum man sie braucht, bevor man die Erlaubnis bekommt, sie auch zu züchten“, erklärte Alex.

Wenig bis gar keine Unterstützung gab es von den Professoren und Lehrstühlen anderer Universitäten, ebenso wenig von der eigenen. Und das, obwohl diese geeignete Labore zur Verfügung haben. „Am Anfang haben wir unseren Plan durchgesprochen und dachten, dass wir innerhalb eines dreiviertel Jahres gründen können. Das ist nun fast zwei Jahre her. Das lag vor allem an der Bürokratie und den langen Wartezeiten“, sagte Alex.

Der Prototyp von LegionellEX.     (c) LegionellEX

Gerade ist ihr Prototyp in der Phase der Patentierung – zu viel verraten können sie daher nicht. Außer, dass die Legionellen hydrodynamisch-mechanisch zerstört werden. Also ganz ohne Chemie oder Erhitzung des Wassers – Methoden, die normalerweise bei Legionellen angewendet werden, aber weder gut für die Umwelt, noch sehr kostengünstig sind. „Ich vergleiche unsere Methode gerne mit der Taucherkrankheit“, sagte Max. „Wenn ein Taucher tief unten im Wasser einatmet, dann löst sich der Sauerstoff im Blut. Die Bläschen, die sich dabei bilden, haben mehr Masse, als an der Oberfläche. Beim Auftauchen expandieren die Gase, weil der Gegendruck fehlt und das Blut dann anfängt zu schäumen.“ Dasselbe passiert schlussendliche den Legionellen mit dem Gerät von LegionellEX.

Die Gründer von LegionellEX: Maximilian (links) und Alexander (rechts).

Finanziert wird das Labor vor allem durch die Unterstützung der UnternehmerTUM. Weitere Fähigkeiten, die sie für die Herstellung des Prototyps brauchten, wurden ihnen im MakerSpace der TU München vermittelt, was durch ein Stipendium der Hans Sauer Stiftung ermöglicht wurde. Interessenten für ihr Gerät gibt es bereits viele – und es lässt sich auch mit großer Wahrscheinlichkeit auf andere Bakterien übertragen. „Für uns ist der Aspekt der Nachhaltigkeit essenziell. Wir machen eben nicht ein tolles neues Auto, sondern etwas, womit man effizient Wasser reinigen kann. Das ist auch für Entwicklungsländer interessant und wichtig“, sagte Alex.


(c) Alle Bilder Sebastian Preiß

Be My Eyes – Die App für den richtigen Durchblick

Das dänische Start-Up hat sich zum Ziel gesetzt mit einem relativ einfachen Tool blinden Menschen im alltäglichen Leben zu helfen – mit Erfolg

Eigentlich wollte Hans Jørgen Wiberg Landwirt werden. Schon als Kind. Mit 25 Jahren – fast fertig mit allem, was er für seinen Wunschberuf brauchte – bekam er die Diagnose Retinitis Pigmentosa, auch bekannt als Tunnelblick. Die Krankheit führt dazu, dass die Netzhaut immer mehr abstirbt und sich das Sichtfeld verkleinert – am Ende sind die Betroffenen blind. Noch ist es nicht soweit bei Hans. Es ist ein schleichender Prozess. Aber er lässt sich davon nicht unterkriegen. Er wechselt das Fach, studiert Philosophie, heiratet und betreibt mit seiner Frau eine Firma, die alte Möbel restauriert. Nebenher arbeitet er als Berater für eine dänische Blindenvereinigung. Dabei kommt ihm 2012 eine Idee: Könnte man nicht eine App entwickeln, die Blinden im Alltag hilft?

 

Be My Eyes-Gründer Hans Jørgen Wiberg

 

Auf einem Wochenende für Start-Ups fand der 54-Jährige die passenden Mitstreiter und bis Ende 2013 schaffen sie es Stiftungsgelder in Höhe von 30.000 US-Dollar zu sammeln. Über ein Jahr entwickeln sie eine App, mit der Blinde bei ganz alltäglichen Problemen, wie „Ist die Milch noch haltbar?“ oder „Habe ich jetzt das richtige Programm der Waschmaschine eingeschaltet?“, Hilfe bekommen. Freiwillige können sich die App runterladen und bei einem Problem über die Videofunktion die Fragen beantworten. 2015 launchten die Dänen die App und mittlerweile gibt es 83.000 Nutzer und 1,4 Millionen Freiwillige, die die App installiert haben. Geholfen werden kann in 182 Sprachen. „Wir bieten eine neue Sprache erst an, wenn es mindestens 50 registrierte Helfer gibt, die sie als Muttersprache sprechen“, sagt Hans. So stellen sie sicher, dass es auch wirklich Hilfe gibt, wenn sie gebraucht wird. Die Freiwilligen geben immer eine Muttersprache an und, wenn vorhanden, eine zweite, die sie gut beherrschen. Sollte gerade niemand mit der passenden Muttersprache für den Blinden da sein, wird immer nach einem muttersprachlichen Helfer gesucht, der dem blinden in seiner zweiten Sprache matcht.

Full-Profit für mehr Service

Angefangen hat das Team von Be My Eyes als Non-Profit-Unternehmen. Doch schnell war klar, dass sie mehr Geld brauchten. Weitere Fördergelder zu generieren, stelle sich jedoch als schwierig heraus. Also änderten sie ihren Status zu einem Full-Profit-Unternehmen und fanden Investoren, die das Projekt weiterfinanzierten. „Bis vor einigen Monaten hat die App immer noch keinen Gewinn abgeworfen“, sagt Hans. Doch seit Neuestem gibt es die Möglichkeit entweder einen freiwilligen Helfer oder einen spezialisierten Helfer anzufragen.  Spezialisierter Helfer steht für spezialisiert in einem bestimmten Bereich. Bisher konnten wir dafür den Support von Microsoft gewinnen. Hat ein Blinder ein Computer-Problem, kann er über Be My Eyes dort anrufen und sich helfen lassen“, sagt Hans. Microsoft zahlt dafür einen monatlichen Beitrag an Be My Eyes, denn durch die Videofunktion der App werden Probleme schneller erkannt und leichter behoben. Für die Nutzer bleibt alles kostenlos.

 

Die App Be My Eyes hilft sehbehinderten Menschen in ganz alltäglichen Situationen.

Hilfe rund um die Uhr – weltweit 

In Zukunft würde Hans gerne mit Banken, weiteren Tech-Unternehmen, aber auch Haushaltswarenhersteller  zusammenarbeiten, um weitere spezialisierte Hilfe zur Verfügung zu stellen. Und wenn mitten in der Nacht Hilfe benötigt wird? „Die Helfer werde immer nur zwischen 8 Uhr morgens und 21 Uhr abends angeschrieben. Sollte jetzt eine blinde Person in Deutschland um drei Uhr morgens Hilfe benötigen, so wird jemand in einer anderen Zeitzone benachrichtigt“, erklärt Hans. Ein Sicherheitsproblem sieht er nicht. Die Blinden werden angehalten nie ihre Kreditkarte oder ihren Pass vor der Kamera zu zeigen. Genauso wenig sollte man die App nutzen, wenn man beispielsweise eine Straße überquert. Denn dem Helfer fehlt auch mit Kamera der Rundumblick und nur ein paar Sekunden Verzögerung können dann fatale Folgen haben. Außer mit Scherzbolden, die gar nicht blind waren und den Helfern Streiche gespielt haben, gab es bisher keine negativen Erfahrungen mit der App. „Eine sehr große Herausforderung ist immer noch die Blinden selbst zu erreichen. Wir sind ein Team von zehn Leuten und da ist es nicht so einfach Blindenorganisationen und Initiativen auf der ganzen Welt zu erreichen“, meint Hans.

Einen großen Fortschritt haben sie im Oktober 2017 verzeichnet, als ihre App auch auf Android-Smartphones verfügbar wurde – was für eine steigende Nutzerzahl in Indien und Afrika gesorgt hat. Ein kleiner Haken an der Sache? Es gibt etwas, dass Hans und sein Team nicht beeinflussen können: die Internetverbindung. „Manchmal wollen die Leute gerne helfen, merken aber nicht, dass ihr Empfang nicht für eine Videoübertragung ausreicht“, sagt Hans. Aber dann steht meist schon die nächste Person bereit, die Anfrage entgegen zunehmen.

 

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(c) Alle Bilder: Be My Eyes

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