Klimaschutz, Mobilität, soziale Gerechtigkeit – 2020 ist das Jahr nachhaltiger Veränderung. Wir stellen wichtige Ereignisse und Themen vor.
Ach wie schön! Das neue Jahr 2020 gewährt gleich zu Beginn seiner Tage ein bisschen Potential zu mehr Nachhaltigkeit. Jedenfalls dann, wenn man Teil einer Personengruppe ist, die eher zu den Aufheber*innen als zu den Wegwerfer*innen gehört. Zugegeben: Mag dem auch so sein, benötigt es zudem noch einer gewissen Verortung im extremen Flügel der ersten Gattung Mensch. Denn zur Entfaltung dieser Potentiale bedarf es einen Kalender aus keinem geringeren Jahr als 1992. Diese – und das ist nun die gute Nachricht – sind in ihrer Abfolge nämlich exakt identisch mit aktuellen Fabrikaten. Ehrlich gesagt, muss man aber zugegeben, dass es hinsichtlich der aktuellen Herausforderungen, in Sachen Umwelt, Soziales oder Mobilität schon etwas mehr bedarf, als bloß den alten Kalender wiederzuverwenden und ein zweites Mal aufzuhängen.
Kleines Erbe, große Herausforderung
Das neue Jahr und die Menschen, die es gestalten, dürften es dabei nicht leicht haben, dieses gewisse „mehr“ auch zu erreichen. Denn es gibt einiges aufzuholen, was in 2019 versäumt wurde. So haben es etwa die Teilnehmer*innen der letzten UN-Klimakonferenz in Madrid versäumt, klare und verbindliche Verpflichtungen für starken und vor allem mehr Klimaschutz auf den Weg zu bringen. Stattdessen wurde – frei übersetzt – „bekräftigt“, effektive und langfristige Klimaschutzziele und -pläne auf den Weg zu bringen. Symbolpolitik also, während gleichzeitig das Eis der Antarktis sechs Mal schneller schmilzt als noch vor 40 Jahren und die US-amerikanische Regierung den Ausstieg aus dem Pariser Abkommen besiegelt hat. Ebenso katastrophal waren und sind die antisemitischen und rechtsradikalen Terroranschläge, die nun untrennbar mit den Ortsnamen Christchurch und Halle an der Saale verbunden sind. 2020 wird daher zweifelsohne das Jahr, das sich genau damit auseinandersetzen muss; dass aufklären, vereinen und regeln muss.
Klimaschutz auch weiterhin enorm wichtig
Klimaschutz dürfte dabei, wie auch schon 2019, weiterhin von der Allgemeinheit als wichtigstes Problem begriffen werden. Das nicht zuletzt angesichts des verheerenden Ausmaßes der australischen Buschbrände, die maßgeblich die ersten Schlagzeilen des Jahres 2020 geprägt haben. Auch politisch soll 2020 ein Jahr des Klimaschutzes werden. So beschloss die Bundesregierung im vergangenen Jahr einen Haushaltsplan für 2020, in dem das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit insgesamt mit Ausgaben von 2,97 Milliarden Euro planen kann, was eine Erhöhung um 30 Prozent der geplanten Vorjahresausgaben beträgt. Die gestiegenen Aufwendungen sollen unter anderem einen „signifikanten Mehraufwand“ für das Bundesministerium im Zuge der diesjährig anstehenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands bilden. Gleichzeitig sieht man darin eine „einzigartige Chance“, umweltpolitische Ziele „im Rahmen laufender Prozesse auf EU-Ebene voranzutreiben und eigene Prioritäten auf die EU-Agenda zu setzen.“ Weiter fallen verstärkt Ausgaben zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz an. Neben diesen und weiteren Haushaltspunkten stehen auch ganz konkret spürbare Veränderungen an.
So soll noch in diesem Jahr ein Gesetzentwurf ein Verbot von Plastiktüten an der Ladentheke durchsetzen. Im Klartext soll es ab diesem Jahr ein Verbot geben über das „Inverkehrbringen von leichten Kunststofftaschen“, die vor allem „dafür konzipiert und bestimmt sind, in der Verkaufsstelle gefüllt zu werden“. Gemeint sind damit Plastiktüten mit einer Wandstärke zwischen 15 und 50 Mikrometern, die meist schon nach einfacher Benutzung im Hausmüll landen. Die Bundesumweltministerin, Svenja Schulze, verspricht sich davon eine Reduzierung von rund 1,6 Milliarden Plastiktüten im Jahr.
Weniger ist mehr
Eine weitere, konkrete Veränderung sind die seit dem 01. Januar 2020, basierend auf einer neuen Verordnung der Europäischen Union, in Kraft getretenen, niedrigeren Grenzwerte für Neuwagen. Diese sinken nun auf 95 Gramm pro Kilometer sowie für kleinere Nutzfahrzeuge auf 145 Gramm CO2 pro Kilometer. Laut EU-Verordnung wird damit der Schadstoff-Ausstoß im Autoverkehr auf ein Level reduziert, mit dem nun „die im Übereinkommen von Paris verankerten Zielsetzungen“ verwirklicht werden.“ Ob das wirklich funktioniert, ist abzuwarten, denn letztlich handelt es sich hier nicht um die tatsächlich maximal erlaubte Emissions-Höchstwerte pro PKW und Nutzfahrzeug, sondern um einen „CO2-Emissionsdurchschnitt“. Konkret bedeutet das, dass ein neu zugelassenes Fahrzeug die angegeben Grenz-Durchschnittwerte durchaus überschreiten darf, solange diese von einem anderen Fahrzeug der sogenannten „EU-Flotte“ eines Automobilherstellers ausgeglichen werden. Buchstäblich gibt es aber trotzdem Grund zum Aufatmen. Denn mehr als 120 Gramm CO2 darf kein PKW pro Kilometer erreichen, wenn dieser innerhalb der EU eine Neuzulassung erhalten will. Damit das auch wirklich passiert, gibt es ab diesem Jahr neue Messbedingungen für Neuzulassungen. Konkret dürfen die Grenzmesswerte an Stickoxiden unter realen Bedingungen nur das 1,5-Fache der Laborwerte betragen.
Verkehr soll aber insgesamt nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch günstiger werden. Wer mit der Bahn unterwegs ist, kann sich deshalb seit dem 01. Januar über gesunkene Ticketpreise freuen. Günstiger wird der Preis pro Bahnfahrt aufgrund eines niedrigeren Mehrwertsteuersatzes von nun sieben anstatt 19 Prozent. Hier gibt es jedoch eine Einschränkung. Denn der steuerlich reduzierte Fahrpreis gilt nur für Bahnfahrten mit einer Mindestlänge von 51 Kilometern. Wer beim Pendeln darunter liegt, zahlt also auch weiterhin den gewohnten Preis. Sparen lässt sich dann aber dennoch. Denn auch die Bahncard 25 und 50 werden ab dem 01. Februar rund 10 Prozent günstiger. Eine Bahncard 25 etwa kostest dann anstatt 62 Euro nur noch 55,70 Euro. Günstiger werden zudem die Preise für Streckenzeitkarten, zur Mitnahme von Fahrrädern sowie für die Sitzplatzreservierungen. Die Preissenkungen sind eine direkte Folge des 2019 vorgestellten Klimaschutzpaketes der Bundesregierung, in dem eine Senkung der Fahrpreise auf einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz vorgeschlagen wurde.
Abgase und Rücksichtslosigkeit werden teurer
Gar nicht günstiger, sondern teurer soll hingegen das Reisen mit dem Flugzeug werden. So erhöht sich ab dem ersten April 2020 pro Flugticket die sogenannte Luftverkehrssteuer. Konkret bedeutet dies, dass innereuropäische Flüge zukünftig mit 13,03 Euro besteuert werden, was einer Erhöhung von 5,53 Euro entspricht. Für Flüge mit einer mittleren Distanz bis zu 6.000 Kilometern ist eine Erhöhung um 9,58 Euro auf 33,01 Euro geplant. Wer einen Langstreckenflug in Anspruch nehmen will, muss zukünftig sogar 17,25 Euro mehr Steuern entrichten, was einer Summe von 59,43 Euro entspricht. Mit der Steuererhöhung will die Bundesregierung einen weiteren Eckpunkt ihres Klimaschutzprogramms verwirklichen und mehr Anreize dafür schaffen, auf klimafreundliche Fortbewegungsmittel umzusteigen.
Teurer wird es auch für diejenigen, die auf andere Verkehrsteilnehmer bisher eher weniger Rücksicht genommen haben. Laut einer Gesetzes-Novelle des Bundesverkehrsministeriums soll für das verbotswidrige Zuparken eines Rad- oder Gehwegs in Zukunft anstelle eines Bußgeldes von 20 Euro mindestens 55 Euro fällig werden und in Fällen mit verbundener Behinderung anderer oder Sachbeschädigung zahlt man sogar bis zu 100 Euro und kassiert einen Punkt in Flensburg. Tiefer in die Tasche greifen muss auch, wer keine Rettungsgasse bildet oder mit schweren Kraftfahrzeugen an Kreuzungen schneller als in Schrittgeschwindigkeit abbiegt.
Mehr Zugang bitte
Eine Sache sollte bei all diesen Bestrebungen nicht vergessen werden: Mobilität wird nicht nur besser, indem sie sauberer und sicherer wird, sondern auch indem sie zugänglicher, das heißt, offenerer ist für alle. Das ist bisher leider noch keineswegs der Fall. Nichts anderes lässt sich jedenfalls vermuten, wenn man in Betracht zieht, dass die Preise für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehr, laut dem Statistischen Bundesamt, ab dem Jahr 2000 bis 2018 um ganze 79 Prozent gestiegen sind, während sich die durchschnittlichen Erwerbs- und Unterhaltungskosten für PKW im gleichen Zeitraum lediglich um 36 Prozent erhöhten. Wer in München etwa vom Stadtrand in die Innenstadt pendeln muss, der zahlt, ohne Ermäßigung, für eine Monatskarte mindestens 55,20 Euro pro Monat – nicht selten aber auch mehr. Das ist gefährlich, denn teure Mobilität kommt auch einer Gesellschaft teuer zu stehen. Wer nicht mobil ist, kann weniger an gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen – (denn) sie oder er kommt einfach nicht hin.
Dass Mobilität kein Luxusgut sein darf und eben auch für denjenigen mit schmalen Geldbeutel zugänglich sein sollte, haben jedoch bereits andere erkannt und nun in ersten, konkreten Maßnahmen umgesetzt. In Augsburg etwa können seit dem 01. Januar 2020 Fahrgäste in der sogenannten „City-Zone“ kostenfrei mit Bus und Straßenbahn fahren. In anderen Gegenden Europas wird die Gratisnutzung von Bus, Tram und Co sogar bald zur Ländersache. So kann man ab dem 01. März in ganz Luxemburg alle nationalen, öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, ohne dafür ein Ticket besitzen zu müssen.
Ein maximales Minimum
Gerechter werden soll aber nicht nur der Zugang zu Mobilität, sondern auch die Bezahlung für die eigens erbrachte Arbeit. Man muss nicht Marx gelesen haben, um zu wissen, dass nicht alle eine gerechte Entlohnung ihrer Arbeit erhalten und nicht zuletzt aufgrund von Lohndumping unter prekären Lebensbedingungen ihren Alltag bestreiten müssen (und nicht selten als Folge an eben diesem scheitern) . Um dem einen Riegel vorzuschieben wurde 2014 mit dem „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ ein Mindestlohn gesetzlich verankert. Dieser startete 2015 in einer Höhe von 8,50 Euro brutto pro geleisteter Zeitstunde. Nach mehreren Anpassungen wurde dieser ab dem 01. Januar 2020 nun auf 9,35 Euro angehoben. Neu ist ab diesem Jahr auch ein Mindestlohn für Auszubildende: So bekommen diese seit dem 01. Januar mindestens 515 Euro pro Monat im ersten Lehrjahr ausgezahlt.
Dass diese Anpassungen notwendig sind dürfte kaum zu bestreiten sein, ob sie hingegen ausreichen, steht auf einen anderen Blatt. In Angesicht der bundesweit stark steigenden Mietpreise, dürften hier berechtigte Zweifel bestehen. Die Folge: Für immer mehr Menschen geht der Großteil ihrer Einkünfte für die eigene Miete drauf, was bei durchschnittlichen Mietpreisen von bald schon 20 Euro pro Quadratmeter in Städten wie München kaum verwundern dürfte. Um das Leben in beliebten Ballungszentren trotz solcher Entwicklungen auch für Menschen ohne hohen Einkommen zu ermöglichen, greift seit dem 01. Januar die von der Bundesregierung initiierte Wohngeldreform. Nach dieser besitzen nun 180.000 Haushalte erstmals oder erneut Anspruch auf ein erhöhtes Wohngeld. Ob diese Anpassungen tatsächlich Gentrifizierung, Armut oder den Klimawandel aufhalten können, wird zu diskutieren sein. In 2020 gibt es dazu zum Glück noch genügend Zeit.
(c) Titelbild: Jon Tyson