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Business Angels – Ein Schutzengel für Start-Ups

20. Dezember 2018 By

Investoren in frühen Phasen einer Unternehmensgründung zu finden ist schwer. Business Angels können da Abhilfe schaffen – und mehr bieten als Geld.

Jungunternehmer haben es nicht leicht. Sie haben eine gute Idee, aber oft wenig Ahnung von der Umsetzung. Manchmal stecken sie selbst noch mitten im Studium und hatten noch nie eine 40-Stunden-Arbeitswoche. Wie also das eigene Unternehmen finanzieren? Was für den Extremsportler der Schutzengel ist, ist da für den Gründer der Business Angel, übersetzt ein „Unternehmensengel“. In den USA hat die Idee eine lange Tradition. Bereits Henry Ford hat so sein Unternehmen aufgebaut.

Unterstützung brauchte zu Beginn auch das Start-Up my Boo aus Kiel. Sie wollten Fahrräder mit Bambusrahmen in Ghana von einem sozialen Projekt produzieren lassen. Die Idee kam den Gründern Jonas Stolzke und Maximilian Schay während ihres Studiums. Also machten auch sie sich auf die Suche nach einem passenden Business Angel.

Der Begriff selbst ist gar nicht so alt. Er stammt vom Broadway Theater. Mit „Angels“ wurden wohlhabende Investoren bezeichnet, die ihr Geld in Theaterproduktionen investierten, um sie vor der Pleite zu retten. William Wetzel Jr., ein amerikanischer Professor an der New Hampshire Universität, benutze den Begriff bereits 1983 im Zusammenhang seiner Studien zu Risk Capital Investments. Dort beschreibt er mit „Business Angels“ Investoren, die sehr frühphasige Unternehmen finanziell unterstützen.

Wer steckt hinter einem Business Angel?

Business Angels sind häufig erfahrene und wohlhabende Geschäftsleute, die oftmals selber ein oder mehrere Unternehmen gegründet haben. Es gibt sie in so gut wie jeder Altersstufe. Teilweise sind sie unter 30 und hatten früh Erfolg, aber genauso gibt es die über 70-Jährigen, die ihre Erfahrungen nach dem Ende ihrer eigenen beruflichen Laufbahn mit der Unterstützung junger Unternehmer nutzen, um so weitere Geschäftsideen zu realisieren. Sie tätigen Investitionen zwischen 50.000 und 500.000 Euro, in manchen Fällen sogar bis zu zwei Millionen Euro, und bilden eine Investorengruppe, die bereits in frühen Phasen der Unternehmensgründung unterstützen. Im Gegensatz zu Wagniskapitalgebern (Venture Capitalists), die sich vor allem für ertragreiches Wachstumspotenzial und hohe Gewinnmargen interessieren. Diese unterstützen Start-Ups meist auch erst, wenn es ein vorzeigbares Produkt gibt, bei dem ein eventueller Erfolg oder Misserfolg besser abzuschätzen ist.

Das Team von my Boo in Ghana – links Jonas Stolzke, rechts Maximilian Schay.     (c) my Boo

Jonas und Maximilian stellten ihre Idee damals Hans Helmut Schramm vor, dem Inhaber einer mittelständischen Firmengruppe im maritimen Bereich in Brunsbüttel. Der erklärte sich noch während der Präsentation bereit, die Jungunternehmer zu unterstützen – ohne dass er jemals eines der Räder ausprobiert hatte. Denn bis dato gab es nicht einmal einen Prototypen. Er unterstütze sie zudem nicht nur mit Geld, sondern auch mit seinem unternehmerischen Know-How und mit seinem Team aus Ingenieuren und Marketingspezialisten.

Mehrwert Wissen

Ein Business Angel investiert erfahrungsgemäß, neben der Renditeerwartung, oft vielmehr aus Sympathie und Begeisterung für ein Produkt und das Team. Er stellt nicht nur das Startkapital, sondern berät, bringt Ideen und eigene Erfahrung mit ein. Der Mehrwert eines Business Angels ist sein Wissen, das er aktiv an die Start-Ups weitergibt. Braucht ein Unternehmen mehr Geld, kann es auch mehr als einen Business Angel poolen. Skype ist anfangs so vorgegangen und konnte seine Angels beim Verkauf an eBay mit dem 350-Fachen Return on Investment belohnen. Ein weiterer Vorteil eines Business Angel im Vergleich zu einem Venture Capitalist ist, dass er deutlich weniger Zeit für die Prüfung der Beteiligung aufwendet – in der Regel zwei bis drei Tage. Wer sich einen Unternehmensengel suchen will, sollte aber auch einiges beachten

Abgrenzung zwischen Venture-Capital-Gesellschaften und Business Angels. By Alexej Martens (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons.

Der Markt an Business Angels in Deutschland ist nicht so groß wie in den USA, wächst in den letzten Jahren aber stetig. Um den Richtigen für sich zu finden, sollte man sich etwas Zeit nehmen und gut recherchieren. Gute Vorbereitung ist wie so oft die halbe Miete. Wer einen Business Angel sucht, sollte also erst einmal ein überzeugendes Konzept erarbeiten. Das bedeutet nicht, dass es perfekt sein muss. Ein erfahrener Geschäftsmann erwartet das von jungen Unternehmern auch nicht, aber es sollte trotzdem durchdacht sein. Vor allem soll die eigene Begeisterung für das Projekt rüberkommen, am besten mit einer interessanten Entstehungsgeschichte verknüpft. Denn Sympathie und Offenheit punkten besonders.

Hartnäckig bleiben

Üblich ist es mittlerweile auch, seine Idee in einem One-Pager auf den Punkt zu bringen und sich damit bei einem Unternehmen zu bewerben. Dabei soll sich das Team auf das wesentliche konzentrieren, wie den Businessplan, das Produkt, das Alleinstellungsmerkmal. Manchmal wird statt dem One-Pager auch ein Pitch-Deck, eine 10 bis 16-seitige Präsentation mit selbigen Informationen eines One-Pagers, erstellt. Grundsätzlich ist hier eines wichtig: dran bleiben. Sollte nach zwei bis drei Wochen keine Reaktion kommen, einfach nachfragen. Das ist nicht penetrant, sondern zeigt Eigeninitiative. Außerdem ist es nicht verkehrt, mehrgleisig zu fahren und mehrere Business Angels gleichzeitig zu kontaktieren. Hilfreich kann da eines der Netzwerke sein, die es mittlerweile in ganz Deutschland gibt. Besonders die BAND (Business Angels Netzwerk Deutschland e.V.) kann bei der Suche unterstützen. Ihre Mitglieder sind außerdem geprüft und so läuft man nicht Gefahr auf einem sogenannten Business Devil reinzufallen, die zwar viel versprechen, aber wenig halten.

Wer beispielsweise etwas im Bereich Technik gründen will, sollte sich außerdem am besten an jemanden wenden, der Ahnung von seiner Branche hat. Viele Business Angels investieren nur in Bereichen, für die sie über eigenes Wissen verfügen und daher die präsentierte Geschäftsidee und das Geschäftsmodell ausreichend durchdringen können. Vor allem sollte aber die Chemie und die Sympathie zwischen den beiden Parteien stimmen, da es nicht nur um einen Geldaustausch, sondern auch einen persönlichen Erfahrungs- und Wissensaustausch geht.

My Boo trägt sich mittlerweile selbst – Hans Helmut Schramm ist nur noch stiller Teilhaber und natürlich selber im Besitz so einiger Bambusräder.

Start-Up-Europa – Mehr als nur eine Idee

15. November 2018 By

Der EU-Staatenverbund hat sich zu einer Plattform für Social Entrepreneure entwickelt und steht trotzdem immer mehr in der Kritik. Ganz fair ist das nicht.

London, Stockholm, Paris und Berlin: Dies sind nur einige Namen aus einer Reihe von Metropolen innerhalb der Europäischen Union. Dort generieren, pitchen und vernetzen tagtäglich Start-Ups ihre Ideen, Erfindungen und Innovationen. Ob an Spree oder Seine, dass junge Unternehmen ihr wirtschaftliches Handeln nicht mehr nur auf ihr Heimatland beschränken, sondern immer mehr von einem starken Europa profitieren, hat verschiedene Gründe.

Grenzenlose Freiheit

Innerhalb der Europäische Union genießen Start-Ups weitreichende, wirtschaftliche Freiheiten, wie den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Das bedeutet im Klartext: Europäische Start-Ups können auch im Ausland die Vorzüge eines weitgehend einheitlichen und freien europäischen Binnenmarktes nutzen. Dabei haben sie Zugang zu über 500 Millionen Konsumenten ohne störende und kostenintensive Zölle – das vor allem dank offener Grenzen. Dass Unternehmensgründer diese Freiheiten immer stärker nutzen, zeigt der European Startup Monitor: eine Studie zur Start-Up-Kultur in Europa und Israel. Dort gaben mehr als die Hälfte der 2.500 befragten Start-Ups — auch aus den Bereichen Bildung und Green Technology — an, dass sie einen immer größer werdenden Teil ihrer Erlöse nicht in ihrem Heimatmarkt, sondern im europäischer Ausland erzielen. Solch eine Europäisierung von Businessmodellen wird gestützt von einem einheitlichen, europäischen Rechts- und Standardisierungssystem, das helfen soll, Kosten zu reduzieren, den Markt mit seinen Produkten zu schützen und deren Innovationskraft zu stärken.

Die Sternenflagge im Gegenwind

Ein gemeinsamer Markt mit all seinen Vorteilen scheint die richtige Antwort auf eine immer stärker globalisierte und vernetzte Welt zu sein. Aber ökonomische Vorteile allein reichen nicht aus, um das Projekt Europa zu sichern. Und so bleibt Kritik nicht aus. Schon lange wird etwa beklagt, die EU verkomme mehr und mehr zum aufgeblasenen Bürokratiemonster, dem das Verbot von krummen Gurken wichtiger sei als die wahren Probleme seiner Einwohner. Problematisch ist derart Kritik grundsätzlich nicht. Im Gegenteil: Sie gehört zum politischen Alltag dazu wie die Luft zum Atmen und letztlich ist ein durch Kritik entfachter Diskurs Ausgangspunkt demokratischer Entscheidungen und demzufolge auch für ein fair verhandeltes Miteinander. Durchaus problematisch aber ist, dass immer lauter Werden radikaler, konservativer Stimmen. Sie machen sich gesellschaftliche Debatten zu eigen, indem sie bewusst Falschinformationen streuen, um für eigennützige Interessen Ängste zu schüren, anstatt vernünftige Debatten zu führen. Das hat massive Konsequenzen: So waren es etwa die aggressiven Parolen der Anti-Europabewegung der britischen „UKIP“ die dazu führten, dass im Sommer 2016 eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt des Königreichs aus der Europäischen Union stimmten. Dessen Anführer wie Nigel Farage haben längst die politische Bühne verlassen, das Referendum für den Brexit aber bleibt.

Aber nicht nur in Großbritannien, sondern überall machen Europa-Gegner Lärm und fordern die Rückkehr einer lang überholten Weltvorstellung: so etwa Marie-Le Pen in Frankreich, Victor Orbán in Ungarn oder die rechte „Alternative für Deutschland“ hierzulande. Für Start-Ups würden die dort geforderten Pläne, wie die Schließung von Grenzen und der Rückbau eines europäischen Referenzrahmens von Bildungsabschlüssen vor allem eine Minderung ihrer Wettbewerbsfähigkeit bedeuten – und das auf Kosten der Machtansprüche einiger weniger. Zölle und Ausfuhrsteuern würden der internationalen Wettbewerbsfähigkeit junger Unternehmen schaden. Genauer gesagt, schadet das letztendlich dem Umsatz von Start-Ups aus kleineren EU-Mitgliedsstaaten wie Finnland, Ungarn oder Österreich. Diese können – im Gegensatz zu Frankreich oder Deutschland – nicht auf große Inlandsmärkte zurückgreifen und sind somit auf eine Europäisierung ihrer Absatzmärkte angewiesen. Spitzenreiter in diesem Feld ist Österreich, dessen Start-Ups erzielen, laut dem Austrian Startup Monitor,  2018 rund 41 Prozent ihrer Erlöse im Ausland, wovon zwei Drittel innerhalb der EU erwirtschaftet werden.

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Aber nicht nur die Schließung von Grenzen bedroht die europäische Start-UpSzene. Fast wäre etwa mit der Schließung der Budapester Central European University eine wichtige europäische Institution zur Vermittlung und Vernetzung von unternehmerischem Wissen einfach weggefallen. Dabei gilt es festzuhalten, dass etwa zehn Prozent der europäischen Start-Ups einen universitären Hintergrund besitzen. Das zeigt, wie wichtig der akademischer Austausch und die Vernetzung von Hochschulen für das Thema Entrepreneurship sind. Aber gerade Studiengänge die sich mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigen und somit das nötige Wissensfundament für soziale Innovationen liefern, sind in ihrer Existenz bedroht. So will die ungarische Regierung nun den Studiengang Gender-Studies aus den staatlichen Hörsälen verbannen. Und das mit dem vorgeschobenen Grund eines fehlenden Bedarfs an Absolventen auf dem Arbeitsmarkt.

Hinterm Horizont geht’s weiter

Trotz aller Hetze und Angstmacherei – eine europäische Gemeinschaft lohnt sich und das auch für soziale Unternehmensgründer. So gibt es immer mehr öffentliche europäische Gründerinitiativen, die vor allem eines bieten: Fördermittel. Europäische Kommission will in ihrer aktuellen Förderperiode bis zum Jahr 2020 vor allem soziale Innovationen fördern, da sie deren Lösungspotenzial für gesellschaftliche Probleme erkannt hat. Dafür sollen rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen in einem Europa überspannenden Netzwerk gestärkt und gründergerecht ausgebaut werden. Ein wichtiger Schritt dazu ist das Förderprogramm Horizon 2020. Damit soll eine wissens- und innovationsbegeisterte Gesellschaft gefördert werden, die die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärkt und gesellschaftliche Herausforderungen löst.

Um diese Ziele in die Realität umzusetzen, gibt die Europäische Union eine Menge Geld aus. Von dem insgesamt 80 Milliarden Euro schweren Budget gehen etwa 2,8 Milliarden Euro über das Teilprogram „SME-Instrument“ an kleine und mittelgroße Unternehmen – inklusive Start-Ups – was eine direkte Förderung ermöglicht. Bewerben können sich Projekte mit Sitz in der EU, mit weniger als 50 Millionen Euro Jahresumsatz und weniger als 250 Mitarbeiten. Für viele junge Start-Ups dürften diese Kriterien kein Problem sein. Konkret zu holen gibt es einiges: Erfüllt ein Social-Start-Up die quantitativen Anforderungen und liefert es mit seinem Projekt einen glaubhaften Lösungsansatz zu gesellschaftlichen Herausforderungen – wie dem demografischen Wandel, die nachhaltige Erzeugung von Energie oder die Schaffung intelligenter Mobilität – kann es mit einer finanziellen Unterstützung von einer halben Million bis zu zweieinhalb Millionen Euro rechnen und das mit einer regelmäßigen Quote von 70 Prozent.

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Unterstützung kommt meist indirekt

Mit sogenannten Strukturfonds beinhaltet die Gründerförderung der Europäischen Union einen weiteren Finanzierungszweig. Sie sind Sammelbegriff verschiedener Instrumente zur Schaffung sozialer und wirtschaftlicher Gleichheit in Europa. Zur Subventionierung von Projekten mit sozialem Impact kommen der Europäische Sozialfond (ESF) und der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) ins Spiel. Ihre Ziele sind die Schaffung von beruflicher Chancengleichheit, die Förderung von Projekten zur Verbesserung der wirtschaftlichen Produktivität und die Reduzierung von CO2-Emmissionen – die Fördermöglichkeiten sind also vielfältig. Im Gegensatz zu Horizon 2020 stehen die Mittel aus diesen Geldtöpfen sozialen Start-Ups jedoch nicht direkt zur Verfügung. Vielmehr funktionieren sie nach dem Prinzip der Kofinanzierung, was heißt, dass eine Förderung mit europäischen Mitteln nur zusammen mit Fördermitteln und Programmen auf nationaler Ebene eines EU-Mitgliedsstaates erfolgen kann. Hierzulande ist daraus eine Vielzahl von Projekten entstanden, die insgesamt bis 2020 mit einem Gesamtbudget von rund 7,5 Milliarden Euro finanziert werden. Social Entrepreneure können so, mit Hilfe europäischer Fördergelder, umwelt-, arbeitsmarkt- und bildungsbezogene Projekte finanzieren.

Gelder aus dem europäischen Sozialfond fließen zudem in die Finanzierung von sogenannten Mezzaninkapital. Zielgruppe dieses Finanzierungstools sind in erster Linie Sozialunternehmen. Unternehmen, die aus der Arbeitslosigkeit heraus gegründet werden, ausbilden oder von Menschen mit Migrationshintergrund geführt werden, erfahren eine besondere Berücksichtigung. Gefördert wird mit maximal 50.000 Euro über eine Laufzeit von zehn Jahren, wovon bis zu 35.000 Euro in der Gründungsphase gewährt werden und die Rückzahlung erst ab dem siebten Förderjahr erfolgen muss.

Europa – Erfolgsprojekt oder missglückte Idee?

Europa ist ein echtes Verwandlungstalent: War es früher ein Flickenteppich aus unzähligen Kleinstaaten und Schauplatz für Krieg und Teilung, ist es mittlerweile zu einer demokratischen Staatengemeinschaft herangewachsen. Doch an den Rändern der Idee Europa bröckelt es und die dabei entstandenen Risse reichen tief bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Scheinbar selbstverständliche Privilegien, wie die Freiheit zu reisen, zu arbeiten und zu leben, wo man will, sind große Errungenschaften der Europäischen Union. Sie scheinen jedoch momentan so bedroht wie nie zuvor. Bei der Betrachtung Europas durch die Social-Entrepreneurship-Brille wird klar, dass es auf den ersten Blick nicht so einfach ist, herauszufinden, welche Fördermöglichkeiten es gibt und welche davon die richtigen für das eigene Start-Up sind. Schaut man aber etwas genauer hin, lässt sich eine Vielfalt an geeigneten Fördermöglichkeiten finden. Zusätzlich können Sozialunternehmer auf das Wissen einer immer größer werdenden europäischen Social Entrepreneurship-Community zurückgreifen und sich in zahlreichen Netzwerken austauschen – ja sogar an öffentlich geförderten Austauschprogrammen, speziell für Entrepreneure, wie dem Erasmus for Young Entrepreneurs-Programm, teilnehmen. Man darf denken was man will, nach einer missglückten Idee klingt das nicht.


Lesetipp //

Bureau of European Policy Advisers: Social Innovation – A Decade of Change

(c) Titelbild: Sara Kurfeß

 

System Entrepreneurship – Zeit umzudenken

14. November 2018 By

Wie sich gesellschaftliche Missstände nicht nur vermindern, sondern beheben lassen.

Es könnte alles so schön sein: Fossile Brennstoffe liefern uns die Energie für grenzenlose Mobilität, Konzerne mit neunstelligen Gewinnsummen schaffen, dank stetig steigender Produktion, mehr und mehr Arbeitsplätze und sorgen so für Wohlstand und unser tägliches Wohlergehen. Doch der Konjunktiv ist verräterisch: denn die Wahrheit – das heißt die Welt in der wir leben – sieht anders aus. Der Abbau von Braunkohle und Erdöl zerstört uralte Infrastrukturen von Mensch und Natur und der Aberglaube von der Notwendigkeit eines über allen Dingen stehendenden Wirtschaftswachstums bringt die ökologischen, ökonomischen und sozialen Strukturen, in denen wir leben, ins Schwanken.

Ein Fehler im System

Diese Strukturen bestehen aus wechselseitigen, voneinander abhängigen Beziehungen verschiedener Elemente, aus deren Art der Verknüpfung bestimmte Regeln, Normen und Prinzipien resultieren und letztlich ein System bilden. Systeme bergen also die Gefahr selbst fehlerhaft zu sein oder Fehlverhalten zu ermöglichen, was wiederum anderen Elementen des gleichen oder eines verknüpften Systems schadet. So wurden beispielsweise Finanzsysteme vermeintlich immer effizienter, was jedoch daran lag, dass sie sich durch Spekulationen immer mehr von der Realwirtschaft lösten und mittlerweile viel mehr eine Gefahr für unser Wirtschaftssystem darstellen, als zu dessen nachhaltiger Existenz beizutragen.

We can define systemic innovation as an interconnected set of innovations, where each influences the other, with innovation both in the parts of the system and in the ways in which they interconnect.

Geoff Mulgan & Charlie Leadbeater

Das große Ganze

Zugegeben, neu ist das nicht. Außerdem haben Social Entrepreneure bereits unzählige Tools und Konzepte entwickelt, die ein derartiges Fehlverhalten beheben sollen, indem sie etwa die Effizienz von Elektromotoren steigern, Altes zu Neuem upcyclen oder eben nachhaltige Banken gründen. Das ist wichtig und richtig, vor allem aber schwierig. Denn will ein Social-Start-Up innerhalb eines Systems eine soziale Wirkung erzeugen, gelingt das meist nur, indem man ein Projekt skaliert. Doch ein Skaleneffekt lässt oft lange auf sich warten, da das dazu nötige Kapital erstmal verdient werden muss und selbst danach der Einfluss des jeweiligen Produkts oder Dienstleistung sich oft auf das unmittelbare Umfeld des Start-Ups beschränkt. Das liegt mitunter daran, dass ein Blick für das große Ganze dem Fokus auf den Erfolg des eigenen Unternehmens zum Opfer fällt oder die soziale Wirkung nicht über die Unternehmensgrenzen hinausgeht, da es keine Strahlkraft auf andere Elemente eines Systems besitzt. Problematisch ist also: So gut ein Social-Start-Up auch agiert, es lindert oft nur die Folgen, heißt, die Symptome eines systembezogenen Fehlverhaltens, nicht aber dessen Ursachen.

Was also tun? Eine Antwort liegt in der Generierung eines „System Change“. Er umfasst eine Änderung oder Neuschaffung von Interaktionsmustern, also der Zusammensetzung des Systems an sich, sowie der Art und Weise wie seine einzelnen Bestandteile darin miteinander kommunizieren. Erreicht werden kann das vor allem mit einer Reihe von Innovationen, die sich auf alle Bestanteile eines Systems auswirken, sie gegenseitig beeinflussen und langfristig ihre Regeln, Normen und Werte so gestalten, dass sie mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit vereinbar und funktionstüchtig sind.

Ein System Change umfasst die Änderung oder Neuschaffung der Zusammensetzung eines Systems an sich. Fotocredit: William Bout

Eine neue Generation

Um dieses Ziel zu erreichen, kommt „System Entrepreneurship“ ins Spiel. Dafür arbeiten System Entrepreneure aktiv daran, Paradigmen in verschiedenen Bereichen sozialer Systeme – wie Politik, Kultur und Wirtschaft – so zu verändern, dass gesellschaftliche Innovationen langanhaltend und systemisch übergreifend etabliert werden. Vorweg: Das schließt die Entwicklungen von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen nicht aus, vor allem dann nicht, wenn sie ein Mittel zum systemischen Zweck sind, denn sie können einen umfassenden Impact auf andere Systemelemente erzielen und so grundlegende, normative Strukturen eines Systems zum Positiven verändern. Wie das ganz konkret in der Realität aussehen kann, zeigt das Münchener Start-Up Sono Motors. Begonnen als Bastler-Projekt in der eigenen Werkstatt zweier Schulfreunde, ist daraus innerhalb weniger Jahre ein Unternehmen entstanden, das mit dem Sion – ein marktreifes Elektroauto entwickelt hat. Das kann nicht nur zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes beitragen, sondern mithilfe einer zusätzlich integrierten und simplen Handy-App zum Mietwagen, zur Mitfahrgelegenheit oder sogar zu einer autarken Stromquelle werden. Das verändert die kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Interaktionen eines Systems, indem vorhandene Akteure ihre Rollen tauschen oder neue einnehmen und damit die Chance entsteht, fehlerhafte Systemstrukturen in Hinsicht auf Mobilität, Energiewirtschaft und deren politischen Gestaltung grundlegend neu zu gestalten.

Aber welche Qualitäten werden benötigt, um Schritt für Schritt gesellschaftliche Bereiche in einem Ausmaß zu verändern, das über die Reichweite einer einzigen Organisation hinausgeht? Die Bewegungen aufbauen können und alle betroffenen Stakeholder erfolgreich in kollaboratives Handeln einbinden?

Schritt für Schritt zum System Entrepreneur

Erstens: Die eigenen Potentiale kennen

Zugegeben, ressourcenverschlingende Industriesysteme oder ein komplexes Gesundheitssystem nachhaltig umzugestalten ist nicht leicht. Umso wichtiger ist es, von Beginn an zu klären, ob das eigene Vorhaben überhaupt das Potential besitzt, ein Türöffner für einen Systemwandel zu sein. Um das zu prüfen, sollte man sich folgende Fragen stellen:

  1. Kann mein Vorhaben einen echten Wandel initiieren, indem ich mit dem Status Quo eines Systems breche und nicht nur die vorherrschenden Gegebenheiten verbessere?

  2. Kann ich mit meinem Vorhaben aktiv einen Systemwandel mitgestalten und die für einen Wandel benötigten Ressourcen bündeln und steuern?

Dazu gehört auch, die Art des anvisierten Systems zu bestimmen. Nur so lässt sich erkennen, ob ein hypothetisches Potential auch in der Realität Bestand hat. Denn es ist nicht unwichtig, ob ein System komplex oder einfach, geschlossen oder offen, lebend oder mechanisch ist. So kann eine neue Technologie mit einer guten Idee in der Realität trotzdem scheitern, da sie aufgrund der Geschlossenheit eines Systems von außen keine innovative Wirkung entfaltet. So ist vielleicht die für den Systemeintritt oder -Anschluss benötigte Infrastruktur nicht vorhanden oder es fehlen die finanziellen Mittel um sie aufzubauen. Währenddessen können andere Ideen sich zwar an bestehenden Infrastrukturen bedienen, laufen aber dort möglicherweise Gefahr, aufgrund mangelnden Know-hows, die Situation eines komplexen Systems nicht ausreichend analysieren und steuern zu können und somit wichtige Faktoren wie eine Marktakzeptanz zu gering ausfallen.

Indikatoren für die Veränderungen eines Systems

Zweitens: Die Umwelt und sich selbst reflektieren

Ein System zu verändern oder neu zu etablieren bedeutet auch, eigene Denkmuster und die des Systemumfelds zu durchbrechen, um Platz zur Selbstreflexion und Toleranz für Neues zu schaffen. Kein leichtes Unterfangen. Wir werden in Systeme hineingeboren: Ganz gleich ob Kapitalismus oder parlamentarische Demokratie, Bildungssysteme und Industrien – sie werden über Generationen weitergegeben und ihr Narrativ nicht weiter hinterfragt. Nur, anthropogene Systemmechanismen sind keine in Stein gemeißelten Naturgesetze. Wer Denkmuster durchbrechen will, muss zunächst mit den eigenen beginnen. Das funktioniert indem System Entrepreneure mit dem geistigen Auge über die Grenzen eines Systems hinausgehen. Nur so lässt es sich auch als Ganzes sehen, als Ganzes verstehen und mit Alternativen vergleichen. Ein Blick in die Geschichte, also auf die Ursachen zur Entstehung von Systemstrukturen, ist ein geeignetes Mittel dafür. So eine Reflexion zeigt, dass Systeme endlich sind, indem sie auf den Beginn – folglich auf die Grenzen eines Systems –  schaut und somit ein Vorher-Nachher-Sichtweise ermöglicht, die Strukturen leichter nach Moral und Zweckmäßigkeit bewertbar macht.

Systematiken wie „Twelve Leverage Points“ nach Donella Meadows bieten besonders für komplexe Systeme eine gute Orientierung (Quelle: Donella H. Meadows: Thinking in Systems).

Nicht minder wichtig ist die Reflexion des eigenen Verhaltens in einem System. Nur wer bereit ist, seinen eigenen Ansichten den Spiegel vorzuhalten, ist auch bereit andere Sichtweisen zuzulassen und sie gemeinsam zu diskutieren. Eine tiefe, gemeinsame Reflexion ist ein entscheidender Schritt, um Gruppen oder einzelne Personen in die Lage zu versetzen, einen Standpunkt zu hören, der sich von ihrem eigenen unterscheidet. Das hilft letztlich die Realität des anderen emotional und kognitiv schätzen zu lernen. Das ist ein fundamentaler Weg, um Vertrauen aufzubauen, wo Misstrauen vorherrschte und um kollektive Kreativität zu fördern. Dabei ist es die Aufgabe von System Entrepreneuren aus vagen Absichten konkrete Ziele und Visionen zu formulieren und aus dem Spannungsverhältnis mit der Realität neue nachhaltige Ansätze zu schaffen.

Drittens: Einen gemeinsamen Raum schaffen

Sind nach Analyse und Reflexion die Ziele und Visionen des eigenen Vorhabens festgelegt, kommt es nun darauf an, einen Raum für dessen Umsetzung zu schaffen. Dafür ist der Aufbau einer Infrastruktur ein wesentlicher Bestandteil des System Entrepreneurships. Vor allem deshalb, da sie eines ermöglicht: Kollaborationen – die Zusammenarbeit aller Stakeholder eines Systemwandels zugunsten eines gemeinsamen, nachhaltigen Ziels. Es sollte klar sein, dass sich ein Systemwandel kaum alleine bewältigen lässt. Das liegt im Wesentlichen daran, dass ein einzelner Akteur – wie etwa ein Social Startup – kaum in der Lage ist, das dazu notwendige Spektrum an Fähigkeiten und Mitteln abzudecken. System Entrepreneurship beinhaltet demnach immer Allianzen aus verschieden Co-Innovatoren und Distributoren, die eine gemeinsam entwickelte Innovation systemisch etablieren. Ein Merkmal für ein erfolgreiches System Entrepreneurships ist demnach die Schaffung einer optimalen Konstellation der am Wandel beteiligten Akteure. Dazu benötigt es Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit, branchen-, kulturen- und perspektivübergreifend zu übersetzen, Beziehungen aufzubauen und Workshops und Veranstaltungen zur Unterstützung des Veränderungsprozesses zu konzipieren und zu moderieren. Das alles mit dem Ziel ein möglichst breites Publikum in den Wandel einzubinden.

Viertens: Mit den richtigen Tools ein Systemwandel steuern

Soweit so gut, doch geht es um die konkrete Umsetzung, stellt sich leicht die Frage: Welche Tools eignen sich am besten? Und nach welchem sollte vorgegangen werden? Eine einheitliche Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Die Wahl einer der unzähligen Methoden und Ansätze ist abhängig von Merkmalen wie Art, Alter und Größe eines Systems. Etabliert haben sich aber unter anderem: Theory U, Collective Impact oder Change Labs. Ein Werkzeug, das oft sehr hilfreich ist, ist zudem das sogenannte Mapping. Hierbei werden die Hauptakteure eines Systems und ihrer Beziehungen zueinander illustriert. Das kann helfen, Systeme besser zu verstehen, indem sie in einfacher Form dargestellt, beschrieben und, für weitere Überlegungen, dokumentiert werden. Letztlich bildet der Prozess des Mappings, durch seinen kollaborativen Gestaltungsprozess an sich, eine Plattform zur gemeinsamen Reflexion und Analyse.

Die Methodik des Mappings kann Startpunkt, von Analyse, Reflexion und Koalitionsbildung sein. (Hier nach dem Panarchy-Modell).

Beim Steuern, das heißt dem Anwenden von Tools und Werkzeugen, gibt es zwei essentielle Herausforderungen. Zum einem ist der Ausgang eines Systemwandels, aufgrund mangelnder Erfahrungswerte, oft ungewiss, zum anderen sind Lern -und Steuerungsprozesse oft verschieden und komplex. Für den Bruch mit dem Status Quo eignet sich etwa eine Führungspersönlichkeit, die wie ein Pirat eine Crew anführt und Schlachtzüge von den Seitenrändern eines Systems startet, während der Aufbau von Allianzen jedoch eine Führungspersönlichkeit erfordert, die eher einem Gemeinschaftsorganisator gleicht.

Fünftens: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein

Systeme sind immer mehrdimensional. Unabhängig davon, ob es sich um abstrakte oder konkret greifbare Strukturen handelt: Raum und Zeit spielen bei ihrer Zusammensetzung eine wesentliche Rolle. Umso einleuchtender scheint es, diese beiden Parameter in das eigene Handeln einzubeziehen. Kurzum: Wer einen Systemwandel erfolgreich umsetzen will, muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Dafür identifizierte die einflussreiche Systemtheoretikerin Donella Meadowskonkrete Punkte, die eine größtmögliche Hebelwirkung versprechen – die sogenannten Leverage Points (eng.: „leverage“= deutsch: Hebelwirkung)Das Prinzip dahinter ist es, Orte in einem System zu definieren, deren minimale Veränderung zu einem größtmöglichen Wandel im Systemverhalten führt.

Systematiken wie „Twelve Leverage Points“ nach Donella Meadows bieten besonders für komplexe Systeme eine gute Orientierung. (Quelle: Donella H. Meadows: Thinking in Systems).

Ein Wirkungsmaximum wird am besten erzielt, sobald sich ein System im Umschwung befindet. Vollzieht ein System beispielsweise den Übergang von Aufschwang zu Abschwung, werden feste und resistente Strukturen durch deren Umorientierung elastischer und offener für neue Ansätze. Demnach ist die Aufgabe eines System Entrepreneurs herauszufinden, wann sich Bedürfnisse und Wünsche in einem System ändern, um dann adäquate Vorschläge zu deren Erfüllung vorschlagen zu können. Wo ein Hebel die größte Wirkung erzielt, ist abhängig vom eigenen Vorhaben. Die Möglichkeiten sind also vielseitig. So krempeln nicht nur smarte Elektroautos festgefahrenen Systeme um, sondern kann ein Systemwandel auch durch Dienstleistungen oder durch reine non-profit Initiativen bewirkt werden. So versorgt etwa das Projekt Child & Youth Finance International (CYFI) Kinder und Jugendliche aus prekären Lebensverhältnissen mit Bildungsinhalten zu Finanz -und Wirtschaftssystem. Die Idee: Jungen Menschen wird eine bessere Lebensgrundlage gewährt, indem sie lernen, wie sie Zugang zu finanziellen Mitteln bekommen, eigenes Geld sparen und es in ihre Zukunft investieren können. Um das zu erreichen, sollen langfristig bildungs- und finanzpolitische Systemstrukturen, gemeinsam mit relevanten Systemakteuren, nachhaltig verändert werden. Das Projekt übernimmt dabei die Rolle des Change Leaders und ist damit Befürworter, Experte und Netzwerker zugleich. Operativ erfordert das besonders: die Schaffung eines Problembewusstseins, das Generieren und Teilen von relevantem Wissen, sowie der Aufbau von Allianzen. Letztlich ist dies nur ein Beispiel von vielen, aber es zeigt, dass ein Systemwandel mit den richtigen Schritten machbar ist und das für ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt.


Lesetipp //

Donella Meadows: Thinking in Systems – A primer.

(c) Titelbild: Deva Darshan

Soziales Unternehmertum und Blockchain: Das Beispiel Trustlines

13. November 2018 By

Wie lokale Währungen in kurzlebigen Noteinrichtungen faire Transaktionen ermöglichen können.

Bei den vielen technologischen Entwicklungen, die man über Wochen und Monate durch die Medien vorgetragen bekommt, ist es schwierig Nutzbares von Produktivitätszerstörern und unbrauchbarem Kram zu unterscheiden. Technologische Entwicklungen sind unter anderem Spekulationsblasen, die viel versprechen: Man denke beispielsweise an Apples iPhone 4 Werbeslogan, der sinnbildlich lautete: „Das ändert alles. Wieder einmal“. Und neben der x-ten App, die irgendwelche Notifications an das Display schickt oder irgendwelchen Kaffeemaschinen, die sich vom Esstisch aus bedienen lassen, gibt es dann doch wieder die eine oder andere Entwicklung, die es schaffen kann, Technikerphantasien zu transzendieren und eine globalisierte Gesellschaft verändert. Genau, es geht um die Blockchain, bisher schon bezeichnet als die „digitale Magna Carta“.

Die Kryptoketten digitaler Objekte

Die Macht der Blockchain liegt in ihrer Fähigkeit digitale Objekte, die Dinge in der analogen Welt repräsentieren, mit der Sicherheit mathematischer Gnadenlosigkeit, festhalten zu können. Eine Datenbank, an der man nicht rumfummeln kann, schon allein deswegen, weil die gesamte Datenbank dezentralisiert ist. Meine Facebook-Daten liegen auf Facebook Servern und sonst nirgendwo. Daten, die in die Blockchain geschrieben werden, liegen auf jedem Computer, der an diesem Netzwerk teilnimmt (mittlerweile mehr als 200.000): klassisches Peer-to-Peer also. Um Daten zu manipulieren, müsste man das zu manipulierende Datum auf jedem einzelnen Rechner, der Teil des Netzwerkes ist, manipulieren. Das ist geradezu unmöglich, auch Dank der Verschlüsselung, die die Blockchain nutzt. Die Blockchain ist eine wachsende Kette aus Datenelementen, wobei jedes Datenelement verschlüsselt ist und zudem mit einem Zeiger auf das nächste (zeitlich) folgende Datenelement zeigt (daher Kette). Die Crux: Wenn ich einen Schreibvorgang (eine Manipulation) über ein Datum erreichen will, muss ich alle vorherigen Kettenelemente entschlüsseln.

Ich speicher’ dir die Welt

Die Frage ist nun, was man damit macht. Ist die Blockchain an sich eine herausragende technische Innovation oder eher ein Lösungsansatz, für den wir jetzt nur noch das richtige Probleme finden müssen? Jedes digitale Objekt kann ohne irgendeinen Mittler verteilt gespeichert werden. Aha. Nehmen wir mal das Beispiel Wissenschaft: Wissenschaftler könnten ihre neusten Entdeckungen einfach in die Blockchain schreiben. Somit gibt es keine Möglichkeit Ideen zu klauen, das geistige Eigentum der Entdeckung ist unwiderruflich geklärt. Es kann niemand danach kommen und heimlich das gleiche Objekt nochmal in die Datenbank einschleusen. Und so funktioniert das natürlich auch mit künstlerischen Objekten aller Art, Ideen, oder auch Gesundheitsakten und natürlich Verträgen (Smart Contracts) genau wie jedem anderem Finanzobjekt: Überweisungen, Transaktionen, Bonds, Aktien und Kredite. Es sind eher die letzteren Objekte, die die Blockchain bisher so bekannt gemacht haben.

Das Banksystem von heute

Soziale Graphen als Geldverkehr: Eine Sache des Vertrauens.

„Unser Ziel ist das sogenannte ‚People-Powered Money‘, wodurch Menschen wie Du und Ich lokale Währungen schaffen können, die unabhängig sind von Staaten, Zentralbanken oder auch normalen Banken. Es ist ein alternatives System zu dem Geldschöpfungssystem, wie wir es heute haben”, sagt Dominik Schmid. Wir treffen den ehemaligen Mathematik- und Philosophiestudenten in einem Co-Working Space in München. Von dort arbeitet er für das Start-Up Brainbot aus Mainz. Brainbot definiert sich über die zwei Hauptprojekte Raiden und Trustlines, die beide auf der Blockchaintechnologie von Ethereum aufbauen. Das Ziel von Trustlines ist es, lokale und effiziente Währungen aufzubauen. Mittels einer App versendet und empfängt man dann Geldbeträge.

Es ist ein eisiger Morgen und Dominik ist bisher fast alleine in dem hippen Co-Working Office in der Münchener Maxvorstadt. „Büros in München sind einfach sehr teuer, wir bleiben erst mal hier, auf längere Sicht werden wir sicherlich irgendwo was bekommen.“ Mittlerweile arbeiten mehr als 20 Entwickler bei Brainbot, viele verteilt in Deutschland und auf der Welt, eben genau wie Dominik. „Ich habe gestern einen interessanten Artikel über eine Studie im Guardian entdeckt“, sagt er gleich zu Beginn. „85 Prozent der britischen Parlamentarier wissen nicht, dass Banken Geld einfach so erschaffen können. Aber das ist so. Banken erschaffen einfach Geld, zum Beispiel, wenn wir einen Kredit aufnehmen. Das ist schon ziemlich abgefahren, oder? Trustlines und ganz allgemein dezentralisierte Geldsysteme können ähnliche Mechanismen nutzen, um Alternativen zu entwickeln. Ein Schlagwort, das man immer wieder hört ist ‚Banking the unbanked‘.“ Ich wusste das selbst nicht und vergewissere mich nach dem Interview mit Dominik nochmal selbst über einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dort steht auch: „Wenn Banken uns Geld geben, haben sie dieses Geld in der Regel gar nicht. Die Macht Geld zu schöpfen und zu verteilen liegt damit bei der Handvoll von Banken, die wir alle kennen.“

Trustlines ist somit der Versuch, Geldverkehrsströme unabhängig von den kommerziellen Banken zu ermöglichen. Dabei setzt das System auf die technologische Sicherheit der Blockchain einerseits und die Bindung sozialer Normen anderseits. Trustlines sind hier wirklich Vertrauenslinien, wie sie im echten Leben bestehen. Das Vertrauen realisiert sich in diesem Kontext darin, dass man Freunden, Bekannten oder Familienmitgliedern einen bestimmten Geldbetrag als Kreditlinie einräumen kann. Beidseitig eingeräumte Kreditlinien bilden dann Trustlines. Innerhalb dieser Trustlines können sich nun zwei Freunde Geld senden.

„Sagen wir einfach mal wir beide sind Nachbarn und kennen uns gut. Ich gebe dir eine Kreditlinie von zehn Euro und du mir auch. Diese zwei gegenläufigen Kreditlinien sind unsere Trustline, jeder hat zehn Euro zur Verfügung. Ich kann dir jetzt fünf Euro über diese Trustline schicken. Dann hast du fünfzehn Euro zur Verfügung, die du mir irgendwann ganz oder in Teilen schicken kannst. Ich habe aber nur noch fünf Euro zur Verfügung. Das klappt gut und macht Sinn, weil wir uns kennen. Nun möchte ich aber Barbara 5 Euro zahlen, aber ich habe keine Trustline mit ihr, sondern nur du. Über dich gibt es also jetzt einen Pfad von Trustlines, den ich für meine Bezahlung an Barbara nutzen kann. Dafür muss ich nur die jeweiligen Kontostände der Trustlines verschieben, unsere Trustline verschiebt sich um fünf Euro zu deinen Gunsten und deine Trustline mit Barbara verschiebt sich um fünf Euro zu Ihren Gunsten. Für dich bleibt alles gleich, nur ich habe fünf Euro weniger und Barbara fünf Euro mehr, “ erklärt Dominik.

Und weiter: „Nehmen wir an, Barbara ist mit dir unterwegs und möchte jetzt abends einen Cocktail für fünf Euro kaufen. Sie kann dann einfach eure Trustline schließen und da sie dort ja im Plus ist, fordert Sie von Dir fünf ‚echte‘ Euro in bar. Eure Trustline ist damit ausgeglichen und geschlossen, aber unsere weißt ein Plus von fünf Euro auf deiner Seite auf. Aber nachdem du mir ja vertraust, Stichwort soziale Normen, weißt du, dass ich dir die fünf Euro jederzeit geben würde, wenn du wolltest. Daher hast du kein Problem damit Barbara auszuzahlen. Die Idee ist, dass jeder über geeignete Pfade – Trustlines – jeden bezahlen kann. Werden Trustlines geschlossen, wird der Nettobetrag der Trustline in echtem Geld oder Dienstleistungen ausgeglichen, von dir oder deinen Freunden und Bekannten.“ Das Besondere an diesem System ist, dass das Geld ohne klassische Geldschöpfung geschaffen werden kann und dass dieses Geld mit Fremden über Vertrauenslinien ausgetauscht werden kann.

 

Das System Trustlines

Aha, jetzt verstehe ich das schon besser. Also wenn ich Barbara eine zehn Euro Kreditlinie einräume und Barbara würde Dominik eine für 20 Euro einräumen, dann könnte ich ihm maximal zehn Euro schicken, weil ich praktisch nur die Brücke zwischen mir und Barbara nutzen kann. Wenn ich Dominik nun 20 Euro schicken möchte, dann findet die App eine entsprechende Kreditlinie zwischen uns, da können dann viele Leute dazwischen sein, die diesen Betrag zulässt – dieses Feature nennt sich Pathfinding. Dieser Graph verläuft dann nicht mehr nur über Barbara, sondern über andere Knoten, die auch einen Maximalbetrag von zehn Euro haben. Führt man beide Kreditlinien zusammen, kann ich Dominik also insgesamt 20 Euro schicken. Es geht nicht darum, dass er den oder den kennen musst. Aber im Endeffekt bekommt man immer nur von denjenigen Geld, den man auch wirklich kennt. Die direkte Linie zählt. Soziale Normen garantieren damit die Sicherheit, dass ich beim Ausstieg aus dem Netz meinen Geldbetrag bekomme und zwar ausschließlich von meinen direkten sozialen Bekanntschaften, meinem sozialen Netzwerk. Das heißt, dass der Intermediär des klassischen Zahlungsverkehrs, zum Beispiel die Deutsche Bank, durch technologische Faktoren und soziale Normen ersetzt wird.

 

Dominik Schmid von Trustlines

Das bedeutet natürlich auch, dass man seine Freunde in Vertrauenskredite einteilen muss. Man sieht genau, welchen Betrag man einem Freund anvertrauen würde. Die Vertrauensbeziehung lässt sich in einem expliziten, diskreten Wert darstellen. Die App ist derzeit in ihrer Betaversion, es wird sich zeigen, wie Nutzer mit diesem Faktor umgehen werden. Für den einen oder anderen wird es sicherlich nicht ganz so einfach sein, Freunde in unterschiedliche Vertrauensbeträge einzuteilen, vor allem, wenn diese Beträge im System offengelegt werden und für alle sichtbar sind.

Chancen für soziales Unternehmertum

In der Idee von Trustlines manifestiert sich auch das Potential von Blockchain-Anwendungen für soziales Unternehmertum. Denn der soziale Graph, auf dem das System beruht, kann für die Verwaltung von allen möglichen Transaktionen verwendet werden. Laut Dominik funktionieren Trustlines besonders gut in klar abgegrenzten Kommunen oder Gemeinschaften, die eine Lokalwährung benötigen. Wie etwa die Milliarden von Menschen, die in ländlichen Gegenden in Entwicklungsländern leben und kein Bankkonto haben. Sie können gar nicht am kommerziellen Geldverkehr der Banken teilnehmen. Lokalwährungen sind Währungen die nicht an einen Nationalstaat gebunden sind (wie etwa der Euro). Oder in ephemeren Kommunen, wie zum Beispiel Flüchtlingslagern, in denen sehr viele Menschen aus verschiedenen Gegenden in kurzer Zeit auf kleinem Raum leben. Er fügt an: „In großen Flüchtlingslagern kannst du dadurch schnell und effizient Geld verteilen, ohne das man ein Bargeldsystem brauchst. Diese Währungen haben in ihrem Währungsraum echten Wert und müssten dann wiederum umgetauscht werden, wenn sich der Wert über diese Grenzen hinaus erhalten soll. In Jordanien gibt es ein Flüchtlingslager, das bereits eine Blockchain-basierte Währungslösung innerhalb eines Lagers aufbaut. Das Projekt heißt Building Blocks. Die Idee von Trustlines ist dann eben auch, dass man viele kleine Währungskreise miteinander verbindet. Dadurch kann man letztendlich sogar über die Grenze des eigenen Währungskreises mit Hilfe der Blockchain Geld in andere Währungskreise überweisen.“

Die Blockchain wird einiges ändern, auch im sozialen Unternehmertum. Es ließe sich schon mal debattieren, ob die Abzweigung des Geldverkehrs in eigene Geldnetzwerke – wie etwa Trustlines – nicht bereits eine Demokratisierung der Geldschöpfungs- und Verteilungsinfrastrukturen darstellt. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn rechtlich betrachtet befinden sich diese innovativen Finanzierungstechnologien noch in der Schwebe. Steuern fallen hier eben auch an. Bis dahin führen die Kreditlinien wohl in alle erste Linie noch zur Bank um die Ecke.

Du bist, was du isst

4. Februar 2019 By

Wissen woher das Essen auf dem eigenen Teller kommt und gleichzeitig Kleinbauern unterstützen. Wie das geht zeigen SolaWi und Co.

In den letzten zwei Jahren wurde auch der deutschen Bevölkerung klar: das Klima verändert sich und es hat direkte Auswirkungen auf uns. 2017 war die Apfelernte extrem schlecht, aber auch Erdbeeren und Co waren teurer. Ein Jahr später ist die Apfelernte in Deutschland super, aber es hat zu wenig geregnet und daher fällt das Wurzelgemüse kleiner aus und kostet mehr. Den Wetterbedingungen waren die Landwirte schon immer ausgesetzt, daran sind sie gewohnt. Die Konsumenten betrifft es oft nicht, solange er seine Ware noch günstig aus Spanien beziehen kann. Die klimatischen Veränderungen sorgen aber auch für höhere Preise. Und selten haben die Menschen so wenig Geld für Essen ausgegeben, wie heutzutage. Waren es einst 70 Prozent des Gehalts, sind es heute in Deutschland nur noch zehn Prozent. Waren die Landwirte einst die, die an der Spitze der Nahrungskette standen, sind sie jetzt ganz unten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Eine neue Verordnung der EU und ein Kleinbetrieb kann dicht machen: Hygienevorschriften, Verpackung und Modernisierung. Das alles kostet Geld, das viele Kleinbauern nicht auftreiben können. Sie leben immer am Limit. Ihr einziger Vorteil ist, wenn ihnen das Land, das sie bewirtschaften, gehört.

Großbetriebe haben es da leichter neue Auflagen umzusetzen – die Masse macht’s. Doch es geht auch anders. Die Bauern haben kein Geld – die Städter schon. Und die wollen eben nicht mehr immer die billige Massenware. Sie wollen wissen, woher ihr Fleisch kommt, wie die Tiere aufgewachsen sind, wie der Bauer mit ihnen umgeht, aber genauso wollen sie manchmal auch mit anpacken, etwas für ihr Essen tun, die Arbeit nachfühlen und nicht nur konsumieren. Für diese Städter gibt es ganz unterschiedliche Modelle, wie sie wieder Teil des Entstehungsprozesses werden können. Sie heißen Solidarische Landwirtschaft, Foodfunding oder Genussgemeinschaft.

Solidarische Landwirtschaft

Die Solidarische Landwirtschaft, auch SolaWi genannt, findet immer mehr Zuspruch. Dabei geht es nicht nur darum, dem Landwirt seine Produkte abzukaufen, sondern den ganzen Hof zu unterstützen. Auch dann, wenn die Ernte einmal nicht so gut ausfällt – sich solidarisch zu zeigen, den Wert des Essen und die Arbeit dahinter wieder zu schätzen. Dafür schließt sich ein Landwirt mit einer Gruppe von Privathaushalten zusammen. Im Gegenzug für einen monatlichen- oder jährlichen Beitrag bekommen die Mitglieder ihren Essensanteil direkt vom Hof. Je nachdem helfen sie auch einige Tage im Jahr bei der Ernte, entscheiden mit, was angebaut wird, teilen sich die Aufgabe das Essen abzuholen und zu verteilen. Die finanzielle Sicherheit erlaubt es dem Bauern, besser zu wirtschaften. Er hat bereits zu Beginn der Saison eine feste Einnahmequelle, die er für die Saat und das Viehfutter ausgeben kann. So kann er eventuell auch etwas kreativer sein, neue Sachen ausprobieren oder auch etwas produzieren, dass in einem gewöhnlichen Landwirtschaftsbetrieb unrentabel wäre, wie beispielsweise alte Tierrassen halten oder eine kleine Menge an Brot backen.

Das eigentliche Konzept stammt aus Japan und wird dort bereits seit den 1960er Jahren umgesetzt. Ein Viertel der Japaner sind mittlerweile Teil einer solchen Teikei (deutsch: Partnerschaft). In den USA entwickelte sich 1985 unabhängig davon die Idee der Community-Supported Agriculture (CSA) und auch in der Schweiz gibt es das Konzept, das sich „Schlaraffengärten“ nennt. In Deutschland verbreitete sich die Idee der SolaWi nur sehr langsam. Mittlerweile ist sie aber angekommen. Seit 2011 gibt es den Trägerverein Solidarische Landwirtschaft e.V., ein Netzwerk für Bauernhöfe und Gärtnereien, aber auch interessierte Städter.

Die Produkte des Kartoffelkombinats. (c) David Freudenthal

 

Ein Start-Up, das den Weg einer Solidarischen Landwirtschaft in Form einer Genossenschaft geht, ist das Kartoffelkombinat. 2012 haben die Gründer Simon Scholl und Daniel Überall ihre Idee in die Tat umgesetzt– und versorgen nun fast 1.000 Haushalte mit Obst, Gemüse und sogar Honig. Jedes Mitglied zahlt hier einmalig einen Beitrag von 150 Euro und anschließend 68 Euro monatlich für seinen Ernteanteil. Diesen gibt es dann an verschiedenen Verteilerpunkten in München abzuholen. Dabei war klar: Irgendwann soll die Genossenschaft eine eigene Gärtnerei oder einen Hof besitzen. Die Lebensmittel werden fair, ökologisch und nachhaltig produziert. Die Genossen können sich aktiv in Form der Mitgliederversammlung und Seminaren einbringen – müssen sie aber nicht.

Unter der Webseite ernte-teilen.org, kann jeder Interessent die passende Gemeinschaft in seiner Nähe finden.

Genussgemeinschaft

Auch bei der Genussgemeinschaft Städter und Bauer e.V. geht es darum, wieder eine Verbindung zwischen denen, die landwirtschaftliche Produkte produzieren, und denen, die sie konsumieren, zu schaffen. Der Verein ist aus einer Arbeitsgruppe des SlowFood e.V. entstanden. Hier hat man verschiedene Konzepte unter einen Hut gepackt. Der Verein selber macht viel Öffentlichkeitsarbeit, veranstaltet Infoabende und Seminare zu den verschiedenen Themen oder gibt Veranstaltungstipps wie Führungen auf beteiligten Höfen oder Imkerkurse. Die Umsetzung erfolgt dann in privaten Einkaufsgemeinschaften, finanzieller Beteiligung oder in einer Solidarischen Landwirtschaft.

Ein Grundproblem für kleine Bauern ist, dass sie im Vergleich zu den Großen bei staatlichen Förderungen benachteiligt werden. So werden Umbauten und Modernisierungen oft nur unterstützt, wenn das Ergebnis rentabel ist. Ändern sich beispielsweise die Hygienevorschriften, ist es für kleine Betriebe oft schwer, das Geld für die verlangten Umstrukturierungen aufzubringen. Die Lösung der Genussgemeinschaft? Eine finanzielle Beteiligung, ein Genussschein. Der Verbraucher kauft Anleihen, von mindestens 500 Euro, und bekommt jährlich fünf Prozent Zinsen in Form von Produkten ausgezahlt.

So auch beim Leitzachtaler Ziegenhof in Oberbayern von Werner Haase. Auch er sollte seinen 530 Jahre alten Hof den neuen Hygienevorschriften anpassen. Hätte er das alleine stemmen müssen, hätte sich die Ziegenhaltung nicht mehr gelohnt. Durch das Konzept gewann er neue Kunden und der Verbraucher weiß genau, woher sein Essen kommt. Wenn die dann auch noch persönlich vorbei kommen, um die Ware abzuholen und es nicht über einen dritten verkauft wird, kann der Bauer sich auch die Verkaufsmarge sparen. Etwas, das oft den Unterschied zwischen Überleben und Aufgeben ausmachen kann. Nach dem Ablauf einer gewissen Frist, kann der Genuss-Schein-Besitzer entscheiden, ob er das Geld ausgezahlt bekommen will, oder es dem Landwirt weiter leiht.

Foodfunding

Crowdfunding ist ein Konzept, das viel Anklang gefunden hat und für alle möglichen Projekte genutzt wird. Die Schwarmfinanzierung funktioniert für Startups, aber auch Privatleute, die sich eine Reise finanzieren wollen. Beim Essen finanziert die Crowd – die Masse – ihr Essen. Im Voraus. Dabei hat das viele verschiedene Vorteile: Landwirt und Käufer kommunizieren direkt und nicht über Dritte. Die Packungen sind größer – somit spart man sich Verpackung und Lieferkosten, was wiederum das Produkt günstiger macht. Einer der ersten, die dieses Konzept umgesetzt hat, ist Günther Faltin mit seinem Unternehmen Tee-Kampagne. Zu Beginn war es „nur“ ein Projekt an der Freien Universität Berlin, an der er Professor für Entrepreneurship war. Er wollte aber nicht nur die Theorie vermitteln, sondern praktisch zeigen, wie man seine Ideen umsetzen kann. In der Projektwerkstatt entstand so die Idee, Darjeeling-Tee in bester Qualität, in großen Packungen und ohne Zwischenhändler direkt an den Verbraucher zu bringen. Was als Universitätsprojekt begann, ist heute ein Unternehmen mit zweistelligen Millionenumsätzen, die aber auch in nachhaltige Projekte der Anbauregion in Indien teilweise zurückfließen.

Noch sind sie grün, aber bald werden die Früchte am Baum zu saftigen Orangen. Bei Citrusricus wartet man aber mit der Ernte, bis sie wirklich reif sind. (c) Citrusricus

Das Prinzip wird aber nicht nur für Tee angewendet, sondern mittlerweile auch von dem spanischen Familienbetrieb CitrusRicus für Orangebäume in Valencia oder Honig direkt vom Imker. Das Start-Up KaufneKuh.de hat es sogar geschafft, das Prinzip auf das Fleisch umzumünzen. Der Käufer kann Fleischpakete kaufen und erst wenn eine komplette Kuh verkauft ist, wird sie geschlachtet. Dabei kann sich der Käufer die Fleischart nicht aussuchen, sondern bekommt von allem etwas. So wird weniger weggeschmissen und die Kuh bestmöglich genutzt. Eine Plattform, die sich vor allem dem Foodfunding verschrieben hat, ist die Seite Erzeugerwelt.de, worüber auch die Orangen- und Mandarinenbaum-Patenschaften laufen. Sie soll auch als Plattform für Austausch untereinander dienen.

Und jetzt?

Und jetzt kann sich jeder entscheiden, ob er weiter im Supermarkt, im Bioladen oder bei einer dieser und noch vielen weiteren Projekten mitmacht. Schlussendlich muss sich der Verbraucher nämlich auch fragen, wie viel Zeit er investieren möchte, und natürlich, wie viel Geld. Einige Konzepte sind noch im Aufbau. Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass viel Interesse besteht und die Community stetig wächst. Ein schöner Nebenaspekt aller Projekte: Es entsteht wieder ein Kontakt mit den realen Lebensmittelproduzenten – nicht mit der Kühltheke -, ein Miteinander und auch eine wiederkehrende Wertschätzung gegenüber der Arbeit in der Landwirtschaft. Da schmeckt das Essen doch gleich besser. Mahlzeit!


(c) Titelbild: Caroline Deidenbach

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