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relaio.de

Die Plattform für nachhaltiges Unternehmertum

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Mach´s gut, relaio!

relaio, die Plattform für gesellschaftlichen Wandel stellt den Betrieb ein. Aber auf anderen Websites der Hans Sauer Stiftung geht es weiter… 

Wie soll eine Gesellschaft aussehen, die ein gutes und gerechtes Leben für alle schafft und dabei die Belastungsgrenzen unseres Planeten achtet? Welche Werte, Praktiken und Technologien müssen sich ändern, damit wir die Welt und die Gesellschaft in der wir leben, nachhaltig gestalten können? Und wer sind diejenigen, die dazu beitragen können?  

Mit diesen Fragen beschäftigte sich relaio zuletzt. Und hat versucht Antworten darauf finden: relaio hat Wissen geliefert, wie gesellschaftlicher Wandel funktionieren kann und dabei Hintergründe und Konzepte zu aktuellen Themen aus Forschung und Gesellschaft beleuchtet. Wie sich Innovationen in der Gesellschaft verbreiten wurde dabei ebenso thematisiert, wie die Probleme der kapitalistischen Produktionsweise oder die Unzulänglichkeiten einer Circular Economy. relaio hat aber auch Lösungsansätze vorgestellt und Vorbilder interviewt, die demonstrieren, wie gesellschaftlicher Wandel gelingen kann. Sowohl Nischenakteur*innen wie das „Penthaus à la Parasit“ als auch renommierte Wissenschaftler wie Volker Quaschning kamen hier zu Wort. relaio wollte so auch seine Leser*innen dazu ermutigt, sich selbst als Gestalter*innen des Wandels miteinzubringen. 

Menschen dazu zu bewegen, sich einzusetzen und ihnen das hierfür nötige Wissen mitzugeben, war seit jeher das Ziel dieses operativen Projekts der Hans Sauer Stiftung. Es steht damit in der gedanklichen Tradition des Erfinders, Unternehmers und Stifters Hans Sauer, der bereits 1987 das „DABEI-Handbuch für Erfinder und Unternehmer“ erarbeitet hat, um Menschen einen Leitfaden für die Umsetzung von Innovationen an die Hand zu geben. Der Stifter beschäftigte sich daraufhin in den 1990er Jahren mit dem Thema der erfinderischen Kreativität und deren Beitrag zu einer funktionierenden „Ko-Evolution“ von Mensch und Natur. Seine Tochter Monika Sachtleben veröffentlichte 1999, drei Jahre nach dem Tod des Stifters, zu diesem Thema das Buch „Kooperation mit der Evolution“. Diese Veröffentlichungen lieferten die Wertedimension, die die Arbeit von relaio prägten: Die Förderung von technischen und sozialen Innovationen, bei denen der gesellschaftliche Nutzen im Vordergrund steht.  Eine digital erneuerte Version des „DABEI-Handbuch“ entstand 2009, die sich noch stark am Aufbau des ursprünglichen Handbuchs orientierte. Zeitweise wurde das Projekt dann am LMU Entrepreneurship Center in München weiterbearbeitet, wobei vor allem der aktuelle Wissensstand rund um das Thema „Nachhaltig Wirtschaften“ erarbeitet wurde. 2012 wurde dann das DABEI-Handbuch „digitalisiert“ und thematisch grundlegend ergänzt und für eine breitere Zielgruppe zugänglich gemacht.  Dies legte den Grundstein für das Projekt relaio, das als „Ideengarage“ gestartet wurde und dann 2015 als Plattform für nachhaltiges Unternehmertum online ging.  

Im Laufe der Zeit gewannen dabei aktuelle Themen der Stiftungsarbeit wie Social Design, Stadtentwicklung und Cirular Society immer mehr an Bedeutung. Diese Themen sind aktuell die Schwerpunkte der Stiftungsarbeit geworden und werden nun auch redaktionell auf- und beabeitet. Wer die Stiftungsarbeit also weiterhin verfolgen möchte, ist herzlich eingeladen dies auf www.socialdesign.de zu tun.  Die Seite relaio.de wird daher nicht weiter aktualisiert, bleibt aber in ihrer aktuellen Form erhalten. Die Plattform hat viele angehende Sozialunternehmer*innen und Pioniere des Wandels begleitet, ihnen Wissen zur Verfügung gestellt und versucht, ihnen neue Richtungen aufzuzeigen, die hierfür erarbeiteten Inhalte sollen daher auch anderen noch zur Verfügung stehen.  
An dieser Stelle möchte sich relaio zudem bei allen Leser*innen, Interviewpartner*innen und ehemaligen Mitarbeiter*innen bedanken – ohne euch wäre diese Plattform nicht so bunt, vielseitig und spannend geworden.  

Für uns heißt es jetzt aber Abschied nehmen, mach´s  gut relaio! 

KORA MIKINO – Sustainable Femcare

Ein Interview mit Julia Rittereiser über die Tabuisierung der Menstruation und einen nachhaltigeren Umgang mit entsprechenden Hygieneprodukten 

Ein menstruierender Mensch verbraucht in seinem Leben durchschnittlich über 10.000 Monatshygieneprodukte – wenn Einwegprodukte wie Tampons und Binden verwendet werden. Mehrere Kilogramm Müll kommen so pro Person und Jahr zusammen. Einweg-Menstruationsprodukte beinhalten dabei häufig Plastik und Kunststoffverbindungen und verursachen bei der Entsorgung große Umweltbelastungen, insbesondere wenn sie einfach über die Toilette entsorgt werden. Doch nicht nur aufgrund der Entsorgungsproblematik ist es wichtig, sich genauer mit der Periode auseinanderzusetzen. Denn auch der gesellschaftliche Umgang damit hat weitreichende Folgen für Menschen mit Menstruation. Wir haben mit Julia Rittereiser, der Gründerin von KORA MIKINO über die Folgen der gesellschaftlichen Tabuisierung der Menstruation und über Möglichkeiten, die Periode mit Menstruationspanties nachhaltiger zu managen, gesprochen. 

relaio: Die Periode ist gesellschaftlich tabuisiert, viele Menschen mit Menstruation behandeln sie möglichst diskret oder sogar schamhaft. Warum ist das so? 

Julia Rittereiser : Das betrifft nicht nur das Thema Periode, sondern fast alles was den weiblichen Körper angeht: Körperflüssigkeiten und alles „dort unten“ wird bestenfalls mystifiziert, aber meistens doch eher tabuisiert, was ganz stark auf unsere doch sehr patriarchalen Gesellschaftsstrukturen zurückzuführen ist. Das ist teilweise auch industriebedingt. Uns wurden die letzten 30 Jahre Hygieneprodukte mit blauen Blut vermarket. Sauber und diskret ist der Slogan, Hauptsache keiner sieht etwas oder bekommt etwas davon mit. Das hat natürlich zum Tabu beigetragen.

Julia Rittereiser von KORA MIKINO (c) KORA MIKINO/Nora Tabel

Was macht es mit Menschen mit Menstruation, dass die Periode so tabuisiert ist? 

Zum einen limitiert es einen Menschen natürlich, wenn über einen so zentralen und auch gesundheitlich bedeutungsvollen Vorgang im Körper nicht offen gesprochen werden kann. Dadurch wird einfach nicht vermittelt, dass die Periode etwas ganz Natürliches ist und auch zeigt, dass der Körper normal funktioniert. Das Tabu hat aber auch den Aspekt, dass sowohl auf persönlichem als auch auf gesellschaftlichen Niveau wenig Wissen zu dem Thema vorhanden ist. Es gibt zum Beispiel sehr wenig medizinische Forschung dazu: Für uns war es eine Herausforderung, überhaupt einmal nur herauszufinden, wieviel Menstruationsblut eigentlich im Schnitt verloren geht – dazu gibt es kaum belastbare Fakten. Und auch zu Krankheiten wie Endometriose, unter der sehr viele menstruierende Menschen leiden, gibt es kaum medizinische Studien. Häufig werden Frauen vom Gynäkologen nach Hause geschickt nach dem Motto, sie haben einfach Periodenschmerzen, das ist eben ganz normal. Und oft kommt dann erst, wenn man Schwierigkeiten hat, schwanger zu werden, heraus, dass man Zysten im Unterleib hat. Aber je nach Gesellschaft und Land hängen da noch sehr viel weitreichendere Probleme daran. Denn je nachdem wie die Versorgung mit Hygieneartikeln aussieht, kann das Einschnitte für das ganze Leben eines Menschen nach sich ziehen. Laut einer Studie von UNICEF haben von 1,8 Milliarden Menschen mit Menstruation weltweit 1,2 Milliarden keinen ausreichenden Zugang zu Menstruationsprodukten. Besonders Jugendliche im globalen Süden verpassen dann oft während ihrer Periode die Schule oder müssen diese ganz abbrechen. Und das ist dann eine Kettenreaktion, die sich durchs ganze Leben zieht. Ein Mensch mit Menstruation hat so einfach nicht die gleichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten wie jemand, der nicht menstruiert. Oder es gibt Gesellschaften, da werden menstruierende Menschen während der Periode sogar des eigenen Hauses verbannt. Aufgrund dieser weitreichenden Verflechtungen tut man ganz viel für das Empowerment der Hälfte der Weltbevölkerung, wenn man sich mit dem Thema Periode auseinandersetzt.  

Was tut ihr gegen diese Tabuisierung der Periode?   
Wir arbeiten da auf ganz vielen Ebenen – zum einen ist das die Art wie wir kommunizieren, bei uns ist das Periodenblut rot und wir reden offen und ehrlich darüber – einfach um dem Thema Aufmerksamkeit und einen Raum zu geben und es so zu normalisieren. Wir unterhalten dazu einen Blog und machen auch sehr viel auf Social Media. Dabei wollen wir einen Austausch fördern und auch ein Gespräch provozieren. Damit wollen wir die Auseinandersetzung mit der Periode anregen und auch Möglichkeiten, wie man diese alternativ und nachhaltig managen kann, in die Medien und Massenmedien bringen. So möchten wir zu einem Umdenken und auch zu einer Enttabuisierung beitragen. Dieses Ziel verfolgen wir auch mit unserem Produkt, den Menstruationspanties. Auch hier wird das Thema nicht mehr versteckt, sondern die Auseinandersetzung mit der Periode und dem Körper findet auf einer anderen Ebene statt. 

Das Team um Julia Rittereiser möchte mit einer offene Kommunikation zur Enttabuisierung der Menstruation beitragen (c) KORA MIKINO/Nora Tabel

 Wie genau funktioniert die Menstruationspant? 
 
Im Prinzip ist es eine Unterhose, die man während der Periode trägt. In deren Schritt ist eine unsichtbare Sauglage eingearbeitet, die nur wenige Millimeter dick ist. Der erste Layer unserer Sauglage besteht dabei aus einem grobporigen Wabenstoff, der das Blut sekundenschnell weitertransportiert und so für ein trockenes Tragegefühl sorgt. Das Blut wird anschließend vom SmartLayer eingeschlossen. Dieser ist besonders saugstark, geruchsneutralisierend und atmungsaktiv. Nach unten hin ist der SmartLayer wasserfest versiegelt, was den Auslaufschutz der Panty garantiert. So kann die Panty bis zu 30 Milliliter Periodenblut aufnehmen, das reicht bei den meisten Menschen den ganzen Tag oder die ganze Nacht. Abends ziehst du das Ding einfach wieder aus. Und das macht es super einfach – man trägt die Panty anstatt einer Unterhose und kann  Tampons und Binden  weglassen – die Menstruationspanty erledigt den ganzen Job. Und abends wäscht du sie am Waschbecken aus – dabei siehst du auch das Blut. Anschließend kommt die Panty zusammen mit der Wäsche in die Waschmaschine. Wenn du deine ganze Periode nur mit den Panties managen willst, brauchst du ungefähr drei bis fünf Panties, je nachdem wie lange und stark die Periode ist. Ich selbst habe fünf Menstruationspanties und das reicht mir vollkommen.  

Was ändert sich durch die Nutzung der Panty am Umgang mit der Periode?  

Gerade wenn man von einem Tampon umsteigt, kann es das erste Mal seit langem sein, das man wieder sein eigenes Periodenblut sieht. Und man merkt auch, wie es herausfließt. Das kann am Anfang ein ziemlicher Mindfuck sein, weil viele Menschen darauf trainiert sind, dieses Gefühl als Alarmstufe Rot zu sehen –jetzt versagt das Hygieneprodukt. Du musst dich erstmal mental drauf einstellen, dass die Panty das auffängt. Aber nach einer Gewöhnung empfinden tatsächlich viele dieses Gefühl als sehr angenehm, was dabei helfen kann, eine andere Verbindung zum Körper aufzubauen. Viele unserer Kund*Innen, mit denen wir darüber gesprochen haben, verwenden das Wort „natürlicher“ um uns ihren Umgang damit widerzuspiegeln. Oft hören wir auch, dass die Nutzer*Innen weniger Krämpfe und dadurch weniger Schmerzen bei der Periode haben. Aber das ist natürlich individuell. 

  Tampons stehen seit geraumer Zeit in der Kritik, da sie als Einwegprodukte viel Müll produzieren, ungerecht besteuert sind und auch zu vaginaler Trockenheit und zum toxischen Schocksyndrom führen können. Menstruationstassen gelten in der Hinsicht oft als nachhaltiger. Aber welche Vorteile bietet euer Produkt im Vergleich zur Tasse? 

 Wir haben super viele Nutzer*Innen, die beide Produkte in Kombination benutzen, da sie sich wirklich großartig ergänzen. Wenn man unterwegs ist und die Tasse auf einer öffentlichen Toilette wechselt, kann das ein bisschen eine Herausforderung sein, da nutzen einige dann die Panty als Backup. Oder es gibt auch Menschen, die einen super starken Flow haben und deswegen beide Produkte verwenden, damit sie nicht pausenlos auf die Toilette müssen. 

Die Tasse ist ein super Produkt, aber sie passt anatomisch einfach nicht für jeden gleich gut. Deswegen nutzen manche die Panty als Backup oder als Alternative. Denn die sitzt wie eine Unterhose und ist dadurch in der Anwendung deutlich einfacher. 

Die Panties werden auf der Schwäbischen Alb und in Rumänien unter fairen Bedingungen hergestellt. (c) KORA MIKINO/Nora Tabel

Wie bist du selbst auf die Idee gekommen, dich mit dem Thema zu beschäftigen und ein Unternehmen zu gründen? 
 
Meine erste Motivation war, keinen Müll mehr zu produzieren und deswegen keine Wegwerfprodukte mehr zu kaufen. Deswegen habe ich die Menstruationstasse ausprobiert, aber das hat bei mir leider überhaupt nicht funktioniert. Bei vielen funktioniert das ganz toll – aber bei mir hat es einfach nicht gepasst. Ich bin dann auf eine Menstruationspanty von einem anderen Hersteller gestoßen und fand die nur ok – aber die Idee total geil. Ich habe dann ein paar Nachforschungen angestellt und festgestellt, dass das eigentlich ein sehr altes Produkt ist. Im Dresdner Hygienemuseum gibt es Menstruationspanties aus den 1960er und 1970er Jahren. Und das ist einfach vom Markt verschwunden, genau wie viele andere nachhaltige Produkte – die Menstruationstasse gibt es seit den 1930er Jahren. Alle diese nachhaltigen Produkte wurden vorm Markt gedrängt, sie galten als unrein und dreckig und wurden als rückständig gebrandet. Denn mit einem langlebigen und wiederverwendbaren Produkt kann viel weniger Geld verdient werden, als wenn eine Abhängigkeit kreiert wird und die Menschen jeden Monat das Produkt neu kaufen müssen. 
Ich selbst habe lange für ein Tech-Unternehmen gearbeitet und hatte den Wunsch, etwas Eigenes zu gründen und dabei etwas zu machen, was sozial und ökologisch einzahlt. Ich wollte nicht mehr CO2 und Müll produzieren, sondern etwas schaffen, das einen Sinn über das eigentliche Wirtschaften hinaus hat. Und Ich habe also nach einer Möglichkeit gesucht, mich unternehmerisch zu betätigen und dann bin ich auf dieses Thema gestoßen, bei dem ich gemerkt habe, da kann man noch richtig etwas verbessern und jeden Monat viel Müll vermeiden. Aber nicht nur das macht unser Produkt nachhaltig, wir kaufen unsere Materialien nur in Europa und produzieren auch nur in Europa, um die Wege kurz zu halten und Sozialstandards gewährleisten zu können. In der Textilindustrie arbeiten fast nur Frauen. Unsere Arbeiter*Innen auf der Schwäbischen Alb und in Rumänien werden alle fair behandelt und bezahlt. Gerade wenn es um das Thema Female Empowerment geht, kann es aber nicht sein, dass ein Mensch für einen Hungerlohn das Produkt zusammennäht. Unsere Wertschöpfung findet deswegen aber auch nur in der westlichen Hemisphäre statt. Deswegen open-sourcen wir unsere Schnittmuster und Technologien für Organisationen im globalen Süden. Diese Initiative nennen wir „Period Pledge„. Wir wollen auch hier Menschen empowern, sich selbst zu versorgen. Und das ohne Abhängigkeiten von uns zu schaffen, also verlangen wir dafür kein Geld. Im Gegenteil, wir sind dabei Starter-Packages, mit Schnittmustern, Nähmaschinen uns so weiter zusammen zu stellen, um so diese riesige Versorgungslücke global zu schließen. 


Alle Bilder (c) KORA MIKINO/ Nora Tabel

„Das Fatalste, was man machen kann, ist, einfach nichts zu tun“

Wer erfolgreich etwas gegen den Klimawandel unternehmen will, sollte vor allem eines tun: handeln – Im Interview mit Volker Quaschning. 

Junge, demonstrierende Schüler*innen, die unter dem Motto Fridays for Future auf die Straße gehen, gehören mittlerweile zum gewohnten Bild vieler Städte – weltweit. Vor allem eine Forderung wird dabei immer wieder laut: Tut endlich etwas gegen die Zerstörung unserer Erde! Es ist ein dringender Appell und der scheint keineswegs unbegründet zu sein. Denn Industrialisierung und Globalisierung, brachten nicht nur Wohlstand, sondern auch Feinstaub, Klimaerwärmung und Artensterben. Grund zu handeln also. Das weiß auch Volker Quaschning, Professor für das Fachgebiet Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Wir haben mit dem Unterstützer der Schüler*innen-Proteste und Mitinitiator von Scientists for Future über fehlenden Mut in der Politik, das richtige Setzen von Prioritäten sowie über die Bedeutung aktueller Klimaschutzbewegungen gesprochen.

relaio: Herr Quaschning, wenn man Sie auf der Straße fragen würde, was denn das Problem sei mit dem Klimawandel: Was würden Sie entgegnen?

Volker Quaschning: Das Problem ist so groß, dass man es kaum in wenige Sätze packen kann. Aber was würde man sagen? Das Problem ist, dass unsere Kinder in der zweiten Hälfte ihres Lebens vor unlösbaren Existenzschwierigkeiten stehen, wenn wir so weiter machen wie bisher und dass wir sehr schnell handeln müssen. Man kann dann natürlich nochmal anfangen, die wissenschaftlichen Ursachen für den Klimawandel zu erläutern, dass wir also enorme Mengen an Treibhausgasen ausstoßen, die nachweislich das Klima bereits verändern. Dadurch gibt es bereits einen Temperaturanstieg um ein Grad Celsius, was ungefähr ein Drittel des Temperaturanstiegs seit der letzten Eiszeit bedeutet. Der Unterschied: damals dauerte das Jahrtausende, nun geschieht das gleiche im Expresstempo in nur einhundert Jahren. Diesen dramatischen Temperaturveränderungen werden die Ökosysteme unseres Planeten nicht folgen können.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe des „Münchner Klimaherbst“ haben Sie vor vollen Rängen des Audimax der technischen Universität München einen Vortrag über die gegenwärtige Klimapolitik gehalten. Das öffentliche Interesse zu Klimafragen ist also da.

Das ist ja das Schöne! Da sind wir schon mal viel weiter als vor einem Jahr. Da wären bei dem gleichen Vortrag vielleicht ein Zehntel der Leute gekommen.

Sie haben dort gesagt: „Wenn ein nachhaltige Klimapolitik zukünftig scheitert, dann kommen die Niederländer nach Bayern.“ Wie muss man das verstehen?

Durch den Klimawandel gibt es verschiedene Veränderungen. Die muss man versuchen bildlich darzustellen. Eine der Veränderungen wird es sein, dass der Meeresspiegel ansteigt. Langfristig sind bis zu 70 Meter möglich. Das wird natürlich nicht in den nächsten zehn Jahren passieren, sondern sich über Jahrhunderte hinstrecken. Aber es gibt Veröffentlichungen, die besagen, dass wir gegen Ende des jetzigen Jahrhunderts durchaus einen Anstieg von einem oder zwei Metern erreichen können. Einen Meter werden die Niederländer mit Deichen noch hinkriegen, aber bei bei drei bis vier Meter plus sind diese Gebiete einfach weg. Die Menschen, die dort wohnen, werden sich dann einen anderen Lebensraum suchen müssen. Niederländer in Bayern wären dann wohl noch das kleinere Problem. Durch den Anstieg des Meeresspiegel werden aber generell sehr viele Lebensräume zerstört werden und die Menschen, die dort wohnen, müssen sich eine neue Heimat suchen.

„Das Problem ist, dass unsere Kinder in der zweiten Hälfte ihres Lebens vor unlösbaren Existenzschwierigkeiten stehen“, sagt Volker Quaschning.  (c) Silke Reents

In Ihrem Vortrag haben Sie noch von dem Problem der Nahrungsmittelknappheit gesprochen.  

Genau! Nahrungsmittelknappheit ist auch für mich insofern spannend, da mir erst im letzen Sommer bewusst geworden ist, um welches Problem es sich hierbei handelt. In diesem Sommer hatten wir in Deutschland eine extreme Dürre inklusive 30 Prozent Ernterückgang. Vor einigen Jahrhunderten hätte das eine Hungersnot zur Folge gehabt. Man konnte damals nur regional Nahrungsmittelengpässe ausgleichen. Das heißt, unter diesen Umständen hätten wir ein massives Problem gehabt. Wenn das Szenario eintritt, dass global, gleichzeitig mehrere Regionen von so einer Dürre betroffen sind, dann kann es auch heutzutage eng werden. Dann geht ein Kampf um knappe Lebensmittelressourcen los. Das sind Szenarien, die man sich dann doch lieber nicht vorstellen möchte. Unwahrscheinlich ist es aber eben nicht, dass so etwas in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts passiert.

Aber sind die Folgen des Klimawandels nicht auch schon heute bemerkbar? Oder wollen wir sie vielleicht erst gar nicht bemerken?

Es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten, wie man auf diese Folgen reagiert. Man erstarrt beispielsweise vor Angst und verfällt in Steinzeitreflexe. Es ist, als käme der Säbelzahntiger und man fühlt sich zu schwach, um gegen ihn zu kämpfen. Dann lässt man entweder alles über sich ergehen oder man bildet sich einfach ein, es gäbe gar keinen Säbelzahntiger und hofft, dass alles irgendwie gut ausgeht. Die andere Möglichkeit ist aber, einen Versuch des Handelns zu unternehmen. Die meisten bleiben jedoch bei den Varianten eins oder zwei. Genauso trifft das auf den Klimawandel zu und das, indem man versucht, das Problem einfach klein zu reden. Wir befinden uns aber nicht mehr in der Steinzeit. Das heißt, wir sind mit der Wissenschaft in der Lage Probleme zu bewerten und zu analysieren. Die Wissenschaft kommt dabei zu einem ganz klaren Urteil: Der Säbelzahntiger ist tödlich.

Können wir diesen Säbelzahntiger überhaupt noch bezwingen?

Wenn wir noch ewig diskutieren, ob der Klimawandel wirklich ein Problem ist, dann ist es halt irgendwann zu spät. Das ist das Problem, das wir haben. Anderseits wissen wir, was wir machen müssen. Das heißt: unser Hauptproblem ist die Nutzung fossiler Energieträger – also Öl, Kohle und Gas. Wir wissen aber auch, dass wir das mit erneuerbaren Energien lösen können. Die Technologien dazu sind  bezahlbar, das heißt, wir könnten uns den Umstieg auch leisten. Das ist eigentlich das Fatale: es gibt eine rettende Strickleiter auf den Baum, aber wir bleiben einfach sitzen. Sie nicht zu erklimmen ist zwar bequemer, aber langfristig gesehen nicht besser. Es fehlt also am Handeln. Ich hoffe aber immer noch, dass der Mensch intellektuell in der Lage ist, dieses Problem zu erkennen und demnach zu handeln. Gerade in der Wissenschaft ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen und zu kämpfen.

Wie würden Sie als Wissenschaftler so eine Strickleiter beschreiben?

Wir sagen: bis 1,5 Grad Temperaturanstieg haben wir zwar auch schon Klimaveränderungen, jedoch lassen sich diese noch ausgleichen. Das heißt: der Klimawandel ist schon da, aber in einem Maße, in dem er beherrschbar ist. Über einem Anstieg von 1,5 Grad hinaus wird es aber schon bei jedem zehntel Grad Temperaturanstieg bedeutend schlimmer werden. Wann genau so ein Anstieg für die Menschheit unbeherrschbar wird, ist nur schwer zu sagen. Manche meinen, dass es schon ab diesen 1,5 Grad schwierig wird. Andere hingegen sagen, dass man ab einen Temperaturanstieg von zwei Grad große Teile des Planeten noch einigermaßen gut beherrschen könne. Bei zwei Grad verschwinden aber bereits einige Inselstaaten. Davon abgesehen, werden dann die Probleme größer. Das muss man ganz klar sagen. Meine Empfehlung ist es, Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen und jedes Jahr, in dem wir warten, macht das Problem nur größer. Das Fatalste was man machen kann, ist, einfach nichts zu tun. Man sollte lieber nicht ganz die richtigen Maßnahmen treffen, als einfach nichts zu tun und auf zukünftige Innovationen zu hoffen.

„Wenn wir noch ewig diskutieren, ob der Klimawandel wirklich ein Problem ist, dann ist es halt irgendwann zu spät.“ (c) Silke Reents

Unter den erneuerbaren Energien sind vor allem Solar- und Windenergie am günstigsten. In Sachen des Erssetzens gibt es nur ein Motto: bauen. Dabei kann man eigentlich nichts falsch machen. Andere Baustellen, die es zu lösen gilt, sind dann noch etwa die Abholzung von Regenwäldern oder die nachhaltige Ernährung der Bevölkerung. Bei diesen Problemen tragen auch wir ein Mitschuld. Etwa indem wir die Futtermittel für unsere Schweine und Co. von dort beziehen. Das heißt, wir müssen unser Konsumverhalten ändern. Das wäre sogar relativ einfach. Etwa, indem man Fleisch nur noch am Sonntag und möglichst hochwertig isst.

Das Motto muss also lauten: Verantwortung und Verzicht?

Meine Familie und ich sind erst auf eine vegane Ernährung umgestiegen. Ich empfinde diesen Umstieg aber nicht als Verzicht. Sich vegan zu ernähren ist viel leichter, als ich gedacht habe. Es gibt einfach ein paar andere Rezepte und man probiert einfach Neues aus. Momentan ist es eher spannend. Man muss es aber eben machen. Das gilt auch beim Fliegen. Da habe ich einfach für mich entschieden, dass ich nicht mehr fliege. Es gibt trotzdem weiterhin super Urlaubsziele. Ich weiß gar nicht mal, ob man verzichten muss, sondern vielmehr nur seine Lebensgewohnheiten verändern sollte. Ich erwarte ja nicht, dass man wieder zurück in die Steinzeithöhle geht. Die Lebensgewohnheiten sollen sich ja nicht verschlechtern, aber man muss schon an gewissen Punkten, gewisse Prioritäten ändern.

Prioritäten ist ein gutes Stichwort: In der deutschen Klimapolitik scheinen diese ja nicht allzu gut verteilt zu sein. Zumindest war das Fazit Ihres Vortrags: „deutsche Klimapolitik nicht besser als bei Trump“: Sind wir zu langsam?

Genau, das sind wir eindeutig! Wenn wir weiter machen wie bisher, brauchen wir 200 Jahre für die Energiewende – uns bleiben aber nur noch 20. Im Prinzip ist das, was wir hier machen richtig, nur das Tempo stimmt eben nicht. Unser Handeln ist also in einer gewissen Art und Weise schizophren. Es ist fast so, als würde man sagen: Naja, dann machen wir jetzt bisschen weniger Klimaschutz, dann ist die Welt eben ein wenig später gerettet. Aber so funktioniert Klimaschutz nicht. Es ist wie bei einem brennenden Haus: Will man es löschen und schüttet zu wenig Wasser hinein, ist der Schaden zum Schluss viel größer, als würde man von Vornherein einen ordentlichen Löschversuch unternehmen.

In einem YouTube-Post finden Sie das im September vorgeschlagene Klimaschutzprogramm der Bundesregierung „zum Kotzen“. Prägnante Eckpunkte darin sind etwa eine CO2-Bepreisung bei gleichzeitiger „Entlastung von Bürgern und Wirtschaft“: Was ist daran so problematisch?

Naja, eine CO2-Bepreisung ist schon sinnvoll. Das allein reicht aber nicht aus, um das Klima zu retten. Zudem wäre ein Begriff wie die Schweizer Lenkungsabgabe der bessere Ausdruck. Denn so eine Bepreisung soll die Leute so lenken, dass sie von einer CO2-intensiven zu einer CO2-ärmeren Lebensweise gehen. Dazu muss es erst einmal Alternativen geben, zu denen man hinlenken kann. Die Hauptalternative, die wir brauchen, ist die Windenergie, im Klimapaket steht jedoch, dass der Abstand von Windrädern zu Gebäuden erhöht werden soll –  was de facto dazu führen wird, dass weniger Windräder gebaut und in Betrieb genommen werden. Das heißt: Die Alternativen, die wir brauchen, finden in diesem Klimapaket gar nicht statt. Die vorgeschlagene CO2-Bepreisung ist zudem viel zu günstig. Experten sagen: erst ab 50 bis 60 Euro pro Tonne CO2 ist diese in Ansätzen sinnvoll.

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Schweden ist bereits bei über 100 Euro pro Tonne angekommen und selbst die sind noch nicht auf dem Weg, den wir bräuchten, um Klimaschutz erfolgreich umsetzen zu können. Wir fangen mit zehn Euro pro Tonne an und wollen damit unsere Verfehlungen der letzten Jahre im Expresstempo aufholen – da kann man nur müde lächeln. Da geht es einfach nur darum, zu zeigen, dass man etwas unternimmt. Auf der anderen Seite gibt es die Populisten, die das Thema ausschlachten. Die AfD etwa bietet eine sehr einfache Wahrheit an. Demzufolge gibt es gar keinen Klimawandel. Man bräuchte gar nichts tun, alles andere wäre Irrsinn und Abzocke. Diese „Wahrheit“ verfängt sich bei einigen und die regierenden Parteien haben anscheinend viel mehr Angst vor diesen Menschen als vor dem Klimawandel selbst. Das finde ich fatal: Ein Schiff geht unter und man hat mehr Angst vor dem pöbelnden Koch als vor dem Untergang des Schiffes. Daran sieht man, dass die Prioritäten völlig falsch gesetzt sind und dass die verantwortlichen Politiker das Problem offensichtlich gar nicht verstanden haben.

Aber wie entgegnet man solchen einfachen Wahrheiten?

Wichtig ist erst einmal, dass dieses Hin und Her aufhört. Man hat ja gar kein schlüssiges Konzept. Ein Beispiel ist etwa Bayern. Ich war in München bei der bayerischen Landesregierung und habe mir das bayerische Energiekonzept angeschaut. Das ist nicht viel besser als das der AfD. Im Gegensatz dazu leugnet die CSU vielleicht nicht den Klimawandel als Problem, aber gleichzeitig soll es damit gelöst werden, dass keine weiteren Windräder gebaut werden. Zudem wird versprochen, dass aus der Atomenergie ausgestiegen wird, gleichzeitig sollen aber keine Stromtrassen durch das Land gehen. Das ist reiner Populismus. Das merken die Leute auch. Deswegen wäre es einfach gut, wenn man einen überparteilichen, nationalen Konsens schafft, und sagt: diese bestimmte Anzahl an Windrädern muss gebaut werden und zwar aus klimagerechter Hinsicht, überall und nicht nur vereinzelt. Dann kann man durchaus diskutieren, wo Windräder in einer Kommune stehen, aber nicht, ob sie überhaupt stehen sollen. Das muss man entsprechend kommunizieren. Ein anderes Beispiel ist etwa Thüringen. Da hat nicht nur die AfD, sondern auch die CDU gegen Windenergie plakatiert. Noch absurder ist, dass dabei oftmals zu hören ist, dass Windrädern etwa den schönen Thüringer Wald zerstören. Kommen aber diese Windräder nicht, ist in ein paar Jahrzehnten der komplette Thüringer Wald sowieso im Eimer. Dann gibts da gar keinen Wald mehr.

Man könnte das dann ja schon fast als Selbstzerstörung begreifen?

Das ist ein bisschen fatalistisch. Ich denke einfach, dass vielen Leuten vor Ort die Folgen des Klimawandels nicht bewusst sind. Was auch dadurch zustande kommt, das auch online viele Pseudowahrheiten verbreitet werden. Da muss man einfach mehr aufklären. Es ist unsere Aufgabe, das in der Wissenschaft zu tun.

Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung beinhaltet einen Masterplan Ladesäuleninfrastruktur, der die Schaffung von insgesamt einer Millionen Ladepunkten bis 2030 vorsieht. Für dessen Umsetzung soll auch mit den „Automobilherstellern und der Energiewirtschaft“ gesprochen werden. Ist das eine gute Idee?

Das ist immer die Frage: Will man das oder will man das nicht? Im Falle der Ladesäulen steigen jetzt Unternehmen ein und versuchen damit, maximalen Profit zu erzielen. Vielleicht muss man sich aber auch wieder von dieser Wirtschaftsdominanz lösen. Vielleicht auch deshalb, da sonst etwa Ladesäulen, ähnlich wie beim Handynetz geschehen, wieder nur an stark frequentierten Stellen zu finden sind und die Leute auf dem Land das Nachsehen haben. Zudem wird mit viel zu hohen Preisen abgezockt. Sowas müsste die Politik komplett unterbinden. Infrastruktur ist Staatsaufgabe, dann muss man auch mal bereit sein, Steuern für eine bessere Infrastruktur zu erhöhen. Auch als Gesellschaft muss man dann vielleicht mal über die eigenen Prioritäten reden. Ob man eben nochmal ein paar Euro mehr für den Urlaubsflug bekommt oder ob man sagt: bessere Schulen und die Energiewende sind dann auch Sachen von denen ich irgendwie profitiere.

„Die Hauptalternative, die wir brauchen, ist die Windenergie.“ (c) Mika Baumeister

Der Staat übernimmt also nicht genug Verantwortung, wie er eigentlich übernehmen sollte und die Industrie investiert zu wenig?

Die Industrie versucht das zu machen, was maximal ökonomisch ist. Das sind einfach die Grundbedingungen. Man rechnet durch und was am meisten Rendite bringt, das wird getan. Der Staat trägt hier eine sehr große Verantwortung, indem er regulierend eingreift. Und zwar indem man eben Umweltbelastungen mit Abgaben belegt. Das traut man sich momentan aber einfach nicht – in allen Bereichen.

Und verbaut sich so die eigene Zukunft?

Genau! Man erkennt zwar das Problem, aber handelt nicht. Das sehe ich auch bei meiner Arbeit. Im öffentlichen Bereich irgendetwas durchzusetzen, ist so unendlich langwierig, dass man meist nach einem Jahr aufgibt. Das liegt vielleicht auch an unserer alternden Gesellschaft. Das heißt, je älter eine Gesellschaft ist, desto mehr Beharrungskräfte hat man und die junge Aufbruchstimmung geht komplett verloren. Man kann auch sagen, die Jungen wollten das Handynetz und die alten müssen den Mast ertragen. Man hat einfach einen Generationenkonflikt. Digitalisierung und mehr Klimaschutz sind Themen, die vor allem die junge Generation betrifft, während die Älteren eher konservative Werte bewahren wollen. Das ging früher vielleicht gut, weil die Welt sich nur langsam veränderte. Aber momentan finden alle geostrategischen und politischen Veränderungen in einem Expresstempo statt und wenn man sich dabei nicht anpasst, ist man weg vom Fenster. Das droht Deutschland demzufolge langfristig auch.

Sie sind einer der Initiatoren und Initiatorinnen von „Scientists for Future“ und unterstützen auch die Fridays for Future-Demonstrationen. Was konnte bisher damit erreicht werden?

Wenn sich alle so mit dem Klimawandel auseinandersetzen würden, wie diejenigen, die derzeit auf die Straße gehen, dann müssten alle panikartig versuchen, eine Veränderung voranzutreiben. Viele Leute blenden das Thema aber einfach aus oder informieren sich bei Klimaleugnern mit ihren alternativen Fakten. Deswegen ist unserer Arbeit so wichtig. Denn ich kann ja erst handeln, sofern ich das Problem verstanden habe. Und so mühselig es auch ist, wir haben eine Demokratie und deswegen müssen wir es eben ausdiskutieren und Bereitschaft sowie Mehrheiten erzeugen. Wir stehen damit leider noch am Anfang und müssen erstmal ein Bewusstsein über die Themen des Klimawandels schaffen. Ohne Fridays for Future hätten wir gar keine Chance dazu, auch weil man die Umweltfrage immer in Lagerdenken verhandelt hat. Das heißt, wer für Umwelt war, war eher so links und grün und dann gab es noch die Konservativen, die sich davon klar abgrenzen wollten. Das schöne bei Fridays for Future aber ist, dass dort einfach unverbrauchte Jugendliche mitmachen, die noch gar nicht in solche Lager einzusortieren sind. Klar, die Bewegung ist schon irgendwie links zu verorten, aber dieses Gesamtgesellschaftliche, dieses politisch Unsortierte hat den Schub gebracht.

„Und so mühselig es auch ist, wir haben eine Demokratie und deswegen müssen wir es eben ausdiskutieren und Bereitschaft sowie Mehrheiten erzeugen.“ (c) Fridays for Future Deutschland

Gleichzeitig versucht man aber, immer wieder Schüler als dumm und irregeleitet darzustellen. Deswegen ist unsere Arbeit sehr wichtig, indem wir zeigen, dass ihre Anliegen berechtigt sind und dass es einfach ganz klare wissenschaftliche Belege dafür gibt, auf denen sich die Forderungen von Fridays for Future stützen. Wir haben also angefangen, über Probleme zu diskutieren und das ist ein riesen Erfolg der jungen Generation. Auch beim heute-Journal ist jetzt mal der Klimawandel häufiger Thema. Man kann sich also selbst auf dem Sofa dem Klimawandel nicht mehr entziehen. Aber nun den zweiten Schritt zu unternehmen und die Bereitschaft für Handeln und Veränderung zu erzeugen, ist wahrscheinlich noch ein bisschen mühseliger. Diesen Schritt müssen wir mit dem gleichen Elan und mit dem gleichen Mut weitergehen. Das wird natürlich noch ein steiniger Weg. Leider. Vor allem ist es aber ein Kampf gegen die Zeit.


(c) Titelfoto: Janine Escher 

Spoontainable – nachhaltig Eis löffeln

Mit essbaren Löffeln aus Kakaoschalen lineare Verbrauchsmuster durchbrechen

Rund 113 Kugeln Eis schleckt jeder Deutsche im Jahr – eine willkommene Abkühlung bei den immer heißeren Sommertemperaturen. Dabei werden aber auch pro Jahr mehr als 360 Millionen Eislöffel aus Plastik verwendet, die nach einmaligem Gebrauch im Müll, auf dem Boden oder irgendwann einmal im Meer landen: Eine unnötige Ressourcenverschwendung, die Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung noch weiter vorantreibt Die beiden Managementstudentinnen Amelie Vermeer und Julia Piechotta haben zusammen mit der Ernährungsexpertin Anja Wildermuth diesem Auswuchs der Wegwerfgesellschaft den Kampf angesagt. Gemeinsam haben sie in wochenlangen Back-Experimenten in ihrer WG-Küche in Stuttgart den Spoonie entwickelt, eine nachhaltige Alternative zum Plastiklöffel. Hergestellt aus einem Teig aus Kakaoschalen, einem Überbleibsel aus der Schokoladenherstellung, sind die Löffel essbar und schmecken leicht nach Schokolade. Aber sie schmelzen nicht, geben keinen Geschmack an das Eis ab und weichen erst nach 60 Minuten auf – bis dahin ist das Eis sowieso schon geschmolzen oder besser längst aufgegessen. Hergestellt wird der Spoonie in Deutschland und auch die Verpackungs- und Marketingmaterialien wurden unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten gestaltet. Der Spoonie stellt also wohl die nachhaltigste Art dar, im Sommer sein Eis zu löffeln.

Doch Moment einmal. Wäre es nicht nachhaltiger, die kühlende Erfrischung im Eiscafé im Glasgeschirr und mit normalen Metallbesteck zu löffeln? Oder zum Mitnehmen in der Waffel bestellen und ganz ohne Löffel schlecken? Oder am besten bei stetig steigender Klimaerwärmung ganz auf ein Produkt verzichten, das unter hohem Energieaufwand gekühlt werden muss und nur wenige Augenblicke Erfrischung bietet? Handelt es sich bei dem vermeintlich nachhaltigen Löffel nicht viel mehr um ein kluges Marketingkonzept, das den aktuellen Nachhaltigkeitstrend ausnutzt? Möglicherweise kann man mehrere oder alle dieser Fragen mit Ja beantworten.

Doch das würde von dem großen Potential ablenken, das der Spoonie hat. Hergestellt aus einem Abfallprodukt wird aus dem Spoonie selbst ein Lebensmittel, das gegessen werden kann: Ein seltener Fall von einem echten Upcyclingprodukt, in dem aus scheinbar wertlosen Stoffen wirklich etwas Höherwertiges geschaffen wird.  Damit wird das lineare Wirtschaften der Wegwerfgesellschaft an dieser Stelle durchbrochen, in dem Kakaoschalen nicht im Müll und Plastiklöffel nicht im Meer landen. Das mag auf die Müllmenge erstmal nur einen kleinen Unterschied machen, aber der nachhaltige Löffel kann einem beim Eis essen vor Augen führen, dass eine Kreislaufwirtschaft möglich ist und dafür nur ein Umdenken in der Gesellschaft nötig ist.

„Das ist der Materialkreislauf schlechthin“

Die Initiative treibgut will die Nutzung verwendeter Materialien nachhaltiger gestalten und war nun Teil einer Ausstellung, in einem der renommiertesten Kunsthäuser der Welt.

treibgut – das ist eine Initiative, die einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leistet, indem sie verwendete Materialien aus Kunst und Theater vor dem Müllcontainer bewahrt, aufbereitet und im eigenen Lager zur Wiederverwendung anbietet. Um mehr darüber zu erfahren hat relaio bereits 2017 mit den Gründern der Initiative, Boris Maximowitz und Jonaid Khodabakhshi, gesprochen. In der Münchner Pinakothek der Moderne war treibgut nun Teil der Ausstellung „Circolution – Concepts for a sustainable future“, bei der ihre Arbeit einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Wir haben uns dort einmal umgeschaut und nachgefragt, was seit unserem letzten Besuch so alles geschehen ist.    

Jonaid, bereits 2017 hatten wir euch schon einmal besucht. Damals stand bei euch, im Münchner Kreativquartier, der Abrissbagger vor der Tür: Wie ist es euch seitdem ergangen?

Jonaid: Das Lager steht nach wie vor und wir haben einen Mietvertrag bis Ende 2019. Es gibt auch noch keine offizielle Ansage, dass wir raus müssen, gleichzeitig aber auch keine feste Zusage, dass wir länger auf dem Gelände bleiben dürfen. Dazu kommt, dass wir in der Zwischenzeit unseren Außenbereich als Lagerfläche verloren haben. Der war für uns enorm wichtig. Wir mussten ihn aber räumen, da Mängel beim Brandschutz der Zufahrtswege einer Feuerwehr festgestellt wurden. Damit ist uns ein Drittel der Lagerfläche weggefallen.

Was bedeutet das für eure Arbeit? 

Boris: Es ist schon eng geworden und wir können natürlich nicht mehr so viele Sachen aufnehmen. Wir schauen uns aber schon nach neuen Räumlichkeiten um, mit der Hoffnung etwas zu finden, wo wir unser Projekt in der verfolgten, größeren Struktur umsetzen können.

Jonaid Khodabakhshi (links) und Boris Maximowitz (rechts) haben treibgut ins Leben gerufen.

Eure Heimat ist das Münchner Kreativquartier – ein Zufluchtsort unkonventioneller Subkultur. Der soll jetzt städtisch „aufgewertet“ werden: Habt ihr das Gefühl, dass damit kreativer Raum in Gefahr ist?

Boris: Man merkt schon, dass hier die Gefahr droht, einen Freiraum so umzustrukturieren und letztlich zu gentrifizieren – auch wenn natürlich der Fokus auf Kunst, Kultur oder Kreativwirtschaft bestehen bleibt. Aber eben in einer so engen Struktur, dass möglicherweise der Charme des Areals verloren geht. Dahingehend versuchen wir uns auf dem Gelände zusammenzuschließen und unsere eigene Position nach außen klar zu kommunizieren.

Von der Subkultur zur Hochkultur – Wir sitzen hier gerade in der Pinakothek der Moderne, inmitten der größten Designsammlung der Welt: Wie ist es dazu gekommen?

Jonaid: Wir haben eine Anfrage bekommen von Studenten des Lehrstuhls für Industrial Design an der Technischen Universität in München, die eben hier eine Ausstellung zum Thema Nachhaltigkeit und Obsoleszenz auf die Beine gestellt haben. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wieviel brauchen wir eigentlich? Das ist genau unser Thema und am Ende wurde nicht nur über unsere Arbeit berichtet, sondern konnten wir auch einen aktiven Beitrag leisten, indem für die Ausstellung Materialien aus unseren Lagerbeständen verwendet werden konnten. Wir freuen uns natürlich sehr darüber, in einem Kontext wahrgenommen zu werden, der auch unser eigener ist. Und das in einer so namhaften Einrichtung.

Boris: Und die gleichzeitig Kooperationspartner von uns ist!

Jonaid: Genau! Aus der wir also auch schon Materialien in unser Lager aufgenommen haben und jetzt kehren wir zurück als Teil einer Ausstellung anstatt Material von einer Ausstellung mitzunehmen. Wer weiß, vielleicht nehmen wir aus dieser Ausstellung auch wieder Materialien mit – das ist natürlich der Materialkreislauf schlecht hin.

Boris: Und ich finde, Hochkultur und Subkultur müssen sich dabei auch überhaupt nicht widersprechen. Das ist ja gerade die Idee von treibgut, dass sich Synergien ergeben, indem man die Mittel geförderter Hochkultur versucht weiter zu nutzen. Das heißt, es soll einfach das weitergeleitet werden,  was eh schon vorhanden ist und an anderer Stelle, wie in der freien Szene, wieder Früchte tragen kann. Beides hat also seine volle Berechtigung und sollte im besten Falle miteinander wachsen können.

 

Die Ausstellung „Circolution – Concepts for a sustainable future“ wollte maßlosen Konsum anprangern und gleichzeitig Alternativen aufzeigen.

In der Beschreibung zur Ausstellung heißt es, dass sie maßlosen Konsum anprangern will: Was versteht ihr eigentlich darunter?

Jonaid: In unserem Fall bedeutet das zum Beispiel ein Bühnenbild für 60.000 Euro anfertigen zu lassen und es dann doch nicht zu verwenden.

Das ist ja schon ein Beispiel dafür, warum es euer Projekt gibt, oder?    

Jonaid: Definitiv, aber ich glaube nicht, dass es primär Maßlosigkeit ist, die uns auf den Plan gerufen hat, sondern der strukturelle Umgang mit Materialien selbst, der vielleicht sogar ressourcenschonend sein will, es zum Schluss aber nicht sein kann. Wenn etwa ein großes Haus eine Ausstellung mit einem großen Künstler auf die Beine stellt, dann gibt es meist ganz konkrete Vorstellungen, mit ganz konkreten Materialanforderungen. Das geht dann Ausstellung für Ausstellung so weiter, was bedeutet, dass gebrauchtes Material oft nicht wiederverwendet werden kann.

Boris: Und die entstehenden Kosten für eine Umarbeitung, übersteigen die einer Neuanfertigung.

Jonaid: In solchen Fällen wäre vielleicht eine Wiederverwendung nach längerer Zeit schon möglich, wenn etwa bestimmte Sachen wieder gefragt sind. Wenn dann aber eine Einrichtung nicht genügend Platz hat, um über längere Zeit zu lagern, dann steht man vor einem Problem und fragt sich: Was mach ich damit? Das ist genau der Punkt, an dem wir sagen: Hey, wir haben einen Raum, indem Material auf Zeit treffen kann! Wir bieten im Endeffekt die Zeit, die das Material überdauern darf, bis es wieder einen Nutzen findet, die sonst einfach fehlt.

Mit der Ausstellung sollen die Gründe für das Behalten und Teilen von künstlich geschaffenen Objekten untersucht werden: Seht ihr darin Potentiale?   

Jonaid: Ich könnte mir als ideales Ziel vorstellen, dass sich die großen Kulturinstitutionen in Kooperationen begeben, Lagergemeinschaften bilden, als Anlaufstelle für alle weiteren Ausstellungen, die in diesen Institutionen stattfinden. Das heißt: Man teilt, indem man behält aber eben in einem öffentlicheren, kooperativen Zugang. 

Würdet ihr dann vielleicht so etwas wie eine Sharing-Economy als Idee gegen Verschwendung ins Spiel bringen? 

Jonaid: Naja, so eine Idee muss so viele Bereiche aufgreifen. Uns ist auch durchaus bewusst: Wenn das, was wir machen, in das Bewusstsein der Leute eingeht, die diesen Ausschuss produzieren, dann werden wir irgendwann selbst obsolet.

Boris: Das wäre natürlich eine utopische Zielsetzung, die überhaupt nicht realistisch ist. Wir werden sicherlich nicht den übergreifenden Strukturwechsel einleiten. 

Als Schnittstelle von Hoch-und Subkultur will treibgut nachhaltige und künstlerische Synergien schaffen.

Aber ja schon unterstützen?

Boris: Klar! Wir werden auf jeden Fall unseren Beitrag dazu leisten. Aber die große Idee ist zu komplex – zumindest für uns. Jedenfalls wenn es darum geht, den einen Weg bestimmen zu wollen, ohne irgendwelchen Dogmen zu verfallen. Es braucht ja auch ganz verschiedene Initiativen und Arten des Einsatzes, um nachhaltig zu sein.

Jonaid: Ich denke für uns beide ist treibgut der Weg, der für uns funktioniert. Grundsätzlich aber sollte schon gelten: Weniger ist mehr.


(c) Alle Bilder: Christoph Eipert

Packwise – Industrieverpackungen effizienter wiederverwenden

Durch Digitalisierung die Kreislaufwirtschaft von Verpackungen verbessern

PET-Flaschen, Plastik, Glas, Papier – Verpackungsmüll ist für viele Verbraucher*Innen, die bewusst einkaufen wollen, ein großes Thema. Kann man es wiederverwenden, wird es recyclet oder landet es in der Müllverbrennungsanlage? Im Supermarktregal wird man alltäglich mit dieser Problematik konfrontiert. Doch was passiert eigentlich mit dem ganz großen Müll, dem Verpackungsmüll der Industrie? Mit all den Fässern, Transportboxen und Containern, in denen die verschiedensten Prozessstoffe transportiert werden? Die gute Nachricht: Oft werden sie wiederverwendet. Die schlechte Nachricht: bisher meist sehr ineffizient.

Felix Weger, Mitbegründer von Packwise, hat selbst in der Branche gearbeitet und kennt das Problem zur Genüge. Gemeinsam mit seiner Frau Gesche Weger und dem IT-Entwickler René Bernhardt haben sie nach einer digitale Lösung gesucht, um den industriellen Verpackungsmarkt zu revolutionieren. „Bei meiner alten Stelle habe ich gemerkt, dass die Wertschöpfungskette der Verpackungen nicht wirklich effizient ist – viele dieser Stahl- und Kunststofffässer stehen als braches Kapital auf Höfen herum, anstatt genutzt zu werden und durchlaufen dabei nicht die optimale Anzahl an Produktlebenszyklen, die theoretisch möglich sind.“, sagt Felix. Einer der Hauptgründe dafür: Der Markt ist nicht transparent. Teilweise werden dann die sogenannten IBC – Intermediate Bulk Container – von Hamburg nach München gefahren, weil keiner weiß, dass vielleicht eine andere Firma um die Ecke die aufbereiteten Container brauchen könnte.

Typische Industrieverpackungen

Nachdem Felix auf dieses Problem – die fehlende Vernetzung und Transparenz bei der Wiederverwendung von Industrieverpackung – aufmerksam geworden ist, entstand daraus die Idee zur Digitalisierung der Kreislaufwirtschaft für Verpackungen. Die Umsetzung dieser Idee begann mit einer Online Auktionsplattform für gebrauchte Industrieverpackung. Mittlerweile wurde sie weiterentwickelt: Das Unternehmen hat ein Gerät entwickelt, mit dem der Standort, der Füllstand und die Temperaturen der Container überwacht werden können. Durch das Internet of Things sind alle damit ausgestatteten Container miteinander vernetzt – und können miteinander kommunizieren. Geht der Inhalt eines Behälters zur Neige, kann dieser selbstständig Nachschub ordern. Transportwege können so optimiert werden und bestehende IBCs besser ausgelastet werden – so können Geld und Ressourcen gespart werden.

Möglich wurde dieses Projekt unter anderem durch Finanzierungen des Technologiegründerstipendium der Sächsischen Aufbau- und Förderbank und ein Investment des Technologiegründerfonds Sachsen. Nicht nur die Finanziers konnte Packwise überzeugen: Am 1. Juli 2019 hat Packwise den Sächsischen Umweltpreis 2019 in der Kategorie „Umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen“ erhalten.


(c) Alle Bilder Packwise GmbH

LegionellEX – Bakterien bekämpfen ohne Chemie

Für das bloße Auge nicht sichtbar, aber trotzdem gefährlich: Legionellen. Das Start-Up LegionellEX hat einen Weg gefunden, diese nachhaltig zu bekämpfen.

Jährlich werden 6.000 Infektionen mit Legionellen in Deutschland gemeldet – die Dunkelziffer liegt laut Experten jedoch wesentlich höher. Die Schätzungen reichen von 15.000 bis zu 30.000 pro Jahr. Gerade ältere und schwächere Menschen können an der dadurch ausgelösten Lungenentzündung – der sogenannten Legionärskrankheit – sterben. Bisherige Methoden sind aufwendig, kostenintensiv und nicht besonders nachhaltig. Die Masterstudierenden Maximilian Hechtl,  Alexander Straßer und Stefan Hauers haben einen Prototyp entwickelt, der das ändern soll.

Den Grundbaustein legte bereits viele Jahre zuvor Maximilians Vater – ein emeritierter Professor der Priceton University. Maximilian setzt nun, zusammen mit seinem Freund Alexander und Stefan, die theoretischen Überlegungen seines Vaters in die Tat um. Den Prototypen wirklich zu testen, war für die zwei Bauingenieur- und dem TUM-BWL Studenten jedoch schwieriger als erwartet, sagte Alex: „Es hat wahnsinnig lange gedauert, ein zertifiziertes Labor zu finden, das der Sicherheitsstufe für die Arbeit mit Legionellen entspricht. Als pathogene Keime, muss man mit der Handhabung sehr vorsichtig sein.“ Nach häufigem Rumtelefonieren, sind sie nach einem halben Jahr im Klinikum Rechts der Isar in München fündig geworden. Der Vorteil dabei war auch, dass dort bereits mit Legionellen gearbeitet wird. „Die darf man natürlich nicht einfach bestellen, sondern muss genau angeben, warum man sie braucht, bevor man die Erlaubnis bekommt, sie auch zu züchten“, erklärte Alex.

Wenig bis gar keine Unterstützung gab es von den Professoren und Lehrstühlen anderer Universitäten, ebenso wenig von der eigenen. Und das, obwohl diese geeignete Labore zur Verfügung haben. „Am Anfang haben wir unseren Plan durchgesprochen und dachten, dass wir innerhalb eines dreiviertel Jahres gründen können. Das ist nun fast zwei Jahre her. Das lag vor allem an der Bürokratie und den langen Wartezeiten“, sagte Alex.

Der Prototyp von LegionellEX.     (c) LegionellEX

Gerade ist ihr Prototyp in der Phase der Patentierung – zu viel verraten können sie daher nicht. Außer, dass die Legionellen hydrodynamisch-mechanisch zerstört werden. Also ganz ohne Chemie oder Erhitzung des Wassers – Methoden, die normalerweise bei Legionellen angewendet werden, aber weder gut für die Umwelt, noch sehr kostengünstig sind. „Ich vergleiche unsere Methode gerne mit der Taucherkrankheit“, sagte Max. „Wenn ein Taucher tief unten im Wasser einatmet, dann löst sich der Sauerstoff im Blut. Die Bläschen, die sich dabei bilden, haben mehr Masse, als an der Oberfläche. Beim Auftauchen expandieren die Gase, weil der Gegendruck fehlt und das Blut dann anfängt zu schäumen.“ Dasselbe passiert schlussendliche den Legionellen mit dem Gerät von LegionellEX.

Die Gründer von LegionellEX: Maximilian (links) und Alexander (rechts).

Finanziert wird das Labor vor allem durch die Unterstützung der UnternehmerTUM. Weitere Fähigkeiten, die sie für die Herstellung des Prototyps brauchten, wurden ihnen im MakerSpace der TU München vermittelt, was durch ein Stipendium der Hans Sauer Stiftung ermöglicht wurde. Interessenten für ihr Gerät gibt es bereits viele – und es lässt sich auch mit großer Wahrscheinlichkeit auf andere Bakterien übertragen. „Für uns ist der Aspekt der Nachhaltigkeit essenziell. Wir machen eben nicht ein tolles neues Auto, sondern etwas, womit man effizient Wasser reinigen kann. Das ist auch für Entwicklungsländer interessant und wichtig“, sagte Alex.


(c) Alle Bilder Sebastian Preiß

Grüne Pause – Wie ein Bauernhof für Bildung sorgt

Über ein Thema gibt es mehr Unklarheit als gedacht: ökologischer Landbau. Grund genug, sich ein Projekt anzusehen, das genau das ändern will.

Ob über die Gefahr von Pestiziden wie Glyphosat oder über die Überzüchtung und die schlechten Lebensbedingungen in der Massentierhaltung – geht es um das Thema Landwirtschaft, gibt es einiges zu diskutieren. Unbestritten ist jedoch: sollen zukünftige Generationen von einer lebenswerten Tier- und Umwelt profitieren, ist ein verantwortungsbewusster und ressourcenschonender Umgang mit ihnen unausweichlich. Konkret gehört dazu etwa der Verzicht von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln sowie eine artgerechte Tierhaltung mit Auslauf statt Käfig und Vielfalt statt Billigfleisch. Für solch einen ökologischen Landbau braucht es ein Bewusstsein, ein Umdenken in der Gesellschaft. Leichter gesagt als getan, denn schon die jüngsten unter uns wissen oftmals nicht, wo das Schnitzel auf ihrem Teller eigentlich herkommt.

Genau dagegen wollen Daniel Wack und Marius Bastuck etwas unternehmen und haben dafür den gemeinnützigen Verein „Grüne Pause“ ins Leben gerufen. Die Gründer haben es sich dabei zur Aufgabe gemacht, mithilfe von erlebnispädagogisch begleiteten Freizeitangeboten, ein größeres Bewusstsein für die Entstehung von Lebensmitteln, Natur- und Umweltschutz entstehen zu lassen – kurzum: einen nachhaltigen Lebensstil zu vermitteln. Dafür bietet der Verein für Kindergartengruppen und Schulklassen mitunter ein Angebot aus Ferienprogrammen, Übernachtungen im Zeltlager und tiergestützter Pädagogik an und die sollen vor allem eines sein: Mitmachprogramme. „Es wichtig, dass wir nicht nur zeigen, wie eine Kuh aussieht und wie sie Milch gibt, sondern dass die Kinder wirklich die Abläufe, die auf dem Bauernhof passieren, auch selbst ausprobieren, miterleben und erfahren können“, erklärt Daniel.

Die Gründer von Grüne Pause: Marius Bastuck (links) und Daniel Wack (rechts). (c) Christoph Eipert

Meist im Rahmen von schulischen Wander- und Projekttagen heißt es dann für die Kinder bereits morgens um sieben Uhr: mit anpacken im Stall. Dabei werden sie von mindestens zwei Teammitgliedern pädagogisch begleitet. Dazu gehört auch das ganze Team vom Biolandhof Wack. Die von Daniel zusammen mit seinen Eltern und Bruder geführte Hofgemeinschaft, liegt inmitten des saarländischen Bliesgau und wird seit 1984 nach Bioland-Richtlinien geführt. Dort hat auch Grüne Pause seit seiner Gründung eine Heimat gefunden. Das war im Jahr 2016, nach ein paar beruflichen Umwegen von Daniel und Marius.

Denn ursprünglich wollte Daniel Kinder -und Jugendpastor werden, merkte aber bereits am Ende des dafür notwendigen Theologiestudiums, dass ein Leben als kirchlicher „Schäfchenhüter“ nicht zu ihm passt. Der Wunsch mit Kindern- und Jugendlichen zu arbeiten aber blieb und führte ihn für ein weiteres Studium der Sozialen Arbeit nach München. Da aber ebenso klar war, danach zum Bauernhof der Familie zurückzukehren, lag es nahe, einen Weg zu finden, pädagogische Arbeit mit der Arbeit auf dem Hof zu verbinden. Die Idee um Grüne Pause war geboren. Bis zur konkreten Gründung vergingen aber nochmals zwei Jahre, bis dahin lief ein erstes Angebot unter dem Namen des Familienbetriebs. Auch Marius – Daniels bester Freund – kam über Umwege zum Projekt. Der gelernte Polizist war jedoch von Beginn an von Daniels Idee begeistert, was ihm letztlich zur Mitgründung bewegt hat. Mittlerweile hat er dafür eine zusätzliche Ausbildung zum Natur- und Wildnispädagogen absolviert.

Ob auf dem Hof oder im Zeltlager — die Programme sollen vor allem zum Mitmachen animieren. (c) Grüne Pause

Auch sonst ist seitdem ist viel passiert, denn das zweite Jahr nach der Gründung des Vereins war gleichzeitig auch das bisher erfolgreichste. Ein Grund dafür ist, dass es bundesweit zwar einige ähnliche Projekte gibt, im Saarland sowie im benachbarten Rheinland-Pfalz man nach ihnen jedoch fast vergeblich sucht. Für Grüne Pause bedeutet das Fluch und Segen zugleich, denn einerseits ist das Projekt so explosionsartig bekannt geworden, anderseits ist die Nachfrage, vor allem als kleiner Verein, kaum zu managen. Ein weiterer Grund für den Erfolg des Projekts ist: es kommt gut an. „Die Erfahrung, die die Kinder machen, ist durchweg positiv. Ich kann mich an keine Gruppe erinnern, die aus irgendeinem Grund unzufrieden oder unglücklich war“ lautet Daniels Antwort auf die Frage der Resonanz ihrer Arbeit. Dass ihre Arbeit aber nur ein Anfang sein kann, weiß er auch: „Wenn ich Kinder auf dem Hof habe, die nicht einmal wissen, warum ein Huhn ein Ei legt, dann brauche ich nichts von den Grundsätzen ökologischer Landwirtschaft erzählen, das wäre zwei Schritte zu weit. Was wir auf dem Hof machen, ist erstmal Basics zu schaffen. Die Kinder nehmen auch was davon mit, aber ich habe nicht die Illusion, dass sie dann alle plötzlich überzeugte Bio-Konsumenten sind.“

Neben Grüne Pause will Daniel auch in Zukunft weiterhin andere Aufgabe am Familienhof übernehmen. (c) Christoph Eipert

Um das Projekt zu finanzieren erhält der Verein, neben den Einnahmen der Gruppen, Fördergelder einer Stiftung. Diese Geldern bieten zudem den Vorteil, die Preise so niedrig wie möglich zu halten um so auch zugänglich für Kinder aus Familien zu bleiben, die sich einen Aufenthalt nicht leisten können oder wollen. Vom Projekt allein leben, kann aber noch keines der Teammitglieder. Was Daniel angeht, ist das auch nicht das Ziel. Für ihn ist die gleiche Aufteilung zwischen den Aufgaben bei Grüne Pause und den laufenden Aufgaben am Hof genau richtig. Ausschließen will er jedoch nicht, dass etwa Marius noch stärker in die Arbeit involviert und Grüne Pause noch intensiver betrieben wird. Langweilig wird es in Zukunft jedenfalls nicht. So sind Daniel und Marius gerade auf der Suche nach einem Zirkuszelt, sozusagen als mobile Räumlichkeit für die Grüne Pause. „Das ist einfach die sinnvollste Lösung für uns – so ein Zelt macht optisch viel her, ist stabil und wir können damit Aufwand und Kosten am niedrigsten halten“, sagt Daniel. Geplant ist außerdem der Aufbau einer eigenen Website. Die war aufgrund des bisherigen Erfolgs noch gar nicht nötig. Wer kann das schon von sich behaupten?


Titelbild: (c) Grüne Pause

„Das Thema Wasser haben die Leute nicht auf dem Schirm.“

Blue Ben, das ist ein Modelabel, das vor allem Mittel zum Zweck sein will. Und der hat einen Namen: Wasser.

Es hilft kein Stapeln und kein Stopfen – der Kleiderschrank ist einfach zu voll. Aber was soll man machen. Schließlich kann man kann doch nicht das schöne Oberteil der Frühlingskollektion auch noch im Sommer tragen! Aber alles ganz easy: Die neuesten Trends gibt es schließlich zum Dumpingpreis in den Regalen der Fast-Fashion-Ketten. Doch so einfach ist es nicht. Eine immer größer werdende Nachfrage nach Kleidung zum immer kleineren Preis funktioniert nur auf Kosten anderer, tausende Kilometer weit weg – etwa in Bangladesch. Das weiß auch Ali Azimi. Nachdem der Wahlberliner 2016 durch einen Dokumentarfilm auf die prekäre Situation der dortigen Textilarbeiter aufmerksam wurde, begann er zu recherchieren – auch vor Ort. Schnell war klar: Ein großes Problem ist der enorme Wasserverbrauch bei der Herstellung von Baumwollstoffen. Gerade den Ärmsten der Armen wird damit eine überlebenswichtige Ressource entzogen. Um dagegen etwas zu unternehmen wurde „BlueBen“ ins Leben gerufen. Dahinter steckt ein Modelabel, das vor allem eines will: Wasser geben, anstatt nehmen. Um mehr darüber zu erfahren, haben wir mit Ali Azimi, dem Gründer des Start-Up gesprochen.

 

Ali, ihr schreibt auf eurer Website: “Water is more important than clothing.“ Wie lässt sich das verstehen?

Als ich erfahren habe, wieviel Wasser in Baumwolle steckt und wie die Ressource Wasser in der Textilbranche genutzt wird, war ich ziemlich schockiert. Daraufhin reiste ich nach Bangladesch, habe mir die Industrie angeguckt und mit Bauern gesprochen. Die dort produzierte Kleidung ist zu 90 Prozent für den Export bestimmt. Man fragt sich dann, welchen Nutzen die Menschen vor Ort davon haben. Zudem sind es meist nur Großgrundbesitzer oder Fabrikanten, die wirklich etwas dabei verdienen. Daraufhin ist die Aussage entstanden, dass Wasser wichtiger für den Lebensmittelanbau, als Lebensgrundlage vor Ort, ist, als dafür, dass wir T-Shirts für drei, vier Euro kaufen können.

Nach eigenen Recherchen in Bangladesch hat Ali Azimi 2017 Blue Ben ins Leben gerufen. (c) Jonas Nellissen

Wieso ist die Nutzung von Wasser zur Textilherstellung so kritisch? 

Zwischen 7.000 und 29.000 Liter Wasser werden für ein Kilo Baumwolle benötigt – vom Anbau bis zur Endproduktion. Ich diskutiere oft mit Leuten, die meinen, dass man für Kaffee und Fleisch ebenfalls eine Menge Wasser benötigt. Klar, stimmt, aber das sind Lebensmittel. Das ist etwas anderes als Kleidung. Die liegt erstmal überall in Massen rum, die im Gegensatz zu Lebensmitteln, weniger zwingend gebraucht werden. Das Problem ist, dass in den Gebieten – in denen der Baumwollanbau und die Textilindustrie angesiedelt sind – es entweder sehr trocken ist oder es dort von vornherein gravierende Versorgungsprobleme mit Wasser gibt. Das heißt, wir begünstigen durch die Produktion und Anbau von Baumwolle noch mehr Probleme, als es ohnehin schon gibt. Zudem ist erstaunlich: Das Thema ist völlig unterrepräsentiert. Keiner redet darüber. Das Thema Wasser haben die Leute nicht auf dem Schirm.

Aber ihr wollt Wasser nicht nur einsparen, sondern auch geben: Wie wollt ihr das schaffen?

Der erste Schritt liegt natürlich im Wassersparen. Das heißt aber nicht Bio-Baumwolle aus Indien zu verwenden. Wir produzieren überhaupt nicht in diesen Ländern, denn diese Länder brauchen das Wasser für den Lebensmittelanbau. Daher produzieren wir nur in Europa. Der wesentliche Punkt ist jedoch, dass wir überhaupt keine Baumwolle verwenden. Wir wollen hierbei Verantwortung übernehmen, aber wir können uns nicht vor den Schäden drücken, die wir in den letzten 40 Jahren in diesen Ländern verursacht haben. Wir zahlen deswegen eine Art Reparationen, indem wir Wasserprojekte finanzieren. Das ist der nächste Schritt. Wir versuchen das Wasser, das durch die Textilindustrie verschmutzt wurde, wiederaufzubereiten, also den Leuten wieder zugänglich zu machen.

Aber Privatpersonen sollen euch auch direkt unterstützen, oder? 

Genau. Wir wollen erreichen, dass du genau wie einen Co2-Ausgleich beim Fliegen, einen Wasser-Ausgleich machen kannst. Das planen wir mit unserem Verein, den wir gegründet haben und der unsere Wasserprojekte kuratiert. Den gibt es auch deswegen, da wir die Zwischenschritte verkürzen wollen und somit keine überflüssigen Mittelsmänner haben, damit am Ende dort mehr ankommt, wo es gebraucht wird. Ein Beispiel: In Bangladesch gibt es Superarme, Arme und Normale. Die Superarmen können es sich nicht einmal leisten, für 20 US-Cent im Monat, Wasser zu kaufen. Mit dem Wasserausgleich hat man die Möglichkeit, diese 20 Cent pro Familie zu spenden. Zusammengefasst hat man mit zehn Euro einen Monat lang 50 Familien mit Wasser versorgt. Aber das ist ein langfristiges Projekt, deswegen haben wir es nicht in den Mittelpunkt gesetzt. Wir versuchen eher durch größere Wasserprojekte etwas Nachhaltigeres zu implementieren.

Der hohe Wasserverbrauch beim Anbau und der Verarbeitung von Baumwolle erschwert vielen Menschen den Zugang zu sauberen Trinkwasser. (c) Benedikt Fuhrmann

Eure Ziele wollt ihr mit dem Verkauf eines baumwollfreien Sweaters erreichen: Wie kam es dazu?

Wir hatten gar nicht vor ein Modelabel zu gründen – denn es stand die Frage im Raum, ob man eigentlich noch ein weiteres Modelabel braucht. Aber die Tatsache, dass wir das mit dem Sweater machen, interessiert die Leute. Darüber kommen wir mit ihnen ins Gespräch und nicht, weil wir ein Wasserausgleich anbieten oder einen Verein gegründet haben. Das ist schade, aber einfach Tatsache.

Der Pullover ist also Mittel zum Zweck?

Absolut! Er ist die Grundlage, um über unsere Themen zu sprechen. Dazu gehört auch, dass wir einen Schritt weitergehen, indem wir uns gefragt haben, was in Zukunft sein wird. Baumwolle wird nicht dazugehören. Da bin ich mir ziemlich sicher, weil wir die Agrarfläche und das Wasser für den Lebensmittelanbau brauchen werden. Deswegen wird es zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass wir andere Fasern nutzen.            
Dafür haben wir selbst einen Stoff zu hundert Prozent aus Buchenholz geschaffen. Aber es hat schon eine ganze Weile gedauert, bis wir das erreicht haben. Wir mussten beim Stoff viel nachjustieren, etwa beim Material für die Bündchen. Wir wollten ein Garn das biologisch abbaubar ist und eben nicht aus Polyester besteht. Das war ziemlich schwierig. Das hat alles ein bisschen länger gedauert als geplant, aber jetzt da die Pullover da sind, ist es echt cool zu sehen was wir in den letzten Monaten geschaffen haben. Da sind wir stolz drauf. Und die Leute sind echt begeistert. Wir hätten natürlich auf schon Vorhandenes zurückgreifen können, aber wir haben uns für diesen Weg entschieden. Dann dauert es eben alles manchmal länger als geplant – in unserem Fall drei Monate.   

Dann geht es also jetzt los mit dem Verkauf? 

Genau. Die Pullover in unseren Basic-Farben sind bereits erhältlich. Die erste Auslieferung war im Dezember 2018.

Ihr hattet bereits in Vergangenheit eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne durchgeführt. Gerade habt ihr nochmal eine gewagt. Wie lief die?

Wir wollten schon immer eine internationale Kampagne auf Kickstarter machen. Das war jedoch schwieriger als gedacht, was vielleicht auch daran lag, dass wir die Kampagne zum Ende des Jahres gemacht haben. Das heißt, die Kampagne ging nicht so durch die Decke, wie wir es bei der letzten erlebt hatten. Einerseits, weil wir unterschätzt haben wieviel Zeit und Kraft so etwas benötigt. Anderseits hatten wir auch schon unser Netzwerk erschöpft. Deshalb mussten wir komplett neue Leute erreichen. Das war echt eine Herausforderung. Dafür haben wir in drei Städten Öffentlichkeitsarbeit gemacht – in Amsterdam, London und Berlin. Zudem haben wir eine tolle PR-Mitarbeiterin an Bord, die einen richtig guten Job macht. Gott sei Dank haben wir dann das Ziel der Kampagne erreicht und sie erfolgreich beendet. Der Erfolg war dann sogar ein bisschen international. Es gab ein paar Kunden aus Asien. Auch in Europa verteilt und aus den USA sind Bestellungen eingegangen. Aber trotzdem, man darf das alles nicht unterschätzen. 

Was wollt ihr mit dem Geld anstellen?

Wir brauchen viel Geld für die Produktion selbst. Aber auch für Dinge wie einen biologischen Abbaubarkeitstest. Der ist echt teuer und kostest allein schon etwa 5.000 Euro. Das wollen wir nicht machen, um es als Alleinstellungsmerkmal zu kommunizieren, sondern damit wir uns selber sicher sein zu können, dass wir etwas geschaffen haben, das biologisch abbaubar ist.

Produziert werden die Sweater ausschließlich in Europa. (c) Blue Ben

Neben all euren Bemühungen: Wen siehst du mehr in der Verantwortung, die Produzenten oder die Verbraucher? 

Ich persönlich bin nicht der nachhaltigste Konsument, um ehrlich zu sein. Worauf ich eher achte ist Qualität. Ich kaufe einfach wenig. Ich bin da eher unbewusst nachhaltig. Ich lege die Verantwortung nicht auf die Konsumenten, sondern auf die Produzenten. Da in ihnen die Ursache des Übels liegt. Das was Konsumenten machen, ist nur Symptombekämpfung. Das heißt, wenn wir unseren Konsum runterschrauben, bedeutet das nicht, dass Modelabels weniger produzieren. Das müssten dann schon alle oder zumindest ein sehr großer Teil tun und das wird nicht passieren. Da müssen wir realistisch sein. Es wird nicht passieren, es sei denn, die Politik würde eingreifen, das tut sie aber nicht. Warum: Es geht um Steuergelder, um globalen Austausch und letztlich um ökonomische Vorteile der Modelabels. Was wir als Produzenten machen können, ist das Ganze anzustoßen. Ich glaube, kein Label, das jemals angefangen hat Fair-Fashion zu machen, war ein Systemwandler. Vielmehr haben sie dazu beigetragen, dass sich andere daran orientieren. Ich glaube, dass die Intensität eines Wandels davon abhängt, wie groß und wie bekannt wir werden. Um zu zeigen, dass man es wirklich radikal anders machen kann.

Euer Pullover ist ja Mittel statt Zweck. Der Steckt in  euren Wasserprojekten. Was hat sich da getan?

Ursprünglich hatten wir uns auf reine Trinkwasserprojekte fokussiert. Das hat sich in wenig geändert. Das heißt, wir arbeiten gerade an einer Lösung, die das Abwasser von Textilmanufakturen, Färberein etc. filtert. An so einem Filtersystem arbeiten wir gerade mit verschiedenen Partnern zusammen. Wir wollen etwas machen, was ein bisschen mehr zu uns passt. Wenn wir Textilien herstellen, macht es auch mehr Sinn etwas mit Textilabwässern zu machen. Brunnenbau würde uns vielleicht die bessere PR bringen, aber wir wollen an der Ursache arbeiten, das ist uns wichtiger. Wir wollen uns mit den Verursachern des Wasserproblems generell, etwa in den Großstädten Bangladeschs, befassen – mit Textilbetrieben etwa, die sich Filteranlagen und ein Waste-Water-Managemernt nicht leisten können. Dort wollen wir Abhilfe schaffen. Wie das aussehen kann, daran arbeiten wir geraden. Da steckt jede Menge Arbeit drin, die wir bald öffentlich kommunizieren werden.

Euer Sweater verfügt über eine ziemlich auffällige Armbinde am Ärmel. Das hat ein wenig einen Siegelcharakter: Meinst du, eine Siegel für nachhaltige Textilien bräuchte es?  

Wir als Unternehmen verwenden keine Siegel. Weil sie nur Symptome bekämpfen, indem sie versuchen Vertrauen zu schaffen, wo gar keine Glaubwürdigkeit da ist. Aber dem ist nicht so. Denn viele Menschen können nicht nachvollziehen, wie Rohstoffe angebaut werden. Da gibt es extrem viele Schwierigkeiten und das ist den Leuten nicht bewusst. Das wollen wir nicht. Wir wollen unabhängig davon zu 100 Prozent transparent sein. Dann braucht es auch kein Siegel mehr. Das Label am Arm ist vielmehr etwas, worüber sich die Leute identifizieren und reden. Also ein Conversation-Starter, mit dem Ziel, ein gemeinsames Symbol entstehen zu lassen. 

Eine Armbinde als Conversation-Starter für nachhaltigen Konsum. (c) BlueBen


(c) Titelbild: Benedikt Fuhrmann

RECUP – To-go-Becher nachhaltig gestalten

Pfand statt Einwegbecher, auch beim Kaffee für unterwegs

Am Morgen halb aus dem Bett in die Dusche gefallen, schnell angezogen und dann ab Richtung Uni oder Arbeit. Auf dem Weg holt man sich dann noch einen Coffee-to-go, der, sobald er nicht mehr die Zunge verbrennt, schnell heruntergespült wird. Offensichtlich geht es nicht mehr ohne den Wachmacher aus dem Einwegbecher. Aber auch nicht mit: Nach kurzer Zeit landet der Becher in der Tonne –  oder daneben. Und das allein in Deutschland 320.000 Mal in der Stunde.

Der Einwegbecher ist für viele das Paradebeispiel unserer Wegwerfgesellschaft, die nur konsumiert und schnell durch Neues ersetzt. Aber es gibt Alternativen: Zum Beispiel den eigenen Kaffeebecher ins Café mitbringen. Aber den müsste man immer dabei haben, wenn man mal eben unterwegs Lust auf Kaffee hat. Für viele ist das nicht alltagstauglich. Abhilfe schaffen da die Gründer des Münchner Start-Up RECUP, die mit einem Pfandsystem für wiederverwendbare Becher die komplette Coffee-to-go Landschaft aufrollen.

Pfand statt Einweg

Fabian Eckert und Florian Pachaly haben sich ganz unabhängig voneinander Gedanken über das Becherproblem gemacht. Der Münchner Fabian hat Leadership for Sustainability in Malmö, Schweden, studiert und hat für ein Projekt an seiner Universität die Pappbecher in den Cafeterien gegen Tassen ausgetauscht – das Thema ist hängen geblieben. Beide erzählten am exakt gleichen Tag Julia Post, der Macherin der Kampagne gegen Einwegbecher  „Coffee-to-go-again“, von ihrer Idee. „Jetzt habt ihr mir an einem Tag genau dasselbe erzählt. Ihr solltet unbedingt miteinander reden“, meinte Julia da zu Florian.

Gründer Florian Pachaly im Münchner Café gangungäbe, das seine Einwegbecher durch die RECUPs ausgetauscht hat.

Danach ging alles sehr schnell. Innerhalb von drei Monaten starteten die Jungs ihre Testphase in Rosenheim, um herauszufinden, ob so ein Pfandsystem für Coffee-to-go-Becher überhaupt funktioniert. Weder Logo noch Becher waren bis zu dem Zeitpunkt wirklich ausgreift und trotzdem kamen schnell 26 Partner vor Ort zusammen, die teilweise ihre Becher nicht mal mehr zurückgeben wollten. „Wir wollten eigentlich nach acht Wochen erst einmal alle wieder einsammeln und die Ergebnisse auswerten, aber viele Cafés wollten weiter machen“, sagt Florian. Also blieben die Becher wo sie waren und gleichzeitig wurden neue, schönere Becher in zwei verschiedenen Größen und Farben in Auftrag gegeben.

Sie sind, wie Tupperware, aus Polypropylen, ein recycelbarer Kunststoff, der hitzebeständig, bruchsicher, lebensmittelecht und leicht ist. Der Hersteller garantiert 500 Spülgänge und im Test mit einem Spülmaschinenhersteller wurden sogar 1000 Spülgänge mit Erfolg getestet. Sollte ein Becher kaputt gehen, sendet RECUP ihn einfach zurück an den Hersteller, einem mittelständigen Unternehmer im Allgäu, der das Material wiederverwenden kann. Aber auch wenn er im Müll landet, wird er von den meisten Abfallwirtschaftssystemen aussortiert und in einen gesonderten Kreislauf gegeben. Seit einiger Zeit läuft bei der Deutschen Umwelthilfe außerdem eine Studie zur Ökobilanz von Mehrwegbechern – und auch der RECUP ist dabei. „Es kam heraus, dass bei 20-maliger Nutzung der RECUP nachhaltiger ist, als ein Einwegbecher“, sagt Johanna Perret von RECUP, die seit Beginn am Aufbau des Start-Ups mitgearbeitet hat.

 

Die RECUP-Gründer Fabian (links) und Florian (rechts)                                                                                                                     (c) RECUP

RECUP goes Südafrika

Mittlerweile gibt es über 2.000 Partner in ganz Deutschland, die Teil des RECUPS-Pfandsystems sind, unter anderem in größeren Städten wie Hamburg, München, Berlin und Köln, aber auch in kleineren Städten, wie Oldenburg, Ludwigsburg, Augsburg oder Böblingen – und in ganzen Regionen, wie dem Allgäu, dem Bodensee oder Schwäbisch Hall. Alle Partner sind übersichtlich auf der RECUP-Karte (www.recup.de/app oder als Download-App) verzeichnet. Das RECUP-Team ist dementsprechend gewachsen. Waren es Ende 2016 nur Fabian und Florian, so sind es nun ganze 23 Mitarbeiter, die den Betrieb am Laufen halten. Selber finanzieren können sie sich aber noch nicht. Denn den einzigen Verdienst, den sie an dem Pfandsystem haben, ist der monatliche Mitgliedsbeitrag von einem Euro pro Tag pro Standort der Cafés. Seit 2018 gibt es aber auch ein Kaufprodukt: den Deckel, der nicht beim Pfandsystem dabei ist. „Nicht alle Partner wollen einen Deckel, zum einen, weil sie es nicht als nötig erachten und zum anderen aus hygienischen Gründen“, erklärt Johanna. Neu hinzu kam auch der 0,2 Liter Becher als dritte Größeneinheit in der To-go-Becher-Familie und bisher gibt es bereits 24-Städte-Kooperations-Editionen.

Das Jahr 2018 war für RECUP also ein Jahr voller Veränderungen und Wachstum. Ein Highlight war hier der Preis für den Gründer des Jahres, bei dem RECUP einer von acht Gewinnern war. Auch 2019 soll es so weitergehen und vor allem soll die Frage der Internationalisierung angegangen werden, für die es bisher noch keine konkrete Lösung, aber viele Ideen gibt. Anfang des Jahres überraschte das Start-Up dann alle mit der Mitteilung, dass es ab jetzt RECUP auch in Südafrika geben wird. „Unser Ziel ist es, dass es bald keine Einwegbecher mehr gibt“, sagt Florian.


(c) Alle Bilder Sebastian Preiß

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