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relaio.de

Die Plattform für nachhaltiges Unternehmertum

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Mach´s gut, relaio!

10. November 2020 By

relaio, die Plattform für gesellschaftlichen Wandel stellt den Betrieb ein. Aber auf anderen Websites der Hans Sauer Stiftung geht es weiter… 

Wie soll eine Gesellschaft aussehen, die ein gutes und gerechtes Leben für alle schafft und dabei die Belastungsgrenzen unseres Planeten achtet? Welche Werte, Praktiken und Technologien müssen sich ändern, damit wir die Welt und die Gesellschaft in der wir leben, nachhaltig gestalten können? Und wer sind diejenigen, die dazu beitragen können?  

Mit diesen Fragen beschäftigte sich relaio zuletzt. Und hat versucht Antworten darauf finden: relaio hat Wissen geliefert, wie gesellschaftlicher Wandel funktionieren kann und dabei Hintergründe und Konzepte zu aktuellen Themen aus Forschung und Gesellschaft beleuchtet. Wie sich Innovationen in der Gesellschaft verbreiten wurde dabei ebenso thematisiert, wie die Probleme der kapitalistischen Produktionsweise oder die Unzulänglichkeiten einer Circular Economy. relaio hat aber auch Lösungsansätze vorgestellt und Vorbilder interviewt, die demonstrieren, wie gesellschaftlicher Wandel gelingen kann. Sowohl Nischenakteur*innen wie das „Penthaus à la Parasit“ als auch renommierte Wissenschaftler wie Volker Quaschning kamen hier zu Wort. relaio wollte so auch seine Leser*innen dazu ermutigt, sich selbst als Gestalter*innen des Wandels miteinzubringen. 

Menschen dazu zu bewegen, sich einzusetzen und ihnen das hierfür nötige Wissen mitzugeben, war seit jeher das Ziel dieses operativen Projekts der Hans Sauer Stiftung. Es steht damit in der gedanklichen Tradition des Erfinders, Unternehmers und Stifters Hans Sauer, der bereits 1987 das „DABEI-Handbuch für Erfinder und Unternehmer“ erarbeitet hat, um Menschen einen Leitfaden für die Umsetzung von Innovationen an die Hand zu geben. Der Stifter beschäftigte sich daraufhin in den 1990er Jahren mit dem Thema der erfinderischen Kreativität und deren Beitrag zu einer funktionierenden „Ko-Evolution“ von Mensch und Natur. Seine Tochter Monika Sachtleben veröffentlichte 1999, drei Jahre nach dem Tod des Stifters, zu diesem Thema das Buch „Kooperation mit der Evolution“. Diese Veröffentlichungen lieferten die Wertedimension, die die Arbeit von relaio prägten: Die Förderung von technischen und sozialen Innovationen, bei denen der gesellschaftliche Nutzen im Vordergrund steht.  Eine digital erneuerte Version des „DABEI-Handbuch“ entstand 2009, die sich noch stark am Aufbau des ursprünglichen Handbuchs orientierte. Zeitweise wurde das Projekt dann am LMU Entrepreneurship Center in München weiterbearbeitet, wobei vor allem der aktuelle Wissensstand rund um das Thema „Nachhaltig Wirtschaften“ erarbeitet wurde. 2012 wurde dann das DABEI-Handbuch „digitalisiert“ und thematisch grundlegend ergänzt und für eine breitere Zielgruppe zugänglich gemacht.  Dies legte den Grundstein für das Projekt relaio, das als „Ideengarage“ gestartet wurde und dann 2015 als Plattform für nachhaltiges Unternehmertum online ging.  

Im Laufe der Zeit gewannen dabei aktuelle Themen der Stiftungsarbeit wie Social Design, Stadtentwicklung und Cirular Society immer mehr an Bedeutung. Diese Themen sind aktuell die Schwerpunkte der Stiftungsarbeit geworden und werden nun auch redaktionell auf- und beabeitet. Wer die Stiftungsarbeit also weiterhin verfolgen möchte, ist herzlich eingeladen dies auf www.socialdesign.de zu tun.  Die Seite relaio.de wird daher nicht weiter aktualisiert, bleibt aber in ihrer aktuellen Form erhalten. Die Plattform hat viele angehende Sozialunternehmer*innen und Pioniere des Wandels begleitet, ihnen Wissen zur Verfügung gestellt und versucht, ihnen neue Richtungen aufzuzeigen, die hierfür erarbeiteten Inhalte sollen daher auch anderen noch zur Verfügung stehen.  
An dieser Stelle möchte sich relaio zudem bei allen Leser*innen, Interviewpartner*innen und ehemaligen Mitarbeiter*innen bedanken – ohne euch wäre diese Plattform nicht so bunt, vielseitig und spannend geworden.  

Für uns heißt es jetzt aber Abschied nehmen, mach´s  gut relaio! 

 

Hear How You Like To Hear

26. Mai 2020 By

Warum können Hearables nicht wie Brillen einfach als Modeaccessoires gelten?

Viele Feinheiten von Sinneseindrücken bemerkt man gar nicht, bis sie einem fehlen. So geht es vielen Menschen, die auf ein Hörgerät angewiesen sind: Diese sind oft schlicht nicht in der Lage, den von einem gesunden Gehör produzierten Sinneseindruck zu reproduzieren. Menschen mit Höreinschränkungen probieren sich oft jahrelang durch verschiedene Hörgerät-Typen, sind dabei aber mit vielfältigen Problemen konfrontiert: So können Hörgeräte schmerzen, blöd aussehen oder einen nicht die Dinge hören lassen, die man hören wollte. Eine Gruppe von Menschen mit und ohne Höreinschränkungen haben sich im Rahmen des bürgerwissenschaftlichen Projekts „Hear How You Like To Hear“ daran gemacht, ihre Bedürfnisse ans Hören zu erforschen und Grundlagen für das Hearable der Zukunft zu entwickeln.

Das Projekt „Hear How You Like To Hear” ist am Fraunhofer IDMT angesiedelt und wird von der Informatikerin und Künstlerin Peggy Sylopp geleitet. Im Mittelpunkt stehen dabei subjektives Hören, Bedürfnisse und Wünsche der User*innen mit und ohne Höreinschränkungen. Für die Anwendung in alltagsakustischen Umgebungen entwickelte das HHYL2H-Team die intuitive liketophear-App und eine stabile 3D-gedruckte Box. So konnten die Mitforschenden Open Source Hörgeräte-Algorithmen auf einem Raspberry Pi steuern. Konkret ermöglichte das den Interessierten die Mitarbeit an der Algorithmenentwicklung sowie die Sammlung ihrer Bedürfnisse zu Aussehen und „Kompetenzen“ des Geräts an sich. In Zukunft sollen Nutzer*innen im Alltag ihren Hörgerätealgorithmus damit auch ohne professionelle Hilfe anpassen können.

Die liketohear-App&. Foto: Peggy Sylopp CC PY-NC-ND 4.0

Grundlagenforschung für das Hearable der Zukunft

Ein Teil des Projekts fand als konkrete Feldforschung statt: Ausgestattet mit der Box und App erprobten Interessierte den Prototyp in Alltagsumgebungen. Auf Basis deren Rückmeldungen und Erfahrungen damit wurde erfasst, welche Features notwendig sind und was weiter verbessert werden sollte. Eine grundlegende Frage war dabei: Was erwartet man sich eigentlich vom Hören? Die Interessent*innen testeten das Gerät sowohl im Außenraum als auch im Restaurant in einer Gesprächssituation mit Geräuschkulisse und passten dabei das Gerät individuell an ihre Bedürfnisse an. Somit erlangten die Projektleitenden einen Überblick, was die Teilnehmer*innen in bestimmten Soundumgebungen eingestellt haben. Dabei war sowohl die erfasste Klangumgebung mit den jeweiligen Anpassungen, die zum besseren Hören daran gemacht wurden, relevant, als auch deren Verbindung zur Persona von den Leuten, also die ungefähre Einschätzung des jeweiligen Hörvermögen: trägt Hörgerät, ist technik-affin, wünscht sich bestimmte Sachen vom Hören oder vom Hearable. Insgesamt haben bei dieser Feldforschung etwa 60 Early Adopters mitgewirkt. Weitere Bereiche des Projekts waren ein Online-Fragebogen, Hackathons mit Workshops und Austauschrunden und „Maker“, die selbst an der Weiterentwicklung der Geräte im physischen Sinne arbeiten. 

Die Projektleiterin Peggy Sylopp beschreibt dabei auch auftretende Probleme: „Es fehlt da oft an Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Nehmen wir zum Beispiel mal Hörgeräte im Bereich Hörtechnologie: wie die entwickelt wurden, welche Ideen, Algorithmen, Regelwerke dahinter stecken, das hat eine lange Geschichte aus Sicht der Wissenschaft und neue Entwicklungen stehen damit in diesem Kontext. Personen aus der  „normalen“ Gesellschaft, auch die, die diese Entwicklungen vielleicht bereits nutzen, wissen aber meist relativ wenig darüber. Das sieht man dann in der Praxis: es gibt ein Riesendefizit an Grundlagen, wie überhaupt an Hörforschung ranzugehen wäre, wie die Hörforschung bisher konzipiert ist und wie sie zu begreifen ist.“ Diese zu vermitteln, erforderte ein neues Selbst-Verständnis der Interessent*innen: Statt als Proband*innen ein Produkt zu rezensieren, beteiligten sich die Nicht-Berufswissenschaftler*innen hier an Grundlagenforschung. Diese neue Rolle erforderte auch Geduld, weil die Teilnehmenden nicht ein fertiges Produkt, sondern die Entwicklung der wichtigen Forschungsfragen und die Artikulierung der Anforderungen an ein Hearable der Zukunft entwickelten.

Teilnehmende beim Soundwalk in Berlin. Foto: Peggy Sylopp CC PY-NC-ND 4.0

Technische Möglichkeiten, Erwartungen und Wirklichkeit sind oft widersprüchlich zueinander

Peggy Sylopp spricht dabei auch die Erwartungshaltung an die Technik an: „Es wird ganz viel kommuniziert, auch von Werbung und Wissenschaft, was die Technik alles lösen kann: Sie kann für dich denken, kann das Gehirn auslesen – genau genommen stimmt das aber so alles nicht. Was auch ein wenig fehlt, ist eine ehrliche, transparente, diskursive Kommunikation über das, was zum Beispiel Technik, IT, wirklich kann und was sie nicht kann. Also da werden noch viel zu viel Ideen und Erfolge gefeiert, die eigentlich aber nur in kleinen Bereichen und ganz dezidierter Anwendung funktionieren. Da gibt es diese riesige Erwartung, dass es sich damit total gut anhört, dass ich damit alles Mögliche steuern kann und dies und jenes, das ist aber eigentlich in diesem Sinne gar nicht machbar, aus einem komplexen Anforderungsstrauß heraus.“

Die Eindrücke der Teilnehmenden an der Feldforschung wurden mit einer Online-Umfrage angefüttert. In dieser wurde abgefragt, welche Wünsche und Erwartungen man an ein tragbares Gerät zum Hören hat, welche Erfahrungen man dazu bereits gesammelt hat und welche weiteren Ideen dabei bereits aufkamen. Mit 650 Teilnehmenden wurde damit eine breite Basis an Eindrücken und Bedürfnissen erfasst.

In der Erforschung von technischen Möglichkeiten war ein weiterer Teil des Projekts angesiedelt:  Es fanden zwei Hackathons mit verschiedenen Workshops statt, in denen es darum ging, ganz praktisch Produkte für Anwendungen zu konzipieren und in den Austausch zwischen Anwender*innen und Entwickler*innen zu gehen. Der erste Hackathon war dabei eher spielerisch angesetzt: Die praktische Anwendung von Hearables im Alltag wurde behandelt. Die Teilnehmenden tauschten sich dabei über Bedürfnisse, Möglichkeiten und aktuelle Schwierigkeiten aus.

 

„Feels like in a sound bubble“ – die Teilnehmenden des Hackathons erprobten ihre eigene Hörwahrnehmung im Laufe des Prozess. (c) Nick Fewing

Im zweiten Hackathon wurden Expert*innen aus dem Audio-Bereich, aus der Hörgeräteentwicklung, aus der Industrie und aus der Hacker- und Makerszene eingeladen. Die Projektleiterin beschreibt diese als „zwei Tage sehr intensiven Austausch. Das war wirklich spannend, wie groß das Bedürfnis ist, sich aus den verschiedenen Ebenen auseinanderzusetzen. Da sind die Wissenschaftler mal greifbar für die Leute, die die Probleme haben. Anfangs haben viele nicht verstanden, was jetzt beispielsweise die Entwicklung von Lautsprecherboxen mit dem Hörproblem zu tun haben. Am Ende der zwei Tage war es dann aber für alle klar, worin die Nähe zwischen Klangqualität, Hearable und Hörunterstützung liegt. Für mich war das ein sehr wichtiges Thema, diesen scharfen Schnitt zwischen disabled – also Behinderung, Hörschwäche – und gutem Hören aufzulösen, und da weicher ranzugehen: was kann ein Hearable? Was ist gut für Leute mit Hörproblemen, aber auch für andere? Zum Beispiel hilft diese Funktion der Geräuschunterdrückung auch Leuten, die relativ normal hören können im Gespräch, weil sie damit weniger Höranstrengung haben. Andererseits heißt das für jemanden, der ein Hörproblem hat, dass er überhaupt was verstehen kann oder viel besser verstehen und damit überhaupt an Gesprächen teilnehmen kann. Da ging es also darum, diesen offenen Diskurs zu starten, das war auch nochmal eine andere Ebene“.

Hemmschwellen überwinden

Mit dem Ziel der Forschung von „Hear How You Like To Hear“, neue Impulse für die Entwicklung von Hörunterstützungen zu geben und dabei das Wohlbefinden der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen, soll das Selbstbewusstsein von Menschen mit Höreinschränkungen gestärkt und ihr soziales Umfeld zu einem bewussten Umgang ermutigt werden. Denn der Umgang mit einem Hörgerät erfordert oft das Überwinden großer Hemmschwellen: Bei der Erstnutzung schon sich länger graduell verstärkender Hörschwäche erscheinen Töne, die schon lange weg waren, neu: das ist ungewohnt, fast störend. Zum anderen ist das Sichtbarmachen dieser Schwäche, die nun Teil von einem ist und Selbstvertrauen voraussetzt, ein schwieriger Schritt.

Das gelingt den Teilnehmenden auch dadurch, dass sie neben dem, was Hörgeräte können sollen, auch erforschen, wie diese aussehen könnten. Für viele Menschen mit Höreinschränkungen ist es wichtig, dass das Gerät sichtbar ist. Schwerhörigkeit erfordert auch von der Umgebung eine Umstellung im Umgang miteinander. Wenn das Gegenüber bemerkt, dass der/ die* Gesprächspartner*in eingeschränkt hört, kann ein Gespräch unter günstigeren Bedingungen stattfinden. Deshalb ist für manche Betroffene wichtig, dass das Gerät sichtbar ist. Andere arbeiten an einer neuen Auffassung von Höreinschränkungen: Während Brillen selbst als modische Accessoires breit akzeptiert sind, werden Hörgeräte oft versteckt. Die Teilnehmenden des zweiten Hackathons entwickelten daher beispielsweise als Lösung ein Haarband in Kombination mit einem Fingerring, in dem ein Mikrofon eingebaut ist.

Prototyp einer sichtbar getragenen Hörunterstützung beim 1. Hack4Ears-Hackathon. Foto: Peggy Sylopp CC PY-NC-ND 4.0

Mit partizipativer Forschung gesellschaftliche Herausforderungen angehen

Aktuell befindet sich das Projekt in der Auswertungsphase. Hear How You Like To Hear wurde im Rahmen des Förderbereichs Bürgerforschung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Es gehört zu 13 Projekten, die bis Ende 2019 die Zusammenarbeit von Bürger*innen und Wissenschaftler*innen inhaltlich und methodisch voranbringen und Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen geben sollen.

Die Projektleiterin Peggy Sylopp betont die Vorteile partizipativer Forschung. Ihr war in allen Phasen des Projekts besonders wichtig, die Teilnehmer*innen als Mitforschende, nicht als Proband*innen wahrzunehmen, während sie betont, dass diese Vereinfachung natürlich aus Perspektive der Forschung, die ein Problem lösen will, zielführend ist. Obwohl Hear How You Like to Hear unkonventionelle Herangehensweisen nutzt, wird es am Institut ernst genommen und als relevanter Teil der Forschung gesehen. Peggy Sylopp sieht das als Teilerfolg für Citizen Science-Ansätze: „Ich würd behaupten, dass es sowas in allen Bereichen gut wäre, dass wirklich rausgegangen wird und die Sachen so frei gelassen werden, dass nicht nur Daten gesammelt werden, sondern auch Erfahrungen mit Forschung gesammelt werden. Es geht ja auch darum, dass Forschung neu gedacht wird und die konventionellen Forschungsideen oder deren Herangehensweisen nochmal neu gedacht werden, neu erprobt werden. Vielleicht können ja so nochmal neue Anstöße reingegeben werden, die mehr die subjektive Sicht von Usern oder von Betroffenen berücksichtigen. Das halte ich auch für eine grundlegende ethische Frage.“

Der Klimawandel aus lokaler Perspektive

29. April 2020 By

Mitforschen bei KlimNet – Stadt und Land im Fluss

Es ist erst Ende April, doch die Warnsignale sind bereits deutlich: Beinahe flächendeckend herrscht in Deutschland derzeit eine mehr oder minder schwere Dürre. Von Mitte März bis Mitte April fielen vielerorts weniger als zehn Liter Regen pro Quadratmeter, Wärme und Wind haben die oberen Bodenregionen ausgetrocknet. Dadurch wächst die Waldbrandgefahr, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen kam es bereits zu großen Einsätzen. Extreme Wetterereignisse sind auch in Deutschland längst keine Randphänomen mehr.

In Anbetracht dessen stellen sich auch Deutschland immer mehr Menschen die Frage: Wie können wir dem Klimawandel in unserer Stadt und unserer Region trotzen? Dazu haben die Ruhr-Universität Bochum (RUB), die Universität Bonn und der Wissenschaftsladen Bonn e.V. gemeinsam das Projekt KlimNet initiiert: Darin werden gemeinsam mit Bürger*innen Ideen und Strategien entwickelt, die Menschen zeigen, was sie tun können, um ihre Stadt an den Klimawandel anzupassen, bevor Jahrhunderthochwasser, Starkregen, langanhaltende Trockenheit oder Hitze bedrohlich werden.

Waldbrände treten auch in Deutschland immer häufiger auf. (c) Matt Howard

Prof. Dr. Andreas Rienow von der Ruhr-Universität Bochum schildert den Vorgang der Versiegelung: „Die Versiegelung in NRW nimmt weiterhin zu, auch wenn sie in den letzten Jahren ein wenig abgeschwächt wurde. Besonders stark ist das zu sehen, wenn wir uns anschauen, wie viel in Innenstädten gebaut wird, also die Verdichtung bei gleichzeitiger Inanspruchnahme von Flächen nach außen. Es ist ein großes Problem, in einer Zeit zu leben, in der eben die Folgen des Klimawandels immer stärker zu spüren sind: Wir hatten dieses Jahr wieder keinen richtigen Winter, wir hatten in den letzten zwei, drei Jahren extreme Hitzeereignisse hier in Deutschland. Entsprechend sind die Folgen zu spüren. Das ereignet sich in verschiedenen Städten, unterscheidet sich aber oft innerhalb verschiedener Stadtteile: Dabei gibt es im wahrsten Sinne des Wortes Hotspots in den Städten, in denen wir tropische Nächte beobachten, die zunehmen, aber natürlich auch Starkregenereignisse, die den Keller volllaufen lassen.“

Gemeinsame Handlungsleitlinien für die Klimaanpassung entwickeln

Das beschäftigt Menschen in ihrem Alltag und in der Wissenschaft. Deshalb hat das bürgerwissenschaftliche Projekt KlimNet das Ziel, Wissen und Engagement aus unterschiedlichen Bereichen, also sowohl aus der Gesellschaft als auch der Wissenschaft, in Bezug auf Klimawandelanpassung zu mobilisieren. Damit können Bürger*innen aus diversen Zielgruppen über Facetten des Klimawandels in der eigenen Heimat informiert und sensibilisiert werden. Die Teilnehmenden generieren daraus Handlungsoptionen zur Klimaanpassung. Das gelingt durch drei verschiedene Teilprojekte: Die Bereitstellung von Informationen über den Klimawandel in der Region, die Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten mit dem Ziel einer klimaresilienten Stadt und die Umsetzung erster praxisorientierter Maßnahmen.

Teilnehmende identifizieren und kategorisieren Orte in ihrer Umgebung. (c) KlimNet

KlimNet wird aktuell in den Pilotstädten Bonn und Gelsenkirchen mit der Option auf Erweiterung durchgeführt. Durch die wissenschaftliche Basis verbunden mit praktischen Erfahrungen der Akteur*innen vor Ort können die Maßnahmen auf andere Städte übertragen werden.

Zur Bereitstellung der Informationen wurden Satellitendaten von 1985 bis heute hinsichtlich diverser Aspekte wie Bodenbedeckung, Dichtheit, Versiegelung und Nutzung analysiert, um Veränderungen der städtischen Gebiete zu beobachten und zu quantifizieren. Daraus ist ein webbasiertes interaktives geographisches Informationssystem (GIS) hervorgegangen. Anhand von aus Satellitenbildern abgeleiteten Daten zur Flächenversiegelung aus den Jahren 1985 bis 2017 können Nutzer*innen in ganz Nordrhein-Westfalen die Landnutzungen vergleichen. Durch das interaktive Web-Geoinformationssystem (WebGIS) mit zahlreichen Funktionen können die Bürger*innen selbst lokal Orte in der Stadt identifizieren und markieren, die entweder Handlungsbedarf aufweisen oder als gute Beispiele vorangehen. Außerdem werden darauf basierend gemeinsam Ideen entwickelt, wie mit den spürbaren Auswirkungen des Klimawandels umgegangen werden kann.

Ziel ist dabei auch, Handlungsleitlinien zu entwickeln, die das Projekt überdauern. Der daraus hervorgegangene Aktionsplan spricht unterschiedliche, wichtige Akteur*innen der Stadtgestaltung an: Für einige Leitlinien brauchte es ein Votum der Politik und die Kompetenz der Stadtverwaltung, für andere engagierte Unternehmer*innen und Verbandsvertreter*innen. Für wiederum andere ist nur die Lust, etwas im eigenen Umfeld zu verändern, notwendig. Deshalb ist im Projekt KlimNet die Zusammenarbeit zwischen Bürger*innen, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft notwendige Voraussetzung. Langfristig werden dabei alle Teilnehmenden auch für den Klimawandel an sich sensibilisiert, was neben der lokalen Klimawandelanpassung auch ein stärkeres Engagement für den Klimaschutz hervorbringt.

Bürger*innen als Forschende

Besonders am Projekt KlimNet ist die Einbindung von Bürger*innen als Forschende. Im Allgemeinen wird in Citizen-Science-Projekten Forschung unter Mithilfe oder komplett von interessierten Amateur*innen, teilweise auch professionellen Amateur*innen, durchgeführt. Die Bürgerforscher*innen formulieren dabei Forschungsfragen, melden Beobachtungen, führen Messungen durch, werten Daten aus und/oder verfassen Publikationen. Dabei ist die Einhaltung wissenschaftlicher Kriterien Voraussetzung. Bürgerwissenschaftliche Projekte binden Laien in wissenschaftliche Prozesse ein, was einerseits zur Produktion wissenschaftlich valider Daten und Analysen beiträgt.

Etwa 46 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsflächen sind laut dem Umweltbundesamt versiegelt, das heißt bebaut, betoniert, asphaltiert, gepflastert oder anderweitig befestigt. Damit gehen wichtige Bodenfunktionen, vor allem die Wasserdurchlässigkeit und die Bodenfruchtbarkeit, verloren. (c) KlimNet

Andererseits wird der Bürgerwissenschaft aber vermehrt das Potential zugesprochen, das gesellschaftliche Verständnis für Wissenschaft und Forschung zu erhöhen und damit gesellschaftliche Herausforderungen aus Bürger*innensicht und aus der Perspektive der Wissenschaft neu bewerten zu können. Zudem wird von der Bürgerwissenschaft erwartet, dass sie einen positiven Einfluss auf die wissenschaftliche Bildung von Laien hat. Dies ermöglicht einerseits neue Erkenntnisse durch neue Kontexte, die Bürgerforscher*innen aus ihren Lebenswelten bringen, aber bei höherem Grad der Partizipation in bürgerwissenschaftlichen Projekten auch wissenschaftliche Projekte mit Fragestellungen, die gerade in regionalen oder lokalen Kontexten durch die Bedarfsgruppen selber ermittelt werden können.

Eine wissenschaftsoffene Haltung aus der Gesellschaft kann zu verstärktem Austausch und Wissensdiffusion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft führen, was Wissen in beiden Bereichen erweitern und damit Handlungsspielräume in demokratischen Diskursen verbessern kann.

Die eigene Umgebung neu entdecken

Genau um dieses Zusammenspiel geht es bei KlimNet, das die unterschiedlichen Erfahrungs- und Wertungsbereiche von Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Verwaltung mit einbezieht und damit Raum für gemeinsame, allgemein akzeptierte Lösungsvorschläge schafft.

Dafür ist auch ein hohes Maß an Eigeninitiative und Engagement seitens der Bürger*innen notwendig. Einer der Projektleiter erklärt, welche Menschen dabei mitmachen: „Einerseits sind das Bundesfreiwillige, die die Workshops als Seminarangebot wählen könnten. Diese waren besonders an den Geomethoden interessiert. Das Tolle daran ist, etwas so Pragmatisches mit einem idealistischen Thema, was die Klimaanapassung ist, zu koppeln und die jungen Menschen für Themen der Nachhaltigkeit zu begeistern. Eine andere Gruppe ist über Aufrufe des Wissenschaftsladen Bonn und der Stadt Gelsenkirchen gekommen: Jugendliche, die einfach Interesse an der Thematik haben, die teilweise auch aus „Problemvierteln“ kommen. Deren Interesse an Klimaanapassung war besonders beeindruckend, weil die ja wirklich oft auch noch ganz andere Probleme bis hin zu Existenzängsten haben. Weiter kommen natürlich auch immer Leute, die generell an Nachhaltigkeit, Umwelt und Entwicklungsthemen interessiert sind. Also generell sind das Menschen, die ihre Nachbarschaft nochmal mit anderen Augen entdecken wollen.“

Brachfällen stellen ein enormes Flächenpotential dar. (c) KlimNet

Für die Bürgerwissenschaftler*innen sieht Rienow zusätzlich den Anreiz, dass sie durch die intensive Beschäftigung mit den Entwicklungen auch in Diskussionen besser auf Grundlage von Fakten argumentieren können. Außerdem tragen die Projekte zur Gemeinschaftsbildung bei und oft lernen sich durch die Vernetzung Akteur*innen kennen, die diese Kontakte noch längerfristig nutzen können. Für die Wissenschaftler*innen bietet die Zusammenarbeit wiederum die Möglichkeit, die Öffentlichkeit aktiv in die wissenschaftliche Entwicklung einzubinden und damit Verständnis und Akzeptanz zu fördern, sowie, ganz praktisch, mehr Datenmaterial zu generieren und damit größere Flächen zu beobachten.

Andreas Rienow unterstreicht besonders das Alltagswissen, das für das Projekt unverzichtbar ist: „Aus räumlicher Perspektive gesprochen, kennen die Menschen einfach ihre eigene Nachbarschaft am besten und wissen, wie es noch vor zehn Jahren aussah, wo vielleicht Ecken sind, an denen sich immer Pfützen bilden, wo eben eine grüne Fläche auf einmal versiegelt wurde und ein Spielplatz entstanden ist, der die einen stört, die anderen aber begeistert, aber auch, wo man die Möglichkeit hätte, doch eine Fläche zu nutzen, die eigentlich nur brachliegt. Dieses räumliche Wissen ist enorm hilfreich und das können wir als Geographen optimal nutzen.“

Das Projekt KlimNet findet noch bis Juni 2020 statt – eine Verlängerung wird aktuell beantragt.


Titelbild: Beispielfoto Luftansicht Standsted, London. (c) Nik Ramzi Nik Hassan

Städte für Kinder

4. April 2020 By

Demokratieerfahrungen und Selbstwirksamkeit stärken

Wie entsteht Demokratie? Wie bildet sich demokratisches Bewusstsein? Welche Erfahrungen wie Ausgrenzung oder Wertschätzung führen zu welchen Handlungen in einer Demokratie? Bildung ist ein entscheidender Faktor für spätere politische Biographien, Haltungen und Werte – durch Erfahrungen, die in der Kindheit und Jugend gesammelt werden, wird das Vertrauen in demokratische Ordnung und die eigene Relevanz in dieser entscheidend geprägt.

Dafür spielen Lebenswelten der Umgebung, der Nachbarschaft und des Alltags von Lernenden eine tragende Rolle und müssen ernst- und wahrgenommen werden. Schulen sind dabei ein wichtiger Ort des Lernprozesses, aber auch andere Einrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche ihre freie Zeit verbringen, sind prägend. Meist werden diese Orte, Einrichtungen und Institutionen von Erwachsenen geleitet und spiegeln auch deswegen deren Erfahrungen und Vorstellungen wider.

Emotionen, Ideen und Interessen von Kindern und Jugendlichen brauchen Raum. Aber welche Möglichkeiten haben Kinder und Jugendliche dazu? Welche Räume können sie für sich nutzbar machen? Wie können sie in der Öffentlichkeit ihre Realitäten sichtbar machen?

Im Folgenden werden Projekte vorgestellt, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, unterschiedliche Szenarien  im Bereich Ökonomie, Politik und Gesellschaft zu erproben, um in diesen Bereichen auch in der realen Welt verantwortungsvoll zu agieren. Erfahrungen über eigenmächtiges Handeln und dessen Konsequenzen sind maßgeblich prägend für das Verständnis und eine konstruktive Interaktion mit gegebenen Umwelten und Umständen.

Oft stehen Kindern und Jugendlichen nur begrenzt Plätze zur Verfügung. Besonders freie Räume, die unterschiedliche Nutzungsformen ermöglichen, sind schwer erreichbar. (c) Randy Yip

Greater form – Projektraum für kulturelle Teilhabe in Leipzig-Grünau

Die Projektgruppe greater form möchte Kinder und Jugendliche dazu ermächtigen, selbstbestimmt Verantwortung für sich und ihren Lebensraum zu übernehmen. Seit 2015 forschen sie mit Kindern und Jugendlichen der Großwohnsiedlung Leipzig-Grünau zum Leben und Erleben im Stadtteil, in dem sich Herausforderungen unserer Zeit wie Verdrängungsmechanismen, prekäre Arbeitsbedingungen und erhebliche Lohnunterschiede oft sehr verdichtet darstellen.
Greater forms Ansatz basiert auf Teilhabe. Das Projektexperimentiert mit prozessoffenen Formen der Kollaboration. Im Leipziger Stadtteil Grünau, der oft als sozialer Brennpunkt wahrgenommen wird, organisiert die Gruppe Austellungen, Talk-Shows, Videodrehs, einen Ort zum Abhängen und erstellt Publikationen. Die Projekte von greater form bauen inhaltlich und methodisch aufeinander auf, sodass sich über die Zeit eine Eigendynamik entfaltet, in der die Arbeitsphasen länger und die Projekte selbst zusehends freier konzipiert wurden – das ist auch deswegen möglich, weil die Kinder und Jugendlichen immer wieder kommen.

Diese haben mit greater form einen Raum zur Verfügung gestellt bekommen, den sie sich selbst aneignen können. Die Gruppe experimentiert dabei mit der Frage, wie viel Mitbestimmung möglich ist. So kommt es dann auch dazu, dass sich die jungen Teilnehmer*innen dazu entscheiden, sich mit bestimmten Auseinandersetzungen zu gesellschaftlichen Themen, zum Beispiel bei einer geplanten Ausstellung mit Zeichnungen von Erwachsenen aus dem Viertel, nicht zu beschäftigen, oder dazu, von gesammelten Geldern nach einer basisdemokratischen Diskussion Nike-Turnschuhe für alle zu kaufen. Das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden ist dabei stetig ein wechselndes.

Der derzeitige Raum der Gruppe ist wandelbar und kann an einem Tag eine Bühne beinhalten und am nächsten Tag wieder leer geräumt werden. „Das soll ermöglichen, dass wir spontan auf Ideen der Kinder und Jugendlichen reagieren können. Dementsprechend eine Lösung finden, wie wir uns jeweils eine Arbeitssituation einrichten. Von Holzwerkstatt bis Computerbürosituation ist alles möglich“, beschreibt Philipp Rödel, einer der Projektverantwortlichen, in einem Interview mit Sachsen-Fernsehen.

Spielstädte – ein kollektiver Lernort

Mini-München ist ein spiel- und kulturpädagogisches Projekt, mit dem alle zwei Jahre für drei Wochen in München eine Kinderstadt stattfindet. Das Projekt bietet allen Kinder und Jugendlichen unabhängig von Herkunft und Bildungshintergrund eine Fülle an Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten.

Die Kinder und Jugendlichen beleben dabei selbst ihre Stadt, gehen verschiedenen Berufen nach, verhandeln politische Fragen, studieren, treffen sich, gehen einkaufen und essen. Beim ersten Besuch erhalten sie im Einwohnermeldeamt ihren persönlichen Mitspielpass mit den wichtigsten Informationen und Spielregeln. Beim Arbeitsamt werden Jobs und an der Hochschule Studienplätze angeboten. Wer arbeitet oder studiert, kann „MiMüs“ verdienen und damit im Gasthaus essen, ins Kino und Theater gehen, im Supermarkt einkaufen, sich ein Grundstück pachten oder sein Geld auf ein Sparbuch einzahlen. In den letzten Jahren sind viele Spielstadtprojekte in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien, Dänemark, sogar in Mexiko und besonders in Japan nach dem Vorbild Mini-Münchens entstanden.

Mini-Münchner*innen bei einer Bürgerversammlung. (c) Kultur& Spielraum e.V.

Über die sich in den Wochen bildenden Strukturen von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen in der Stadt hinaus wird eigener Gestaltungswille gefördert und Neues denkbar gemacht. Zum Beispiel gründet eine Teilnehmerin in der Warteschlange zum Arbeitsamt ihr eigenes Tattoostudio und beendet es wieder, sobald sie genügend Geld für sich gesammelt und keine Lust mehr hat. Vorgeschlagene Motive, die ihr nicht gefallen, malt sie ihren Kund*innen auch nicht auf. Jeden Tag werden Grenzen und Muster ausgelotet, aufgebaut und wieder verworfen. Die Stadt befindet sich in einem ständigen Balanceakt zwischen dem Aufrechterhalten des regulären Spielbetriebs und einer Offenheit für Aktionen der Unterbrechungen. Damit fungiert die Spielstadt als kollektiver Lernort, sowohl für die Spielleiter*innen als auch für die Spielenden.

Aufbau im Spielclub Oranienstraße 25. (c) Benjamin Renter

Die neue Gesellschaft für bildende Kunst veranstaltete im Januar dieses Jahres den „Spielclub Oranienstraße 25“. Die Idee basiert auf einem der ersten Projekte des Kreuzberger Kunstvereins, dem „Spielklub Kulmer Straße 20a“, der in den 70er Jahren in einer Fabriketage in Schöneberg existierte. Damals sollte explizit eine kapitalismuskritische Spielpraxis mit Kindern aus der Arbeiterklasse entwickelt werden, um ihnen zu mehr Selbstbewusstsein und Ausdrucksfähigkeit in der realen Welt zu verhelfen.

Im aktuellen Projekt geht es vor allem um Fragen zur Kapitalisierung der Stadt. Spielerisch werden dort aktuelle Fragen der Stadtentwicklung behandelt: Mietpolitik, Verdrängung und Teilhabe. Eine Fragestellung ist dabei schon in den Spielverlauf eingebaut: Was passiert, wenn die Häuser nicht mehr zum Wohnen, sondern zum Geldverdienen da sind? Ältere Kinder und Jugendliche kennen Verdrängungsmechanismen der wachsenden, kapitalisierten Stadt bereits von Nachbar*innen oder sind selbst mit ihrer Familie davon betroffen. Sie gründen basierend auf diesen Erfahrungen in der Spielstadt beispielsweise Vereine, um Mieterhöhungen zu bekämpfen. Viele der Kinder freuen sich aber trotz der Implikationen der Spielleiter*innen daran, sehr viel Geld zu horten. Ob diese Aktion die Kinder direkt zu Kapitalist*innen macht, bleibt anzuzweifeln. Der Versuch, den Kindern die Realität der wahren Umstände in einer Stadt beizubringen, wirkt dabei oft umgekehrt auch als Lerneffekt für die Organisator*innen.

Beide Projekte setzen sich dabei auch intensiv mit ebensolchen Fragen auseinander: Welche Werte vermitteln die Umstände der Spielstädte? Was bedeutet es, Spielgeld zu horten? Wie schafft man es, Selbstwirksamkeit und die Rolle der (erwachsenen) Spielleitern zu vereinen? Wer bestimmt, wann und wie das Spiel zu Ende ist?

Die Frage, welche ökonomische Logik in das Geschehen der Städte bereits vorintegriert ist und inwieweit es möglich ist, diese umzudeuten oder manchmal auch aufzuheben, wird in jedem Versuch neu ausgelotet. Teils unangenehme Realitäten wie die Faszination vieler Kinder für Polizei- und Autoritätssymbole oder der Spaß daran, sich tagelang mit dem Taxi herumfahren zu lassen, anstatt das Geld zum Beispiel solidarisch zu teilen, sind dabei nicht auszuklammern. Kinder und Jugendliche haben nicht immer Recht. Dass sie aber auch im Zweifelsfall, wenn sie zum Beispiel Unrecht haben, gehört und ernst genommen werden, schafft erst die Basis für selbstkritische Bewertung des eigenen Verhaltens.

In jedem Fall lernen die Kinder und Jugendlichen, Verantwortung für ein Geschehen zu übernehmen, das sich über mehrere Tage hinweg verändert, verschiedene Grade der Kollaboration und Interaktion bereithält und dadurch einen Handlungsraum eröffnet, in dem eine Stadt in vielen möglichen Strukturen erfahrbar wird. Ein Reservat, das Erwachsene für die Kinder bereithalten, um sich frei bewegen zu können?

Bildungslandschaften entdecken

Im Projekt „Bildungslandschaften“ der Initiative „Schule macht sich“ geht es darum, informelle Orte und Beziehungen als bildungsrelevant zu begreifen und diese auch in den Schulalltag zu integrieren.

Wenn Schulen sich hin zur direkten Nachbarschaft in ihren Stadtvierteln öffnen, können sie eine ganzheitliche Lernwelt für Schüler*innen schaffen: In einem partizipativen Verfahren trägt bei dem Projekt „Bildungslandschaften entdecken“ die gesamte Schulfamilie zur Öffnung der Schule, hin zur Nachbarschaft, bei. Es ist dabei besonders wichtig, dass die Schüler*innen der Schule selbst zur Erschließung von informellen Lernorten beitragen, da sie selbst diese Orte am besten kennen. Somit kann die Schule eine größere Rolle im Stadtteil einnehmen oder sich selbst (informelle) Bildungspartner*innen in den Schulalltag einladen.  Damit solche Orte mehr sind als ein Reservat, das Erwachsene für Kinder und Jugendliche bereithalten, sind Verbindungsprojekte wie das von „Schule macht sich“ essentiell.

Wichtig ist der Bezug zu den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen: so kann ein potentieller Ausbildungsbetrieb aus der Nachbarschaft, aber auch ein Bolzplatz Teil einer Bildungslandschaft werden.

Wer ermächtigt wen, was zu tun?

Den vorgestellten Projekten ist gemein, dass Kinder und Jugendliche auch einen Platz – oft eine bestimmte Räumlichkeit – zum Ausprobieren, Experimentieren und auch mal Falsch-Liegen haben. Die demokratischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Umgebungen werden ernsthaft untersucht und Bezüge zur Lebenslage der Beteiligten werden hergestellt.

Kinder und Jugendliche benötigen in jedem Fall eine Öffentlichkeit, in der sie ihre sozialen, kognitiven und emotionalen Fähigkeiten voll entfalten können. Diese Öffentlichkeit kann aber zunächst nur durch Erwachsene hergestellt werden. Dinge und Gegebenheiten müssen darin eine gewisse Offenheit besitzen, um neu besetzt werden zu können. Die Entdeckung und der Gebrauch eigener Ausdrucksmittel befördert die Wirklichkeitsaneignung der Kinder und Jugendlichen.

Das fördert auch die Teilhabe der Kinder und Jugendlichen am öffentlichen Leben. Es muss weiter Ziel sein, die aktive Mitgestaltung am sozialen und kulturellen Leben zu ermöglichen. Dabei ist auch das Nicht-Partizipieren-Wollen eine Entscheidung – wenn das Gegenteilige auch tatsächlich möglich gewesen wäre.


Titelbild: (c) Kultur& Spielraum e.V.

Hausaufgaben fürs Bildungssystem

12. März 2020 By

Über die Notwendigkeit, Kindern und Jugendlichen in der Schulgestaltung zuzuhören

Die Welt von morgen wird anders aussehen als die von heute. Lange herrschte der Glaube, dass junge Menschen sich kaum für Politik und das derzeitige Weltgeschehen interessieren. Mittlerweile hat sich herausgestellt: Tun sie doch, und dabei drängt es. „Dabei wäre es das einzig Sinnvolle, die Notbremse zu ziehen. […] Selbst diese Bürde überlassen Sie uns Kindern.“ – nicht nur bei diesem Zitat aus der emotionalen Rede der Klimaaktivistin Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel in Kattowitz 2018 wird klar, mit welchen Zukunftssorgen Kinder und Jugendliche zu kämpfen haben.

Heranwachsende stehen angesichts steigender Komplexität gesellschaftlicher Herausforderungen unter Druck – das Versprechen, die eigene Zukunft gestalten zu können und sein Glück zu schmieden, erscheint anhand von am Horizont erscheinenden enormen Umbrüchen unsicher. Das stimmt manche kämpferisch, oft wirkt es aber auch lähmend. Große Jugendbewegungen wie Fridays for Future, aber auch die steigende Zahl an Depressionen im Kinder- und Jugendalter stehen sinnbildlich für dieses Spannungsfeld.

Seit mehr als einem Jahr gehen weltweit jeden Freitag Tausende Jugendliche auf die Straßen, um auf die Gefahren des Klimawandels und der Dringlichkeit zum Handeln aufmerksam zu machen. (c) Mika Baumeister

Komplexität begreifen lernen in Schulen

Gleichzeitig befindet sich die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen als Schüler*innen einen Großteil der Woche in Klassenräumen: Schule ist mehr denn je gefragt, Kinder und Jugendliche dafür zu gewinnen, global, demokratisch und umweltbewusst zu denken, zu handeln und sich gegenüber Gesellschaft und Umwelt verantwortungsbewusst zu verhalten. Das hohe Tempo des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels erfordert, dass die Lernenden gut mit den erforderlichen Schlüsselkompetenzen und transversalen Fähigkeiten ausgestattet sind, um Unsicherheiten zu begegnen, widerstandsfähig zu sein, gemeinsam an Lösungen komplexer Probleme zu arbeiten und aktive Bürger zu werden, denn: Auf sie kommt so einiges zu.

Dabei hat die Schule als Station im Leben, die alle in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen durchlaufen, echtes Potential: Sie könnte jungen, sehr unterschiedlichen Menschen die Erfahrung bringen, dass die eigene Meinung, aber auch das eigene Handeln Auswirkungen hat. Solche Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und auch der eigenen Verantwortung in Umfeld und Umwelt sind unabdingbar. Erprobungen davon finden in Schulen noch geschützte Räumen, die Platz lassen sollten, auch mal falsch zu liegen, über die Stränge hinauszuschlagen oder außerhalb bestehender Normen zu hinterfragen.

In der Form, in der von jungen Menschen Weltoffenheit, globales Denken und couragiertes Handeln gefordert, erwartet und benötigt wird, müssen auch die Orte des Lernens entsprechend strukturiert sein – insbesondere die, in denen sich die jungen Menschen aus institutionalisierter Verpflichtung aufhalten: Schulen. Das bedeutet nicht nur, dass alle Schulen enorme finanzielle Mittel aufbringen müssen, um zeitgemäß ordentlich digital ausgestattet zu sein. Das geht beispielsweise in Deutschland schon angesichts starker regionaler und bildungspolitischer Unterschiede nicht in absehbarer Zeit und in gleicher Geschwindigkeit.

Das gesamte Bildungssystem müsste dagegen flexibler und dynamischer werden, innovative Ansätze für das Lernen und Lehren anwenden, die traditionellen Rollen und Akteure im Bildungswesen überdenken und sich für ein breiteres Spektrum von Akteuren, Gemeinschaften und Lebenswelten öffnen. Dabei ist besonders relevant, nicht nur zu überdenken, was, sondern vor allem wie gelernt wird. Diesen Anspruch haben bereits viele Schulen und Lehrende in sich. Doch wie anfangen, wenn wie bereits genannt finanzielle Mittel fehlen und institutionelle Vorgaben sich nur langsam verändern?

Schulen als lernende Organisationen

Die Initiative „Schule macht sich…“ setzt genau hier an und will Schulen dazu befähigen, sich mithilfe von Partizipation, erweiterten Lernformen, innovativen Lernformaten sowie passenden und adaptiven Lernumgebungen weiterzuentwickeln, um auf diese Weise selbst zu lernenden Organisationen zu werden. Die Beteiligung der „Expert*innen vor Ort“, also der Schüler*innen, der Lehrer*innen und der Eltern, spielt dabei eine zentrale Rolle.

Das Ziel ist, auf der alltäglichen Ebene des Schulsystems Innovationsprozesse zu initiieren, zu entwickeln und zu testen. Dadurch soll einzelnen Schulen und langfristig dem Bildungssystem insgesamt ein „Werkzeugkoffer“ für Innovationen von unten zur Verfügung gestellt werden.

Klassenräume bieten auch mit kleinen Veränderungen unterschiedliche Nutzungspotentiale. (c) Hans Sauer Stiftung

Gelungen ist das bereits in der Südschule Bad Tölz. Die Schule will partizipative Schulentwicklung fördern. Mit dem Projekt „Hack your Classroom“ sollte die Umgestaltung des Schulgebäudes bis auf die Klassenzimmerebene herunter gebrochen werden, denn: Ein groß geplanter Umbau ist kosten-, zeit- und energieintensiv und braucht oft lange Zeit bis zur Realisierung. Zudem gibt es durch die kleinschrittigen Veränderungen für die Nutzer*innen der Schule die Möglichkeit auf neu auftretende Situationen zu reagieren, sie zu beeinflussen und zu initiieren und bereits Getätigtes gegebenenfalls wiederum zu überarbeiten.

Konkret haben sich in der Südschule Bad Tölz drei Klassen aus unterschiedlichen Jahrgangsstufen gemeinsam mit ihren Lehrer*innen auf den Weg gemacht, ihr Klassenzimmer durch kleine „hacks“ zu ertüchtigen. Die Projektleiterin Vera Steinhauser betont, dass es dabei vor allem auf das Erfahren von Selbstwirksamkeit für die Schüler*innen ankommt. Die entstandenen Prototypen wurden von einem Schreiner in Bauanleitungen für die Möbel übersetzt und gemeinsam mit den Schüler*innen gebaut. So entstanden neue Möglichkeiten, den Raum schnell und bedürfnisorientiert an Lernformate und Situationen anzupassen. Die räumlichen Veränderungen bieten auch neue Potentiale für innovative Lehrformate.

Auch weitere Projekte von „Schule macht sich“ unterstützen bei der Etablierung neuer, innovativer Strukturen und Praktiken  –  zum Beispiel das »Inspiration Game«: Dabei handelt es sich um ein Spiel für Schulentwicklungsprozesse. Es soll ermöglichen, neue Lern- und Lehr-Ansätzen zu unterstützen sowie auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur. Durch die Beschreibung innovativer Lernformate bietet es Inspirationen und gleichzeitig eine methodische Struktur, um diese für den individuellen Schulentwicklungsprozess kreativ zu nutzen. Ziel ist dabei, Schulteams bei der Entwicklung neuer Lernformate zu begleiten. Das »Inspiration Game« besteht aus unterschiedlichen Spielkarten – Inspirations- und Prozesskarten – mit deren Hilfe Teams aus Lehr*innen ihren Schulentwicklungsprozess kreativ gestalten können.  Durch solche hilfreiche Tools können auch andere Schulen Erfahrungen, die in Bad Tölz gemacht wurden, reproduzieren. Die Projektinitiator*innen sehen darin die Chance, „durch kleine und große Projektideen zu inspirieren und somit einen langfristigen Wandel in der Schulgestaltung einzuleiten“.

Montessori-Pädagogik und Mehrsprachigkeit für alle

Auch die frisch eröffnete Schule „Campus di Monaco“ in München verfolgt neben der Montessori-Pädagogik einen innovativen Ansatz: Die ganztägige Mittelschule mit M-Zug vereint Konzepte der Mehrsprachigkeit und Inklusion miteinander. Durch die unterschiedlichen Hintergründe der Kinder und Jugendlichen wird mitbestimmt, welche Sprachen im Unterricht mit einfließen. Ziel ist dabei nicht, dass die Kinder und Jugendlichen in jeder Sprache alles verstehen, sondern dass sie ein übergreifendes Verständnis für sprachliche Vielfalt entwickeln und damit neue Zugänge zu unterschiedlichen Themen- und Wissensfeldern finden. Die neue Mittelschule bietet mehrere Fremdsprachen, bilingualen Fachunterricht sowie „Deutsch als Zweitsprache Klassen“ an.

Die Schulleiterin Antonia Veramendi betont: “Wichtig ist uns, Lern- und Erfahrungsräume zu öffnen und formale und non formale Bildung zu verzahnen.“ (c) Campus di Monaco

Außerdem soll der Genuss der Montessori-Pädagogik explizit auch Kindern aus einkommensschwachen Familien ermöglicht werden: Durch ein Solidarprinzip können Kinder aus Familien mit geringem Einkommen ermäßigtes Schulgeld, Kinder aus Familien ohne Einkommen ganz ohne Schulgeld am Unterricht der Schule teilnehmen. Der Aufbau der Modellschule wird wissenschaftlich begleitet, im nächsten Schuljahr steht ein Umzug in ein neugebautes Schulhaus in Ramersdorf-Perlach an.

Transformation braucht auch Bestrebungen der Bildungspolitik

Um transformativen Wandel in der Bildungslandschaft zu erreichen, die gegenwärtige gesellschaftliche Veränderungen aufgreift, sind isolierte Beispiele innovativer Schulen ein guter Anfang, reichen jedoch in eben dieser Isolation nicht aus.  Die Bildungspolitik muss sich besser dafür einsetzen, wie und wann sie innovative Ansätze in ihren laufenden Bemühungen um die Förderung von Reformen des Bildungssystems und die Verbesserung seiner Steuerung und Innovationsfähigkeit übernimmt. Das Wissen darüber, wie Schüler am besten lernen, ist heute viel umfangreicher als zu Zeiten der Entwicklung der Schulpolitik.

Abgesehen von einigen seltenen Ausnahmen erfordert die Einführung innovativer Ansätze in bereits bestehenden Schulen grundlegende Veränderungen in der Schulkultur, anstatt einfach isolierte Praktiken einzuführen oder zu ändern. Um erfolgreich zu sein, müssen Schulinnovationen flexibel sein, auf lokale Bedürfnisse reagieren, in lokale Kontexte eingebettet und offen für ihr Umfeld sein.  Auch kulturelle Sensibilität und das tatsächliche Einbeziehen unterschiedlicher Interessensgruppen ist dafür notwendig – denn „Einheitsgrößenmodelle“ gibt es nicht.

Es ist an der Zeit, neue Wege des Lernens zu denken und diese auch zu beschreiten. Dabei wird es unabdingbar sein, auf individuelle Bedürfnisse und Lebenswelt einzugehen und gleichzeitig die Einbettung der schulischen Bildung von Kindern und Jugendlichen in einer diversen, komplexen Welt zu begreifen.

Shoppen für eine bessere Welt

15. November 2019 By

Das Fairtrade-Siegel: Kann man den Ansprüchen an wirtschaftliches Wachstum, Umweltschutz und sozialer Gerechtigkeit im landwirtschaftlichen Anbau genügen?

Nachhaltiger Konsum liegt im Trend – auch auf Instagram muss man sich mit den entsprechenden Follower*innen schnell mal für den Avocado-Konsum rechtfertigen. Während zunehmend viele Konsument*innen Aspekte wie Regionalität, Saisonalität und den Einsatz von Pestiziden im Blick haben, wird die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit im Anbau nicht mehr ganz so oft gestellt. Weltläden wirken heutzutage etwas folkloristisch und passen damit nicht ganz zum hip-minimalistischen Zeitgeist.

Dabei werden Fairtrade-Produkte, die man inzwischen außer in den Weltläden auch in unterschiedlichsten Supermärkten findet, noch immer stark befürwortet: In einer Studie des Magazins Utopia gaben 81 Prozent der Befragten an, dem Fairtrade-Siegel zu vertrauen. Laut dem Netzwerk Forum Fairer Handel stammt heute jede zwanzigste Tasse Kaffee in Deutschland aus fairem Handel und 14 Prozent der in Deutschland verkauften Bananen sind schon Fair-Trade-Produkte. Zu Fairtrade-zertifizierten Produkten zählen im Bereich der Lebensmittel Kaffee, Bananen oder Kakao – also Produkte, die aus dem außereuropäischen Ausland bezogen werden können, aber auch Gewürze, Milch oder Schnittblumen.

Durchschnittlich 12 Kilo Bananen isst jede*r Deutsche* im Jahr.

Was steckt hinter der Zertifizierung?

Kleinbäuer*innen in Entwicklungsländern sind aufgrund mangelnder Infrastruktur, geringen Absatzmengen und fehlendem Zugang zu Informationen über das Marktgeschehen größtenteils vom Welthandel ausgeschlossen. Um die Produkte überhaupt verkaufen zu können, müssen sie sich oft in ein Abhängigkeitsverhältnis von Zwischenhändler*innen, die mitunter die einzige Informationsquelle über beispielsweise den Marktpreis sind, begeben.

Die Grundidee beim Fairen Handel ist also die Etablierung von Produzent*innen als gleichberechtigte Akteur*innen im Welthandel. Die Importorganisationen sind somit für die Einhaltung der Standards sowie die Organisation vom Import in die Konsumentenländer verantwortlich

Das Konzept des fairen Handels orientiert sich am Modell der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Ökologie – demErhalt von Natur beziehungsweise Ökosystemen für nachfolgende Generationen, Ökonomie – dem verantwortungsvollen Umgang mit wirtschaftlichen Ressourcen mit dem Ziel der Wohlstandsmehrung und Soziales – der Entwicklung einer Gesellschaft, in der alle Mitglieder gleichermaßen partizipieren. Um die Erfüllung dieser Prinzipien zu garantieren, gibt es bestimmte Richtlinien wie beispielsweise die Festsetzung eines Mindestpreises für die Produkte oder das Einhalten von festgelegten Umweltstandards. An diese Richtlinien müssen sich Produzent*innen und Vertreiber*innen, also die Importorganisationen, halten, um das Fair-Trade-Siegel erhalten zu können.

Der Zusammenschluss von Kleinbäuer*innen in Kooperativen führt zu mehr Selbstbestimmung und einer erleichterten Organisation ihrer Arbeit. Somit können die Handelsbeziehungen mit den Importorganisationen in den Kooperativen, an denen alle Produzenten mit beteiligt sind, organisiert werden. Der höhere Erlös durch faire Löhne, die den Lebenshaltungskosten der Produzenten entsprechen sollen, wird etwain den Bau von Schulen investiert. Damit kann ein Mehrwert für die ganze Gesellschaft, in der die Produzenten leben, geschaffen werden. Außerdem fördert der Zusammenschluss in Kooperativen die Solidarität innerhalb der Gesellschaft. Wichtig ist hierbei, dass die fairen Arbeitsbedingungen und Löhne nicht nur für die Produzent*innen, etwa für den oder die Betreiber*in einer Plantage, sondern auch für dessen Arbeiter*innen geltend gemacht werden müssen. „Faire“ Arbeitsbedingungen begründen sich allgemein auf die international festgelegten Menschenrechte der Vereinten Nationen und die Kernarbeitsnormen nach den ILO-Standards. Damit ist beispielsweise Kinderarbeit und Zwangsarbeit ausgeschlossen.

Mehr als eine Milliarden Menschen – vor allem Kleinbauernfamilien in den Schwellen- und Entwicklungsländern – bestreiten ihr Einkommen hauptsächlich oder ausschließlich vom Reisanbau. (c) Guille Álvarez

Wie stehts mit der ökologischen Nachhaltigkeit?

Die Fairtrade-Produktion stellt die Bedürfnisse der Produzent*innen zuerst über ökologische Grundsätze. Trotzdem wird besonders in der jüngsten Entwicklung die Rolle von nachhaltiger Entwicklung immer wieder betont: Diese kann nur aus fairen Arbeitsbedingungen für die Produzent*innen entstehen, die dann dementsprechend nachhaltig mit dem Kapital Umwelt umgehen. Eine weitere Argumentation ist dabei, dass Menschen, die einen gesicherten Lebensunterhalt haben,  das Recht auf einelebenswerte Umwelt verteidigen, um diese zu erhalten.

Für die Fairtrade-Zertifizierung müssen Produzent*innen bestimmte Auflagen erfüllen, dabei sind auch ökologische Standards festgelegt. Die Bewahrung von Biodiversität und der Schutz von Ökosystemen soll unter anderem durch die Reduktion des Einsatzes von Pestiziden und durch Maßnahmen zum Schutze der Fruchtbarkeit der Böden sichergestellt werden. Dafür gibt es von Fairtrade International auch Empfehlungen, etwa zur Kompostierung oder zum Zwischenfruchtbau. Ein entscheidender Aspekt für die Verbesserung umweltgerechter Anbaumethoden ist nach einer Untersuchung zum Kaffeeanbau in Ruanda dabei der Zusammenschluss in Kooperativen.

Bei einer Untersuchung von Anbaupraktiken von Kaffeebäuer*innen in Ruanda war exemplarisch festzustellen, dass nahezu alle Farmer*innen unabhängig davon, ob sie eigenständig, in einer Kooperative und/oder Fairtrade-zertifiziert anbauen, Pestizide verwenden. Dies ist in dem Fall aber auf die Subventionierungen der Regierung auf Pestizide zurückzuführen. Auch chemische Düngemittel wurden aus denselben Gründen vom Großteil der Befragten verwendet. Eine der Fairtrade-Kooperativen hatte dabei aber als einzige die Menge von chemischen Düngemittel bereits deutlich reduziert, um auf biologische Produktion umzusteigen. Eine positive Auswirkung von Fairtrade-zertifizierten Kooperativen ist hingegen auf den Waldfeldbau, also die Kombination von Kaffeepflanzen und Bäumen, zu bemerken. Durch das Angebot von Bildungsmöglichkeiten wie Workshops und Trainings konnte die Anzahl von Kleinbäuer*innen, die Waldfeldbau für die Verbesserung der Fruchtbarkeit von Böden verwenden, deutlich erhöht werden.

Etwa 70 Kaffeebohnen werden für eine Tasse Kaffee benötigt. (c) Rodrigo Flores

Es ist also grundsätzlich gut, dass Fairtrade-Produkte fast überall zu finden sind, oder?

Um eine stetige Absatzmenge beizubehalten, wurde nach 1980 die Etablierung eines Fairtrade-Labels nach Vorbild des Biosiegels angestrebt, um den Verkauf im konventionellen Handel zu erleichtern. So wurde die Nachfrage der Kund*innen essentiell für die Auswahl der Produkte. Durch die nun erreichte Anbindung an den konventionellen Markt stieg die Anzahl der beteiligten Akteur*innen bedeutend. Die Erschließung des kommerziellen Marktes führte auch zu einer Einbeziehung von konventionellen Unternehmen statt des zuvor ausschließlichen Verkaufs über eigene Weltläden.

Zu Anfang der Fairtrade-Bewegung war aber nicht die ökonomische Marktdominanz, sondern die Standardisierung von Fairtrade-Prinzipien im allgemeinen Welthandel das erklärte Ziel. Der Transport dieser Information geht durch das unreflektierte Einkaufen im Supermarkt, im Gegensatz zum Weltladen, verloren. So landet die Fairtrade-Schokolade sicher auch mal neben einer Schokocreme, die nicht ganz frei von Kinderarbeit scheint. Gerade weil Fairtrade-Produkte immer beliebter werden, steht die Einhaltung von Richtlinien durch die erhöhte Anzahl von beteiligten Akteur*innen und Interessensgruppen vor einer Probe. Für die wachsende Zahl an bewussten Konsument*innen ist es wichtig, einer nachhaltigen, fairen, integren Entwicklung weiterhin beim Einkauf vertrauen zu können.  Eine mögliche Lösung wäre dafür verstärkte Kampagnen- und Informationsarbeit. Nach wie vor wäre aber langfristig eine Implementierung der Fairtrade-Grundsätze in einem kollektiven Ansatz, also beispielsweise durch nationale Regulierungen und die Einhaltung von Verboten wie Kinder- oder Zwangsarbeit sowie angemessene Vergütung, wünschenswert.

Damit würden politische Forderungen und eine Etablierung von fairerem Welthandel mehr Gewicht erhalten. So bleibt die Möglichkeit eines internationalen Handelssystems ohne globale Ausbeutungslinien vielleicht nicht nur Utopie.


Einen Überblick über Fairtrade-Zertifizierungen findet ihr hier.

Warum eine Circular Economy nicht genug ist

22. Oktober 2019 By

Zirkuläres Handeln darf nicht nur die Vermeidung von Umweltschäden bedeuten, sondern es sollte auch soziale Teilhabe gewährleisten

Gegenwärtige Wirtschaftsmuster folgen einer weitgehend linearen Logik: Ressourcen werden verarbeitet, aus ihnen werden Dinge hergestellt, die konsumiert und schließlich entsorgt werden. Aus diesem Wirtschaftsmodell entstehen umfassende Schäden: Klimawandel, Umweltverschmutzung und globale Ausbeutungslinien gehören mit dazu. Was passiert also, wenn Ressourcen nicht mehr als nutzbare und sich selbst erneuernde Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden? 

Die Circular Economy setzt an diesem Punkt an: Produktion, Konsum und Verwertung der genutzten Produkte sollen einen Kreislauf bilden, aus dem möglichst wenig Schaden entsteht. Ein Großteil der eingespeisten Ressourcen wie Materialien und Energie sollen wiederverwendet und in weitere Kreisläufe eingespeist werden. Dabei spielen Praktiken wie Recycling, die langlebige Konstruktion von Produkten, Instandhaltung und Wiederverwendbarkeit eine zentrale Rolle. Etwa könnten bei einer Waschmaschine durch reparaturfreundliches Design nach ihrem Ableben noch funktionierende Teile wieder oder vielmehr weiter-verwendet werden. Ressourcen aus nicht mehr funktionierenden Teilen könnten in einem Recycling-Prozess extrahiert und die Rohstoffe beispielsweise als nächstes in einem Smartphone zum Einsatz kommen.

Allerdings kann die Circular Economy als implementiertes Wirtschaftsmodell tiefgehende Problematiken wie globale Ausbeutungsmechanismen nicht durchbrechen. So ist sie auch ein Instrument, weiterhin wirtschaftlichen Wachstum entkoppelt vom Verbrauch natürlicher Ressourcen zu ermöglichen. Das birgt unter anderem die Gefahr einer weitergehenden Machtkonzentration bei einigen wenigen, die dann neben Produktionsmechanismen auch die weitere Verwertung und Wiederverwendung von Ressourcen kontrollieren könnten. Zwar ermöglicht die Circular Economy die Minimierung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen sowie die Reduzierung umwelt- und gesundheitsgefährdender Schäden. Allerdings ist Linearität weiterhin tief in gesellschaftliche Regeln, Standards, Gesetze, Verhaltensmuster und Handlungsketten eingeschrieben. So werden gesellschaftliche Aspekte wie Teilhabe, globale soziale Gerechtigkeit und Lebensqualität durch die bloße Umgestaltung des linearen zu einem zirkulären Wirtschaften hin nicht ausreichend angegangen. 

Eine Circular Society schließt Kreisläufe, ohne einzelne einer Gesellschaft auszuschließen. (c) Hans Sauer Stiftung

Von der Circular Economy zur Circular Society

Um einen Wandel zu mehr gesellschaftlichen, zirkulär orientierten Denken und Handeln zu vollziehen, braucht es also mehr als das: So muss man sich zunächst fragen, was eigentlich Mittel und was eigentlich Zweck zirkulären Wirtschaftens ist. Letztlich ist es doch der Mensch, der das Wirtschaften als Mittel zur Umsetzung der eigenen Interessen nutzt und nicht umgekehrt. Circular Economy kann eben nur Mittel zum Zweck sein. Geht es also in erster Linie um jede*n Einzelne*n in der Gemeinschaft selbst, sollte zirkuläres Handeln auch gesamtgesellschaftlich gedacht werden. Zum Schluss kann es folglich nur eine Circular Society sein, an der sich menschliches Handeln orientiert. Wer die Minimierung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen vorantreiben will, muss sich also fragen, welcher gesellschaftliche Mehrwert dabei entsteht.

Keine Zweifel dürften darin bestehen, dass eine Gesellschaft die Summe ihrer Teile ist, nämlich die aus jeder und jedem einzelnen. Auch klar ist, dass jede*r einen gleichen Wert unter gleichen besitzt. Diese Gleichwertigkeit ist enorm wichtig, denn sie bedeutet Gleichberechtigung – eine zur gesellschaftlichen Teilhabe und Mitgestaltung. Spätestens jetzt wird klar, warum es nicht ausreicht, Zirkularität aus rein wirtschaftlicher Sicht zu betrachten und Gleichberechtigung in den Hintergrund zu rücken. Denn damit steigt die Gefahr, dass ein wirtschaftlicher Kreislauf zwar zirkulär und geschlossen, aber auch verschlossen ist – dass also einige von möglichen Wohlstand ausgeschlossen werden oder ihnen ihr Anspruch auf Selbstbestimmung verwehrt wird. Aber: Wie wird eine Gesellschaft zirkulär, was macht sie zu einer Circular Society?

Gleichberechtigung scheint die Gefahren eines falschen Verständnisses von Zirkularität zu zähmen und somit ein wesentliches Merkmal für eine Circular Society zu sein. Das heißt aber auch, dass in ihr partizipative Gestaltungsmöglichkeiten vorhanden sein müssen, um mit deren Hilfe gemeinschaftlich an sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen zu erarbeiten. Das Social Design Lab der Hans Sauer Stiftung bedient sich für so eine kooperative Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse der Herangehensweise des Social Designs. Das bedeutet, dass Methoden und Praktiken aus dem Design (und auch anderer Disziplinen) konsequent zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen nutzbar gemacht werden. Im Verständnis und der Praxis des Labs heißt das, dass partizipativ, iterativ, ergebnisoffen und „bottom-up“ an Lösungen gearbeitet wird. Forschung, Praxisakteur*innen und die jeweils betroffenen Menschen werden zusammengebracht und es wird schrittweise und gemeinschaftlich an neuen Modellen, an Lösungen „von unten“ gearbeitet und diese werden dann praktisch auf ihre Wirkungen und Effekte hin erprobt. 

Partizipative Gestaltungsmöglichkeiten sind ein wesentliches Merkmal einer Circular Society. (c) Hans Sauer Stiftung

Vom Wertstoffhof zum Mehrwerthof

Können beherrschende Muster des Ressourcenverbrauchs lokal verändert werden und wie kann kreislauforientierten Denken und Handeln mehr Raum und Relevanz verschafft werden? Wertstoffhöfe sind heutzutage zentrale Orte in dem Bestreben, eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Hier werden nicht weiter genutzte Dinge und Stoffe gesammelt, sortiert und einer erneuten Verwertung zugeführt.

Manche Stoffe, wie Glas, Papier und viele Metalle können gut recycelt werden. Doch bei einigen Stoffgruppen wird die Linearität unseres Wirtschaftssystems offenkundig: Im Müll landen dann leicht zu reparierende, aber aus der Mode gekommene Sofagarnituren, Unterhaltungselektronik, die dem aktuellen Stand der Technik hinterherhinken oder Haushaltsgeräte, bei denen eine Reparatur nicht möglich oder zu teuer wäre. Für die Nutzer*innen endet hier dann oft der Kontakt zum Produkt. Die Frage, ob das entsorgte Produkt ganz oder in Teilen wiederverwendet, downgecyclet oder als Sondermüll behandelt werden muss, bleibt häufig unklar.

In einem Projekt der Technischen Universität München wurden Stadtmöbel aus recycelten Materialien gebaut. (c) Hans Sauer Stiftung

Die Chance, die entsorgten Produkte sinnvoll in eine Kreislaufnutzung zu überführen, ist oft bereits vertan – zu sehr ist ihr Design auf Obsoleszenz und Linearität ausgelegt. Aber die Wertstoffhöfe bieten eine andere Gelegenheit: Sie stellen einen Anknüpfpunkt dar, um zirkuläre Modelle mehr in der Gesellschaft unterzubringen. Das Social Design Lab der Hans Sauer Stiftung geht zusammen mit der IKEA Stiftung der Frage nach, inwiefern Wertstoffhöfe zu Ausgangspunkten eines veränderten, konsequent an der Schaffung von Kreisläufen orientierten Umgangs mit Ressourcen werden können. Beim Neubau eines Wertstoffhofs in Markt Schwaben bei München wird versucht, die dort praktizierten Muster des Wegwerfens zu durchbrechen und zu erweitern. Gemeinsam mit ansässigen Akteur*innen wird ein über die bisherige Funktionen und Praktiken eines Wertstoffhofs hinausgehender Ort entwickelt. Zusammen mit dem Markt Markt Schwaben, der anderwerk GmbH und anderen Partnern werden bei dem Projekt „Mehrwerthof Markt2 Schwaben” in einem partizipativen Ansatz Lösungen gesucht und Transformationswege erprobt.

In neuartigen Allianzen zwischen Kommunen, Sozialwirtschaft, Stiftung, Hochschulen und den Menschen vor Ort werden Pilotprojekte initiiert: Reparaturveranstaltungen, Tauschpartys und Prototyping von Stadtmöbeln aus recycelten Materialien. Dabei werden gesellschaftliche Veränderungs- und Innovationsprozesse angestoßen, die von den Menschen aktiv mitgestaltet und – so die Hoffnung – auch breit und nachhaltig getragen werden.

Einmal zuhören bitte! Die besten Podcasts zu gesellschaftlichem Wandel und Nachhaltigkeit

10. März 2020 By

Wer, wie, was? Das Angebot an Podcasts ist riesig. Wir helfen dir den Überblick zu behalten.

Podcasts haben in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Kaum ein Tag vergeht, in dem nicht ein neues Format das Licht der Welt erblickt und um die Gunst der Hörer*innen buhlt. Thematisch gibt es dabei kaum etwas, dass es nicht gibt. Ob Politik-, True Crime- oder Talkformate – fast jede*r dürfte von einem Lieblingspodcast schwärmen können. Aber wie sieht es dabei eigentlich in Sachen Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Wandel aus? Wer erzählt hier die spannenden Geschichten über aktuelle Geschehnisse? Wer findet Antwortvorschläge auf die Fragen unserer Zeit? Wir haben uns einmal umgehört und ein paar nicht zu verachtende Formate zusammengetragen.

Hotel Matze

Seit 2016 öffnet einmal pro Woche das Hotel Matze seine Pforten. Matze hört dabei auf den Nachnamen Hielscher und ist hauptberuflich Co-Gründer und Chef der „Mit Vergnügen“-Familie. Die Gäste seines Hotels sind dabei von ziemlichen Rang und Namen. Sophie Passmann, Frank Elsner oder Anne Will sind nur einige davon. Besonders spannend ist der Podcast für all diejenigen, die sich selbst als Gründerinnen oder Gründer bezeichnen wollen. Denn Matze interessiert sich im Gespräch mit seinen Gästen vor allem dafür, wie es ist, etwas auf die Beine zu stellen und mit dem Ergebnis als Mensch umgehen zu können. Einmal im Monat gibt es dann, zusammen mit dem Co-Gründer von Einhorn-Kondome, Philip Siefer, Einblicke in den Berliner Gründer*innen-Alltag.

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Lage der Nation – der Politik-Podcast aus Berlin

Politik geht uns alle etwas an. Aber was ist eigentlich los auf dem politischen Parkett hierzulande und welche Hintergründe gibt es zu dem aktuellen politischen Geschehen in Berlin und anderswo? Seit 2016 wird der Podcast gemeinsam von dem Journalisten Philip Banse und dem Richter und Bürgerrechtler Ulf Buermeyer moderiert. Scharfsinnig werden dabei Woche für Woche Themen analysiert und diskutiert, die vom Wandel in unserer Gesellschaft zeugen. Hinterleuchtet wird etwa, was die Rechtsprechung zur Mietpreisbremse sagt, was eigentlich das Klimakabinett macht und wie es zu rechten Terror kommen kann.

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Süddeutsche Zeitung: Das Thema

In diesem Podcast gibt es jede Woche Hintergrundwissen aus der SZ-Redaktion zu aktuellen gesellschaftlichen Themen. In einer guten halben Stunde wird dabei verschiedensten Themen auf den Grund gegangen. Die SZ-Autoren Vinzent-Vitus Leitgeb und Laura Terberl kuratieren und moderieren dabei Themen wie die rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz, Gender-Medizin oder gehen der Frage nach, wie sinnhaft die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommen sein kann. Der Podcast ist dabei kurz, knapp und damit ziemlich informativ gehalten und dabei niemals langweilig.

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Wird das was? – der Digitalpodcast

Die Frage in der Überschrift ist Programm dieses Podcasts. So geht es in den alle zwei Wochen erscheinenden Sendungen vor allem um den digitalen Wandel in unserer Gesellschaft und wie dieser eigentlich funktionieren kann. Gar nicht mal so leicht zu beantworten. So handelt der Podcast nach eigener Wortwahl „über das komplizierte Leben in einer digitalen Welt“. Die Digitalredakteure aus dem Dunstkreis der Zeit ONLINE-Redaktion diskutieren dafür mit führenden Köpfen aus Wirtschaft und Forschung. Gäste waren bereits unter anderem die Vorsitzende des deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, Jana Koehler oder der CTO und Vizepräsident von Amazon, Werner Vogels.

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Darf sie das?

Mal ganz ehrlich: Wer der Meinung ist, dass es sich mit der Gleichbehandlung bereits fertig diskutiert hat, läuft entweder mit Scheuklappen durch die Welt oder sollte einmal dringend in den Podcast von Nicole Schöndorfer reinhören. In „Darf sie das?“ diskutiert die freie Journalistin wöchentlich Themen, die sich mit den vermeintlichen Rollenbildern unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Den Blick auf das aktuelle Geschehen in Politik und anderswo verliert sie dabei nie. So wird im Podcast etwa darüber gesprochen „Worüber wir im Zuge der Corona-Krise reden müssen“ und was „Häusliche Gewalt und Misogynie in Zeiten der Pandemie“ bedeuten.

https://open.spotify.com/show/6rUsAIsgWV5q4qL89TQGBR?si=1y6WgWpOSa6JMf1Mj_CeqA 

Sein und Streit – Das Philosophiemagazin

Wer sind wir und wer sagt, dass wir sind, wie wir sind? Die Antworten zu solch philosophischen Fragen könnten wohl kaum unterschiedlicher ausfallen – das hat zumindest bereits die Vergangenheit bewiesen. Wie wir in Zukunft zusammenleben, bestimmt wiederum die Diskussion und damit nicht zuletzt der Streit. Wöchentlich wird dafür vom Deutschlandfunk mit dem Philosophiemagazin und Podcast „Sein und Streit“ ein „akustischer Denkraum: über Alltägliches und Akademisches, über Sinn und Unsinn“ eröffnet. Moderiert von Simone Miller diskutieren darin Philosoph*innen wie Monika Betzler oder Robin Celikates über das Wesen der Willensschwäche oder über die EU-Flüchtlingspolitik.

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Deutschlandfunk: Umwelt und Verbraucher

Der wöchentliche Podcast des Deutschlandfunk will nicht nur erklären, was es mit Umweltschutz auf sich hat und warum dieser notwendig ist, sondern gibt in den einzelnen Sendungen auch nützliche Tipps und Anleitungen dazu, wie jede*r Einzelne einen eigenen kleinen Beitrag zur nachhaltigen Gestaltung unseres Alltags leisten kann. Die Themen sind dabei vielseitig: Wie lässt sich mit einer veganen Lebensweise CO2 einsparen oder durch eigene Stromerzeugung die eigene Klimabilanz verbessern? Genauso werden gemeinsam mit Expert*innen aktuelle Geschehnisse, wie die Waldbrände im Amazonas oder die Herstellung synthetischer Treibstoffe diskutiert.

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Tonspur N – Der Podcast zu Nachhaltigkeit und CSR

Tonspur N, das ist – wie es von dessen Macher*innen selbst heißt – „der Podcast zu Nachhaltiger Entwicklung, gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen und Sozialem Unternehmertum“. Dahinter stecken Annemarie Harant und Roman Mesicek, die seit nun schon 2015 alle 14 Tage einen umfassenden Überblick zu den Themen in der Social-Entrepreneurship-Szene geben. Dabei gibt es unter anderem Ausblicke und Rückblicke auf Veranstaltungen, Buchempfehlungen sowie verschiedene Interviews zu hören. Anfang 2019 haben Annemarie und Roman bekanntgegeben, dass es erstmal eine Pause für die Tonspur N geben wird. Für alle, die zum ersten Mal vom Podcast gehört haben, gibt es erstmal eine Menge nachzuhören und auch sonst gibt es keinen Grund zur Traurigkeit, denn ab nächsten Jahres wollen beide wieder starten und uns in Sachen Nachhaltigkeit wieder auf dem Laufenden halten.

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A mindful mess

Madeleine Daria Alizadeh ist der Name, der hinter dem wohl besser bekannten und digitalen Alias „dariadaria“ steckt. Wer sie kennt, weiß, dass dariadaria nicht nur eine erfolgreiche Influencerin und Betreiberin eines eigenen Modelabels ist. Denn sie ist dabei vor allem eine Verfechterin für mehr Nachhaltigkeit und das auf allen Ebenen. Ganz egal also, ob beim Umweltschutz in der Modeindustrie oder bei Sexismus-Debatten im öffentlichen Leben – genau diese Themen werden erklärt, diskutiert und hinterfragt. Dafür gibt es nun schon seit 2017 einen Podcast mit dem Titel „a mindful mess“. Wer ihn hört, lernt dabei vor allem etwas über Persönlichkeitsentwicklung und nachhaltiges Leben.

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Urbane Dörfer – Eine Studie zeigt wieviel digitales Potential im Land steckt

24. September 2019 By

Mittlerweile dürfte es bis in die letzte Ecke der Bundesrepublik hervorgedrungen sein, dass auch hierzulande Großstädte aus allen Nähten platzen. Warum also nicht einfach aufs Land ziehen – Digitalität macht es jedenfalls möglich.

Als ich mit der Hälfte meiner Familie weggezogen bin, war ich das, was man einen pubertären Teenie nennen kann. Mittlerweile wohne ich fast so lange in meiner neuen Heimat, wie jemand von dessen Geburt an braucht, um das Abitur zu bestehen und um den Führerschein zu machen. Dort wo ich ursprünglich herkomme, ist der Führerschein essentiell. Denn ich komme vom Land. Wer dort versucht sein Leben ohne motorisierten Untersatz zu meistern, wird aller Voraussicht nach kläglich scheitern. Aber dort wo ich herkomme, kann man auch aus anderen Gründen scheitern. Ich komme aus einer Kleinstadt im – sagen wir mal – Dreiländereck zwischen Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Eine Gegend die nicht wirklich bekannt ist für ihre wirtschaftliche Stärke, die sie aber durchaus hatte.

Nach der deutschen Wiedervereinigung  sollten es die blühenden Landschaften regeln. Zunächst haben aber erstmal viele Menschen in dieser und anderen Gegenden in den nun mehr 30 Jahre alt gewordenen „neuen“ Bundesländern oft vergebens um ihre Identität und soziale Absicherung gekämpft. Meist haben sie diese gegen Treuhand, Ignoranz und nicht selten Arroganz verloren. Aber genug mit der Schwarz-Weiß-Malerei: denn der „Osten“ kann mehr als jammern oder rechte Parolen rufen – was in einigen Gegenden erschreckend normal geworden ist und ein riesen Problem ist. Dass in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern vielleicht bald wieder mehr geht, liegt am Land-Joker der jetzt durch einen fortschreitenden digitalen Wandel ins Spiel kommt. Dort wo Industrien und Lebenspläne zerbrochen sind, bietet günstiger Raum und digitale Kopfarbeit wieder Potentiale für ein Comeback der Provinz.

Menschen wandern, Dörfer werden urban    

Um herauszufinden, was sich da auf dem Land zwischen sächsischem Vogtland und Rügen so tut, welche Potentiale einer digitalen Zukunft dort liegen, muss zunächst mal ein subjektives Ich einem objektiven Faktencheck Platz machen. Solche Fakten haben vor nicht allzu langer Zeit das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung gemeinsam mit dem gemeinnütziger Think & Do Tank neuland21 anhand der Studie „Urbane Dörfer – Wie digitales Arbeiten Städter aufs Land bringen kann“, geliefert. Was dort mit einem besonderen Blick auf die besagten Bundesländer erörtert wird, sind erstmal die Folgen, die sich aus dem demografischen Wandel innerhalb unserer Gesellschaft beobachten lassen und wie sich diese auf die Lebensbedingungen und -chancen in der Stadt und auf dem Land auswirken.

Laut Studie konnten von 2012 bis 2017 Großstädte wie Leipzig, Dresden und Berlin einen stetigen Bevölkerungszuwachs verzeichnen. Ländliche Regionen müssen dagegen einen großen Bevölkerungsschwund verzeichnen. (c) Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, neuland21 (optimierte Darstellung)

Das Verhältnis von Stadt und Land wird sich dabei wohl neu definieren. Im Wandel ist jedenfalls so einiges. So zieht es laut Studie sogenannte „Bildungswanderer“ zwischen 18 und 24 Jahren in die größeren Städte wie Potsdam, Dresden, Leipzig, Erfurt, Rostock oder Jena. Andere und vor allem großstadtferne Regionen jedoch, verzeichnen auch weiterhin einen massiven Bevölkerungsschwund. Wohnten etwa 1990 in Sachsen-Anhalt noch rund 2.9 Millionen Menschen, sind es heute nur noch 1.9 Millionen. Gründe für eine derartige Entwicklung bestehen laut Studie vor allem darin, dass viele der untersuchten ländlichen Regionen keine ausreichende Infrastruktur für die Ausbildungsversorgung einer modernen Wissensgesellschaft liefern. So gibt es kaum Universitäten und höhere Schulen im ländlichen Raum. Gleichwohl ist es die Attraktivität des kulturellen Angebots, aber auch das an Arbeitsplätzen, was vor allem junge Menschen in Großstädte wie Leipzig, Berlin und Dresden zieht. Das Land, sofern es nicht unmittelbar an urbane Zentren angeschlossen ist, bleibt also der große Verlierer.

Der digitale Wandel zum Guten

Aber laut der Studie gibt es ebenso Grund für ein ländliches Hoffen. Das nicht nur deshalb, da immer mehr Familien aufgrund von explodierenden, städtischen Immobilienpreisen nach günstigen Alternativen auf dem Land Ausschau halten, sondern weil – im Wortlaut der Studie – „kreative, digital affine Stadtbewohner“ in virtuellen und realen Gruppen zusammenfinden, um zu diskutieren, wie ein Leben auf dem Land für sie attraktiv sein kann. Solche digitalen Pioniere die rein theoretisch von überall auf der Welt ihrer Arbeit nachgehen können, bringen eine Arbeitsweise aufs Land, die bereits in vielen Teilen unseres Arbeitsalltags selbstverständlich geworden ist. So arbeiten wir laut Studie mittlerweile fast schon wie selbstverständlich unterwegs im Zug und verschicken unserer Mails bequem aus unserer, als Home-Office umfunktionierten Küche heraus. Warum also nicht auch auf dem Land arbeiten?

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Wie funktioniert digitales Leben auf dem Land? Einige Menschen gehen dieser Frage mit eigenen kreativen Projekten nach. (c) Tagesschau vom 12.08.2019, ARD/RBB

Diese Frage stellen sich, laut Studie, immer mehr Menschen. Das interessante: Ein paar Menschen von denen, die den Schritt von der Großstadt aufs Land wagen, nehmen nicht einfach ihre Arbeit mit, indem sie einfach ein neues, ländliches Home-Office-Quartier aufschlagen oder indem sie sich beispielsweise  als Lehrer oder Ärztin eine neue Anstellung suchen. Vielmehr versuchen einige der neuen Landbewohner*innen nach ihrem Umzug raus aus der Stadt nicht nur wohnlich, sondern auch beruflich neue Wege zu gehen. Das ist oftmals verbunden mit der Organisation in Gemeinschaftsprojekten und Unternehmensgründungen. Ein positiver Effekt: Diese Geschäftigkeit beinhaltet nicht selten die Umsetzung kreativer Ideen: So werden Hofläden konzipiert, Cafés betrieben, Galerien eröffnet oder Kulturfestivals ins Leben gerufen.  Positiv sind solche Vorhaben vor allem deshalb, da so abgeschriebene Landstriche zu neuem Leben erweckt werden und letztlich so ein kultureller Austausch stattfinden kann.

Einzelfälle mit strahlender Wirkung 

Bilden Projekte und Unternehmen, die solche Ideen in die Realität umsetzen, zwar eher eine Ausnahme statt die Regel, wird ihnen innerhalb der Studie doch aber das Potential zugesprochen, als „Digitale Inseln“ bisher strukturschwachen Dörfern den Weg in die Zukunft zu ebenen. 19 solcher ganz konkreten Projekte hat die Studie näher unter die Lupe genommen. Darunter etwa die Genossenschaft „Uferwerk“ im brandenburgischen Werder an der Havel, deren Mitglieder ein altes Fabrikgelände zu einem Mehrgenerationenwohnort umgebaut haben und nebenbei ein Lebensmittelkooperative ins Leben gerufen. Ein anderes Beispiel ist etwa der Verein „Kultur- und Bildungsstätte Kloster – Posa e.V.“ vor den Toren der einst blühenden Industriestadt Zeitz. Inmitten des Mitteldeutschen Braunkohlereviers hat sich ein Gemeinschaftsprojekt angesiedelt, dass auf dem Gelände eines ehemaligen, gleichnamigen Klosters ein breites Veranstaltungsangebot in Kultur und Bildung schafft, um – wie es auf der eigenen Website heißt – „die Vernetzung und den Austausch in diesen Disziplinen zeitgenössisch und nachhaltig zu fördern sowie Aspekte des gemeinschaftlichen Lebens miteinander zu vereinen.“

Die Studie hat exemplarisch 19 Projekte und Initiativen untersucht, die ländliche Regionen mit neuen und kreativen Ideen wiederbeleben wollen. (c) Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, neuland21 (optimierte Darstellung)

So oder so ähnlich begreifen fast alle Projekte ihren Auftrag. Das Land sozial wiederbeleben. Die Menschen hinter diesen Projekten sind laut Studie meist Akademiker*innen die vor allem kreative und wissensbasierte Berufe ausüben. Ansonsten könnten die Unterschiede der einzelnen Projekte teilweise kaum größer sein. So gibt es unter ihnen solche, die nur von einer Handvoll umgesetzt werden, während andere „einen der größten Viehhöfe Brandenburgs“ wieder zu neuen Leben erwecken. Eines haben aber alle Projekt gemeinsam: Sie setzen neue Impulse und zeigen vor allem eines: Es geht auch anders.

 

Design-Build-Bewegung

16. Mai 2019 By

Für mehr Partizipation in der Architektur

Früher war alles einfacher. Auch das Bauwesen. Da gab es einen Baumeister, der in Personalunion alles geleistet hat, vom Entwurf über die Statik bis hin zur Beaufsichtigung des Bauvorhabens. Im Laufe der Zeit und durch die Industrialisierung veränderte sich dieser Beruf zunehmend. Die Tätigkeit wurde immer komplexer und Experten mussten zu Rate gezogen werden. Heraus bildete sich dann der Beruf des Architekten, der irgendwann nur noch für die Entwürfe zuständig war – um alles andere kümmern sich nun Statiker und Bauingenieure. Das Verstehen des realen Bauprozesses war damit für den Architekten nicht mehr so wichtig – deswegen wird dieser auch in der Ausbildung nur oberflächlich beleuchtet und das Architekturstudium bleibt damit sehr theoretisch. Aus vielen Ideen aus der Studienzeit werden zwar Entwürfe und Modelle, aber die landen oft in irgendeiner Schublade und bleiben ein Fantasieprodukt. Ob die entworfenen Wolkenschlösser überhaupt umsetzbar wären, spielt dann keine große Rolle mehr. Die Design-Build-Bewegung will das ändern und die Studierenden auch praktisch in die Umsetzung von Bauvorhaben miteinbeziehen.

Jakob Bahret, Architekturstudent aus München, hat zu Beginn seines Studiums bei einem Design-Build-Projekt mitgemacht – bei der Assembly Hall Kibwigwa, eine Schulaula in Tansania. Der Bereich Design-Build ist an der Technischen Universität in München seit einigen Jahren als Wahlfach Teil des Curriculums. Kommt dieses Thema in Deutschland und in anderen Ländern erst seit einigen Jahren auf, so ist es in den USA schon viel früher angewendet worden.

Die Assembly Hall Kibwigwa, eine Schulaula in Tansania. (c) Jakob Bahret

Das Rural Studio der Universität Auburn in Alabama, USA, setzt dieses Konzept beispielsweise schon seit den 90er Jahren um. Studierende entwarfen Projekte und verwirklichten diese gemeinsam mit den Anwohnern vor Ort. Konkret in diesem Fall waren das Projekte von Kirchenbau bis zur Brückenüberdachung im südlichen Ende von Alabama, eine arme Region in der vor allem Farmer leben. Oft werden die Design-Build-Projekte auch in Entwicklungsländern durchgeführt. Es besteht bei Projekten dieser Art immer, wie allgemein in der Entwicklungszusammenarbeit, die Gefahr, dass man westliche Ideen durchsetzen will, ohne sie genügend zu hinterfragen. Doch das sollte eben nicht der Fall sein. Im Austausch mit den Menschen vor Ort wird Wissen transferiert, neue Techniken – auf beiden Seiten – gelernt und gleichzeitig viel diskutiert und ausprobiert. Für die Umsetzung werden Ressourcen vor Ort genutzt, unter anderem auch Upcycling-Materialien. Das Ergebnis hängt natürlich auch von den Fähigkeiten der Studierenden und der Personen vor Ort ab.

So jedenfalls die Theorie. In der Praxis sieht das dann meist doch etwas anders aus. Als 2014 das Projekt der Assembly Hall Kibwigwa der TU München startete, war Jakob Bahret Teil der zweiten Gruppe, die an dem Gebäude arbeitete. Beim ersten Besuch waren die Studierenden nicht fertig geworden, wie es des Öfteren bei Design-Build-Projekten der Fall ist. Ein Grund dafür war in diesem Fall die komplizierte Dachstruktur. „Das wurde nach dem Zollingerdach gebaut. Hier hat man relativ kleine Holzteile, die man dann zu einem Bogen miteinander verschränkt. Damit diese Rundung entsteht, braucht man aber einen bestimmten Winkel. Den nicht nur theoretisch, sondern praktisch hinzubekommen, ist ziemlich schwierig. Vor allem für Leute, die keine Werkstatterfahrung haben“, sagt Jakob, der selber vor dem Studium eine Schreinerlehre absolviert hat und einer der wenigen mit praktischer Erfahrung in der Gruppe war. Gleichzeitig ist die Erfahrung für die Studierenden wichtig, damit sie sehen, dass nicht alles, was auf dem Blatt Papier gut aussieht, auch einfach umzusetzen ist.

Das Zollingerdach sieht toll aus – braucht aber eine sehr präzise Arbeitsweise und vor allem auch die richtigen Werkzeuge.  (c) Jakob Bahret

Steve Badanes, Jim Anderson und John Ringel – auch bekannt als die „Godfathers of Design-Build“ – legten für ihr Studio „Jersey Devil Design Build“  schon früh gewisse Ziele fest, die ein Design-Build-Projekt verfolgen sollte, beziehungsweise erreichen sollte. Ganz weit vorne steht dabei das Erleben eines kollaborativen und konsensgetriebenen Designexperiments. Durch den Bauprozess sollen die Werte des kollaborativen Denkens erlernt und vor allen verstanden werden – so soll dann auch die Erfahrung des Bauens das Wissen für zukünftige Designs erweitern. Während dieses Prozesses geht es außerdem darum, dass sich die Studierenden miteinander austauschen, diskutieren und gegenseitig ihre Ideen präsentieren. Das Ziel ist es, ein kollektives Design für das Projekt zu entwerfen. Durch die Zusammenarbeit – auch mit der lokalen Bevölkerung – sollen die Kommunikationsfähigkeiten der Studierenden verbessert werden und Toleranz geübt werden. Der Plan ist, dass am Ende eines solchen Projektes, die Studierenden ihre Erfahrungen in ihre zukünftigen Arbeiten in Designstudios mit einfließen lassen und sich vermehrt auf Nachhaltigkeit, Dauerhaftigkeit, Komfort und Kontextualität konzentrieren.

Wie läuft aber eigentlich so ein Design-Build-Projekt ab?

Die Vorbereitung

Ein Design-Build-Projekt steht und fällt mit der Motivation der Studierenden. Denn sie müssen bereit sein viel Zeit und teilweise eigenes Geld (wie Reisekosten) zu investieren – je nach Länge des Projekts kann das sogar dazu führen, dass sich das ganze Studium verzögert. Denn die Zeitplanung ist nicht pauschal festzulegen. Je nach Situation vor Ort kann so ein Vorhaben wenigen Monaten bis hin zu mehreren Jahren dauern. Auch wenn hier oft nachfolgende Studierende weiter an dem Projekt arbeiten.

Bereits vor seinem Studium, hat Jakob ein Freiwilligenjahr in Tansania absolviert und als er bei seiner Bewerbung für das Architekturstudium das Design-Build-Projekt der Assembly Hall Kibwigwa entdeckte, bot er seine Hilfe an. Vor der Abreise der ersten Gruppe gab er an einem Abend eine kleine Einführung in Kultur und Sprache des Landes. „Eines der Probleme ist meiner Meinung nach, dass bei solchen Projekten das Land oft eine zu geringe Rolle spielt – also wie die Situation vor Ort ist und auf welche kulturellen Schwierigkeiten man treffen kann“, sagt er. Eigentlich war auch bei diesem Bau nur eine Reise geplant. Am Ende gab es eine zweite Gruppe – bei der auch Jakob dabei war – und sogar noch eine dritte, die aus Experten bestand, die das Dach schlussendlich fertig gestellt haben. Die Komplexität des Daches und die wenige Erfahrung der Studierenden wurden hier einfach unterschätzt.

Genauso wie sie Zeitplanung sollte die Finanzierung des Projekts bereits vor Beginn geklärt sein. Sonst besteht die Gefahr, dass das Projekt am Ende eventuell gar nicht fertig gestellt werden kann oder es zu unnötigen Verzögerungen kommt. Gerade wenn die Projekte auf anderen Kontinenten, wie Afrika oder Mittel- und Südamerika stattfinden, muss der Bauleiter vorher vor Ort gewesen sein und sich mit den Menschen und der Situation vertraut gemacht haben. Auch der Entwurf sollte idealerweise mit der Bevölkerung diskutiert werden, da sie das Gebäude am Ende nutzen sollen. Hilfe kann man sich hierbei auch bei anderen Organisationen in dem jeweiligen Land holen. Das ist auch bei eventuellen Sprachbarrieren eine Erleichterung.

Das Studio Mzamba – ein fortlaufenden Bauprojekt eines Schuldorfs im Südafrikanischen Mzamba. (c) Markus Dobmeier

Der Bau

Am Ende kann man noch so gut planen, aber, dass wirklich alles klappt, ist eher die Ausnahme als die Regel. Vor allem wenn die Projekte in anderen Ländern stattfinden, kann man viele Eventualitäten nicht vorhersehen. Da gibt es teilweise klimatische Veränderungen, Materialengpässe, politische Umbrüche und Umweltkatastrophen. Neben all den äußerlichen Faktoren gilt es zu bedenken, dass auch die fremde Kultur eine große Rolle spielt: das Verständnis von Pünktlichkeit und Absprachen, die Rollenaufteilung und fachliche sowie sprachliche Differenzen. Das alles kann – auch innerhalb der Studierendengruppe – zu langen Diskussionen führen. „Wenn ich über die Baustelle gelaufen bin, habe ich viele Dinge gesehen, die noch zu tun sind und andere haben sich abends beschwert, dass ihnen keiner gesagt hat, was sie hätten machen sollen. Es war für manche schwierig ihre Rolle zu finden“, sagt Jakob. Wenn die Bauphase länger dauert und verschiedene Gruppen mitarbeiten – wie bei dem Schulaula-Projekt in Tansania – kann außerdem die Einarbeitung mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Auftauchende Probleme können aber auch als Chance gesehen werden. Als Chance die eigene gedankliche Flexibilität zu erweitern, nach neuen Lösungen zu suchen, sich auf neue Dinge einzulassen und zu improvisieren. Alles Eigenschaften, die in vielen anderen Bereichen ebenfalls angewandt werden können und den zukünftigen Architekten von Nutzen sein werden. „Wir sind alle auch an unsere Grenzen gegangen und haben teilweise elf Stunden auf der Baustelle gearbeitet. Aber dabei haben alle auch viel gelernt und am Ende haben wir Studierende von dieser Erfahrung am meisten profitiert“, sagt Jakob.

Die Nachbereitung

Ob ein Projekt wirklich erfolgreich war, kann man oft erst nach einigen Jahren sagen. Wird das Gebäude noch genutzt? Wurde es zweckentfremdet? Hat das Projekt vielleicht auch weitere Kreise gezogen, wurde es nachgemacht oder erweitert? Wie war die Zusammenarbeit vor Ort und was könnte man besser machen? „Eine kritische Nachbesprechung gab es bei uns leider nicht – auch wenn ich mir das gewünscht hätte“, meint Jakob.

Für die Studierenden, die mitgemacht haben, haben die Design-Build-Projekte viel verändert – auch wenn es immer Verbesserungsbedarf gibt, ob es nun die Einarbeitungszeit ist, die Vorbereitung oder das Einbeziehen der Anwohner vor Ort.

Das Projekt Traudi von Innen. (c) Petra Panna Nagy

 

TRAUDI – ein Wohnheims Projekt in Wien

Ein Design-Build-Projekt in Europa ist das TRAUDI in Wien. Im Zuge des Home Not Shelter! Projekts der Hans Sauer Stiftung im Herbst 2015 haben Studierende der Technischen Universität in Wien, der TU München und der Universität Hannover gemeinsam mit Geflüchteten ein bereits bestehendes Gebäude in Wien zu einem Studentenwohnheim umgebaut. Die Studierenden haben die Basis vorbereitet und dann hieß es „sich trauen“ und selber mitanpacken. Die Zwei- bis Vierbettzimmer konnten und wurden selber von allen Beteiligten mitgestaltet. Dadurch hat sich bereits im Anfangsprozess eine Gemeinschaft gebildet – anders, als wenn alle nur in das fertige Haus gezogen wären. Durch das aktive Mitbauen haben sich die zukünftigen Bewohner gleich selber mit dem Haus und den Räumen identifizieren können. Daraus erschließt sich auch ein anderer Umgang, nicht nur mit den anderen Erbauern, sondern auch mit den Räumen und den Möbeln selbst, auf die somit besser achtgegeben wird. In das von der Caritas betriebene Wohnheim HAWI zogen dann 143 Menschen ein: 68 Studierende, 30 Geflüchtete und 45 unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Im Juni 2018 musste das erfolgreiche Projekt aber früher beendet werden als gedacht. Da durch die Schließung der Balkanroute nicht mehr so viele Flüchtlinge nach Österreich kommen, bekommt die Caritas keine Gelder mehr, um das Wohnheim weiter zu betreiben. Dies zeigt, dass erfolgreiche Projekte auch in Industrieländern von äußeren Faktoren und politischen Entwicklungen abhängig sind.

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